1 Stichwort: Intelligenz-Gene, Joe Tsien Die Suche nach Intelligenzgenen Im September 1999 veröffentlichte die amerikanische Arbeitsgruppe um Joe Tsien von der Princeton Universität eine Arbeit in der Fachzeitschrift Nature. Dort beschrieben sie eine transgene Maus, bei der durch eine genetische Manipulation das Lernverhalten und das Gedächtnis verbessert wurden. Der Titel dieser Arbeit heißt: Genetical enhancement of learning and memory in mice, Genetische Verbesserung von Lernen und Gedächtnis bei Mäusen (Nature 401, 63 - 69). Aus ihrer Untersuchung ziehen die Autoren den Schluß, daß eine genetische Verbesserung geistiger Eigenschaften (mental and cognitive attributes), insbesondere von Intelligenz und Gedächtnis bei Säugetieren möglich ist. Da der Mensch auch ein Säugetier ist und die Eigenschaften Intelligenz und Gedächtnis jedermann interessieren, hat diese Arbeit große Aufregung hervorgerufen. Was haben die Autoren getan? Aus früheren Untersuchungen wußten sie, daß ein bestimmter Rezeptor – der NMDA Rezeptor, die Abkürzung steht für N-Methyl D-Aspatat - in Synapsen zwischen Nervenzellen des Hippocampus für das Lernverhalten und das Gedächtnis von Mäusen wichtig ist. Es war ebenfalls schon mehrere Jahre bekannt, daß eine Blockade des Rezeptors mit bestimmten Substanzen die Mäuse unfähig macht, bestimmte Aufgaben zu lernen. Ein Beispiel: Eine Maus wird in einen Behälter mit trübem Wasser hineingesetzt, in dem vom Experimentator an einer Stelle eine kleine Plattform unter Wasser angebracht ist, auf die die Maus klettern kann. Diese Plattform kann die Maus jedoch nicht sehen. Um nicht zu ertrinken, muß sie die Plattform erreichen und darauf klettern. Lernfähige Mäuse wissen bald, wo sich diese Plattform im Becken befindet und schwimmen zu ihr gezielt hin. Lernbehinderte Mäuse 1 2 haben diese Fähigkeit nicht. Mäuse, bei denen das Gen für den NMDA-Rezeptor ausgeschaltet wurde (sogenannte „knock out“ Mäuse) sind dauerhaft lernbehindert. Die Gruppe von Tsien ging jetzt einen Schritt weiter. Sie erzeugten eine transgene Maus, in der das Gen für den NMDA-Rezeptor 2B in erhöhter Kopienzahl eingebaut wurde. Und sie konnten dadurch erreichen, daß dieser NMDA-Rezeptor in erhöhter Menge in den für das Lernverhalten wichtigen Nervenzellen der Maus im Hippocampus gebildet wurde. In Lerntests zeigten diese Mäuse eine bessere Erinnerung, die auch beim Altern anhielt. Sie zeigten auch eine bessere Raumorientierung. Die Autoren haben sie Doogie-Maus getauft nach dem offenbar intelligenten Helden einer mir unbekannten amerikanischen Fernsehserie. Wir haben hier ein Kabinettstück einer reduktionistischen Forschungsstrategie vor uns, die darauf abzielt, das Lernverhalten auf der molekularen Ebene zu verstehen. Die Synapsen zwischen Nervenzellen in den für das Lernverhalten wesentlichen Hirnstrukturen sind dabei der Fokus der Untersuchungen. Das Schema (Folie) zeigt ihnen in sehr starker Vereinfachung, wie sich die Wissenschaftler diesen Prozeß heute vorstellen. Die Nervenzelle B hat NMDA-Rezeptoren in den Zellmembranarealen der Synapsen, mit denen sie mit einer Nervenzelle A kommunizieren kann. Nervenzelle A kann Glutamat als Neurotransmitter in den Synapsenspalt abgeben. Ich erinnere mich bei dieser Gelegenheit an Reklamen, die schon in meiner Kindheit behaupteten, daß ein Löffelchen Glutamat jeden Tag bei Kindern die Schulleistungen verbessern könne. In der Nervenzelle B kommt es zusätzlich zu einer Veränderung des elektrischen Potentials und nun öffnet sich ein Kanal, 2 3 durch den Kalzium in die Nervenzelle B eindringen kann. Dieser regulierte Einstrom von Kalzium, soviel scheint klar, hat etwas mit der Bahnung von Nervenimpulsen zu tun, die bei der Kommunikation von Nervenzellen für das Lernverhalten wichtig sind. Wie sollen wir die Chancen und Risiken dieser Entdeckung bewerten? Zunächst einmal ist interessant, wie ein solches Experiment an Mäusen in der öffentlichen Diskussion aufgenommen wird und wie der Begriff Intelligenz, den die Autoren in ihrem Artikel verwenden, in der öffentlichen Diskussion ohne weiteres auf die Intelligenz von Menschen übertragen wird. Die Zeitschrift Times (Folie) zeigt auf dem Titelbild ihrer Ausgabe vom 13. September einen Säugling, der sinnend ein DNAMolekül betrachtet und stellt die Frage, The IQ Gene? Lesern, die sich mit den Details nicht beschäftigen können oder wollen, wird nahegelegt, es sei hier das Intelligenzgen entdeckt worden und es sei damit klar, wie das Gedächtnis arbeitet und wie man es verbessern kann. Daß die Manipulation eines einzigen Gens das Lernverhalten einer Maus verbessern kann, ist in der Tat eine aufregende Entdeckung. Wenn Sie mich vor einigen Jahren gefragt hätten, ob ich so etwas für möglich halten würde, hätte ich ihnen geantwortet: ich kann mir sehr leicht vorstellen, daß die Manipulation eines einzelnen Gens das Lernverhalten entscheidend beeinträchtigt. Ich kann mir aber nicht vorstellen, daß sie mit der Manipulation eines einzelnen Gens das Lernverhalten wesentlich verbessern können. Es sind sehr viele Gene und Umwelteinflüsse beim Lernverhalten beteiligt. Darum kann ich mir nicht vorstellen, dass die Veränderung der Zahl oder Struktur eines einzigen Genes einen Beitrag zu einer wesentlichen Verbesserung leisten kann. 3 4 Das Experiment von Tsien und Mitarbeitern zeigt, dass es nicht unbedingt so ist. Es stimmt zwar nach wie vor, dass viele Gene auf die kognitiven Fähigkeiten einwirken, aber einzelne Gene können so wichtig sein, dass ihre Manipulation bestimmte Eigenschaften verbessert. Menschen gehören wie die Mäuse zur Klasse der Säugetiere. Der NMDA Rezeptor bei der Maus ist nahezu identisch mit dem NMDA Rezeptor beim Menschen. Darum ist nicht von der Hand zu weisen, dass Effekte, die bei der Maus beobachtet werden, auch beim Menschen eintreffen. Aber Neurobiologen wissen, wie vorsichtig man mit Extrapolationen von Befunden bei der Maus auf den Menschen sein muss. In welcher Weise ist das, was hier an Mäusen getestet wurde, für das Lernen des Menschen entscheidend? Niemand weiss das. Wenn es möglich werden sollte, bei Menschen durch Manipulation einzelner Gene in der Keimbahn kognitive Fähigkeiten so zu verändern, daß diese Menschen sehr viel leichter lernen würden und besser reagieren könnten als ihre Eltern, dann wäre dies eine unerhörte Versuchung, solche genetischen Manipulationen auch an menschlichen Embryonen vorzunehmen. Denn wer würde es nicht wünschen, daß seine Kinder intelligenter werden als man selbst es ist. Wo liegen die Risiken solcher Manipulationen. Zunächst sind da biologische Risiken zu nennen. Wenn Glutamat in zu großen Mengen freigesetzt wird, kommt es zu einer Überstimmulierung des NMDA-Rezeptors. Es gelangt zu viel Kalzium in die Nervenzellen und die überstimulierten Nervenzellen können daran zugrunde gehen. Ein überschießender Kalziumeinstrom spielt beim Schlaganfall eine Rolle und ist mitverantwortlich für den Untergang von Nervenzellen. Kritische Wissenschaftler haben darum die Frage gestellt, ob die genetisch veränderten Doogie-Mäuse vielleicht eine größere 4 5 Anfälligkeit für Schlaganfälle oder vorzeitigem Tod der Nervenzellen haben. Ein weiteres Problem liegt darin, daß der NMDA-Rezeptor das Gehirn empfindlicher gegenüber Drogen wie Kokain, Heroin und Amphetaminen macht. Möglicherweise werden also Menschen mit einer genetischen Manipulation an diesem Rezeptor leichter als andere Menschen abhängig von solchen Drogen werden, wenn sie sie einnehmen. Weiter spielt dieser Rezeptor eine Rolle bei chronischen Schmerzzuständen. Vielleicht bekommen Menschen mit einer genetischen Manipulation an diesem Rezeptor solche Schmerzzustände leichter. Schließlich wissen wir, dass Vergesslichkeit nicht nur ein Nachteil – das empfinden alle die unter uns, die an einem chronisch schlechten Namensgedächtnis leider so wie Ihr Vortragender. Vergesslichkeit ist auch ein Segen. Es gibt Menschen mit einem aussergewöhnlichen, photographischen Gedächtnis. Solche Menschen leiden oft unter besonderen Schwierigkeiten, sich zu entscheiden. Kurz und gut, es ist fast immer so, dass bestimmte Vorteile mit bestimmten Nachteilen erkauft werden müssen. Alles hat seinen Preis. Sie sehen daraus, daß Prognosen, was passieren wird, wenn man einen solchen Rezeptor im Gehirn eines Menschen genetisch verändert, äußerst problematisch sind. Das riesige Feld der Erkenntnis ist ein dunkler Raum, in dem Wissenschaftler mit den kleinen, meist trüben Taschenlampen ihrer Methoden einige Einsichten gewinnen. Wenn sie diese Einsichten voreilig für das Ganze der notwendigen Erkenntnistiefe nehmen, dann benehmen sie sich wie Goethes Zauberlehrlinge, die die Geister, die sie riefen, nicht mehr los werden. 5