Seminar: Politische Parteien im Wandel Vortrag vom 3

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Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel
Institut für Politikwissenschaft Universität Bern
Vortrag vom 3.5.01
Oliver Wyss, Manfred Joss
Medienpartei und Mediendemokratie
von Manfred Joss und Oliver Wyss
Inhaltsverzeichnis
I. Medienparteien
1.1 Definition einer ‘Medienpartei’........................................................................................S. 2
1.2 Die potentiellen Erfolgschancen einer MP - Prüfung einer These...................................S. 2
1.3 Bedrohen Medienparteien das demokratische System? - Versuch einer Analyse............S. 5
II. Mediendemokratie
2.1 Ursachen für die Entstehung einer Mediendemokratie....................................................S. 7
2.2 Folgen der Mediendemokratie..........................................................................................S. 8
2.3 Auswirkungen auf die schweizerische Politik..................................................................S. 9
III. Literatur........................................................................................................................S. 12
Einleitung
Aus den vergangenen Referaten wissen wir, dass die politischen Parteien unterschiedliche
Entwicklungsstadien durchlaufen haben. Eine Medienpartei entwickelt sich aber nicht aus
einem klassischen Parteientyp, sondern wird auf Initiative eines Medienunternehmers
sozusagen aus dem Boden gestampft. Aufgezeigt werden soll, welche weiteren
Charakteristika auf eine Medienpartei zutreffen. Thematisiert wird in der Folge, weshalb
einem solchen ‘Parteientyp’ auf dem veränderten westeuropäischen Wählermarkt theoretisch
einige Chancen zugerechnet werden können. Aus demokratietheoretischer Perspektive wird
schliesslich am Schluss des ersten Teiles analysiert, welche Bedenken an eine Medienpartei
anzubringen sind.
Im zweiten Teil wird auf das Phänomen eingegangen, dass die Medien grossen Einfluss auf
Parteien wie auf das ganze politische System gewonnen haben, weshalb vielerorts bereits von
der Mediendemokratie die Rede ist. Zuerst sollen mögliche Ursachen, im zweiten Kapitel
dann die Folgen für Parteien und Politiker dargelegt werden. Im dritten Teil befassen wir uns
mit den Auswirkungen der Medienmacht auf das schweizerische Politiksystem. Wie weit
passen sich Parteien und Politiker den Wünschen der Medien an? Was sind die
Anforderungen an die Politik, damit diese in den Medien überhaupt noch wahrgenommen
wird? Es drängt sich hierbei auch die Frage auf, was Christoph Blocher besser macht als seine
Konkurrenten, steht er doch in bezug auf Medienbeachtung allein auf weiter Flur.
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I. Medienparteien
1.1 Definition einer ‘Medienpartei’
Um die Medienpartei von anderen Parteientypen abgrenzen zu können, ist es zunächst
sinnvoll, die Entstehung der klassischen Parteien am Beispiel der Schweiz näher zu
betrachten: Aufgrund gemeinsamer Ideen bildeten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wenig
strukturierte politische Bewegungen. Diese Bewegungen waren die Vorläufer der Parteien
(Segesser et al. 1996: 234). Charakteristisch für die Schweizer Parteien ist, dass sie nicht aus
Parlamentsfraktionen oder Wahlkomitees entstanden sind, sondern direkt als Organisationen
des wahl- und stimmberechtigten Volkes (Gruner 1977).
Auf die Medienparteien kann eine solche Entstehungsgeschichte in keiner Weise zutreffen.
Für eine Medienpartei ist vielmehr charakteristisch, dass sie durch einen
Medienunternehmer/in gegründet wird. Die führende Leitfigur verfügt über ein Medium mit
grosser Reichweite und setzt dieses zur Ausübung von politischem Einfluss ein. Mit
konzentrierten Konzernkampagnen kann eine solche Partei das Medienpublikum immer
wieder für bestimmte Issues mobilisieren und so Druck auf Parlament und Regierung
ausüben. Darüber hinaus schaltet sich eine Medienpartei aber auch selber in den
Demokratiebetrieb ein (in der Schweiz beispielsweise durch Referenden und Volksinitiativen)
und verfügt über eine politische Basisorganisation, die mit eigenen Listen an Wahlen
teilnimmt.
Voraussetzung für die Gründung einer Medienpartei ist also der Besitz eines
Medienimperiums, mit dem grosser politischer Einfluss ausgeübt werden kann. Damit
verschmelzen publizistische und ökonomische Interessen zu einem Informationsunternehmen,
das sich eine politische Bewegung leistet, um sich in den Legislativ- und Exekutivorganen des
Staates zu etablieren (Imhof 1996).
Abschliessend gilt festzuhalten, dass sich die Medienpartei nicht aus einem anderen
Parteientyp entwickelt. Die Forza Italia beispielsweise transformierte sich nicht aus einer
Catch all Partei oder aus einer Cartel party zu einer Medienpartei, sondern ist das alleinige
Produkt eines Medienunternehmers, der sein Medienmonopol zugunsten eigener politischer
Einflussnahme eingesetzt hat.
1.2 Die potentiellen Erfolgschancen einer MP - Prüfung einer These
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Der rasante Aufstieg von Berlusconi 1994, dessen Partei ‘Forza Italia’ zu Recht als
Medienpartei bezeichnet wird, kann nicht alleine mit den Möglichkeiten einer Medienpartei
erklärt
werden. Dazu beigetragen hat auch die Reform des italienischen Wahlrechts, welche die
Parteien dazu bewegte, Allianzen und sogar Koalitionen zu bilden. Berlusconi’s Koalition bei
den italienischen Parlamentswahlen von 1994 war die erste, die vor und nicht nach der Wahl
gebildet wurde (Biardi 1999). Ausserdem konnte die Forza Italia auch von Skandalen
profitieren, welche durch die Tangentopoli-Untersuchungen aufgedeckt worden waren und die
Parteien in ein schlechtes Licht rückten. Gerade die Forza Italia verstand sich als eine AntiParteien-Bewegung und konnte so die hohe Unzufriedenheit der Bürger mit der auf Parteien
basierenden Demokratie ausnützen. Die Korruptionsuntersuchen haben weiter sogar dazu
geführt, dass viele Parteien vernichtet wurden und sich so das politische Angebot verändert
hat. Ein Teil der Wählerschaft war also wegen der Unterschiede im Wahlangebot gezwungen,
seine gewohnte Wahlentscheidung zu ändern.
Zusammenfassend ist festzuhalten, dass exogene Faktoren (Skandale und institutionelle
Reformen) zum rasanten Aufstieg Berlusconis und zu den radikalen Veränderungen im
italienischen Parteiensystem wesentlich beigetragen haben.
Darüber hinaus verfügen aber alle Medienparteien im Vergleich zu den klassischen
politischen Parteien über einige gewichtige Vorteile.
Unsere These ist, dass die jüngsten Entwicklungen im westeuropäischen Wählermarkt die
Attraktivität von Medienparteien noch zusätzlich gesteigert haben. Ausgangspunkt unserer
Überlegungen ist, dass die Parteien auf die Veränderungen im Wählermarkt reagieren müssen:
Erstens um ihr fortlaufendes Überleben zu sichern, zweitens um weiterhin Einfluss auf die
politischen Entscheidungen nehmen zu können. Welche Veränderungen im westeuropäischen
Wählermarkt momentan die Parteien beschäftigen und wie diese zu reagieren versuchen,
haben Mair/Müller/Plasser 1999 untersucht:
Veränderungen im Wählermarkt Reaktionen der Parteien (generelle Trends)
 die fortschreitende Schwächung  Parteien verwandeln sich mehr und mehr in
zentralisierte Wahlkampforganisationen
der Bindungen an politische
 Parteiführung bekommt im Hinblick auf die
Parteien; Wählerunterstützung
Formulierung der Parteistrategie mehr Autonomie
ist nicht mehr gesichert
 Parteien sind noch mehr als früher von ihrer Führung
bestimmte Organisationen
 einen ziemlich generellen

Parteien werden weitgehend zentralisiert und
Niedergang der traditionellen
standardisiert und sprechen vermehrt nur noch mit
Cleavage-Politik
einer Stimme, die ihre Botschaft an ein breites
Publikum richtet
 die Depolitisierung von
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traditionellen Zugehörigkeiten;
politische Präferenzen werden
von kurzfristigen Faktoren
bestimmt
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 ein Typ von Parteiführer wird kreiert; attraktiv für die
breite Wählerschaft und die Massenmedien, aber
weniger für traditionsverhaftete Mitglieder der
Parteien
Es ist gut ersichtlich, dass die Veränderungen im westeuropäischen Wählermarkt theoretisch
den Medienparteien zugute kommen:
Traditionelle Loyalitäten zu Parteien können nicht mehr als gesichert vorausgesetzt werden.
Da eine Medienpartei zu Beginn über gar keine Mitglieder verfügt, ist sie zunächst direkt auf
die Unterstützung von Wechselwählern angewiesen. Weiter bedeutet diese Veränderung im
Wählermarkt, dass sich die Parteien eher auf die Wünsche der Wähler als auf die der
Parteimitglieder konzentrieren müssen, da die Wählerschaft weniger durch die
Parteizugehörigkeit gekennzeichnet ist. Parteien müssen sich deshalb im Wahlkampf um die
‘Meinungs-wählerschaft’ bemühen. Die Kopplung mit einem starken Medium erlaubt es der
Medienpartei, viele Wähler, die sich keiner Partei mehr zugehörig fühlen, anzusprechen und
für ihre Sache zu gewinnen. Weiter ist es der Medienpartei möglich, äusserst flexibel über
ihre Medien zu reagieren. Sie sind immer handlungsbereit und darauf vorbereitet, ihre
Botschaft kurzfristig an neuen Umständen zu orientieren. Die mögliche inhaltliche Bandbreite
der Botschaft wird tendenziell immer grösser, da ja die traditionelle Cleavage-Politik im
Niedergang begriffen ist.
Die Reaktionen der klassischen westeuropäischen Parteien können nicht automatisch als
adäquate Strategien angesehen werden: Bestimmt sind einige Reaktionen besser oder
schlechter geeignet, um auf die Veränderungen im Wählermarkt angemessen reagieren zu
können. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die Reaktionen der Parteien die
beschriebenen Veränderungen im Wählermarkt weiter vorantreiben.
Trotzdem: Es springt geradezu ins Auge, dass die Medienparteien den klassischen Parteien
voraus sind. Sie scheinen über eine bessere Parteiorganisation zu verfügen, um den
Notwendigkeiten eines aggressiven Wettbewerbs entsprechen zu können. Berlusconi’s Forza
Italia beispielsweise verfügte 1994 über eine Wahlkampforganisation, die zentralisierter nicht
hätte sein können. Alle Fäden liefen bei Berlusconi und seiner kleinen Parteizentrale
zusammen.
So wäre die Forza Italia ohne Berlusconi undenkbar, sie ist eine ganz von ihm beherrschte und
geführte Organisation. Er verfügt über das Geld, die Büros, die Kommunikationsmittel, das
Marketing und die Werbung. Da er durch seine Position über alle parteiinternen Belange
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autonom Entscheidungen treffen kann, bestimmt er sowohl Führung wie auch Programm im
Alleingang. Eine solche ‘Führerpartei’ kann nur mit einer Stimme sprechen, da die Partei ja
nur über den Leader wahrgenommen wird. Weil eine Medienpartei definitionsgemäss grosse
Teile der Bevölkerung über ihre Medien erreicht, werden die Botschaften der Partei
automatisch von einer breiten Masse rezipiert. Um auch inhaltlich viele Wähler anzusprechen,
richtete sich Berlusconi nach den Expertisen seiner Meinungsforscher. So versuchte er, für
viele Leute politisch attraktiv und damit wählbar zu sein.
Insgesamt erscheint die Medienpartei als ein Modell, das im Vergleich zu den klassischen
Parteien besser auf die Anforderungen des sich ändernden Wählermarktes reagieren kann.
Die Reaktionen der traditionellen Parteien in Westeuropa bestätigen diese Vermutung.
1.3 Bedrohen Medienparteien das demokratische System? - Versuch einer Analyse
Als Berlusconi im Frühjahr 1994 nur hundert Tage nach seinem Einstig in die Politik und der
Gründung seiner Partei Forza Italia durch den Einsatz von Demoskopie und Medien die
Parlamentswahlen gewann, sahen viele Beobachter die Demokratie in Gefahr. An dieser Stelle
soll nun vertieft untersucht werden, ob eine Medienpartei im Vergleich zu den klassischen
politischen Parteien tatsächlich Defizite aufweist. Dabei gehen wir von der Überlegung aus,
dass die Parteien im demokratischen System wichtige Funktionen zu erfüllen haben. Kann die
Medienpartei wichtige Funktionen (beziehungsweise Aufgaben) tatsächlich nicht
wahrnehmen, muss sie als Bedrohung für die Demokratie angesehen werden.
Vorerst gilt es festzuhalten, dass es unterschiedliche normative Vorstellungen von Demokratie
gibt. Je nach normativem Standpunkt gibt es auch unterschiedliche Vorstellungen davon,
welche Aufgaben die Parteien zu erfüllen haben. Wiesendahl (1980) hat festgestellt, dass eine
Vielzahl von theoretischen Arbeiten auf drei Parteiparadigmen zurückzuführen sind. Diese
drei Parteiparadigmen lassen sich, wie bereits erwähnt, auf divergierende normative
Vorstellungen von Demokratie zurückführen. Wie würde man nun eine Medienpartei wie die
Forza Italia aus den unterschiedlichen paradigmatischen Perspektiven beurteilen? (s. folgende
Seite)
Zusammenfassung: Eine skeptische Einstellung gegenüber Medienparteien ist keineswegs
unbegründet. Aus allen drei Perspektiven äussert sich Kritik: Auffälligstes Manko aus
integrationsparadigmatischer Sichtweise ist die aufkommende Legitimationsfrage, da eine
Medienpartei im Vergleich zu ‘normalen’ Parteien über unverhältnismässig viele mediale
Einflussmöglichkeiten verfügt. Auch Konkurrenzparadigmatiker nehmen die Kopplung von
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Medium und Partei als Anlass zur Kritik, da durch die mediale Monopolstellung der
Wettbewerb nicht mehr gewährleistet ist. Aus transmissionsparadigmatischer Perspektive ist
bedenklich, dass populistische Medienparteien nicht mehr die Interessen einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe vertreten. Ein solcher Parteityp scheint das demokratische System
tatsächlich zu gefährden.
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Perspektive
Integrationsparadigma
KonkurrenzParadigma
Untersuchter Soll-Funktion einer
Bezugsrahmen
Partei
Politisches
-Integration
System
-Legitimation
-Mobilisierung (fürs
politische System)
-Prellbock- und
Pufferfunktion
-Alternativenreduktion
-Komplexitätsreduktion
Parteiensystem -Stimmenerwerb
-Interessenmakelung
Transmissions- Gesellschaftparadigma
liches Umfeld
-Vertretung von
Interessen
-Willensbildung
-Mobilisierung
-Organsisation
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Beurteilung
Eine Medienpartei benötigt für ihren Erfolg bloss die Stimmen ihrer Anhänger. Über den
Gang zur Wahlurne hinaus müssen die Sympathisanten deshalb gar nie mobilisiert
werden. Parteikongresse und Mitgliederversammlungen finden kaum statt, so dass
Diskussionen und Konflikte nicht ausgetragen werden können. Die Wähler hören und
sehen Berlusconi zwar über das Fernsehen, die Einwegkommunikation verhindert aber,
dass sie sich selber einbringen können. Grösstes Defizit ist aber sicher die aufkommende
Legitimationsfrage: Die Medienpartei verfügt einerseits über politische Macht,
andererseits aber auch über mediale Einflussmöglichkeiten. Diese Symbiose führt zu einer
grossen Machtkonzentration, die dem Prinzip der Gewaltentrennung gegenübersteht. Wird
die Legitimation einer Führung in Frage gestellt, ist auch die Unterstützung für das
politische System nicht mehr gewährleistet.
Vordergründig scheint es aus dieser Perspektive keinen Anlass zur Kritik zu geben:
Berlusconi erhielt Stimmen und kam so seinem Ziel, dem Machterwerb, näher. Allerdings
hat er sein Ziel mit Mitteln erreicht, über die seine Konkurrenten nicht verfügen. Die
klassischen politischen Parteien besitzen keine Mediengruppe, über die sie fast gratis
Propaganda und Wahlwerbung betreiben können. Da eine Medienpartei also über ein
Monopol verfügt, verhindert sie den Wettbewerb unter den verschiedenen ‘Anbietern’. Da
es keine echte Konkurrenz mehr gibt, leidet die Qualität, und die Wähler (Konsumenten)
können nicht mehr profitieren.
Eine Medienpartei vertritt nicht in erster Linie die Interessen einer bestimmten
Bevölkerungsgruppe, da sie sich an eine breite Wählerschaft richtet. Die populistische
Forza Italia, die viele Parolen und Slogans aber kaum ein Programm besitzt, scheint diese
Kritik zu bestätigen. Gegen die normativen Vorstellungen der
transmissionsparadigmatischen Perspektive hat der Parteileader einen fast unbegrenzten
Entscheidungsspielraum, weil eine eigentliche Parteibasis fehlt. Da der Parteileader bloss
in Werbespots auftritt, können die Parteimitglieder ihre Forderungen nicht einmal
artikulieren. Demnach kann der Parteileader die Forderungen der Mehrheit unmöglich
unverfälscht in den Entscheidungsprozess einbringen, da er Wünsche der Mitglieder (bzw.
der gesamten Wählerschaft) bloss durch Meinungsumfragen zu wissen glaubt.
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II. Mediendemokratie
Es gibt also in der Schweiz keine Medienpartei im engeren Sinne. Trotzdem ist offensichtlich,
dass hier wie in allen westlichen Demokratien die Medien in der Politik eine überragende
Stellung eingenommen haben. Fast die gesamte Wahrnehmung von Parteien und Politik
vollzieht sich via Medien.
2.1 Entstehung von Mediendemokratien
Ein zentrales Element für die Stärkung der Medienmacht in den letzten 40 Jahren sind die
Veränderungen auf den Wählermärkten, die bereits auf Seite 3 aufgelistet sind. Sie sind
überall in Europa in unterschiedlichem Ausmass festzustellen. Im Hinblick auf die Entstehung
von Mediendemokratien soll hier auf einige noch genauer eingegangen werden (Mair, Müller,
Plasser 1999):
-
Traditionelle Loyalitäten (z.B. Arbeiterschaft-SP) haben sich aufgelöst oder sind
rein numerisch marginalisiert worden (Bauern-SVP)
-
Grosse Klammern verlieren ihren Einfluss auf die Parteipräferenz (Katholik wählt
nicht mehr CVP)
-
Die individuelle Parteiidentifikation nimmt ab, wodurch Parteien gezwungen sind,
um ihre Stimmen viel mehr zu kämpfen
-
Neue Wertesysteme machen es für Parteien schwierig, einen grossen Teil der
Wählerschaft anzusprechen
-
Die politische Neuausrichtung auf die wachsende Zahl der Parteiunabhängigen birgt
die Gefahr, die Reste der traditionellen Anhängerschaft zu verärgern oder zu
verlieren
Parteien können auf diese Entwicklungen unterschiedlich reagieren. Doch ein grundlegendes
Problem bleibt: Die Parteien stehen vor der Herausforderung, bei jeder Wahl, bei jeder
Abstimmung von Neuem die Wähler bearbeiten und überzeugen zu müssen, denn die
Stammwählerschaft wird ständig kleiner. Hingegen muss die wachsende Zahl von
Wechselwählern mittels geeigneter politischer Kommunikation überzeugt werden. Es nützt
einer Partei nichts mehr, gute Vorschläge zu machen, wenn sie deren Qualität nicht
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ausreichend kommunizieren kann. Daher verlagert sich der Schwerpunkt der politischen
Arbeit vom Inhalt auf die Präsentation. Entscheidend ist, wie die Arbeit von der Öffentlichkeit
aufgenommen wird. Die Abhängigkeit der Parteien von den Medien wird unter diesem
Gesichtspunkt offensichtlich.
2.2 Folgen der Mediendemokratie
Im Verhältnis zwischen Medien und Politik sind in der jüngeren Vergangenheit frappante
Neuerungen eingetreten: (Donsbach 1995):
-
Erfolgreiche Parteien und Politiker sind heute solche, die sich in den Medien
geschickt verhalten. Personen rücken in den Vordergrund, Politikinhalte in den
Hintergrund. Stille Schaffer haben es ungemein schwer, überhaupt noch beachtet zu
werden.
- Das politische Vokabular wird so vereinfacht, dass es medienkompatibel, das heisst
einfach, plakativ, sloganartig, ist. Differenzierungen, für das Verständnis des
Sachverhaltes oft nötig, bleiben auf der Strecke.
-
Pseudoereignisse dominieren den politischen Alltag. Der grösste Teil der politischen
Berichterstattung bezieht sich nicht auf Debatten im Parlament, sondern auf
Pressekonferenzen oder Polittalks. Die Pressearbeit ist daran, wichtiger zu werden
als die politische Arbeit an sich.
-
Die Meinungsbildung geschieht heute fast ausschliesslich über die Massenmedien.
In Deutschland geben beispielsweise 86% der Wähler an, die Medien hätten ihnen
die beste Hilfe zur Wahlentscheidung geliefert.
-
Journalisten können selber zu gewichtigen politischen Akteuren werden, indem sie
darüber verfügen, wer in den wichtigsten Medien zu Wort kommt (Filippo
Leutenegger und die Arena).
-
Viele politische Inputs kommen nicht mehr aus den Parteien oder Verbänden,
sondern werden von Medien eingebracht. Parteien verlieren damit eine vormals
wichtige Funktion (v.a. innerhalb des Transmissionsparadigmas)
In den USA sind diese Veränderungen inzwischen so weit, dass man bereits von einer
Mediokratie spricht, das heisst die Massenmedien dominieren das politische System. Dies
rührt vor allem daher, dass die Parteien zu schwach sind, um ihre Funktionen wahrzunehmen;
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politische Unterstützung aufzubauen ist nur noch via Medien möglich. Begünstigt wird die
Mediokratie in den USA auch durch das Wahlsystem, in dem der Fokus auf einzelne Personen
und nicht auf Parteien oder Programmen liegt.
2.3 Auswirkungen auf die schweizerische Politik
Die Schweiz ist zwar noch weit von amerikanischen Zuständen entfernt, was die Verquickung
von politischem und medialem System anbelangt. Insbesondere in Wahlkämpfen sind aber
gewisse Tendenzen in Richtung „Amerikanisierung“ trotzdem nicht zu übersehen. Schulz und
Gleich beschreiben folgende sechs Elemente der Amerikanisierung, die vor allem das Ziel
haben, eine bessere Medienbeachtung und -wirkung zu erreichen:
-
Wahlkampfführung durch professionelle Stäbe
-
Dominanz des Fernsehens
-
Aktive Mobilisierung des eigenen Anhangs
-
Inszenierung von Ereignissen
-
Personalisierung, d.h. Konzentration der Kampagne auf wenige Köpfe
- Emotionalisierung, scharfer Ton der Auseinandersetzung
Die beiden ersten Elemente sind in der Schweiz nur sehr schwach entwickelt. Anlässlich des
Wahlkampfs vor den eidgenössischen Wahlen 1999 ist untersucht worden, wie die Parteien
die vier anderen Elemente beherzigt haben. Ergebnis: Der Wille ist zwar zum Teil vorhanden,
in der Ausführung hapert es aber noch beträchtlich. Der Laiencharakter schweizerischer
Politik verhindert Auftritte à la Clinton oder Schröder. Das Bemühen, im Wahlkampf die
Sachthemen nicht zu vergessen, ist erhalten geblieben, obwohl die Medien dies in ihrer
Berichterstattung nicht immer zu würdigen wussten: sie berichteten lieber von „Politics“ als
von „policy“.
Mobilisierung: Parteiveranstaltungen vermögen in der Schweiz die Massen nicht zu bewegen.
Sie sind in ihrer Struktur keine Mitglieder- oder Anhängerversammlungen sondern Treffen
von Delegierten, das heisst von Funktionären der Kantonal- und Ortsparteien. Die Kulisse ist
daher der Schaffung einer medienwirksamen Atmosphäre wenig förderlich.
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Inszenierung: Eine Kandidatenkür wie in den USA oder neuerdings in Deutschland, wo die
Anwesenden der Parteitage in erster Linie die Aufgabe haben, Applaus zu spenden und
dekorative Zwecke zu erfüllen, ist in der Schweiz undenkbar. Einige Parteien versuchen zwar,
ihre
Tagungen
einer
gewissen
Dramaturgie
zu
unterwerfen,
doch
steht
die
Auseinandersetzung um Sachthemen nach wie vor im Vordergrund, auch bei der SVP. Dabei
kommen manchmal auch Politiker anderer Parteien auf Podiumsgesprächen zu Wort –
undenkbar in fast jedem anderen Parteiensystem.
Personalisierung: Sie führt dazu, dass Parteien je länger desto mehr nur noch über ihre Köpfe
wahrgenommen werden. Wer in der unglücklichen Lage ist, keine fachlich und kommunikativ
herausragenden Leute in der eigenen Partei zu haben, gerät unter Druck. So ist Christoph
Blocher vor den Wahlen in der Zeitung „Blick“ ganze 16 mal zentral erwähnt worden,
während alle anderen Spitzenkräfte anderer Parteien höchstens 3 mal im Zentrum eines
Artikels standen. Dass über Blocher meist im negativen Sinn berichtet wurde, war für die
Wirkung offenbar unerheblich, wie das Wahlergebnis gezeigt hat. Interessant wäre es zu
sehen, wo die SVP heute ohne Blocher stünde.
Emotionalisierung: An deutlichen Worten an die Adresse der politischen Gegner fehlt es an
kaum einer Parteiversammlung. Um in den Medien aber noch beachtet zu werden, braucht es
schon ungewöhnlich harte Ausdrücke. Der SVP wird zwar oft unterstellt, sie vergifte mit
ihren Frontalangriffen das politische Klima, doch halten sich ihre Gegner, auch FDP und
CVP, heute ebensowenig zurück. Die Emotionalisierung ist insofern ein Problem, als im
Konkordanzsystem die Feinde von gestern die Partner von morgen sind. Eine zunehmend
schwierige
Situation
bei
fundamentalen
und
emotional
debattierten
Meinungsverschiedenheiten.
Was machen nun die SVP und Christoph Blocher besser als ihre Konkurrenten? Es herrscht
weitgehend Konsens, dass seit dem Rückzug Peter Bodenmanns aus der nationalen Politik
Christoph Blocher im geschickten Umgang mit den Medien konkurrenzlos dasteht. Sein
Erfolgsrezept ist die Strategie der Dauerpräsenz – persönlich oder via Partei. Sie beruht auf
mehreren Pfeilern:
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-
Grossanlässe
rufen
Medienecho
hervor
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(Albisgüetliversammlung,
AUNS-
Veranstaltungen)
-
Blocher gibt sehr viele Interviews und schreibt selbst Artikel
-
Er ist omnipräsent im Fernsehen
Daneben ist Blocher durch Einsatz eines Teils seines beträchtlichen Privatvermögens in der
Lage, kostspieligere Varianten der Medienarbeit zu betreiben, so mit den Inseraten der
Zürcher SVP und mit Broschüren zu aktuellen Themen, die kostenlos in alle Haushalte oder
als Zeitungsbeilagen verteilt werden.
Dies allein reichte allerdings noch nicht, um die politische Berichterstattung derart zu
dominieren, wie es Blocher seit Jahren tut. Er beherrscht darüber hinaus genau jene
Techniken, die die Medien, vor allem die elektronischen, von einem Politiker fordern: er
polarisiert, er kann das Wichtigste in einem Satz zusammenfassen und er bringt Emotionen
ins Spiel. Dies alles führte dazu, dass ein einfacher Nationalrat und Präsident einer
Kantonalpartei dank seines Geschicks im Umgang mit den Medien zwar zum unbeliebtesten,
gleichzeitig aber auch zum wahrscheinlich erfolgreichsten Politiker des Landes geworden ist.
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III. Literatur:
1. Krempl, Stefan, Das Phänomen Berlusconi. Die Verstrickung von Politik, Medien,
Wirtschaft und Werbung, Frankfurt am Main 1996
2. Wallisch, Stefan, Aufstieg und Fall der Telekratie: Silvio Berlusconi, Romano Prodi und
die Politik im Fernsehzeitalter, Wien 1996
3. Bardi, Luciano, Italien: Dealignement und die Antworten der Parteien, in: Mair,
Peter/Müller, Wolfgang/Plasser, Fritz (Hg.), Parteien auf Komplexen Wählermärkten.
Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa, Wien 1999, S. 103-153
4. Wolf, Andrea, Telekratie oder Tele Morgana? Politik und Fernsehen in Italien,
Frankfurt/Berlin/Bern 1997
5. Ladner, Andreas, Politische Ideen und ihre Träger (Vorlesungsskript Institut für
Politikwissenschaft, Universität Bern, WS 00/01)
6. Klöti, Ulrich/Knoepfel, Peter/Kriesi, Hanspeter/Linder, Wolf/Popadopoulus, Yannis (Hg.),
Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 1999
7. Blum, Roger, Berlusconis Modell - Parallelen in der Schweiz?, in: Imhof, Kurt/Schulz,
Peter (Hg.), Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996
8. Imhof, Kurt, Eine Symbiose: Soziale Bewegungen und Medien, in: Imhof, Kurt/Schulz,
Peter (Hg.), Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996
9. Donsbach, Wolfgang: Medien und Politik, in: Armingeon, Klaus und Blum, Roger
(Hg.): Das öffentliche Theater. Bern 1995
10.Mair, Peter/ Müller, Wolfgang C./ Plasser, Fritz, Veränderungen in den
Wählermärkten: Herausforderungen für die Parteien und deren Antworten, in:
dieselben (Hg.), Parteien auf komplexen Wählermärkten: Reaktionsstrategien
politischer Parteien in Westeuropa. Wien 1999
11. www.weltwoche.ch/3799/37.99.ch_wahlen.html
12..http://tagesanzeiger.ch/ta/taFrameSet.html?framemitte=/service/smdsearch/index.h
tm&framerechts=/service/archiv_nav.htm?uebersicht?suche: Ausgaben vom 7.1.99,
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