VII. Schäden: Diagnose Alterung von Papier Was ist Alterung

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VII. Schäden: Diagnose
Alterung von Papier
Was ist Alterung?
RÖMPPS Chemisches Lexikon sagt uns (auszugsweise) darüber:
Unter Alterung versteht man im allgemeinen die Veränderungen der physikalischen und
chemischen Eigenschaften eines Stoffes beim Lagern oder Gebrauch. Diese können auf natürlichem
Wege (zum Beispiel durch Einwirkung der normalen Außentemperatur) eintreten, lassen sich auch
künstlich (zum Beispiel durch erhöhte Temperatur) erzeugen. Ihre Ursache können
Ausscheidungsvorgänge oder Veränderungen der Molekül- oder Kristallstruktur sein ...
Vereinfacht ausgedrückt, ist Alterung das Ergebnis einer Reaktion, zumeist aber das Ergebnis der
Summe mehrer Reaktionen130, die nacheinander, aber auch gleichzeitig ablaufen können. Diese
Reaktionen können
a) durch Reaktionsbeschleuniger, d. h. durch Temperaturerhöhung, Druckerhöhung und
Katalysatoren,
ausgelöst, begünstigt oder beschleunigt, aber auch
b) durch Reaktionshemmer131, d. h. durch Inhibitoren Antioxydantien Antikatalysatoren
Passivatoren oder Stabilisatoren,
behindert oder gehemmt werden.
Wie alle irdischen Dinge ist auch das Papier dem immer weiter fortschreitenden Alterungsprozeß
unterworfen. Dieser wird durch zwei Hauptursachen maßgeblich beeinflußt. Es sind dies:
Endogene Ursachen:
Roh- bzw. Faserstoffqualität, Polymerisationsgrad und Herstellung.
130
U. a. chemische, photochemische, physikalische u. thermolytische Reaktionen.
Besonders die „Reaktionshemmer" wären als „Alterungsbremse" für die Papierrestaurierung von
großer Bedeutung.
131
Exogene Ursachen:
Benutzung (Beschriftung, Bemalung), Umgang, Aufbewahrung (Kontaktschäden und
Umwelteinflüsse).
Durch die Verwendung von qualitativ besten Faserstoffen verfügen die alten handgeschöpften
Papiere meist über eine hervorragende Blattfestigkeit, Gebrauchsqualität und bei entsprechendem
sorgsamem Umgang und Aufbewahrung auch über eine sehr „hohe Lebenserwartung", d. h.
Alterungsbeständigkeit. Da der Restaurator kaum über Möglichkeiten verfügt, vorhandene
endogene Schäden zu beseitigen, wird er seine Restaurierungsbestrebungen auf die durch exogene
Ursachen entstandenen Schäden beschränken müssen.
Auswirkungen des Alterungsprozesses
Bei der Alterung von Papier handelt es sich um Überlagerungen verschiedener Vorgänge, die durch
die herrschenden Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen im hohen Maße beeinflußt werden.
Dabei sind eine Vergilbung der Zellulose und eine deutliche Minderung der Blattfestigkeit
unverkennbare Anzeichen. Wesentlich für die Dauerhaftigkeit von Papier ist vor allem
die Erhaltung der Blattfestigkeit!
Die meßtechnisch erfaßbaren Kennzeichen für gealterte Papiere sind starke Senkungen der
Falzfestigkeit. In besonders weit fortgeschrittenen Fällen kommt es auch zu zunehmender
Naßfestigkeit, die deutlich schon daran zu erkennen ist, daß derartige (verhornte, vernetzte) Papiere
nur mehr zögernd oder überhaupt kein Wasser mehr aufnehmen.
Kettenabbau bei Faserzellulosen:
Wenn beim Abbau natürlicher Zellulosefasern gewisse DP-Werte -wie zum Beispiel bei Baumwolle
DP 300-400 - unterschritten werden, tritt ein starker Abfall der Reißfestigkeit ein, während im
darüber liegenden Bereich nur geringe Veränderungen beobachtet wurden. Anders ausgedrückt
bedeutet dies, daß beim Auftreten von Senkungen der Reißfestigkeit der Zelluloseabbau bereits weit
fortgeschritten ist.
Dieser Abbau kann sowohl durch oxydative wie auch durch hydrolytische Vorgänge bedingt sein.
Um die oxydativen und hydrolytischen Vorgänge bzw. ihre Auswirkung auf Alterung und
Kettenabbau der Zellulose besser verständlich zu machen, muß - wie bereits im Kapitel „Zellulose"
- nochmals auf Oxyzellulose und Hydro-zellulose kurz eingegangen werden.
Oxyzellulose:
Bei oxydativen Bleichprozessen - besonders im Bereich des Neutralpunktes von pH-7,0 - kommt es
zur Bildung von Oxyzellulose, d. h. teilweise oxydierter Zellulose,
die zwar noch immer aus unveränderter Zellulose besteht, deren Oberfläche aber ähnlich dem
Rostüberzug des Eisens mehr oder weniger oxydiert ist.
Wenn auch unmittelbar oxydative Spaltungen der glukosidischen Bindungen möglich scheinen, so
sind bei den langsamen Alterungsvorgängen der Faserzellulose Stufenreaktionen aufzunehmen und
zwar in der Weise, daß zuerst durch Wasserstoffentzug oxydierte Gruppen gebildet werden, die in
weiterer Folge zur Kettenabspaltung Anlaß geben, wahrscheinlich unter Mitwirkung intermediär
gebildeter Peroxyde.
Luftoxydation bewirkt schließlich zunehmende Karboxylgruppenbildung, wobei es zur Senkung der
Kupferzahlen und Erhöhungen der Azidität kommt.
Eine Mitwirkung oxydierter Gruppen beim Kettenbau scheint auch dadurch bestätigt, daß
eine Natriumborhydrid-Behandlung der Zellulose diesen Abbau stark verringert.
Hydrozellulose:
Beim Bleichen im Bereich unter pH-2,0, hohen Bleichtemperaturen und zu langen Bleichzeiten
kommt es zur Bildung von Hydrozellulose, das ist eine durch Säuren oder Enzyme teilweise
abgebaute Zellulose.
Einflüsse von Füllstoffen und Pigmenten:
Nach KLEINERT132 hat gefälltes Kalziumkarbonat (CaCO3), im Papier feinverteilt, einen günstigen
Einfluß auf das Alterungsverhalten, da es den Säuregehalt der mit CaCO3 behandelten Papiere
vermindert.
Nach den Ergebnissen der Prüfung verschiedener Puffersubstanzen durch den Verfasser133 verfügt,
aber gerade das Kalziumkarbonat über eine sehr geringe Pufferkapazität, und schon nur 0, l %
Schwefelsäure (H2SO4) drückt den pH-Wert einer gesättigten CaCO3-Lösung von pH-7,50 auf pH2,80! Hier gibt es noch Widersprüche, die der Klärung bedürfen.
Dagegen können wiederum stark gemahlene Füllstoffe (Karbonate, Oxyde, Silikate, Sulfate, Sulfide
und Infusorienerde) durch ihre Oberflächenaktivität auch
die Oxydation der Zelluloseanteile durch die Luft begünstigen!
Vernetzung:
Die u. a. durch die Oxydation der Zellulose entstandenen reaktiven Karbonyl- und
Karboxylgruppen reagieren untereinander und gehen im amorphen Bereich der Faserzellulose neue
-als Vernetzung bezeichnete - Bindungen ein. Dabei tritt im amorphen Bereich eine Verdichtung
der Faserwandstruktur auf, und das Papier wird
Th. Kleine« „Probleme der Beständigkeit von Papieren", Das Papier, 25. Jg. Heft 5,1971, Seite
240ff.
133
K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen", Akademische
Druck-11. Verlagsanstalt, Graz 1980, S. 177 u. 203.
132
in der Folge wasserabweisend (naßfest!), d. h., es kann Wasser nur sehr schwer bzw. gar nicht mehr
aufnehmen. Die folgende Zeichnung zeigt deutlich die Wirkung der Alterung auf die
übermolekulare Struktur der Zellulose im amorphen Bereich:
Abb. 33: Wirkung der Alterung auf die übermolekulare Struktur der Zellulose (schematische
Darstellung)
Natürliche Alterung:
Unter „natürlicher Alterung" versteht man den oxydativ bedingten Abbau der Zellulose durch den
Luftsauerstoff, d. h. also ohne zusätzliche Beschleunigung durch zu große Feuchtigkeit,
Trockenheit, Bestrahlung durch Tages- und Kunstlicht oder thermische Einflüsse. Im Laufe der Zeit
kommt es dadurch auch zu einem Absinken der Blattfestigkeit, die aber nicht so spürbar in
Erscheinung tritt, daß von einer Einbuße an Gebrauchsqualität gesprochen werden kann. Nicht
selten stoßen wir auf 300-400 Jahre altes Papier, das noch immer über eine erstaunliche
Blattfestigkeit verfügt.
Beschleunigte Alterung:
Die „beschleunigte Alterung" erfolgt wie schon erwähnt durch zu große Feuchtigkeit, Trockenheit
und durch Bestrahlung mit Kunst- und Tageslicht und, nicht zu vergessen: die Trockenpartie der
Papiermaschine. Ähnliche Geräte „zur beschleunigten Hitzealterung", wie zum Beispiel die vom
restauratorischen Standpunkt aus unverantwortliche Hitzetrocknung mit Fototrockentrommeln,
werden - zum großen Glück für das Papier - nur von einigen wenigen Außenseitern benutzt.
Was (unnötige) Hitzebehandlungen - unter dem Vorwand von Restaurierung oder
„Arbeitsökonomie" - dem Papier bzw. der Zellulosefaser zufügen, geht wohl schon daraus hervor,
daß mittels Hitzealterung ein Zeitraffereffekt zur beschleunigten Herbeiführung alterungsbedingter
Veränderungen, d. h. Schäden, erzielt wird. Im folgenden Abschnitt soll deshalb auch auf die
beschleunigte künstliche Alterung (Hitzealterung) kurz eingegangen werden.
Künstliche Alterung:
Es ist unbestritten, daß die Alterungsvorgänge von Papier bzw. Zellulose sehr komplizierte
Vorgänge darstellen, die bis heute nur zu einem geringen Teil erforscht sind.
Über die Problematik und den nur bedingten Aussagewert der künstlichen (Hitze-)-Alterung von
Papier gibt es bereits fundierte Stellungnahmen, von denen eine aus dem Bericht „Die Alterung von
Papier" von Koura/Krause134 auszugsweise zitiert werden soll:
„... Die Frage nach der besten Methode zur Nachahmung einer natürlichen Alterung ist bisher,
mangels ausreichender Daten über den Verlauf einer Jahrzehnte- ev. jahrhundertelangen natürlichen
Alterung, nicht völlig befriedigend zu beantworten.135 Die bisher beschriebenen Methoden
umfassen den Temperaturbereich von etwa 60-100° C bei Alterungsdauer von einigen Stunden bis
zu mehreren Monaten. Es wurde sowohl in trockener Atmosphäre als auch bei wechselnden
relativen Luftfeuchtigkeiten gealtert.
Die aus reaktionskinetischen Messungen sowie vergleichenden Prüfungen natürlich gealteter
Papiere gewonnenen Daten führten zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. So werden zu einer
beschleunigten Alterung von dreitägiger Dauer bei 100° C in trockener Atmosphäre entsprechende
natürliche Alterungszeiträume von etwa 20-68 Jahren angeben. Für eine gleich lange Hitzealterung
in freier Atmosphäre finden sich Entsprechungswerte von 306 Jahren ..."
Untersuchungsmaterial:
Die Untersuchungen von Koura/Krause über die Alterung ligninfreier Faserstoffe beschäftigen sich
mit den Auswirkungen einer beschleunigten Hitzealterung auf Papier aus reinem Zellstoff
(Baumwoll-Linters) und aus gebleichten Zellstoffen unterschiedlicher Provenienz.
Alterungsbedingungen:
Die Hitzealterung der Faserstoffe wurde über einen Zeitraum von 1-10 Tagen bei Temperaturen
zwischen 90 und 120° C unter Berücksichtigung des Einflusses der Luftfeuchtigkeit durchgeführt.
Untersuchungsergebnisse:
Nach Koura/Krause sind die Ursachen der alterungsbedingten Versprödung und das Brüchigwerden
von Papier hauptsächlich auf zwei Mechanismen zurückzuführen. Es sind dies:
a) der Abbau von Zellulose und Hemizellulosen und
b) die Verdichtung der morphologischen Struktur über neugebildete Wasserstoffbrücken.
134
135
Das Papier, 31. Jg. Heft lOa, 1977, V 11 ff.
Siehe „Natürliche Alterung von Zellulose" im folgenden Abschnitt.
Diese Vorgänge laufen im amorphen, d. h. im leicht zugänglichen Bereich der Fasern und in ihren
äußeren Wandschichten ab136. So weit die gekürzten Untersuchungsergebnisse künstlich gealteter
Zellulose von Koura/Krause.
Daß es sich aber bei Zellulose nicht nur um einen sehr alterungsbeständigen Rohstoff handelt,
sondern daß uns auch - im Gegensatz zur Meinung von Koura/Krause -jahrtausendealte Zellulose
zur Untersuchung ihres „natürlichen Alterungsverhalten" zur Verfügung steht, ist den
Untersuchungsberichten von M. Stoll und D. Fengel137 zu entnehmen, die im folgenden Abschnitt
auszugsweise zitiert werden sollen.
Untersuchungen des natürlichen Alterungsverhaltens von Zellulose
Zur Untersuchung des natürlichen Alterungsverhaltens stehen uns aus der „Frühzeit des Papiers"
nur einige wenige Stückchen zur Verfügung - obwohl das Papier erst rund 2000 Jahre „jung" ist.
Dagegen ist der Anteil und auch das Alter von Textilien aus Gräberfunden, genauer gesagt alte
Leinengewebe, die ja aus reiner Zellulose bestehen, wesentlich größer bzw. höher, und so stehen
uns diese Textilien - als vollwertiger Ersatz - für Untersuchungen des natürlichen
Alterungsverhaltens von Zellulose zur Verfügung.
Textilfasern spielten schon immer in der Kulturgeschichte der Menschheit eine große Rolle, und
ihre Herstellung sowie deren Gebrauch reicht bis in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Aus
ägyptischen Inschriften, dem Alten Testament, von Homer und den Schriftstellern der Antike
wissen wir, daß pflanzliche und tierische Fasern in vielfältiger Weise gewonnen und verarbeitet
wurden. Verschiedene Quellen lassen erkennen, daß zum Beispiel Leinen in Ägypten schon seit
mindestens 5000 Jahren bekannt war, und schon im Alten Reich (2650-2170 v. Chr.) wurde eine
bemerkenswerte Fertigkeit in der Leinenherstellung erreicht. Ein gut funktionierendes System des
Anbaus, der Aufbereitung und der Verarbeitung von Flachs sicherte den großen Bedarf an Decken,
Segeln, Netzen, Tauen, Kleidern und den Binden für die Einbalsamierung der Toten. Die Qualität
der Leinenfunde reicht von feinster Gaze bis zu grobem Segeltuch.
Erhaltungszustand, Schäden:
Bei den bis zu 5000 Jahre alten Geweben wurden neben Fibrillierungen, Längs- und Querbrüchen
auch verschiedenartige Abbauerscheinungen festgestellt.
Daß bei so alter Zellulose Alterungsschäden auftreten, ist nur natürlich, trotzdem bleibt die
Zellulose und damit auch das Papier ein sehr alterungsbeständiger Rohstoff, vorausgesetzt
136
Im Gegensatz dazu wurde bei natürlicher Alterung der Abbau vom Lumen, d. h. von innen, her
beobachtet. Siehe auch den folgenden Abschnitt.
137
„Untersuchungen über die Alterung von Cellulose anhand von altägyptischen Leinenproben."
Das Papier, 35. Jg. Heft 4, 1981, S. 141 ff.
daß durch eine entsprechende Deponierung alle möglichen exogenen138 Alterungsursachen
weitgehendst ausgeschaltet werden.
So ist zum Beispiel der relativ sehr gute Erhaltungszustand der ägyptischen Gewebefunde zum Teil
auf die besonders günstigen klimatischen Bedingungen139 - unter denen diese Stoffe
jahrtausendelang lagerten -, aber auch die hohe Alterungsbeständigkeit der Zellulose bei
Abwesenheit von Mikroorganismen zurückzuführen.
Diese Eigenschaft ließ sich auch durch die Isolierung von fibrillärer Zellulose aus einer 20
Millionen Jahre alten Holzprobe nachweisen, und auch in einem 100.000 Jahre alten Holzfund
konnten noch völlig intakte Zellwände gefunden werden. Die Alterungserscheinungen an
pflanzlichen Zellwänden sind also primär nicht so sehr vom Alter abhängig, sondern vielmehr von
den verschiedenen (exogenen) Faktoren wie u. a. der Benutzung und den Umwelteinflüssen. Daß
für die Alterung und den Abbau der alten Leinenfunde nicht mit einem einheitlichen Mechanismus
zu rechnen ist, haben alle Beobachtungen an den untersuchten Gewebefunden bestätigt!
Einfluß von Wasser:
Man muß dabei grundsätzlich Alterungsvorgänge, die unter weitgehendem Ausschluß von Wasser
erfolgen, und solchen, die unter Einwirkung von Wasser ablaufen, unterscheiden. Bei den letzteren
kann es durch die im Wasser gelösten Substanzen zu hydrolytischen oder anderen chemischen
Reaktionen kommen.140
Dazu wäre noch folgendes zu erwähnen: Zellulosefasern (und natürlich auch das daraus hergestellte
Papier oder Gewebe) sind bekanntlich stark hygroskopisch und speichern in enger
Wechselbeziehung zu ihrem Umgebungsklima bei ansteigenden Temperaturen und entsprechender
Luftfeuchtigkeit Wasser und geben es bei sinkenden Werten so lange wieder ab, bis ihr
Feuchtigkeitsgleichgewicht mit dem Umgebungsklima wiederhergestellt ist.
Wie schon erwähnt, beträgt der Wassergehalt der Zellulose bei 20° C und 50% relativer
Luftfeuchtigkeit zirka 5-6%. Dieser Wassergehalt - als natürlicher Weichmacher - bewahrt der
Zellulosefaser ihre Elastizität (trockene Fasern verspröden) und hat auch einen bedeutenden Einfluß
auf ihre physikalischen und mechanischen Festigkeitswerte. Auch Baumwoll-, Hanf- und
Leinenfasern (und natürlich deren Gewebe) weisen in feuchtem Zustand weitaus höhere
Festigkeitswerte auf als im trockenen!
138
Das sind durch Benutzung, Kontakt- und Umwelteinflüsse bedingte Ursachen, die zu einem
chemo-bzw. thermolytischen, photochemischen oder physikalischen Abbau der Zellulose führen.
139
Dabei dürfte die geringe Luftfeuchtigkeit bzw. die fast trockene Deponierung eine wesentliche
Rolle spielen.
140
Neben chemischen und physikalischen Einflüssen ist auch mit einem enzymatischen Abbau
durch Mikroorganismen zu rechnen.
Das Dilemma für Archivare, Bibliothekare und Restauratoren ist,
daß der Wassergehalt sich auf die Benutzbarkeit und die Gebrauchsqualität positiv, auf die
Alterungsbeständigkeit dagegen ausgesprochen negativ auswirkt.
Alterung: Polymerisationsgrad
Die zahlreichen zwischen 1000 und 5000 Jahre alten Leinenfunde boten die seltene Möglichkeit,
den natürlichen Alterungsprozeß der Zellulose systematisch zu verfolgen und zu untersuchen.
Hiebei ist der DP (=Durchschnittspolymerisationsgrad bzw. die durchschnittliche Kettenlänge) ein
direktes Maß für den Abbaugrad oder für den Erhaltungszustand der Zellulose. Ein großer Teil der
untersuchten Leinenproben lag im Bereich von DP 200-600. Eine der ältesten Proben (4500 Jahre)
hatte einen DP von 615, jedoch wiesen mehrere Gewebe auch höhere DP-Werte auf.
Bemerkenswert waren die erstaunlich hohen Polymerisationsgrade dreier mehr als 4000 Jahre alter
Leinenproben, die mit DP-Werten von 1500 (!) im oberen Bereich von unseren heutigen, chemisch
gebleichten Leinen liegen. Eine intensive Bleiche kann nämlich den DP bis auf 800 reduzieren.
Daß ältere Gewebe einen DP oberhalb dieses Wertes hatten und umgekehrt relativ „junge" Gewebe
(1100 und 1400 Jahre alt) stark abgebaute Zellulosefasern mit einem DP von nur 420-300
aufweisen, zeigt deutlich gegenläufige Tendenzen, was die eingangs geäußerte Feststellung,
daß Abbau- bzw. Alterungserscheinungen nicht so sehr vom Alter abhängig
sind, erhärtet.
Abschließend noch einige (auszugsweise) Untersuchungsergebnisse verschiedener Leinenfunde mit
kurzen Schadensbeschreibungen:
20 Abusier, 2480-2340141:
Beginnende Auflösung der Faseroberfläche in feine Fibrillen. Vermutlich:
Mechanische Schäden!
Weitere Schäden: Mehr oder weniger starke Längsrisse und Brüche in den
Fasern.
0,7 Assuan, 2340-2170:
Weitgehende Zerstörung der Fasern, tiefe Längs- und Querbrüche bis zur völligen Zerstörung.
0,2Giza(Idul)2340-2170:
Zu den Schäden wie vorhin kommen noch die Auswirkungen eines Pilzbefalls, erkennbar an den
Fruchtkörpern. Beobachtungen im TEM142 zei-
141
142
Die erste Zahl bezieht sich auf die Probennummer, dann folgen Fundort und Alter der Probe.
Transmissions-Elektronenmikroskop.
gen, daß der Abbau vom Lumen aus erfolgt, bei vielen Fasern ist nur mehr die äußere Hülle (!) oder
Teile davon zurückgeblieben, während andere (unbefallene Stellen) des gleichen Gewebes noch
ganz intakt erscheinen.
Der Grad oder die Art des Abbaues ließ sich nicht mit dem Alter korrelieren! Das unterschiedliche
Erscheinungsbild der beobachteten Faserschädigungen wie
Fibrillierung, Riß- und Bruchbildung und Befall durch Mikroorganismen läßt auf verschiedene
Abbaumechanismen während des natürlichen Alte-rungsprozesses der Gewebe schließen.
Untersuchungen im Elektronenmikroskop:
Im REM142a sind die Strukturen und Schäden der Faseroberflächen deutlich erkennbar, während im
TEM142b bei Faserquerschnitten auch die Veränderungen innerhalb der Zellwände sichtbar werden.
So erscheinen durch Negativkontrastierung Poren und Hohlräume dunkel, wie sie zum Beispiel bei
einem lamellenartigen Zerfall der Faserwände (in einigen Geweben) auftraten.
Ebenso auch funktioneile Gruppen, die als Folge von Oxydations- und anderen Abbauprozessen
innerhalb der Faserwände entstehen, führen durch die chemische Bindung des
Kontrastierungsmittels zu einem verstärkten Kontrast.
Auch die Untersuchungen im TEM ließen - neben kaum veränderten Zellwandstrukturen - an den
Fasern auch Abbauerscheinungen verschiedener Art erkennen. Sogar bei über 4000 Jahre alten
Leinengeweben konnten noch relativ gut erhaltene Zellwände festgestellt werden, obwohl gerade
diese Gewebeprobe stark bräunlich verfärbt war und sich leicht pulverförmige Bruchstücke
abreiben ließen. Diese stark herabgesetzte mechanische Festigkeit war auch durch die zahlreichen
konzentrischen Risse im Faserquerschnitt deutlich erkennbar.
Dagegen waren die Zellwände der Fasern anderer Gewebe aus der gleichen Zeit fast vollständig
zerfallen. Bemerkenswerterweise
erfolgte der Abbau in der Regel von der Lumenseite her (!), ein anderer Faserquerschnitt zeigt
Gewebefasern, deren Zellwände bis auf die äußere Hülle vollständig abgebaut sind.
Die folgende Gewebeprobe zeigt diese charakteristischen (vorhin beschriebenen) Schäden:
12 Meydum, 2600-2480:
Hier handelt es sich um ein Anfangs- oder Zwischenstadium dieses vom Lumen ausgehenden
Abbauvorganges. Das Lumen selbst ist in der für
142a
142b
Rasterelektronenmikroskop.
Transmissions-Elektronenmikroskop
Flachsfasern charakteristischen Weise zu einem engen Kanal zusammengedrängt, die unmittelbare
Umgebung des Lumens ist stark granulär kontrastiert und deutlich vom weniger angegriffenen Teil
der Zellwand abgegrenzt. Ähnliche Erscheinungen konnten schon früher an fossilen und subfossilen
Hölzern beobachtet werden. Der Abbau erfolgte dort ebenfalls vom Lumen her (!), wobei die
Zellwandsubstanz über granulierte Zwischenstufen (ähnlich wie bei 12 Meydum) in eine dunkle
amorphe Masse umgewandelt wird, bis schließlich nur noch die äußeren Zellwandschichten oder
Reste davon übrigbleiben.
So weit zu den interessanten Untersuchungsergebnissen von natürlich gealteter Zellulose.
Alterungsschutzmittel für Zellulose:
Archivare, Bibliothekare und Papierrestauratoren stellen immer wieder die Frage
„Was kann gegen die Alterung unternommen werden, oder kann man den Alte-rungsprozess
wenigstens verzögern? Gibt es überhaupt einen wirksamen Schutz gegen Alterung für organische
Stoffe wie Papier (Zellulose)?"
Nun, es gibt bereits für viele Materialien „Altersschutzmittel" (auch Antioxydantien, Inhibitoren
oder Stabilisatoren143, englisch: anti-agers bzw. age-resistors genannt), warum sollte so etwas nicht
auch bei Zellulose möglich sein?
Im vorhin zitierten RÖMPPS-Chemielexikon steht unter „Alterungsschutzmittel" allerdings nur
eines, welches sich aber auf Natur- und Synthesekautschuk bezieht. Da heißt es u. a.:
„Alterungsschutzmittel sind chemische Verbindungen, die dem Kautschuk bei der Vulkanisierung
beigemischt werden, um die durch Sauerstoff-, Ozon-, Licht-, Hitze- und Schwermetalleinwirkung
bedingten nachteiligen Alterungsvorgänge der fertigen Produkte zu verzögern ...
Beim Altern von Kautschuk treten Vernetzungen (!) und Codierungen (bewirken u. a. Verhärtung
und Molekülkettenbrüche) auf!"
Nun, bei der Alterung von Zellulose haben wir es auch mit Vernetzungen und
Molekülkettenbrüchen zu tun (was natürlich nicht bedeutet, daß das Alterungsschutzmittel für
Kautschuk auch für Zellulose brauchbar ist), aber sollte es der Forschung nicht möglich sein, auch
für die Zellulose eine wirksame „Alterungsbremse" zu finden? Mit einem derartigen
Forschungsauftrag könnte ein sehr brennendes Problem der Papierrestaurierung (endlich)
aufgegriffen werden.
143
Auch Antikatalysatoren oder Passivatoren.
Wie soll (kann) Zellulose bzw. Papier restauriert werden? Wie kann dann der gute Zustand des
Objekts über einen möglichst großen Zeitraum erhalten werden?
Wohl niemand glaubt mehr daran, daß „das Betupfen mit verschiedenen chemischen Lösungen" - in
der gläubigen Hoffnung, „irgendwas würde schon helfen" - etwas mit Restaurierung zu tun hat oder
daß eine Prise Karbonat in der Verleimung alle Alte-rungs- und Restaurierungsprobleme zu lösen
vermag.
Es war mit Sicherheit ein Fehler, mit der Restaurierung erst beim Papier zu beginnen, die
Restaurierung von Papier muß bereits bei der Faser beginnen bzw. von dort ausgehen.
Diagnose - Diagnosehilfsmittel – Therapie
Voraussetzungen zur Restaurierung:
Natürlich hätte man für Restaurierung diesen Abschnitt mit „Schadensfeststellung -Hilfsmittel und
Behandlung" betiteln können, aber das folgende Beispiel bzw. der Vergleich „Arzt - Patient" ist zu
treffend, um darauf verzichten zu können. Der Verfasser glaubt, daß die Herren Ärzte diese
„Entlehnung" ihrer Termini entschuldigen werden.
Wie der Arzt noch vor der Behandlung den Kranken bzw. dessen Allgemeinzustand sehen muß und
erst nach sorgfältiger Untersuchung und Berücksichtigung des All-gemeinzustandes die Krankheit
(oder die Krankheiten) diagnostizieren kann, muß auch der Papierrestaurator seinen „Patienten" ,
das Papier, genau untersuchen, um zu erkennen
a) aus welchen Roh- und Hilfsstoffen das Papier besteht,
b) welcher Art die Schäden bzw. Schadensfolgen sind und
c) wie diese Schäden möglichst mit artverwandten, wiederlöslichen bzw. entfernbaren Materialien
beseitigt und so das Papier „wiederhergestellt" werden kann.
a) Untersuchung des Objekts
Natürlich kann der Papierrestaurator nicht jedes Papierobjekt so analysieren, wie dies nur an einem
Institut für Papier- und Fasertechnik möglich oder erforderlich ist, er muß zumindest aber - v o r
jeder Überlegung in bezug auf die zu treffenden restauratorischen Maßnahmen - vom jeweiligen
Papierobjekt unbedingt folgendes wissen bzw. zu ermitteln versuchen:
1. Was für eine Papiersorte? z. B. Holzschliff-, holzhaltiges, Zellstoff- oder Hadernpapier
2. Verleimung ja oder nein und welche?
,
z. B. tier. Leim, Stärke, Methylzellulose, Harz-Aluminiumsulfat- oder Kunst-harzleimung,
Oberflächen- oder Masseleimung und deren Löslichkeit oder Entfernbarkeit?
3. Welche Beschriftung, Druck, Zeichnung oder Farben?
z. B. Druck, Tinten, Stifte, Pigmente, Kugelschreiber oder Filzstifte und deren Resistenz bzw.
Löslichkeit?
Um Wiederholungen zu vermeiden, weist der Verfasser auf die bereits veröffentlichten
diesbezüglichen Nachweise wie
„Chemisch-physikalische Untersuchungsmethoden und Prüfgeräte für Papier
und Faserstoffe"144 und
„Nachweise und Untersuchungsmethoden"145
hin, die diese Prüf- und Untersuchungsmethoden genau beschreiben und auch die dazu benutzten
Reagenzien anführen.
Das richtige Erkennen der Papiersorte ist deshalb wichtig, weil Holzschliff- bzw. holzschliffhaltiges
Papier anders behandelt werden muß als zum Beispiel Hadern- oder Zellstoffpapier.
Das richtige Erkennen von Druck, Tinten oder Farben bzw. ihre Reaktion auf eine chemische oder
wäßrige Behandlung ist genauso wichtig, denn von deren Resistenz hängt die Art der
auszuwählenden Methode ab wie zum Beispiel: „wäßrig oder nicht wäßrig, trocken oder chemisch"
usw. Dabei muß auch beachtet werden, daß nicht alle Druckfarben so beständig sind, wie man
meint! Auch bei diesen kann es - bereits bei wäßriger Behandlung in reinem Wasser - zum
Abschwimmen von bindungslosen Oberschichten der Druckfarben kommen.
Eisengallustinten sind im allgemeinen äußerst resistent und können auch ein 48stün-diges
Wasserbad ohne Schaden überstehen, es gibt aber Tinten, die diesen zwar ähnlich sind, aber nicht
deren Resistenz gegenüber Wasser besitzen.
Moderne Füllhaltertinten, Kugelschreiber und Filzstifte sind äußerst problematisch, dasselbe gilt
auch für viele Stempelfarben, deshalb unbedingt:
Vorher testen!146
Hat man nun das Papier richtig erkannt und bestimmt (nachgewiesen!), Beschriftung, Druck oder
Farben getestet, dann kann man darangehen, die Schäden zu untersuchen und festzustellen:
K. Trobas „abc des Papiers", Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1982, S. 103 ff.
K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen", Akademische
Druck-u. Verlagsanstalt, Graz 1980, S. 55 ff.
146
Für derartige Tests wird ein Stückchen Löschblatt oder Filterpapier mit dem jeweiligen
Lösungsmittel benetzt und dann an einer unbedeutenden Stelle aufgedrückt. Verfärbt sich das
Löschblatt, dann ist das Lösungsmittel nicht geeignet.
144
145
Zustands- bzw. Schadenprotokoll:
Für eine genaue Schadensdiagnose ist es vorteilhaft, zuerst das Objekt selbst genau zu beschreiben
wie zum Beispiel:
Material, Beschriftung, Druck, Bemalung und Maße
Anschließend werden dann der gegenwärtige Zustand und die erkennbaren Schäden möglichst
genau beschrieben.
b) Schadensdiagnose – Diagnosehilfsmittel
Um eine gezielte Restaurierung, d. h. eine Wiederherstellung, eines Blattes fachgemäß durchführen
zu können, muß der Restaurator in der Lage sein, fürs erste alle aufgetretenen Veränderungen und
Schäden, wenn möglich auch deren Ursachen, eindeutig zu erkennen und zu bestimmen.
Ausgangspunkt, Soll-Zustand:
Das Ergebnis bzw. der Zustand, der durch eine Restaurierung wieder erreicht oder zumindest
angestrebt werden soll, ist der eines „gesunden" und unbeschädigten Blattes. Es ist also notwendig,
vorerst diesen Soll-Zustand zu kennen bzw. zu definieren:
Unbeschädigtes Papier, Merkmale:
Ein gesundes, unbeschädigtes Blatt ist schon manuell, d. h. durch Befühlen, leicht erkennbar, und
zwar durch den Griff und Klang, wobei letzterer allerdings auch in hohem Maße von einer
vorhandenen Oberflächenverleimung abhängig ist! Ein unverleimtes Blatt kann sich sehr wohl
lappig anfühlen, ohne daß man deshalb auf einen Abbau der Zellulose schließen darf.
Visuell, d. h. bei Betrachtung, darf keine Vergilbung, Bräunung oder Verfärbungen, wie zum
Beispiel durch Schmutz und Flecken aller Art bzw. Pilz-, Bakterien- oder Stockfleckenbefall,
erkennbar sein. Um ganz sicherzugehen, wird man allerdings ein „verdächtiges" Blatt auch mittels
UV-Licht auf möglichen, für das menschliche Auge noch unsichtbaren Pilz- oder
Stockfleckenbefall untersuchen, der aber oft schon auch durch leichten Moder- oder
Schimmelgeruch erkannt werden kann.
Diagnosehilfsmittel:
Die „Schadensdiagnose" ist die Feststellung allerVeränderungen des Objekts im Vergleich zu einem
„gesunden Blatt".
Erst eine richtige, fundierte und wenn nötig auch die genauere, durch Untersuchungsmethoden,
Nachweise, Reagenzien und Meßgeräte bestätigte Feststellung aller Schäden ermöglicht eine
gezielte Beseitigung bzw. Restaurierung.
Sehr viele Schäden im bzw. auf dem Papier können vom Restaurator ohne irgendwelche Hilfsmittel
visuell, manuell (taktil), aber auch durch den Geruch festgestellt werden.
1. Visuell:
Schon bei bloßer Betrachtung sind: Oberflächenschmutz, Gilbung, Bräunung, Flecken aller Art,
Wasser-/Schmutzränder, der in allen möglichen Farben ausblühende Pilzbefall, Bakterienkolonien,
Stockflecken, Kontaktschäden durch Holzrückwände („Ligninwanderung"), Schadinsekten- und
Nagetierefraß und natürlich auch Risse, Fehlstellen und abgetrennte Teile leicht erkennbar.
2. Manuell (taktil):
Durch Abtasten bzw. Befühlen sowie durch „Griff und Klang" wird die Papierqualität
(Gebrauchsqualität) beurteilt, jedoch kann die Ursache von lappigen, weichen Blättern oft nur die
fehlende Oberflächenleimung sein.
3. Geruch:
Latenter Pilzbefall ist häufig schon durch einen deutlich „riechbaren" Schimmel- bzw.
Modergeruch feststellbar.
4. Wasser- bzw. Lösungsmitteltest:
Eine sehr einfache, aber aussagenreiche Testmöglichkeit - die aber erst nach einer sorgfältigen
Trockenreinigung angewendet werden darf - ist das Auf tropfen von Wasser und verschiedenen
anderen Lösungsmitteln. Allerdings muß auch hier der vorhin beschriebene Löschpapier/Lösungsmitteltest bei „verdächtigen" Tinten oder Farben gemacht werden!
Schon das bloße Auftropfen von Wasser zeigt an, ob überhaupt oder wie stark ein Papier verleimt
ist, ob „noch unsichtbare" Stockflecken vorhanden sind oder die Verleimung bereits partiell
abgebaut haben, ob wasserlöslicher Schmutz im Papier vorhanden ist, der ausgewaschen werden
kann (und muß), oder ob es sich um „nichtwasserlöslichen" Schmutz oder Flecken handelt, die erst
durch die folgenden Lösungsmittel oder gar erst durch die dann notwendige Bleichung entfernt
werden können. Siehe Abb. 34.
Abb. 34: Lösungsversuche der Harzverleimung
Lösungsversuche der Harzverleimung
1. Essigsäureethylester, C4H8O2
2. n-Amylacetat (Essigsäurepentylester C7H14O2)
3. Aceton, CH3-CO-CH3
4. Äthanol (Äthylalkohol, CH3-CH2OH)
5. Propanol (Isopropylalkohol, C3H8O)
6. Petroläther (Benzin)
7. Aqua Destillata + Netzmittel
8. Leitungswasser
9. Aqua Destillata + Äthanol 1:1
10. Methylpyrrolidon, C5H9NO
11. Dimethylformamid, C3H7NO
12. Äther
Zusätzliche Erkenntnisse:
Bei den verschiedenen Tests wie zum Beispiel der Löslichkeit von verschiedenen Flecken sollten
auch „negative" Aussagen wie „in Alkohol nicht löslich" o. a. ebenfalls notiert werden, da das
Wissen, „was es nicht ist bzw. was es nicht löst", auch eine echte und brauchbare Erkenntnis ist.
Schäden an Papierobjekten
Über Papierschäden und -krankheiten hat der Verfasser bereits in seinen beiden ersten Büchern
ausführlich berichtet.147
Lediglich die einfache Schadensübersicht soll hier wiedergegeben werden (Abb. 35, S. 136), weil
sie nicht nur den Anfängern, sondern auch den bereits arrivierten Papierrestauratoren und
Ausbildern künftiger „Restauratorengenerationen" hilft, die scheinbar „unheimlich vielen"
Papierschäden geordnet und übersichtlich überblicken zu können.
pH-Reaktion - Alterung – Blattfestigkeit
Die Blattfestigkeit und damit auch die Alterungsbeständigkeit eines Papiers hängen in besonderem
Maße von dessen pH-Wert ab. Wir alle wissen, daß zum Beispiel eine saure Reaktion um etwa pH5,0 bereits Gefahr für das Blatt signalisiert und den Restaurator zu entsprechenden
Gegenmaßnahmen, d. h. zur Entsäuerung, veranlaßt.
Weniger bekannt ist, daß aber auch die Blattfestigkeit bzw. verschiedene mechanische
Festigkeitswerte eines Blattes im basischen Bereich um pH-9,0 gleichbleiben, während sie im
sauren Bereich um pH-5,0 mehr oder minder stark abfallen! So ist beispielsweise die Reißlänge
(Zugfestigkeit) im basischen Bereich von pH-7,0 bis pH-9,0 unverändert, im sauren Bereich von
pH-7,0 bis pH-5,0 dagegen treten bemerkenswerte Festigkeitseinbußen auf.
DESSAUER nimmt an, daß im alkalischen Bereich das Wasserstoffatom Hydroxyl gelockerter ist
und aus diesem Grunde die Wasserstoffbrücken leichter zustande kommen.
Bekannt und erwiesen ist, daß Zellulosefasern im alkalischen Medium stärker quellen.
Wie vorhin erwähnt: „abc des Papiers" und „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und
Sammlungen".
147
Abb. 35: Papierschäden, Einteilung und Übersicht
1
Die genauen Ursachen der nur auf holzfreiem Papier auftretenden und von den Restauratoren recht
allgemein als „Braunfäule" bezeichneten Schäden sind z. Z. noch nicht bekannt. Sie könnten ebenso
chemischen oder fotochemischen Ursprungs sein.
2
Auch chemisch-physikalische oder fotochemische Schäden.
pH-Oberflächenmessungen auf Papier
Allgemeines:
Dem folgenden Beitrag über die pH-Oberflächenmessung müssen einige erklärende oder besser
gesagt „richtigstellende" Sätze vorangehen:
Genaugenommen bezieht sich die pH-Oberflächenmessung ausschließlich, d. h. nur auf die pHMessung der Oberfläche des Papiers.
Viele stark verleimte Hadernpapiere, vor allem aber die modernen, maschinengefertigten,
gestrichenen Papiere oder Mehrschichtenpapiere haben nämlich an ihrer Oberfläche eine vom
übrigen Material abweichende Zusammensetzung. So ist der pH-Oberflächenwert besonders für den
Vorgang des Bedrückens von großer Bedeutung, da in diesen Fällen die Wanderung der
Wasserstoff- und Hydroxyl-Ionen n u r an der Oberfläche stattfindet. Es ist deshalb verständlich,
daß bei den erwähnten Papieren die Kalt- oder Heißextraktionsmessung (des ganzen Papiers) ein
unrichtiges Ergebnis in bezug auf die tatsächlichen Oberflächenwerte liefern würde.
Die pH-Oberflächenmessung des Papierrestaurators ist aber in den meisten Fällen keine „echte"
Oberflächenmessung. Besonders bei schwach oder gar unverleimten Hadernpapieren ergibt die auf
dem Blatt aufgesetzte Oberflächenelektrode ein der Extraktionsmethode ähnelndes Meßergebnis, da
das aufgetropfte Wasser nicht auf der Oberfläche stehen bleibt, sondern mehr oder weniger vom
Papier aufgesaugt wird. Das Ergebnis ist also meist der pH-Wert des ganzen Papiers, aber der
Restaurator erfährt immerhin genau das, was er wissen wollte bzw. muß, nämlich den pH-Wert des
Papiers. Insofern ist die Bezeichnung „pH-Oberflächenmessung" unrichtig, sie wird aber von den
Papierrestauratoren trotzdem benutzt, da die Vorgangsweise die gleiche wie bei der von
Papiermachern angewandten „tatsächlichen" pH-Oberflächenmessung ist. Für den Papierrestaurator
ist die elektrometrische pH-Oberflächenmessung die beste pH-Meßmöglichkeit, da Kalt- oder
Heißextraktion als materialzerstörende Meßmethoden im restauratorischen Bereich nicht
angewendet werden können. Die pH-Oberflächenreaktion kann dem Restaurator einiges über das
„Innenleben" des von ihm zu beurteilenden und in der Folge auch zu behandelnden Papiers
aussagen. Schon der Nachweis einer sauren oder basischen Reaktion des wäßrigen Auszugs ist
bestimmend für die Art und Weise der notwendigen und „gezielten" Behandlung.
pH-Oberflächenmessung:
Die Praxis der pH-Oberflächenmessung darf wohl bei allen Papierrestauratoren als bekannt
vorausgesetzt werden, überdies findet man genaue Anweisung dafür in entsprechenden
Fachbüchern.148 Lediglich ein paar kurze, aber wichtige Hinweise sollen hier erwähnt bzw.
wiederholt werden:
Siehe u. a. auch K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken u. Sammlungen", S.
61 ff. und „abc des Papiers", S. 107 ff., beide Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1980
und 1982.
148
Prinzip der pH-Reaktion:
Wie bekannt, wird bei der pH-Oberflächenmessung nicht das Papier oder das aufgetropfte Wasser,
sondern der „wäßrige Auszug aus dem Papier" gemessen.
Die pH-Reaktion hat ihre Ursache in den im Papier befindlichen wasserlöslichen Substanzen, die
infolge von Hydrolyse bzw. Dissoziation den jeweiligen pH-Wert bestimmen.
Genauer gesagt, beruht das Prinzip der elektrometrischen pH-Messung auf dem Einstellen einer
Potentialdifferenz der in Meß- und Bezugselektrode befindlichen Lösungen.
Elektroden:
Anstelle von einer Meß- und einer Bezugselektrode werden allgemein „Einstab-Meßketten"
verwendet, bei denen die Meß- und Bezugselektrode in einer einzigen Elektrode vereinigt sind.
Eichung, Steilheitskorrektur:
Präzise pH-Oberflächenmessungen sind nur durch sorgfältige Eichung und Steilheitskorrektur mit
zwei verschiedenen Pufferlösungen, zum Beispiel pH-7,0 und je nach Meßgut pH-9,0 oder pH-4,0,
gewährleistet.
Temperatur:
Eine konstante Meßgut- und Umgebungstemperatur von 20° C vermindert die Gefahr von
Fehlmessungen.
Anpreßdruck:
Bei allen pH-Oberflächenmessungen muß der Druck der Elektrode auf dem Papier konstant
gehalten werden. Dies wird mit dem Elektrodenstativ bzw. dessen Andruckfeder erreicht.
Wasser:
Die Qualität des aufgetropften Aqua destillata ist für eine einwandfreie und genaue pHOberflächenmessung von entscheidender -Bedeutung. Es darf nur absolut ionenfreies Wasser mit
einem pH-Wert von pH-6,8 bis 7,2 Verwendung finden.
Das aufgetropfte Wasser wirkt dabei als „Lösungsmittel der elektrolytischen Verunreinigungen", d.
h. der Substanzen, die sich im Papier befinden, wobei letztere durch das Konzentrationsgefälle in
das aufgetropfte reine Wasser diffundieren. Der Ausschluß von CO2 der Luft muß durch
Abdeckung mittels durchlochter und abdeckbarer Glasplatte - wie bei der IngoldElektrodenkombination mit Meß- und Abdeckplatte -gewährleistet sein, da auch einwandfrei
destilliertes Wasser rasch aus der Luft CO2 aufnimmt, dessen Wert unter pH-6,0 absinkt und so die
Meßergebnisse verfälscht.
Fehlerquellen bei der pH-Messung:
Je nach Verleimungsgrad des Papiers erbringt das allgemein übliche Auftropfen von destilliertem
Wasser und das Messen mit der Oberflächenelektrode innerhalb des aufgetropften Wassers keine
präzisen Meßergebnisse. Meßwertverfälschungen treten besonders bei unverleimten, schwach
verleimten und bei solchen Papieren auf, bei denen die Verleimung durch Mikroorganismen bereits
stark angegriffen ist.
Warum dies der Fall ist, kann sehr einleuchtend demonstriert und bewiesen werden:
Ursache von Fehlmessungen:
Allen Restauratoren ist wohl der „Wasser-Schmutzrand" oder der „Schmutzwasserrand" als ein
häufig auftretender Wassereintrittsschaden ein Begriff. Wodurch kommt es zu diesen bizarren,
landkartenähnlichen Gebilden bzw. „Grenzlinien"?
Beim Wassereintritt, besonders auch bei aufgetropftem Wasser, werden zuerst
die im Papier befindlichen, löslichen Substanzen - und auch Schmutz - gelöst und werden dann
allmählich von dem den Tropfen umgebenden trockenen Papier, vom Zentrum des Tropfens weg
also nach außen, aufgesaugt.
Die zumeist gleichmäßig im ganzen Blatt enthaltenen löslichen Substanzen werden also vom
aufgetropften Wasser gelöst und dann, durch die Saugwirkung des trockenen Papiers begünstigt, bis
an die Verdunstungsgrenze des Tropfens ab-, d. h. wegtransportiert. Das kann je nach Saugfähigkeit
mehrere Zentimeter betragen, was nichts anderes bedeutet, als
daß die normalerweise durch die pH-Messung erfaßbaren Substanzen sich gar nicht mehr im
Zentrum des Tropfens - wo ja immer das Aufsetzen der Elektrode erfolgt - befinden, sondern weit
weg vom Zentrum und aus diesem Grunde durch die Elektrode bzw. die Messung gar nicht erfaßt
werden können.
Ein weiteres Auftropfen - wenn der erste Tropfen bereits aufgesaugt wurde - führt zu weiterem
Abtransport der zu messenden Substanzen und verfälscht das Meßergebnis noch mehr.
Wie kann diese Fehlerquelle eliminiert werden?
Genaue pH-Oberflächenmessungen
In der Restaurierwerkstätte am Steiermärkischen Landesarchiv wurde eine pHOberflächenmeßmethode entwickelt, die die vorhin beschriebenen Meßfehler eliminiert.
Dem erwähnten Abtransport der im Papier befindlichen Substanzen - weg vom Meßpunkt - kann
durch ein vorheriges Befeuchten (Besprühen) des ganzen Blattes -noch besser aber durch ein
Eintauchen in Aqua destillata - wirksam begegnet werden.
So wird das ganze Blatt gewissermaßen „mit Wasser gefüllt", die im Papier befindlichen
wasserlöslichen Substanzen werden wohl gelöst, bleiben aber an Ort und Stelle, woran auch ein
fallweise notwendiges zusätzliches Auftropfen von Wasser nichts mehr ändern kann.
Natürlich muß das Blatt sofort nach der Befeuchtung bzw. der Wässerung in den beabsichtigten
Meßbereichen mit der bereits erwähnten (gelochten) Glasplatte abgedeckt werden, um eine CO2Aufnahme des Wassers zu verhindern. Für diese pH-Oberflächenmeßmethode kann man sich auch
eine zirka 30x40 cm große Glasplatte mit runden Ausschnitten an drei Stellen (in der Diagonale, Ø
etwas größer als die Elektrode) anfertigen lassen.
Mit dieser pH-Meßmethode werden sehr genaue Meßergebnisse erzielt, darüber hinaus wird auch
der beim bloßen Auftropfen entstehende unerwünschte Wasser-Schmutzrand vermieden.
Qualitative und quantitative Elektroanalyse:
Aus Gründen der Übersichtlichkeit mußte die Darstellung dieser analytischen Diagnosehilfsmittel
im Kapitel
„Elektrochemie - Papierrestaurierung"
eingeordnet werden.
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