Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss Medienpartei und Mediendemokratie von Manfred Joss und Oliver Wyss Inhaltsverzeichnis I. Medienparteien 1.1 Definition einer ‘Medienpartei’........................................................................................S. 2 1.2 Die potentiellen Erfolgschancen einer MP - Prüfung einer These...................................S. 2 1.3 Bedrohen Medienparteien das demokratische System? - Versuch einer Analyse............S. 5 II. Mediendemokratie 2.1 Ursachen für die Entstehung einer Mediendemokratie....................................................S. 7 2.2 Folgen der Mediendemokratie..........................................................................................S. 8 2.3 Auswirkungen auf die schweizerische Politik..................................................................S. 9 III. Literatur........................................................................................................................S. 12 Einleitung Aus den vergangenen Referaten wissen wir, dass die politischen Parteien unterschiedliche Entwicklungsstadien durchlaufen haben. Eine Medienpartei entwickelt sich aber nicht aus einem klassischen Parteientyp, sondern wird auf Initiative eines Medienunternehmers sozusagen aus dem Boden gestampft. Aufgezeigt werden soll, welche weiteren Charakteristika auf eine Medienpartei zutreffen. Thematisiert wird in der Folge, weshalb einem solchen ‘Parteientyp’ auf dem veränderten westeuropäischen Wählermarkt theoretisch einige Chancen zugerechnet werden können. Aus demokratietheoretischer Perspektive wird schliesslich am Schluss des ersten Teiles analysiert, welche Bedenken an eine Medienpartei anzubringen sind. Im zweiten Teil wird auf das Phänomen eingegangen, dass die Medien grossen Einfluss auf Parteien wie auf das ganze politische System gewonnen haben, weshalb vielerorts bereits von der Mediendemokratie die Rede ist. Zuerst sollen mögliche Ursachen, im zweiten Kapitel dann die Folgen für Parteien und Politiker dargelegt werden. Im dritten Teil befassen wir uns mit den Auswirkungen der Medienmacht auf das schweizerische Politiksystem. Wie weit passen sich Parteien und Politiker den Wünschen der Medien an? Was sind die Anforderungen an die Politik, damit diese in den Medien überhaupt noch wahrgenommen wird? Es drängt sich hierbei auch die Frage auf, was Christoph Blocher besser macht als seine Konkurrenten, steht er doch in bezug auf Medienbeachtung allein auf weiter Flur. 1 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss I. Medienparteien 1.1 Definition einer ‘Medienpartei’ Um die Medienpartei von anderen Parteientypen abgrenzen zu können, ist es zunächst sinnvoll, die Entstehung der klassischen Parteien am Beispiel der Schweiz näher zu betrachten: Aufgrund gemeinsamer Ideen bildeten sich zu Beginn des 19. Jahrhunderts wenig strukturierte politische Bewegungen. Diese Bewegungen waren die Vorläufer der Parteien (Segesser et al. 1996: 234). Charakteristisch für die Schweizer Parteien ist, dass sie nicht aus Parlamentsfraktionen oder Wahlkomitees entstanden sind, sondern direkt als Organisationen des wahl- und stimmberechtigten Volkes (Gruner 1977). Auf die Medienparteien kann eine solche Entstehungsgeschichte in keiner Weise zutreffen. Für eine Medienpartei ist vielmehr charakteristisch, dass sie durch einen Medienunternehmer/in gegründet wird. Die führende Leitfigur verfügt über ein Medium mit grosser Reichweite und setzt dieses zur Ausübung von politischem Einfluss ein. Mit konzentrierten Konzernkampagnen kann eine solche Partei das Medienpublikum immer wieder für bestimmte Issues mobilisieren und so Druck auf Parlament und Regierung ausüben. Darüber hinaus schaltet sich eine Medienpartei aber auch selber in den Demokratiebetrieb ein (in der Schweiz beispielsweise durch Referenden und Volksinitiativen) und verfügt über eine politische Basisorganisation, die mit eigenen Listen an Wahlen teilnimmt. Voraussetzung für die Gründung einer Medienpartei ist also der Besitz eines Medienimperiums, mit dem grosser politischer Einfluss ausgeübt werden kann. Damit verschmelzen publizistische und ökonomische Interessen zu einem Informationsunternehmen, das sich eine politische Bewegung leistet, um sich in den Legislativ- und Exekutivorganen des Staates zu etablieren (Imhof 1996). Abschliessend gilt festzuhalten, dass sich die Medienpartei nicht aus einem anderen Parteientyp entwickelt. Die Forza Italia beispielsweise transformierte sich nicht aus einer Catch all Partei oder aus einer Cartel party zu einer Medienpartei, sondern ist das alleinige Produkt eines Medienunternehmers, der sein Medienmonopol zugunsten eigener politischer Einflussnahme eingesetzt hat. 1.2 Die potentiellen Erfolgschancen einer MP - Prüfung einer These 2 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss Der rasante Aufstieg von Berlusconi 1994, dessen Partei ‘Forza Italia’ zu Recht als Medienpartei bezeichnet wird, kann nicht alleine mit den Möglichkeiten einer Medienpartei erklärt werden. Dazu beigetragen hat auch die Reform des italienischen Wahlrechts, welche die Parteien dazu bewegte, Allianzen und sogar Koalitionen zu bilden. Berlusconi’s Koalition bei den italienischen Parlamentswahlen von 1994 war die erste, die vor und nicht nach der Wahl gebildet wurde (Biardi 1999). Ausserdem konnte die Forza Italia auch von Skandalen profitieren, welche durch die Tangentopoli-Untersuchungen aufgedeckt worden waren und die Parteien in ein schlechtes Licht rückten. Gerade die Forza Italia verstand sich als eine AntiParteien-Bewegung und konnte so die hohe Unzufriedenheit der Bürger mit der auf Parteien basierenden Demokratie ausnützen. Die Korruptionsuntersuchen haben weiter sogar dazu geführt, dass viele Parteien vernichtet wurden und sich so das politische Angebot verändert hat. Ein Teil der Wählerschaft war also wegen der Unterschiede im Wahlangebot gezwungen, seine gewohnte Wahlentscheidung zu ändern. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass exogene Faktoren (Skandale und institutionelle Reformen) zum rasanten Aufstieg Berlusconis und zu den radikalen Veränderungen im italienischen Parteiensystem wesentlich beigetragen haben. Darüber hinaus verfügen aber alle Medienparteien im Vergleich zu den klassischen politischen Parteien über einige gewichtige Vorteile. Unsere These ist, dass die jüngsten Entwicklungen im westeuropäischen Wählermarkt die Attraktivität von Medienparteien noch zusätzlich gesteigert haben. Ausgangspunkt unserer Überlegungen ist, dass die Parteien auf die Veränderungen im Wählermarkt reagieren müssen: Erstens um ihr fortlaufendes Überleben zu sichern, zweitens um weiterhin Einfluss auf die politischen Entscheidungen nehmen zu können. Welche Veränderungen im westeuropäischen Wählermarkt momentan die Parteien beschäftigen und wie diese zu reagieren versuchen, haben Mair/Müller/Plasser 1999 untersucht: Veränderungen im Wählermarkt Reaktionen der Parteien (generelle Trends) die fortschreitende Schwächung Parteien verwandeln sich mehr und mehr in zentralisierte Wahlkampforganisationen der Bindungen an politische Parteiführung bekommt im Hinblick auf die Parteien; Wählerunterstützung Formulierung der Parteistrategie mehr Autonomie ist nicht mehr gesichert Parteien sind noch mehr als früher von ihrer Führung bestimmte Organisationen einen ziemlich generellen Parteien werden weitgehend zentralisiert und Niedergang der traditionellen standardisiert und sprechen vermehrt nur noch mit Cleavage-Politik einer Stimme, die ihre Botschaft an ein breites Publikum richtet die Depolitisierung von 3 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern traditionellen Zugehörigkeiten; politische Präferenzen werden von kurzfristigen Faktoren bestimmt Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss ein Typ von Parteiführer wird kreiert; attraktiv für die breite Wählerschaft und die Massenmedien, aber weniger für traditionsverhaftete Mitglieder der Parteien Es ist gut ersichtlich, dass die Veränderungen im westeuropäischen Wählermarkt theoretisch den Medienparteien zugute kommen: Traditionelle Loyalitäten zu Parteien können nicht mehr als gesichert vorausgesetzt werden. Da eine Medienpartei zu Beginn über gar keine Mitglieder verfügt, ist sie zunächst direkt auf die Unterstützung von Wechselwählern angewiesen. Weiter bedeutet diese Veränderung im Wählermarkt, dass sich die Parteien eher auf die Wünsche der Wähler als auf die der Parteimitglieder konzentrieren müssen, da die Wählerschaft weniger durch die Parteizugehörigkeit gekennzeichnet ist. Parteien müssen sich deshalb im Wahlkampf um die ‘Meinungs-wählerschaft’ bemühen. Die Kopplung mit einem starken Medium erlaubt es der Medienpartei, viele Wähler, die sich keiner Partei mehr zugehörig fühlen, anzusprechen und für ihre Sache zu gewinnen. Weiter ist es der Medienpartei möglich, äusserst flexibel über ihre Medien zu reagieren. Sie sind immer handlungsbereit und darauf vorbereitet, ihre Botschaft kurzfristig an neuen Umständen zu orientieren. Die mögliche inhaltliche Bandbreite der Botschaft wird tendenziell immer grösser, da ja die traditionelle Cleavage-Politik im Niedergang begriffen ist. Die Reaktionen der klassischen westeuropäischen Parteien können nicht automatisch als adäquate Strategien angesehen werden: Bestimmt sind einige Reaktionen besser oder schlechter geeignet, um auf die Veränderungen im Wählermarkt angemessen reagieren zu können. Es kann auch davon ausgegangen werden, dass die Reaktionen der Parteien die beschriebenen Veränderungen im Wählermarkt weiter vorantreiben. Trotzdem: Es springt geradezu ins Auge, dass die Medienparteien den klassischen Parteien voraus sind. Sie scheinen über eine bessere Parteiorganisation zu verfügen, um den Notwendigkeiten eines aggressiven Wettbewerbs entsprechen zu können. Berlusconi’s Forza Italia beispielsweise verfügte 1994 über eine Wahlkampforganisation, die zentralisierter nicht hätte sein können. Alle Fäden liefen bei Berlusconi und seiner kleinen Parteizentrale zusammen. So wäre die Forza Italia ohne Berlusconi undenkbar, sie ist eine ganz von ihm beherrschte und geführte Organisation. Er verfügt über das Geld, die Büros, die Kommunikationsmittel, das Marketing und die Werbung. Da er durch seine Position über alle parteiinternen Belange 4 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss autonom Entscheidungen treffen kann, bestimmt er sowohl Führung wie auch Programm im Alleingang. Eine solche ‘Führerpartei’ kann nur mit einer Stimme sprechen, da die Partei ja nur über den Leader wahrgenommen wird. Weil eine Medienpartei definitionsgemäss grosse Teile der Bevölkerung über ihre Medien erreicht, werden die Botschaften der Partei automatisch von einer breiten Masse rezipiert. Um auch inhaltlich viele Wähler anzusprechen, richtete sich Berlusconi nach den Expertisen seiner Meinungsforscher. So versuchte er, für viele Leute politisch attraktiv und damit wählbar zu sein. Insgesamt erscheint die Medienpartei als ein Modell, das im Vergleich zu den klassischen Parteien besser auf die Anforderungen des sich ändernden Wählermarktes reagieren kann. Die Reaktionen der traditionellen Parteien in Westeuropa bestätigen diese Vermutung. 1.3 Bedrohen Medienparteien das demokratische System? - Versuch einer Analyse Als Berlusconi im Frühjahr 1994 nur hundert Tage nach seinem Einstig in die Politik und der Gründung seiner Partei Forza Italia durch den Einsatz von Demoskopie und Medien die Parlamentswahlen gewann, sahen viele Beobachter die Demokratie in Gefahr. An dieser Stelle soll nun vertieft untersucht werden, ob eine Medienpartei im Vergleich zu den klassischen politischen Parteien tatsächlich Defizite aufweist. Dabei gehen wir von der Überlegung aus, dass die Parteien im demokratischen System wichtige Funktionen zu erfüllen haben. Kann die Medienpartei wichtige Funktionen (beziehungsweise Aufgaben) tatsächlich nicht wahrnehmen, muss sie als Bedrohung für die Demokratie angesehen werden. Vorerst gilt es festzuhalten, dass es unterschiedliche normative Vorstellungen von Demokratie gibt. Je nach normativem Standpunkt gibt es auch unterschiedliche Vorstellungen davon, welche Aufgaben die Parteien zu erfüllen haben. Wiesendahl (1980) hat festgestellt, dass eine Vielzahl von theoretischen Arbeiten auf drei Parteiparadigmen zurückzuführen sind. Diese drei Parteiparadigmen lassen sich, wie bereits erwähnt, auf divergierende normative Vorstellungen von Demokratie zurückführen. Wie würde man nun eine Medienpartei wie die Forza Italia aus den unterschiedlichen paradigmatischen Perspektiven beurteilen? (s. folgende Seite) Zusammenfassung: Eine skeptische Einstellung gegenüber Medienparteien ist keineswegs unbegründet. Aus allen drei Perspektiven äussert sich Kritik: Auffälligstes Manko aus integrationsparadigmatischer Sichtweise ist die aufkommende Legitimationsfrage, da eine Medienpartei im Vergleich zu ‘normalen’ Parteien über unverhältnismässig viele mediale Einflussmöglichkeiten verfügt. Auch Konkurrenzparadigmatiker nehmen die Kopplung von 5 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss Medium und Partei als Anlass zur Kritik, da durch die mediale Monopolstellung der Wettbewerb nicht mehr gewährleistet ist. Aus transmissionsparadigmatischer Perspektive ist bedenklich, dass populistische Medienparteien nicht mehr die Interessen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe vertreten. Ein solcher Parteityp scheint das demokratische System tatsächlich zu gefährden. 6 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Perspektive Integrationsparadigma KonkurrenzParadigma Untersuchter Soll-Funktion einer Bezugsrahmen Partei Politisches -Integration System -Legitimation -Mobilisierung (fürs politische System) -Prellbock- und Pufferfunktion -Alternativenreduktion -Komplexitätsreduktion Parteiensystem -Stimmenerwerb -Interessenmakelung Transmissions- Gesellschaftparadigma liches Umfeld -Vertretung von Interessen -Willensbildung -Mobilisierung -Organsisation Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss Beurteilung Eine Medienpartei benötigt für ihren Erfolg bloss die Stimmen ihrer Anhänger. Über den Gang zur Wahlurne hinaus müssen die Sympathisanten deshalb gar nie mobilisiert werden. Parteikongresse und Mitgliederversammlungen finden kaum statt, so dass Diskussionen und Konflikte nicht ausgetragen werden können. Die Wähler hören und sehen Berlusconi zwar über das Fernsehen, die Einwegkommunikation verhindert aber, dass sie sich selber einbringen können. Grösstes Defizit ist aber sicher die aufkommende Legitimationsfrage: Die Medienpartei verfügt einerseits über politische Macht, andererseits aber auch über mediale Einflussmöglichkeiten. Diese Symbiose führt zu einer grossen Machtkonzentration, die dem Prinzip der Gewaltentrennung gegenübersteht. Wird die Legitimation einer Führung in Frage gestellt, ist auch die Unterstützung für das politische System nicht mehr gewährleistet. Vordergründig scheint es aus dieser Perspektive keinen Anlass zur Kritik zu geben: Berlusconi erhielt Stimmen und kam so seinem Ziel, dem Machterwerb, näher. Allerdings hat er sein Ziel mit Mitteln erreicht, über die seine Konkurrenten nicht verfügen. Die klassischen politischen Parteien besitzen keine Mediengruppe, über die sie fast gratis Propaganda und Wahlwerbung betreiben können. Da eine Medienpartei also über ein Monopol verfügt, verhindert sie den Wettbewerb unter den verschiedenen ‘Anbietern’. Da es keine echte Konkurrenz mehr gibt, leidet die Qualität, und die Wähler (Konsumenten) können nicht mehr profitieren. Eine Medienpartei vertritt nicht in erster Linie die Interessen einer bestimmten Bevölkerungsgruppe, da sie sich an eine breite Wählerschaft richtet. Die populistische Forza Italia, die viele Parolen und Slogans aber kaum ein Programm besitzt, scheint diese Kritik zu bestätigen. Gegen die normativen Vorstellungen der transmissionsparadigmatischen Perspektive hat der Parteileader einen fast unbegrenzten Entscheidungsspielraum, weil eine eigentliche Parteibasis fehlt. Da der Parteileader bloss in Werbespots auftritt, können die Parteimitglieder ihre Forderungen nicht einmal artikulieren. Demnach kann der Parteileader die Forderungen der Mehrheit unmöglich unverfälscht in den Entscheidungsprozess einbringen, da er Wünsche der Mitglieder (bzw. der gesamten Wählerschaft) bloss durch Meinungsumfragen zu wissen glaubt. 7 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss II. Mediendemokratie Es gibt also in der Schweiz keine Medienpartei im engeren Sinne. Trotzdem ist offensichtlich, dass hier wie in allen westlichen Demokratien die Medien in der Politik eine überragende Stellung eingenommen haben. Fast die gesamte Wahrnehmung von Parteien und Politik vollzieht sich via Medien. 2.1 Entstehung von Mediendemokratien Ein zentrales Element für die Stärkung der Medienmacht in den letzten 40 Jahren sind die Veränderungen auf den Wählermärkten, die bereits auf Seite 3 aufgelistet sind. Sie sind überall in Europa in unterschiedlichem Ausmass festzustellen. Im Hinblick auf die Entstehung von Mediendemokratien soll hier auf einige noch genauer eingegangen werden (Mair, Müller, Plasser 1999): - Traditionelle Loyalitäten (z.B. Arbeiterschaft-SP) haben sich aufgelöst oder sind rein numerisch marginalisiert worden (Bauern-SVP) - Grosse Klammern verlieren ihren Einfluss auf die Parteipräferenz (Katholik wählt nicht mehr CVP) - Die individuelle Parteiidentifikation nimmt ab, wodurch Parteien gezwungen sind, um ihre Stimmen viel mehr zu kämpfen - Neue Wertesysteme machen es für Parteien schwierig, einen grossen Teil der Wählerschaft anzusprechen - Die politische Neuausrichtung auf die wachsende Zahl der Parteiunabhängigen birgt die Gefahr, die Reste der traditionellen Anhängerschaft zu verärgern oder zu verlieren Parteien können auf diese Entwicklungen unterschiedlich reagieren. Doch ein grundlegendes Problem bleibt: Die Parteien stehen vor der Herausforderung, bei jeder Wahl, bei jeder Abstimmung von Neuem die Wähler bearbeiten und überzeugen zu müssen, denn die Stammwählerschaft wird ständig kleiner. Hingegen muss die wachsende Zahl von Wechselwählern mittels geeigneter politischer Kommunikation überzeugt werden. Es nützt einer Partei nichts mehr, gute Vorschläge zu machen, wenn sie deren Qualität nicht 8 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss ausreichend kommunizieren kann. Daher verlagert sich der Schwerpunkt der politischen Arbeit vom Inhalt auf die Präsentation. Entscheidend ist, wie die Arbeit von der Öffentlichkeit aufgenommen wird. Die Abhängigkeit der Parteien von den Medien wird unter diesem Gesichtspunkt offensichtlich. 2.2 Folgen der Mediendemokratie Im Verhältnis zwischen Medien und Politik sind in der jüngeren Vergangenheit frappante Neuerungen eingetreten: (Donsbach 1995): - Erfolgreiche Parteien und Politiker sind heute solche, die sich in den Medien geschickt verhalten. Personen rücken in den Vordergrund, Politikinhalte in den Hintergrund. Stille Schaffer haben es ungemein schwer, überhaupt noch beachtet zu werden. - Das politische Vokabular wird so vereinfacht, dass es medienkompatibel, das heisst einfach, plakativ, sloganartig, ist. Differenzierungen, für das Verständnis des Sachverhaltes oft nötig, bleiben auf der Strecke. - Pseudoereignisse dominieren den politischen Alltag. Der grösste Teil der politischen Berichterstattung bezieht sich nicht auf Debatten im Parlament, sondern auf Pressekonferenzen oder Polittalks. Die Pressearbeit ist daran, wichtiger zu werden als die politische Arbeit an sich. - Die Meinungsbildung geschieht heute fast ausschliesslich über die Massenmedien. In Deutschland geben beispielsweise 86% der Wähler an, die Medien hätten ihnen die beste Hilfe zur Wahlentscheidung geliefert. - Journalisten können selber zu gewichtigen politischen Akteuren werden, indem sie darüber verfügen, wer in den wichtigsten Medien zu Wort kommt (Filippo Leutenegger und die Arena). - Viele politische Inputs kommen nicht mehr aus den Parteien oder Verbänden, sondern werden von Medien eingebracht. Parteien verlieren damit eine vormals wichtige Funktion (v.a. innerhalb des Transmissionsparadigmas) In den USA sind diese Veränderungen inzwischen so weit, dass man bereits von einer Mediokratie spricht, das heisst die Massenmedien dominieren das politische System. Dies rührt vor allem daher, dass die Parteien zu schwach sind, um ihre Funktionen wahrzunehmen; 9 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss politische Unterstützung aufzubauen ist nur noch via Medien möglich. Begünstigt wird die Mediokratie in den USA auch durch das Wahlsystem, in dem der Fokus auf einzelne Personen und nicht auf Parteien oder Programmen liegt. 2.3 Auswirkungen auf die schweizerische Politik Die Schweiz ist zwar noch weit von amerikanischen Zuständen entfernt, was die Verquickung von politischem und medialem System anbelangt. Insbesondere in Wahlkämpfen sind aber gewisse Tendenzen in Richtung „Amerikanisierung“ trotzdem nicht zu übersehen. Schulz und Gleich beschreiben folgende sechs Elemente der Amerikanisierung, die vor allem das Ziel haben, eine bessere Medienbeachtung und -wirkung zu erreichen: - Wahlkampfführung durch professionelle Stäbe - Dominanz des Fernsehens - Aktive Mobilisierung des eigenen Anhangs - Inszenierung von Ereignissen - Personalisierung, d.h. Konzentration der Kampagne auf wenige Köpfe - Emotionalisierung, scharfer Ton der Auseinandersetzung Die beiden ersten Elemente sind in der Schweiz nur sehr schwach entwickelt. Anlässlich des Wahlkampfs vor den eidgenössischen Wahlen 1999 ist untersucht worden, wie die Parteien die vier anderen Elemente beherzigt haben. Ergebnis: Der Wille ist zwar zum Teil vorhanden, in der Ausführung hapert es aber noch beträchtlich. Der Laiencharakter schweizerischer Politik verhindert Auftritte à la Clinton oder Schröder. Das Bemühen, im Wahlkampf die Sachthemen nicht zu vergessen, ist erhalten geblieben, obwohl die Medien dies in ihrer Berichterstattung nicht immer zu würdigen wussten: sie berichteten lieber von „Politics“ als von „policy“. Mobilisierung: Parteiveranstaltungen vermögen in der Schweiz die Massen nicht zu bewegen. Sie sind in ihrer Struktur keine Mitglieder- oder Anhängerversammlungen sondern Treffen von Delegierten, das heisst von Funktionären der Kantonal- und Ortsparteien. Die Kulisse ist daher der Schaffung einer medienwirksamen Atmosphäre wenig förderlich. 10 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss Inszenierung: Eine Kandidatenkür wie in den USA oder neuerdings in Deutschland, wo die Anwesenden der Parteitage in erster Linie die Aufgabe haben, Applaus zu spenden und dekorative Zwecke zu erfüllen, ist in der Schweiz undenkbar. Einige Parteien versuchen zwar, ihre Tagungen einer gewissen Dramaturgie zu unterwerfen, doch steht die Auseinandersetzung um Sachthemen nach wie vor im Vordergrund, auch bei der SVP. Dabei kommen manchmal auch Politiker anderer Parteien auf Podiumsgesprächen zu Wort – undenkbar in fast jedem anderen Parteiensystem. Personalisierung: Sie führt dazu, dass Parteien je länger desto mehr nur noch über ihre Köpfe wahrgenommen werden. Wer in der unglücklichen Lage ist, keine fachlich und kommunikativ herausragenden Leute in der eigenen Partei zu haben, gerät unter Druck. So ist Christoph Blocher vor den Wahlen in der Zeitung „Blick“ ganze 16 mal zentral erwähnt worden, während alle anderen Spitzenkräfte anderer Parteien höchstens 3 mal im Zentrum eines Artikels standen. Dass über Blocher meist im negativen Sinn berichtet wurde, war für die Wirkung offenbar unerheblich, wie das Wahlergebnis gezeigt hat. Interessant wäre es zu sehen, wo die SVP heute ohne Blocher stünde. Emotionalisierung: An deutlichen Worten an die Adresse der politischen Gegner fehlt es an kaum einer Parteiversammlung. Um in den Medien aber noch beachtet zu werden, braucht es schon ungewöhnlich harte Ausdrücke. Der SVP wird zwar oft unterstellt, sie vergifte mit ihren Frontalangriffen das politische Klima, doch halten sich ihre Gegner, auch FDP und CVP, heute ebensowenig zurück. Die Emotionalisierung ist insofern ein Problem, als im Konkordanzsystem die Feinde von gestern die Partner von morgen sind. Eine zunehmend schwierige Situation bei fundamentalen und emotional debattierten Meinungsverschiedenheiten. Was machen nun die SVP und Christoph Blocher besser als ihre Konkurrenten? Es herrscht weitgehend Konsens, dass seit dem Rückzug Peter Bodenmanns aus der nationalen Politik Christoph Blocher im geschickten Umgang mit den Medien konkurrenzlos dasteht. Sein Erfolgsrezept ist die Strategie der Dauerpräsenz – persönlich oder via Partei. Sie beruht auf mehreren Pfeilern: 11 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern - Grossanlässe rufen Medienecho hervor Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss (Albisgüetliversammlung, AUNS- Veranstaltungen) - Blocher gibt sehr viele Interviews und schreibt selbst Artikel - Er ist omnipräsent im Fernsehen Daneben ist Blocher durch Einsatz eines Teils seines beträchtlichen Privatvermögens in der Lage, kostspieligere Varianten der Medienarbeit zu betreiben, so mit den Inseraten der Zürcher SVP und mit Broschüren zu aktuellen Themen, die kostenlos in alle Haushalte oder als Zeitungsbeilagen verteilt werden. Dies allein reichte allerdings noch nicht, um die politische Berichterstattung derart zu dominieren, wie es Blocher seit Jahren tut. Er beherrscht darüber hinaus genau jene Techniken, die die Medien, vor allem die elektronischen, von einem Politiker fordern: er polarisiert, er kann das Wichtigste in einem Satz zusammenfassen und er bringt Emotionen ins Spiel. Dies alles führte dazu, dass ein einfacher Nationalrat und Präsident einer Kantonalpartei dank seines Geschicks im Umgang mit den Medien zwar zum unbeliebtesten, gleichzeitig aber auch zum wahrscheinlich erfolgreichsten Politiker des Landes geworden ist. 12 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss III. Literatur: 1. Krempl, Stefan, Das Phänomen Berlusconi. Die Verstrickung von Politik, Medien, Wirtschaft und Werbung, Frankfurt am Main 1996 2. Wallisch, Stefan, Aufstieg und Fall der Telekratie: Silvio Berlusconi, Romano Prodi und die Politik im Fernsehzeitalter, Wien 1996 3. Bardi, Luciano, Italien: Dealignement und die Antworten der Parteien, in: Mair, Peter/Müller, Wolfgang/Plasser, Fritz (Hg.), Parteien auf Komplexen Wählermärkten. Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa, Wien 1999, S. 103-153 4. Wolf, Andrea, Telekratie oder Tele Morgana? Politik und Fernsehen in Italien, Frankfurt/Berlin/Bern 1997 5. Ladner, Andreas, Politische Ideen und ihre Träger (Vorlesungsskript Institut für Politikwissenschaft, Universität Bern, WS 00/01) 6. Klöti, Ulrich/Knoepfel, Peter/Kriesi, Hanspeter/Linder, Wolf/Popadopoulus, Yannis (Hg.), Handbuch der Schweizer Politik, Zürich 1999 7. Blum, Roger, Berlusconis Modell - Parallelen in der Schweiz?, in: Imhof, Kurt/Schulz, Peter (Hg.), Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996 8. Imhof, Kurt, Eine Symbiose: Soziale Bewegungen und Medien, in: Imhof, Kurt/Schulz, Peter (Hg.), Politisches Raisonnement in der Informationsgesellschaft, Zürich 1996 9. Donsbach, Wolfgang: Medien und Politik, in: Armingeon, Klaus und Blum, Roger (Hg.): Das öffentliche Theater. Bern 1995 10.Mair, Peter/ Müller, Wolfgang C./ Plasser, Fritz, Veränderungen in den Wählermärkten: Herausforderungen für die Parteien und deren Antworten, in: dieselben (Hg.), Parteien auf komplexen Wählermärkten: Reaktionsstrategien politischer Parteien in Westeuropa. Wien 1999 11. www.weltwoche.ch/3799/37.99.ch_wahlen.html 12..http://tagesanzeiger.ch/ta/taFrameSet.html?framemitte=/service/smdsearch/index.h tm&framerechts=/service/archiv_nav.htm?uebersicht?suche: Ausgaben vom 7.1.99, 15.9.99, 13.9.00 13 Seminar, Dr. Andreas Ladner: Politische Parteien im Wandel Institut für Politikwissenschaft Universität Bern 14 Vortrag vom 3.5.01 Oliver Wyss, Manfred Joss