Die Schulter bei entzündlichen Rheumaerkrankungen

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Die Schulter bei entzündlichen Rheumaerkrankungen
Prof. Stefan Schewe, Rheumatologe und ärztlicher Berater der Redaktion mobil
Wie jedes andere Gelenk auch kann bei den entzündlichen Rheumaerkrankungen, hier
insbesondere der rheumatoiden Arthritis, die Schulter mit betroffen sein. Ja, das
Schultergelenk ist sogar häufig mit betroffen, nur steht der Schmerz dort meist nicht im
Vordergrund der Erkrankung. Zudem ist das aus mehreren Gelenken bestehende
Schultergelenk meist in der Lage, Bewegungseinschränkungen in einem Gelenk durch
vermehrte Bewegung in den anderen Gelenken des Schultergürtels zu kompensieren. Alles
das führt dazu, dass die Mitbeteiligung der Schulter bei der entzündlichen Rheumaerkrankung
zu spät beachtet und Ernst genommen wird. Es kommt infolgedessen häufiger zu frühzeitigen
Zerstörungen entweder der Gelenkanteile der unterschiedlichen Gelenke der Schulter oder zu
einer Zerstörung der langen Bicepssehne oder des Muskelmantels um das Gelenk herum,
insbesondere an der Engstelle zwischen Oberarmkopf und Schulterhöhe. Dieser anatomisch
schon durch knöcherne Strukturen eingeengte Bereich kann durch eine Bursitis, einer
Entzündung der Polsterung und des Gleitlagers für die dort verlaufenden Muskel- und
Sehnenstränge weiter eingeengt werden.
Woran ist zu merken, dass die Schulter von der Rheumaerkrankung in Mitleidenschaft
gezogen wird? Natürlich zuerst am Schmerz in der Schulter! Nun gibt es viele Ursachen für
Schulterschmerzen, die allermeisten haben nichts mit einer Entzündung im Schultergelenk zu
tun. Wie Sie an anderer Stelle des Heftes nachlesen können, ist das Schultergelenk ein
kompliziertes Gelenk, das aus mehreren Einzelgelenken besteht, die alle einzeln oder
insgesamt betroffen sein können. Weiterhin kann ein Schulterschmerz seine Ursache ganz
woanders haben, z.B. in der Halswirbelsäule mit Betroffenheit der zur Schulter ziehenden
Nerven, in der Halsmuskulatur mit Ausstrahlung in die Schulter, im Brustkorb mit seinen
oberen Rippen und Rippenansätzen oder gar in den oberen Lungenanteilen. Es ist deshalb von
großer Bedeutung, dass ein Patient mit einem Schulterproblem dem Arzt genau beschreibt,
wann (mehr nachts, morgens oder tagsüber-abends bei oder nach verstärkter Belastung), bei
welcher Bewegung (Schulterbewegung, Bewegung in der Halswirbelsäule,
Atemabhängigkeit), bei welcher Belastung die Schmerzen stärker werden. Gemeinsam ist
allen Gelenkschmerzen bei entzündlichen Rheumaerkrankungen, dass die Schmerzen eher in
der 2. Nachthälfte und vor allem morgens verstärkt auftreten und sich langsam unter der
Bewegung bessern können. Ob in der Nacht Schulterschmerzen auftreten ist von der Haltung
des Armes während des Schlafs abhängig und vieldeutig, es kann bei Abnutzungsproblemen
genauso auftreten wie bei entzündlicher Beteiligung der Schultergelenke. Die sichtbare
Schwellung eines Gelenks, die bei den Gelenken der Hände und Füße so hinweisend auf die
Entzündung sein kann, fehlt in der Regel beim größten Schultergelenk. Für den Gelenkerguss
– vermehrte Flüssigkeit in einem Gelenk, der als Folge einer Entzündung auftritt – ist im
Schultergelenk soviel Platz, dass man von außen die Schwellung entweder gar nicht sieht oder
aber diese Schwellung nur bei sehr genauem Hinschauen erkennbar wird. Gleichfalls ist eine
Erwärmung des Gelenks durch die Entzündung von außen kaum erkennbar, sonst ein
wichtiges Zeichen für eine akute oder ausgeprägte Arthritis in anderen Gelenken. Das liegt
daran, dass das wichtigste und größte Schultergelenk – hier ist das Gelenk zwischen
Oberarmkopf und Schulterblatt gemeint – tief unter der Muskulatur verborgen ist und die
Wärme durch die Entzündung mit dem Blut abtransportiert und somit von außen nicht zu
ertasten ist. Der Arzt ist deshalb auf die möglichst genaue Schilderung der Beschwerden
seines Patienten angewiesen, er kann daraus Rückschlüsse auf eine Mitbeteiligung des
Schultergelenks bei einer entzündlichen Rheumaerkrankung bekommen und in gewissem
Grade unterscheiden, was die Ursache für den in der Schulter empfundenen Schmerz sein
könnte.
Die klinische Untersuchung des Schultergelenks – damit ist die Untersuchung der Bewegung
des Gelenks, das Abtasten des Gelenks durch den Arzt gemeint – ist im Gegensatz zu vielen
anderen Gelenken von Händen und Füßen unspezifisch, das heißt, sie kann nur schwer
zwischen einer entzündlichen oder degenerativen Ursache – durch Abnutzung des Gelenks
oder durch Schädigung der Muskulatur um das Gelenk herum – der Schulterschmerzen
unterscheiden. So bleibt oft trotz ausführlicher Schilderung der Beschwerden und der
gezielten Untersuchung der Schultergelenke der eigentliche Ursprung der Schulterschmerzen
unklar.
Zur Abklärung von Schulterschmerzen stehen dem Arzt mehrere bildgebende Verfahren zur
Verfügung, die oft in Kombination eingesetzt werden müssen, um ausreichende Information
zur Schmerzursache im Schulterbereich zu bekommen. Das Röntgenbild (meist sind
Aufnahmen in mehreren Ebenen notwendig) kann vor allem beginnende knöcherne
Zerstörungen des Gelenks erfassen, der Weichteilmantel um das Gelenk herum ist jedoch im
Röntgenbild nur indirekt zu beurteilen. Der Ultraschall und die Kernspintomographie sind
heute die wichtigsten Verfahren, da sie die Weichteilstrukturen (Muskel, Sehne,
Sehnenscheide, Bursa – flüssigkeitsgefülltes Polster zum Schutz der Sehnen-, Muskelstränge,
Knochen) voneinander unterscheiden können, die Entzündung sichtbar machen und frühzeitig
eine beginnende Zerstörungen im Gelenk selbst erkennen können.
Erst die zusammengefassten Informationen aus dem Typ der Beschwerden, der klinischen
Untersuchung der betroffenen Schulter und seiner benachbarten Gelenke, der Bildgebung und
der Laboruntersuchungen aus dem Blut (diese sind am wenigsten wichtig) setzen den Arzt in
die Lage, die Ursache der Beschwerden und damit die richtige Therapieentscheidung treffen
zu können.
Einige entzündliche Rheumaerkrankungen zeigen üblicherweise Schulterschmerzen, die
geradezu typisch für diese Erkrankungen sind. Die bei älteren Patienten über 60 Jahre gehäuft
auftretende Polymyalgia rheumatica PMR ist eine davon. Bei dieser entzündlichen
Rheumaerkrankung kommt es im klassischen Fall zu beidseitigen Schulterschmerzen –
Oberarmschmerzen (wichtig ist es, dass sie im Gegensatz zu vielen anderen
Schulterproblemen beidseits und nicht „nur“ einseitig auftreten), die wie oben schon erwähnt
vor allem in der 2. Nachthälfte und morgens besonders ausgeprägt sind. Es besteht öfter das
Problem, dass die Arme nicht mehr über den Kopf gehoben werden können, die
Morgentoilette mit Waschen und Kämmen ist kaum noch möglich ist, das selbständige
Aufstehen aus dem Bett morgens sehr beschwerlich. Diese Beschwerden bessern sich unter
der Bewegung langsam über längere Zeit (mehr als 30 Minuten Morgensteifigkeit).
Gleichzeitig können Schmerzen im Beckengürtel bestehen mit Ausstrahlung in die
Oberschenkel, auch hier meist beidseitig. Es kann Fieber, starkes Krankheitsgefühl mit
Appetitlosigkeit und Schwäche, es können neue Kopfschmerzen (die man von früher her nicht
kannte) hinzukommen, die Haut im Schläfen und Kopfbereich kann betroffen sein, die
Schläfenarterie kann verdickt und druckschmerzhaft sein, im schlimmsten Fall können die
Augen mit betroffen sein (ein kurzzeitiger Sehverlust meist auf einem Auge ist ein Ernst zu
nehmendes Warnsymptom). Der Arzt stellt im Blut bei den Laboruntersuchungen eine starke
Entzündung fest. Röntgenbilder und andere bildgebende Verfahren zeigen minimale
Veränderungen oder sind vollständig unauffällig. Ist diese Kombination vorhanden, muss
gehandelt werden, da die Entzündung nur leicht das eigentliche Schultergelenk betrifft aber
die Ursache in einer ausgeprägten Entzündung der Blutgefäße (Arteriitis) besteht, die auch die
Augenarterie mit betreffen kann, somit eine Bedrohung der Sehkraft darstellt. Die kaum mehr
behandelbare Erblindung eines Auges kann durch eine frühzeitige Therapie (nur Kortison ist
hier ausreichend wirksam) in den meisten Fällen verhindert werden.
Eine weitere, häufige entzündliche Rheumaerkrankung des Schultergelenks kommt durch eine
Ablagerung von bestimmten Kristallen im Bereich der knöchernen Enge zwischen
Oberarmkopf und Schulterblatt zustande. Die Kristalle (bestehend aus Kalziumpyrophosphat
und Hydroxyapatit, selten Gichtkristalle) verursachen eine Entzündung mit starken
Schmerzen, die rasch zu einem Verlust der Bewegung in der Schulter führt. Der manchmal
ausgeprägte Schmerz ist im Gegensatz zu der oben genannten Erkrankung meist einseitig
ausgeprägt, die bildgebenden Verfahren können die „Kalkablagerung“ im Weichteilmantel
des Schultergelenks nachweisen. Oftmals gehen Verletzungen des Muskelmantels in der
Vergangenheit voraus. Eine entzündungshemmende Therapie mit Nicht-Kortison-haltigenRheumamedikamenten ist meist ausreichend, eine Zusammenarbeit mit Orthopäden
empfehlenswert. Zusätzliche Injektionen in das Schultergelenk können manchmal schlagartig
helfen, jedoch sind Operationen (und/oder Ultraschallzertrümmerungen) manchmal
notwendig, um die Kalkeinlagerungen zu beseitigen.
Ist eine entzündliche Rheumaerkrankung bekannt, besteht vor allem die Kunst beim Arzt
darin, die Ursache der neuen Schulterschmerzen abzuklären (sind sie Teil der
Rheumaerkrankung oder etwas anderes, ist das Schultergelenk die Ursache oder doch die
Halswirbelsäule, gibt es andere Erklärungen außerhalb der Rheumaerkrankung?). Liegt eine
Beteiligung der Schultergelenke bei der bekannten Rheumaerkrankung vor, ist die gesamte
Rheumaerkrankung unter Umständen stärker antientzündlich zu behandeln oder das
Schultergelenk durch eine zusätzliche Lokalbehandlung (z.B. Spritzen ins Gelenk) bei
Fortsetzung der schon laufenden antientzündlichen Therapie vor Schäden zu bewahren.
Wichtig zu wissen ist die Tatsache, dass eine Schultergelenkerkrankung rasch zu einer
Einschränkung der Bewegung im Schultergelenk führen kann und deshalb jede Schmerz- oder
entzündungshemmende Therapie durch ein angepasstes Bewegungsprogramm ergänzt werden
muss. Das Schultergelenk hat die sehr unangenehme Eigenschaft, in seiner Bewegung schnell
dauerhaft eingeschränkt zu werden und zu bleiben, wenn man wegen der Schmerzen den
betroffenen Arm über längere Zeit ruhig hält.
Bei bleibenden Veränderungen des Schultergelenks hat heute die Orthopädie einige
Möglichkeiten, die Beweglichkeit im Gelenk durch operative Verfahren zu verbessern. Es
kann nicht oft genug betont werden, dass es bedeutend wichtiger ist, eine möglicherweise
zugrunde liegende Rheumaerkrankung rasch so in den Griff zu bekommen, dass derartige
Verfahren gar nicht notwendig werden. Das gelingt nur, wenn die Rheumaerkrankung
frühzeitig erkannt und ausreichend stark antientzündlich behandelt wird.
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