VII. Schäden: Diagnose Alterung von Papier Was ist Alterung? RÖMPPS Chemisches Lexikon sagt uns (auszugsweise) darüber: Unter Alterung versteht man im allgemeinen die Veränderungen der physikalischen und chemischen Eigenschaften eines Stoffes beim Lagern oder Gebrauch. Diese können auf natürlichem Wege (zum Beispiel durch Einwirkung der normalen Außentemperatur) eintreten, lassen sich auch künstlich (zum Beispiel durch erhöhte Temperatur) erzeugen. Ihre Ursache können Ausscheidungsvorgänge oder Veränderungen der Molekül- oder Kristallstruktur sein ... Vereinfacht ausgedrückt, ist Alterung das Ergebnis einer Reaktion, zumeist aber das Ergebnis der Summe mehrer Reaktionen130, die nacheinander, aber auch gleichzeitig ablaufen können. Diese Reaktionen können a) durch Reaktionsbeschleuniger, d. h. durch Temperaturerhöhung, Druckerhöhung und Katalysatoren, ausgelöst, begünstigt oder beschleunigt, aber auch b) durch Reaktionshemmer131, d. h. durch Inhibitoren Antioxydantien Antikatalysatoren Passivatoren oder Stabilisatoren, behindert oder gehemmt werden. Wie alle irdischen Dinge ist auch das Papier dem immer weiter fortschreitenden Alterungsprozeß unterworfen. Dieser wird durch zwei Hauptursachen maßgeblich beeinflußt. Es sind dies: Endogene Ursachen: Roh- bzw. Faserstoffqualität, Polymerisationsgrad und Herstellung. 130 U. a. chemische, photochemische, physikalische u. thermolytische Reaktionen. Besonders die „Reaktionshemmer" wären als „Alterungsbremse" für die Papierrestaurierung von großer Bedeutung. 131 Exogene Ursachen: Benutzung (Beschriftung, Bemalung), Umgang, Aufbewahrung (Kontaktschäden und Umwelteinflüsse). Durch die Verwendung von qualitativ besten Faserstoffen verfügen die alten handgeschöpften Papiere meist über eine hervorragende Blattfestigkeit, Gebrauchsqualität und bei entsprechendem sorgsamem Umgang und Aufbewahrung auch über eine sehr „hohe Lebenserwartung", d. h. Alterungsbeständigkeit. Da der Restaurator kaum über Möglichkeiten verfügt, vorhandene endogene Schäden zu beseitigen, wird er seine Restaurierungsbestrebungen auf die durch exogene Ursachen entstandenen Schäden beschränken müssen. Auswirkungen des Alterungsprozesses Bei der Alterung von Papier handelt es sich um Überlagerungen verschiedener Vorgänge, die durch die herrschenden Temperatur- und Feuchtigkeitsbedingungen im hohen Maße beeinflußt werden. Dabei sind eine Vergilbung der Zellulose und eine deutliche Minderung der Blattfestigkeit unverkennbare Anzeichen. Wesentlich für die Dauerhaftigkeit von Papier ist vor allem die Erhaltung der Blattfestigkeit! Die meßtechnisch erfaßbaren Kennzeichen für gealterte Papiere sind starke Senkungen der Falzfestigkeit. In besonders weit fortgeschrittenen Fällen kommt es auch zu zunehmender Naßfestigkeit, die deutlich schon daran zu erkennen ist, daß derartige (verhornte, vernetzte) Papiere nur mehr zögernd oder überhaupt kein Wasser mehr aufnehmen. Kettenabbau bei Faserzellulosen: Wenn beim Abbau natürlicher Zellulosefasern gewisse DP-Werte -wie zum Beispiel bei Baumwolle DP 300-400 - unterschritten werden, tritt ein starker Abfall der Reißfestigkeit ein, während im darüber liegenden Bereich nur geringe Veränderungen beobachtet wurden. Anders ausgedrückt bedeutet dies, daß beim Auftreten von Senkungen der Reißfestigkeit der Zelluloseabbau bereits weit fortgeschritten ist. Dieser Abbau kann sowohl durch oxydative wie auch durch hydrolytische Vorgänge bedingt sein. Um die oxydativen und hydrolytischen Vorgänge bzw. ihre Auswirkung auf Alterung und Kettenabbau der Zellulose besser verständlich zu machen, muß - wie bereits im Kapitel „Zellulose" - nochmals auf Oxyzellulose und Hydro-zellulose kurz eingegangen werden. Oxyzellulose: Bei oxydativen Bleichprozessen - besonders im Bereich des Neutralpunktes von pH-7,0 - kommt es zur Bildung von Oxyzellulose, d. h. teilweise oxydierter Zellulose, die zwar noch immer aus unveränderter Zellulose besteht, deren Oberfläche aber ähnlich dem Rostüberzug des Eisens mehr oder weniger oxydiert ist. Wenn auch unmittelbar oxydative Spaltungen der glukosidischen Bindungen möglich scheinen, so sind bei den langsamen Alterungsvorgängen der Faserzellulose Stufenreaktionen aufzunehmen und zwar in der Weise, daß zuerst durch Wasserstoffentzug oxydierte Gruppen gebildet werden, die in weiterer Folge zur Kettenabspaltung Anlaß geben, wahrscheinlich unter Mitwirkung intermediär gebildeter Peroxyde. Luftoxydation bewirkt schließlich zunehmende Karboxylgruppenbildung, wobei es zur Senkung der Kupferzahlen und Erhöhungen der Azidität kommt. Eine Mitwirkung oxydierter Gruppen beim Kettenbau scheint auch dadurch bestätigt, daß eine Natriumborhydrid-Behandlung der Zellulose diesen Abbau stark verringert. Hydrozellulose: Beim Bleichen im Bereich unter pH-2,0, hohen Bleichtemperaturen und zu langen Bleichzeiten kommt es zur Bildung von Hydrozellulose, das ist eine durch Säuren oder Enzyme teilweise abgebaute Zellulose. Einflüsse von Füllstoffen und Pigmenten: Nach KLEINERT132 hat gefälltes Kalziumkarbonat (CaCO3), im Papier feinverteilt, einen günstigen Einfluß auf das Alterungsverhalten, da es den Säuregehalt der mit CaCO3 behandelten Papiere vermindert. Nach den Ergebnissen der Prüfung verschiedener Puffersubstanzen durch den Verfasser133 verfügt, aber gerade das Kalziumkarbonat über eine sehr geringe Pufferkapazität, und schon nur 0, l % Schwefelsäure (H2SO4) drückt den pH-Wert einer gesättigten CaCO3-Lösung von pH-7,50 auf pH2,80! Hier gibt es noch Widersprüche, die der Klärung bedürfen. Dagegen können wiederum stark gemahlene Füllstoffe (Karbonate, Oxyde, Silikate, Sulfate, Sulfide und Infusorienerde) durch ihre Oberflächenaktivität auch die Oxydation der Zelluloseanteile durch die Luft begünstigen! Vernetzung: Die u. a. durch die Oxydation der Zellulose entstandenen reaktiven Karbonyl- und Karboxylgruppen reagieren untereinander und gehen im amorphen Bereich der Faserzellulose neue -als Vernetzung bezeichnete - Bindungen ein. Dabei tritt im amorphen Bereich eine Verdichtung der Faserwandstruktur auf, und das Papier wird Th. Kleine« „Probleme der Beständigkeit von Papieren", Das Papier, 25. Jg. Heft 5,1971, Seite 240ff. 133 K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen", Akademische Druck-11. Verlagsanstalt, Graz 1980, S. 177 u. 203. 132 in der Folge wasserabweisend (naßfest!), d. h., es kann Wasser nur sehr schwer bzw. gar nicht mehr aufnehmen. Die folgende Zeichnung zeigt deutlich die Wirkung der Alterung auf die übermolekulare Struktur der Zellulose im amorphen Bereich: Abb. 33: Wirkung der Alterung auf die übermolekulare Struktur der Zellulose (schematische Darstellung) Natürliche Alterung: Unter „natürlicher Alterung" versteht man den oxydativ bedingten Abbau der Zellulose durch den Luftsauerstoff, d. h. also ohne zusätzliche Beschleunigung durch zu große Feuchtigkeit, Trockenheit, Bestrahlung durch Tages- und Kunstlicht oder thermische Einflüsse. Im Laufe der Zeit kommt es dadurch auch zu einem Absinken der Blattfestigkeit, die aber nicht so spürbar in Erscheinung tritt, daß von einer Einbuße an Gebrauchsqualität gesprochen werden kann. Nicht selten stoßen wir auf 300-400 Jahre altes Papier, das noch immer über eine erstaunliche Blattfestigkeit verfügt. Beschleunigte Alterung: Die „beschleunigte Alterung" erfolgt wie schon erwähnt durch zu große Feuchtigkeit, Trockenheit und durch Bestrahlung mit Kunst- und Tageslicht und, nicht zu vergessen: die Trockenpartie der Papiermaschine. Ähnliche Geräte „zur beschleunigten Hitzealterung", wie zum Beispiel die vom restauratorischen Standpunkt aus unverantwortliche Hitzetrocknung mit Fototrockentrommeln, werden - zum großen Glück für das Papier - nur von einigen wenigen Außenseitern benutzt. Was (unnötige) Hitzebehandlungen - unter dem Vorwand von Restaurierung oder „Arbeitsökonomie" - dem Papier bzw. der Zellulosefaser zufügen, geht wohl schon daraus hervor, daß mittels Hitzealterung ein Zeitraffereffekt zur beschleunigten Herbeiführung alterungsbedingter Veränderungen, d. h. Schäden, erzielt wird. Im folgenden Abschnitt soll deshalb auch auf die beschleunigte künstliche Alterung (Hitzealterung) kurz eingegangen werden. Künstliche Alterung: Es ist unbestritten, daß die Alterungsvorgänge von Papier bzw. Zellulose sehr komplizierte Vorgänge darstellen, die bis heute nur zu einem geringen Teil erforscht sind. Über die Problematik und den nur bedingten Aussagewert der künstlichen (Hitze-)-Alterung von Papier gibt es bereits fundierte Stellungnahmen, von denen eine aus dem Bericht „Die Alterung von Papier" von Koura/Krause134 auszugsweise zitiert werden soll: „... Die Frage nach der besten Methode zur Nachahmung einer natürlichen Alterung ist bisher, mangels ausreichender Daten über den Verlauf einer Jahrzehnte- ev. jahrhundertelangen natürlichen Alterung, nicht völlig befriedigend zu beantworten.135 Die bisher beschriebenen Methoden umfassen den Temperaturbereich von etwa 60-100° C bei Alterungsdauer von einigen Stunden bis zu mehreren Monaten. Es wurde sowohl in trockener Atmosphäre als auch bei wechselnden relativen Luftfeuchtigkeiten gealtert. Die aus reaktionskinetischen Messungen sowie vergleichenden Prüfungen natürlich gealteter Papiere gewonnenen Daten führten zu sehr unterschiedlichen Ergebnissen. So werden zu einer beschleunigten Alterung von dreitägiger Dauer bei 100° C in trockener Atmosphäre entsprechende natürliche Alterungszeiträume von etwa 20-68 Jahren angeben. Für eine gleich lange Hitzealterung in freier Atmosphäre finden sich Entsprechungswerte von 306 Jahren ..." Untersuchungsmaterial: Die Untersuchungen von Koura/Krause über die Alterung ligninfreier Faserstoffe beschäftigen sich mit den Auswirkungen einer beschleunigten Hitzealterung auf Papier aus reinem Zellstoff (Baumwoll-Linters) und aus gebleichten Zellstoffen unterschiedlicher Provenienz. Alterungsbedingungen: Die Hitzealterung der Faserstoffe wurde über einen Zeitraum von 1-10 Tagen bei Temperaturen zwischen 90 und 120° C unter Berücksichtigung des Einflusses der Luftfeuchtigkeit durchgeführt. Untersuchungsergebnisse: Nach Koura/Krause sind die Ursachen der alterungsbedingten Versprödung und das Brüchigwerden von Papier hauptsächlich auf zwei Mechanismen zurückzuführen. Es sind dies: a) der Abbau von Zellulose und Hemizellulosen und b) die Verdichtung der morphologischen Struktur über neugebildete Wasserstoffbrücken. 134 135 Das Papier, 31. Jg. Heft lOa, 1977, V 11 ff. Siehe „Natürliche Alterung von Zellulose" im folgenden Abschnitt. Diese Vorgänge laufen im amorphen, d. h. im leicht zugänglichen Bereich der Fasern und in ihren äußeren Wandschichten ab136. So weit die gekürzten Untersuchungsergebnisse künstlich gealteter Zellulose von Koura/Krause. Daß es sich aber bei Zellulose nicht nur um einen sehr alterungsbeständigen Rohstoff handelt, sondern daß uns auch - im Gegensatz zur Meinung von Koura/Krause -jahrtausendealte Zellulose zur Untersuchung ihres „natürlichen Alterungsverhalten" zur Verfügung steht, ist den Untersuchungsberichten von M. Stoll und D. Fengel137 zu entnehmen, die im folgenden Abschnitt auszugsweise zitiert werden sollen. Untersuchungen des natürlichen Alterungsverhaltens von Zellulose Zur Untersuchung des natürlichen Alterungsverhaltens stehen uns aus der „Frühzeit des Papiers" nur einige wenige Stückchen zur Verfügung - obwohl das Papier erst rund 2000 Jahre „jung" ist. Dagegen ist der Anteil und auch das Alter von Textilien aus Gräberfunden, genauer gesagt alte Leinengewebe, die ja aus reiner Zellulose bestehen, wesentlich größer bzw. höher, und so stehen uns diese Textilien - als vollwertiger Ersatz - für Untersuchungen des natürlichen Alterungsverhaltens von Zellulose zur Verfügung. Textilfasern spielten schon immer in der Kulturgeschichte der Menschheit eine große Rolle, und ihre Herstellung sowie deren Gebrauch reicht bis in die vorgeschichtliche Zeit zurück. Aus ägyptischen Inschriften, dem Alten Testament, von Homer und den Schriftstellern der Antike wissen wir, daß pflanzliche und tierische Fasern in vielfältiger Weise gewonnen und verarbeitet wurden. Verschiedene Quellen lassen erkennen, daß zum Beispiel Leinen in Ägypten schon seit mindestens 5000 Jahren bekannt war, und schon im Alten Reich (2650-2170 v. Chr.) wurde eine bemerkenswerte Fertigkeit in der Leinenherstellung erreicht. Ein gut funktionierendes System des Anbaus, der Aufbereitung und der Verarbeitung von Flachs sicherte den großen Bedarf an Decken, Segeln, Netzen, Tauen, Kleidern und den Binden für die Einbalsamierung der Toten. Die Qualität der Leinenfunde reicht von feinster Gaze bis zu grobem Segeltuch. Erhaltungszustand, Schäden: Bei den bis zu 5000 Jahre alten Geweben wurden neben Fibrillierungen, Längs- und Querbrüchen auch verschiedenartige Abbauerscheinungen festgestellt. Daß bei so alter Zellulose Alterungsschäden auftreten, ist nur natürlich, trotzdem bleibt die Zellulose und damit auch das Papier ein sehr alterungsbeständiger Rohstoff, vorausgesetzt 136 Im Gegensatz dazu wurde bei natürlicher Alterung der Abbau vom Lumen, d. h. von innen, her beobachtet. Siehe auch den folgenden Abschnitt. 137 „Untersuchungen über die Alterung von Cellulose anhand von altägyptischen Leinenproben." Das Papier, 35. Jg. Heft 4, 1981, S. 141 ff. daß durch eine entsprechende Deponierung alle möglichen exogenen138 Alterungsursachen weitgehendst ausgeschaltet werden. So ist zum Beispiel der relativ sehr gute Erhaltungszustand der ägyptischen Gewebefunde zum Teil auf die besonders günstigen klimatischen Bedingungen139 - unter denen diese Stoffe jahrtausendelang lagerten -, aber auch die hohe Alterungsbeständigkeit der Zellulose bei Abwesenheit von Mikroorganismen zurückzuführen. Diese Eigenschaft ließ sich auch durch die Isolierung von fibrillärer Zellulose aus einer 20 Millionen Jahre alten Holzprobe nachweisen, und auch in einem 100.000 Jahre alten Holzfund konnten noch völlig intakte Zellwände gefunden werden. Die Alterungserscheinungen an pflanzlichen Zellwänden sind also primär nicht so sehr vom Alter abhängig, sondern vielmehr von den verschiedenen (exogenen) Faktoren wie u. a. der Benutzung und den Umwelteinflüssen. Daß für die Alterung und den Abbau der alten Leinenfunde nicht mit einem einheitlichen Mechanismus zu rechnen ist, haben alle Beobachtungen an den untersuchten Gewebefunden bestätigt! Einfluß von Wasser: Man muß dabei grundsätzlich Alterungsvorgänge, die unter weitgehendem Ausschluß von Wasser erfolgen, und solchen, die unter Einwirkung von Wasser ablaufen, unterscheiden. Bei den letzteren kann es durch die im Wasser gelösten Substanzen zu hydrolytischen oder anderen chemischen Reaktionen kommen.140 Dazu wäre noch folgendes zu erwähnen: Zellulosefasern (und natürlich auch das daraus hergestellte Papier oder Gewebe) sind bekanntlich stark hygroskopisch und speichern in enger Wechselbeziehung zu ihrem Umgebungsklima bei ansteigenden Temperaturen und entsprechender Luftfeuchtigkeit Wasser und geben es bei sinkenden Werten so lange wieder ab, bis ihr Feuchtigkeitsgleichgewicht mit dem Umgebungsklima wiederhergestellt ist. Wie schon erwähnt, beträgt der Wassergehalt der Zellulose bei 20° C und 50% relativer Luftfeuchtigkeit zirka 5-6%. Dieser Wassergehalt - als natürlicher Weichmacher - bewahrt der Zellulosefaser ihre Elastizität (trockene Fasern verspröden) und hat auch einen bedeutenden Einfluß auf ihre physikalischen und mechanischen Festigkeitswerte. Auch Baumwoll-, Hanf- und Leinenfasern (und natürlich deren Gewebe) weisen in feuchtem Zustand weitaus höhere Festigkeitswerte auf als im trockenen! 138 Das sind durch Benutzung, Kontakt- und Umwelteinflüsse bedingte Ursachen, die zu einem chemo-bzw. thermolytischen, photochemischen oder physikalischen Abbau der Zellulose führen. 139 Dabei dürfte die geringe Luftfeuchtigkeit bzw. die fast trockene Deponierung eine wesentliche Rolle spielen. 140 Neben chemischen und physikalischen Einflüssen ist auch mit einem enzymatischen Abbau durch Mikroorganismen zu rechnen. Das Dilemma für Archivare, Bibliothekare und Restauratoren ist, daß der Wassergehalt sich auf die Benutzbarkeit und die Gebrauchsqualität positiv, auf die Alterungsbeständigkeit dagegen ausgesprochen negativ auswirkt. Alterung: Polymerisationsgrad Die zahlreichen zwischen 1000 und 5000 Jahre alten Leinenfunde boten die seltene Möglichkeit, den natürlichen Alterungsprozeß der Zellulose systematisch zu verfolgen und zu untersuchen. Hiebei ist der DP (=Durchschnittspolymerisationsgrad bzw. die durchschnittliche Kettenlänge) ein direktes Maß für den Abbaugrad oder für den Erhaltungszustand der Zellulose. Ein großer Teil der untersuchten Leinenproben lag im Bereich von DP 200-600. Eine der ältesten Proben (4500 Jahre) hatte einen DP von 615, jedoch wiesen mehrere Gewebe auch höhere DP-Werte auf. Bemerkenswert waren die erstaunlich hohen Polymerisationsgrade dreier mehr als 4000 Jahre alter Leinenproben, die mit DP-Werten von 1500 (!) im oberen Bereich von unseren heutigen, chemisch gebleichten Leinen liegen. Eine intensive Bleiche kann nämlich den DP bis auf 800 reduzieren. Daß ältere Gewebe einen DP oberhalb dieses Wertes hatten und umgekehrt relativ „junge" Gewebe (1100 und 1400 Jahre alt) stark abgebaute Zellulosefasern mit einem DP von nur 420-300 aufweisen, zeigt deutlich gegenläufige Tendenzen, was die eingangs geäußerte Feststellung, daß Abbau- bzw. Alterungserscheinungen nicht so sehr vom Alter abhängig sind, erhärtet. Abschließend noch einige (auszugsweise) Untersuchungsergebnisse verschiedener Leinenfunde mit kurzen Schadensbeschreibungen: 20 Abusier, 2480-2340141: Beginnende Auflösung der Faseroberfläche in feine Fibrillen. Vermutlich: Mechanische Schäden! Weitere Schäden: Mehr oder weniger starke Längsrisse und Brüche in den Fasern. 0,7 Assuan, 2340-2170: Weitgehende Zerstörung der Fasern, tiefe Längs- und Querbrüche bis zur völligen Zerstörung. 0,2Giza(Idul)2340-2170: Zu den Schäden wie vorhin kommen noch die Auswirkungen eines Pilzbefalls, erkennbar an den Fruchtkörpern. Beobachtungen im TEM142 zei- 141 142 Die erste Zahl bezieht sich auf die Probennummer, dann folgen Fundort und Alter der Probe. Transmissions-Elektronenmikroskop. gen, daß der Abbau vom Lumen aus erfolgt, bei vielen Fasern ist nur mehr die äußere Hülle (!) oder Teile davon zurückgeblieben, während andere (unbefallene Stellen) des gleichen Gewebes noch ganz intakt erscheinen. Der Grad oder die Art des Abbaues ließ sich nicht mit dem Alter korrelieren! Das unterschiedliche Erscheinungsbild der beobachteten Faserschädigungen wie Fibrillierung, Riß- und Bruchbildung und Befall durch Mikroorganismen läßt auf verschiedene Abbaumechanismen während des natürlichen Alte-rungsprozesses der Gewebe schließen. Untersuchungen im Elektronenmikroskop: Im REM142a sind die Strukturen und Schäden der Faseroberflächen deutlich erkennbar, während im TEM142b bei Faserquerschnitten auch die Veränderungen innerhalb der Zellwände sichtbar werden. So erscheinen durch Negativkontrastierung Poren und Hohlräume dunkel, wie sie zum Beispiel bei einem lamellenartigen Zerfall der Faserwände (in einigen Geweben) auftraten. Ebenso auch funktioneile Gruppen, die als Folge von Oxydations- und anderen Abbauprozessen innerhalb der Faserwände entstehen, führen durch die chemische Bindung des Kontrastierungsmittels zu einem verstärkten Kontrast. Auch die Untersuchungen im TEM ließen - neben kaum veränderten Zellwandstrukturen - an den Fasern auch Abbauerscheinungen verschiedener Art erkennen. Sogar bei über 4000 Jahre alten Leinengeweben konnten noch relativ gut erhaltene Zellwände festgestellt werden, obwohl gerade diese Gewebeprobe stark bräunlich verfärbt war und sich leicht pulverförmige Bruchstücke abreiben ließen. Diese stark herabgesetzte mechanische Festigkeit war auch durch die zahlreichen konzentrischen Risse im Faserquerschnitt deutlich erkennbar. Dagegen waren die Zellwände der Fasern anderer Gewebe aus der gleichen Zeit fast vollständig zerfallen. Bemerkenswerterweise erfolgte der Abbau in der Regel von der Lumenseite her (!), ein anderer Faserquerschnitt zeigt Gewebefasern, deren Zellwände bis auf die äußere Hülle vollständig abgebaut sind. Die folgende Gewebeprobe zeigt diese charakteristischen (vorhin beschriebenen) Schäden: 12 Meydum, 2600-2480: Hier handelt es sich um ein Anfangs- oder Zwischenstadium dieses vom Lumen ausgehenden Abbauvorganges. Das Lumen selbst ist in der für 142a 142b Rasterelektronenmikroskop. Transmissions-Elektronenmikroskop Flachsfasern charakteristischen Weise zu einem engen Kanal zusammengedrängt, die unmittelbare Umgebung des Lumens ist stark granulär kontrastiert und deutlich vom weniger angegriffenen Teil der Zellwand abgegrenzt. Ähnliche Erscheinungen konnten schon früher an fossilen und subfossilen Hölzern beobachtet werden. Der Abbau erfolgte dort ebenfalls vom Lumen her (!), wobei die Zellwandsubstanz über granulierte Zwischenstufen (ähnlich wie bei 12 Meydum) in eine dunkle amorphe Masse umgewandelt wird, bis schließlich nur noch die äußeren Zellwandschichten oder Reste davon übrigbleiben. So weit zu den interessanten Untersuchungsergebnissen von natürlich gealteter Zellulose. Alterungsschutzmittel für Zellulose: Archivare, Bibliothekare und Papierrestauratoren stellen immer wieder die Frage „Was kann gegen die Alterung unternommen werden, oder kann man den Alte-rungsprozess wenigstens verzögern? Gibt es überhaupt einen wirksamen Schutz gegen Alterung für organische Stoffe wie Papier (Zellulose)?" Nun, es gibt bereits für viele Materialien „Altersschutzmittel" (auch Antioxydantien, Inhibitoren oder Stabilisatoren143, englisch: anti-agers bzw. age-resistors genannt), warum sollte so etwas nicht auch bei Zellulose möglich sein? Im vorhin zitierten RÖMPPS-Chemielexikon steht unter „Alterungsschutzmittel" allerdings nur eines, welches sich aber auf Natur- und Synthesekautschuk bezieht. Da heißt es u. a.: „Alterungsschutzmittel sind chemische Verbindungen, die dem Kautschuk bei der Vulkanisierung beigemischt werden, um die durch Sauerstoff-, Ozon-, Licht-, Hitze- und Schwermetalleinwirkung bedingten nachteiligen Alterungsvorgänge der fertigen Produkte zu verzögern ... Beim Altern von Kautschuk treten Vernetzungen (!) und Codierungen (bewirken u. a. Verhärtung und Molekülkettenbrüche) auf!" Nun, bei der Alterung von Zellulose haben wir es auch mit Vernetzungen und Molekülkettenbrüchen zu tun (was natürlich nicht bedeutet, daß das Alterungsschutzmittel für Kautschuk auch für Zellulose brauchbar ist), aber sollte es der Forschung nicht möglich sein, auch für die Zellulose eine wirksame „Alterungsbremse" zu finden? Mit einem derartigen Forschungsauftrag könnte ein sehr brennendes Problem der Papierrestaurierung (endlich) aufgegriffen werden. 143 Auch Antikatalysatoren oder Passivatoren. Wie soll (kann) Zellulose bzw. Papier restauriert werden? Wie kann dann der gute Zustand des Objekts über einen möglichst großen Zeitraum erhalten werden? Wohl niemand glaubt mehr daran, daß „das Betupfen mit verschiedenen chemischen Lösungen" - in der gläubigen Hoffnung, „irgendwas würde schon helfen" - etwas mit Restaurierung zu tun hat oder daß eine Prise Karbonat in der Verleimung alle Alte-rungs- und Restaurierungsprobleme zu lösen vermag. Es war mit Sicherheit ein Fehler, mit der Restaurierung erst beim Papier zu beginnen, die Restaurierung von Papier muß bereits bei der Faser beginnen bzw. von dort ausgehen. Diagnose - Diagnosehilfsmittel – Therapie Voraussetzungen zur Restaurierung: Natürlich hätte man für Restaurierung diesen Abschnitt mit „Schadensfeststellung -Hilfsmittel und Behandlung" betiteln können, aber das folgende Beispiel bzw. der Vergleich „Arzt - Patient" ist zu treffend, um darauf verzichten zu können. Der Verfasser glaubt, daß die Herren Ärzte diese „Entlehnung" ihrer Termini entschuldigen werden. Wie der Arzt noch vor der Behandlung den Kranken bzw. dessen Allgemeinzustand sehen muß und erst nach sorgfältiger Untersuchung und Berücksichtigung des All-gemeinzustandes die Krankheit (oder die Krankheiten) diagnostizieren kann, muß auch der Papierrestaurator seinen „Patienten" , das Papier, genau untersuchen, um zu erkennen a) aus welchen Roh- und Hilfsstoffen das Papier besteht, b) welcher Art die Schäden bzw. Schadensfolgen sind und c) wie diese Schäden möglichst mit artverwandten, wiederlöslichen bzw. entfernbaren Materialien beseitigt und so das Papier „wiederhergestellt" werden kann. a) Untersuchung des Objekts Natürlich kann der Papierrestaurator nicht jedes Papierobjekt so analysieren, wie dies nur an einem Institut für Papier- und Fasertechnik möglich oder erforderlich ist, er muß zumindest aber - v o r jeder Überlegung in bezug auf die zu treffenden restauratorischen Maßnahmen - vom jeweiligen Papierobjekt unbedingt folgendes wissen bzw. zu ermitteln versuchen: 1. Was für eine Papiersorte? z. B. Holzschliff-, holzhaltiges, Zellstoff- oder Hadernpapier 2. Verleimung ja oder nein und welche? , z. B. tier. Leim, Stärke, Methylzellulose, Harz-Aluminiumsulfat- oder Kunst-harzleimung, Oberflächen- oder Masseleimung und deren Löslichkeit oder Entfernbarkeit? 3. Welche Beschriftung, Druck, Zeichnung oder Farben? z. B. Druck, Tinten, Stifte, Pigmente, Kugelschreiber oder Filzstifte und deren Resistenz bzw. Löslichkeit? Um Wiederholungen zu vermeiden, weist der Verfasser auf die bereits veröffentlichten diesbezüglichen Nachweise wie „Chemisch-physikalische Untersuchungsmethoden und Prüfgeräte für Papier und Faserstoffe"144 und „Nachweise und Untersuchungsmethoden"145 hin, die diese Prüf- und Untersuchungsmethoden genau beschreiben und auch die dazu benutzten Reagenzien anführen. Das richtige Erkennen der Papiersorte ist deshalb wichtig, weil Holzschliff- bzw. holzschliffhaltiges Papier anders behandelt werden muß als zum Beispiel Hadern- oder Zellstoffpapier. Das richtige Erkennen von Druck, Tinten oder Farben bzw. ihre Reaktion auf eine chemische oder wäßrige Behandlung ist genauso wichtig, denn von deren Resistenz hängt die Art der auszuwählenden Methode ab wie zum Beispiel: „wäßrig oder nicht wäßrig, trocken oder chemisch" usw. Dabei muß auch beachtet werden, daß nicht alle Druckfarben so beständig sind, wie man meint! Auch bei diesen kann es - bereits bei wäßriger Behandlung in reinem Wasser - zum Abschwimmen von bindungslosen Oberschichten der Druckfarben kommen. Eisengallustinten sind im allgemeinen äußerst resistent und können auch ein 48stün-diges Wasserbad ohne Schaden überstehen, es gibt aber Tinten, die diesen zwar ähnlich sind, aber nicht deren Resistenz gegenüber Wasser besitzen. Moderne Füllhaltertinten, Kugelschreiber und Filzstifte sind äußerst problematisch, dasselbe gilt auch für viele Stempelfarben, deshalb unbedingt: Vorher testen!146 Hat man nun das Papier richtig erkannt und bestimmt (nachgewiesen!), Beschriftung, Druck oder Farben getestet, dann kann man darangehen, die Schäden zu untersuchen und festzustellen: K. Trobas „abc des Papiers", Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1982, S. 103 ff. K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen", Akademische Druck-u. Verlagsanstalt, Graz 1980, S. 55 ff. 146 Für derartige Tests wird ein Stückchen Löschblatt oder Filterpapier mit dem jeweiligen Lösungsmittel benetzt und dann an einer unbedeutenden Stelle aufgedrückt. Verfärbt sich das Löschblatt, dann ist das Lösungsmittel nicht geeignet. 144 145 Zustands- bzw. Schadenprotokoll: Für eine genaue Schadensdiagnose ist es vorteilhaft, zuerst das Objekt selbst genau zu beschreiben wie zum Beispiel: Material, Beschriftung, Druck, Bemalung und Maße Anschließend werden dann der gegenwärtige Zustand und die erkennbaren Schäden möglichst genau beschrieben. b) Schadensdiagnose – Diagnosehilfsmittel Um eine gezielte Restaurierung, d. h. eine Wiederherstellung, eines Blattes fachgemäß durchführen zu können, muß der Restaurator in der Lage sein, fürs erste alle aufgetretenen Veränderungen und Schäden, wenn möglich auch deren Ursachen, eindeutig zu erkennen und zu bestimmen. Ausgangspunkt, Soll-Zustand: Das Ergebnis bzw. der Zustand, der durch eine Restaurierung wieder erreicht oder zumindest angestrebt werden soll, ist der eines „gesunden" und unbeschädigten Blattes. Es ist also notwendig, vorerst diesen Soll-Zustand zu kennen bzw. zu definieren: Unbeschädigtes Papier, Merkmale: Ein gesundes, unbeschädigtes Blatt ist schon manuell, d. h. durch Befühlen, leicht erkennbar, und zwar durch den Griff und Klang, wobei letzterer allerdings auch in hohem Maße von einer vorhandenen Oberflächenverleimung abhängig ist! Ein unverleimtes Blatt kann sich sehr wohl lappig anfühlen, ohne daß man deshalb auf einen Abbau der Zellulose schließen darf. Visuell, d. h. bei Betrachtung, darf keine Vergilbung, Bräunung oder Verfärbungen, wie zum Beispiel durch Schmutz und Flecken aller Art bzw. Pilz-, Bakterien- oder Stockfleckenbefall, erkennbar sein. Um ganz sicherzugehen, wird man allerdings ein „verdächtiges" Blatt auch mittels UV-Licht auf möglichen, für das menschliche Auge noch unsichtbaren Pilz- oder Stockfleckenbefall untersuchen, der aber oft schon auch durch leichten Moder- oder Schimmelgeruch erkannt werden kann. Diagnosehilfsmittel: Die „Schadensdiagnose" ist die Feststellung allerVeränderungen des Objekts im Vergleich zu einem „gesunden Blatt". Erst eine richtige, fundierte und wenn nötig auch die genauere, durch Untersuchungsmethoden, Nachweise, Reagenzien und Meßgeräte bestätigte Feststellung aller Schäden ermöglicht eine gezielte Beseitigung bzw. Restaurierung. Sehr viele Schäden im bzw. auf dem Papier können vom Restaurator ohne irgendwelche Hilfsmittel visuell, manuell (taktil), aber auch durch den Geruch festgestellt werden. 1. Visuell: Schon bei bloßer Betrachtung sind: Oberflächenschmutz, Gilbung, Bräunung, Flecken aller Art, Wasser-/Schmutzränder, der in allen möglichen Farben ausblühende Pilzbefall, Bakterienkolonien, Stockflecken, Kontaktschäden durch Holzrückwände („Ligninwanderung"), Schadinsekten- und Nagetierefraß und natürlich auch Risse, Fehlstellen und abgetrennte Teile leicht erkennbar. 2. Manuell (taktil): Durch Abtasten bzw. Befühlen sowie durch „Griff und Klang" wird die Papierqualität (Gebrauchsqualität) beurteilt, jedoch kann die Ursache von lappigen, weichen Blättern oft nur die fehlende Oberflächenleimung sein. 3. Geruch: Latenter Pilzbefall ist häufig schon durch einen deutlich „riechbaren" Schimmel- bzw. Modergeruch feststellbar. 4. Wasser- bzw. Lösungsmitteltest: Eine sehr einfache, aber aussagenreiche Testmöglichkeit - die aber erst nach einer sorgfältigen Trockenreinigung angewendet werden darf - ist das Auf tropfen von Wasser und verschiedenen anderen Lösungsmitteln. Allerdings muß auch hier der vorhin beschriebene Löschpapier/Lösungsmitteltest bei „verdächtigen" Tinten oder Farben gemacht werden! Schon das bloße Auftropfen von Wasser zeigt an, ob überhaupt oder wie stark ein Papier verleimt ist, ob „noch unsichtbare" Stockflecken vorhanden sind oder die Verleimung bereits partiell abgebaut haben, ob wasserlöslicher Schmutz im Papier vorhanden ist, der ausgewaschen werden kann (und muß), oder ob es sich um „nichtwasserlöslichen" Schmutz oder Flecken handelt, die erst durch die folgenden Lösungsmittel oder gar erst durch die dann notwendige Bleichung entfernt werden können. Siehe Abb. 34. Abb. 34: Lösungsversuche der Harzverleimung Lösungsversuche der Harzverleimung 1. Essigsäureethylester, C4H8O2 2. n-Amylacetat (Essigsäurepentylester C7H14O2) 3. Aceton, CH3-CO-CH3 4. Äthanol (Äthylalkohol, CH3-CH2OH) 5. Propanol (Isopropylalkohol, C3H8O) 6. Petroläther (Benzin) 7. Aqua Destillata + Netzmittel 8. Leitungswasser 9. Aqua Destillata + Äthanol 1:1 10. Methylpyrrolidon, C5H9NO 11. Dimethylformamid, C3H7NO 12. Äther Zusätzliche Erkenntnisse: Bei den verschiedenen Tests wie zum Beispiel der Löslichkeit von verschiedenen Flecken sollten auch „negative" Aussagen wie „in Alkohol nicht löslich" o. a. ebenfalls notiert werden, da das Wissen, „was es nicht ist bzw. was es nicht löst", auch eine echte und brauchbare Erkenntnis ist. Schäden an Papierobjekten Über Papierschäden und -krankheiten hat der Verfasser bereits in seinen beiden ersten Büchern ausführlich berichtet.147 Lediglich die einfache Schadensübersicht soll hier wiedergegeben werden (Abb. 35, S. 136), weil sie nicht nur den Anfängern, sondern auch den bereits arrivierten Papierrestauratoren und Ausbildern künftiger „Restauratorengenerationen" hilft, die scheinbar „unheimlich vielen" Papierschäden geordnet und übersichtlich überblicken zu können. pH-Reaktion - Alterung – Blattfestigkeit Die Blattfestigkeit und damit auch die Alterungsbeständigkeit eines Papiers hängen in besonderem Maße von dessen pH-Wert ab. Wir alle wissen, daß zum Beispiel eine saure Reaktion um etwa pH5,0 bereits Gefahr für das Blatt signalisiert und den Restaurator zu entsprechenden Gegenmaßnahmen, d. h. zur Entsäuerung, veranlaßt. Weniger bekannt ist, daß aber auch die Blattfestigkeit bzw. verschiedene mechanische Festigkeitswerte eines Blattes im basischen Bereich um pH-9,0 gleichbleiben, während sie im sauren Bereich um pH-5,0 mehr oder minder stark abfallen! So ist beispielsweise die Reißlänge (Zugfestigkeit) im basischen Bereich von pH-7,0 bis pH-9,0 unverändert, im sauren Bereich von pH-7,0 bis pH-5,0 dagegen treten bemerkenswerte Festigkeitseinbußen auf. DESSAUER nimmt an, daß im alkalischen Bereich das Wasserstoffatom Hydroxyl gelockerter ist und aus diesem Grunde die Wasserstoffbrücken leichter zustande kommen. Bekannt und erwiesen ist, daß Zellulosefasern im alkalischen Medium stärker quellen. Wie vorhin erwähnt: „abc des Papiers" und „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken und Sammlungen". 147 Abb. 35: Papierschäden, Einteilung und Übersicht 1 Die genauen Ursachen der nur auf holzfreiem Papier auftretenden und von den Restauratoren recht allgemein als „Braunfäule" bezeichneten Schäden sind z. Z. noch nicht bekannt. Sie könnten ebenso chemischen oder fotochemischen Ursprungs sein. 2 Auch chemisch-physikalische oder fotochemische Schäden. pH-Oberflächenmessungen auf Papier Allgemeines: Dem folgenden Beitrag über die pH-Oberflächenmessung müssen einige erklärende oder besser gesagt „richtigstellende" Sätze vorangehen: Genaugenommen bezieht sich die pH-Oberflächenmessung ausschließlich, d. h. nur auf die pHMessung der Oberfläche des Papiers. Viele stark verleimte Hadernpapiere, vor allem aber die modernen, maschinengefertigten, gestrichenen Papiere oder Mehrschichtenpapiere haben nämlich an ihrer Oberfläche eine vom übrigen Material abweichende Zusammensetzung. So ist der pH-Oberflächenwert besonders für den Vorgang des Bedrückens von großer Bedeutung, da in diesen Fällen die Wanderung der Wasserstoff- und Hydroxyl-Ionen n u r an der Oberfläche stattfindet. Es ist deshalb verständlich, daß bei den erwähnten Papieren die Kalt- oder Heißextraktionsmessung (des ganzen Papiers) ein unrichtiges Ergebnis in bezug auf die tatsächlichen Oberflächenwerte liefern würde. Die pH-Oberflächenmessung des Papierrestaurators ist aber in den meisten Fällen keine „echte" Oberflächenmessung. Besonders bei schwach oder gar unverleimten Hadernpapieren ergibt die auf dem Blatt aufgesetzte Oberflächenelektrode ein der Extraktionsmethode ähnelndes Meßergebnis, da das aufgetropfte Wasser nicht auf der Oberfläche stehen bleibt, sondern mehr oder weniger vom Papier aufgesaugt wird. Das Ergebnis ist also meist der pH-Wert des ganzen Papiers, aber der Restaurator erfährt immerhin genau das, was er wissen wollte bzw. muß, nämlich den pH-Wert des Papiers. Insofern ist die Bezeichnung „pH-Oberflächenmessung" unrichtig, sie wird aber von den Papierrestauratoren trotzdem benutzt, da die Vorgangsweise die gleiche wie bei der von Papiermachern angewandten „tatsächlichen" pH-Oberflächenmessung ist. Für den Papierrestaurator ist die elektrometrische pH-Oberflächenmessung die beste pH-Meßmöglichkeit, da Kalt- oder Heißextraktion als materialzerstörende Meßmethoden im restauratorischen Bereich nicht angewendet werden können. Die pH-Oberflächenreaktion kann dem Restaurator einiges über das „Innenleben" des von ihm zu beurteilenden und in der Folge auch zu behandelnden Papiers aussagen. Schon der Nachweis einer sauren oder basischen Reaktion des wäßrigen Auszugs ist bestimmend für die Art und Weise der notwendigen und „gezielten" Behandlung. pH-Oberflächenmessung: Die Praxis der pH-Oberflächenmessung darf wohl bei allen Papierrestauratoren als bekannt vorausgesetzt werden, überdies findet man genaue Anweisung dafür in entsprechenden Fachbüchern.148 Lediglich ein paar kurze, aber wichtige Hinweise sollen hier erwähnt bzw. wiederholt werden: Siehe u. a. auch K. Trobas „Papierrestaurierung in Archiven, Bibliotheken u. Sammlungen", S. 61 ff. und „abc des Papiers", S. 107 ff., beide Akademische Druck- u. Verlagsanstalt, Graz, 1980 und 1982. 148 Prinzip der pH-Reaktion: Wie bekannt, wird bei der pH-Oberflächenmessung nicht das Papier oder das aufgetropfte Wasser, sondern der „wäßrige Auszug aus dem Papier" gemessen. Die pH-Reaktion hat ihre Ursache in den im Papier befindlichen wasserlöslichen Substanzen, die infolge von Hydrolyse bzw. Dissoziation den jeweiligen pH-Wert bestimmen. Genauer gesagt, beruht das Prinzip der elektrometrischen pH-Messung auf dem Einstellen einer Potentialdifferenz der in Meß- und Bezugselektrode befindlichen Lösungen. Elektroden: Anstelle von einer Meß- und einer Bezugselektrode werden allgemein „Einstab-Meßketten" verwendet, bei denen die Meß- und Bezugselektrode in einer einzigen Elektrode vereinigt sind. Eichung, Steilheitskorrektur: Präzise pH-Oberflächenmessungen sind nur durch sorgfältige Eichung und Steilheitskorrektur mit zwei verschiedenen Pufferlösungen, zum Beispiel pH-7,0 und je nach Meßgut pH-9,0 oder pH-4,0, gewährleistet. Temperatur: Eine konstante Meßgut- und Umgebungstemperatur von 20° C vermindert die Gefahr von Fehlmessungen. Anpreßdruck: Bei allen pH-Oberflächenmessungen muß der Druck der Elektrode auf dem Papier konstant gehalten werden. Dies wird mit dem Elektrodenstativ bzw. dessen Andruckfeder erreicht. Wasser: Die Qualität des aufgetropften Aqua destillata ist für eine einwandfreie und genaue pHOberflächenmessung von entscheidender -Bedeutung. Es darf nur absolut ionenfreies Wasser mit einem pH-Wert von pH-6,8 bis 7,2 Verwendung finden. Das aufgetropfte Wasser wirkt dabei als „Lösungsmittel der elektrolytischen Verunreinigungen", d. h. der Substanzen, die sich im Papier befinden, wobei letztere durch das Konzentrationsgefälle in das aufgetropfte reine Wasser diffundieren. Der Ausschluß von CO2 der Luft muß durch Abdeckung mittels durchlochter und abdeckbarer Glasplatte - wie bei der IngoldElektrodenkombination mit Meß- und Abdeckplatte -gewährleistet sein, da auch einwandfrei destilliertes Wasser rasch aus der Luft CO2 aufnimmt, dessen Wert unter pH-6,0 absinkt und so die Meßergebnisse verfälscht. Fehlerquellen bei der pH-Messung: Je nach Verleimungsgrad des Papiers erbringt das allgemein übliche Auftropfen von destilliertem Wasser und das Messen mit der Oberflächenelektrode innerhalb des aufgetropften Wassers keine präzisen Meßergebnisse. Meßwertverfälschungen treten besonders bei unverleimten, schwach verleimten und bei solchen Papieren auf, bei denen die Verleimung durch Mikroorganismen bereits stark angegriffen ist. Warum dies der Fall ist, kann sehr einleuchtend demonstriert und bewiesen werden: Ursache von Fehlmessungen: Allen Restauratoren ist wohl der „Wasser-Schmutzrand" oder der „Schmutzwasserrand" als ein häufig auftretender Wassereintrittsschaden ein Begriff. Wodurch kommt es zu diesen bizarren, landkartenähnlichen Gebilden bzw. „Grenzlinien"? Beim Wassereintritt, besonders auch bei aufgetropftem Wasser, werden zuerst die im Papier befindlichen, löslichen Substanzen - und auch Schmutz - gelöst und werden dann allmählich von dem den Tropfen umgebenden trockenen Papier, vom Zentrum des Tropfens weg also nach außen, aufgesaugt. Die zumeist gleichmäßig im ganzen Blatt enthaltenen löslichen Substanzen werden also vom aufgetropften Wasser gelöst und dann, durch die Saugwirkung des trockenen Papiers begünstigt, bis an die Verdunstungsgrenze des Tropfens ab-, d. h. wegtransportiert. Das kann je nach Saugfähigkeit mehrere Zentimeter betragen, was nichts anderes bedeutet, als daß die normalerweise durch die pH-Messung erfaßbaren Substanzen sich gar nicht mehr im Zentrum des Tropfens - wo ja immer das Aufsetzen der Elektrode erfolgt - befinden, sondern weit weg vom Zentrum und aus diesem Grunde durch die Elektrode bzw. die Messung gar nicht erfaßt werden können. Ein weiteres Auftropfen - wenn der erste Tropfen bereits aufgesaugt wurde - führt zu weiterem Abtransport der zu messenden Substanzen und verfälscht das Meßergebnis noch mehr. Wie kann diese Fehlerquelle eliminiert werden? Genaue pH-Oberflächenmessungen In der Restaurierwerkstätte am Steiermärkischen Landesarchiv wurde eine pHOberflächenmeßmethode entwickelt, die die vorhin beschriebenen Meßfehler eliminiert. Dem erwähnten Abtransport der im Papier befindlichen Substanzen - weg vom Meßpunkt - kann durch ein vorheriges Befeuchten (Besprühen) des ganzen Blattes -noch besser aber durch ein Eintauchen in Aqua destillata - wirksam begegnet werden. So wird das ganze Blatt gewissermaßen „mit Wasser gefüllt", die im Papier befindlichen wasserlöslichen Substanzen werden wohl gelöst, bleiben aber an Ort und Stelle, woran auch ein fallweise notwendiges zusätzliches Auftropfen von Wasser nichts mehr ändern kann. Natürlich muß das Blatt sofort nach der Befeuchtung bzw. der Wässerung in den beabsichtigten Meßbereichen mit der bereits erwähnten (gelochten) Glasplatte abgedeckt werden, um eine CO2Aufnahme des Wassers zu verhindern. Für diese pH-Oberflächenmeßmethode kann man sich auch eine zirka 30x40 cm große Glasplatte mit runden Ausschnitten an drei Stellen (in der Diagonale, Ø etwas größer als die Elektrode) anfertigen lassen. Mit dieser pH-Meßmethode werden sehr genaue Meßergebnisse erzielt, darüber hinaus wird auch der beim bloßen Auftropfen entstehende unerwünschte Wasser-Schmutzrand vermieden. Qualitative und quantitative Elektroanalyse: Aus Gründen der Übersichtlichkeit mußte die Darstellung dieser analytischen Diagnosehilfsmittel im Kapitel „Elektrochemie - Papierrestaurierung" eingeordnet werden.