Vorlesung Bezugnahme im Denken und im Sprechen Martine Nida-Rümelin Frühling 2008 handout 10 Thema 1: Externalismus in Bezug auf Bedeutungen Text: Hilary Putnam, "The Meaning of 'Meaning'", 1975 Thema 2 (Beginn): Die Besonderheiten der Bezugnahme mittels "ich". 1. Das zentrale Gedankenexperiment der Zwillingserde Erde und Zwillingserde sind im Gedankenexperiment Planeten in der gleichen, wirklichen Welt. Erde und Zwillingserde stimmen in allen deskriptiven qualitativen Merkmalen vollkommen überein bis auf einen Unterschied: Auf der Erde befindet sich in den Ozeanen, Flüssen.....H20, auf der Zwillingserde dagegen XYZ. Oskar1 (auf der Erde im Jahr 1750) und sein Doppelgänger Oskar 2 (auf der Zwillingserde im Jahr 1750) stimmen in ihren psychologischen Merkmalen vollkommen überein. Thesen von Putnam in Bezug auf das Beispiel (vgl. in der übersetzung von Wolfgang Spohn auf S. 34): These 1: Die Extension von "Wasser" auf der Erde ist im Jahr 1750 (genauso wie heute) die Gesamtheit der aus H20-Molekülen zusammengesetzten Flüssigkeiten. These 2: Die Extension des gleichlautenden Wortes "Wasser" auf der Zwillingserde ist im Jahr 1750 (genauso wie heute) die Gesamtheit der aus XYZ-Molekülen zusammengesetzten Flüssigkeiten. Aus diesen Thesen folgt (da Oskar 1 und Oskar 2 psychologisch vollkommen übereinstimmen): These 3: Die Extension eines Ausdrucks ist nicht durch den psychologischen Zustand festgelegt, in welchem sich eine in Bezug auf diesen Ausdruck kompetente Person der Sprachgemeinschaft befindet. (Dies ist eine mögliche Formulierung von Putnam's slogan "Bedeutungen sind nicht im Kopf"). Bemerkungen: Ohne es zu erwähnen setzt Putnam hier voraus, dass Oskar 1 und Oskar 2 kompetente Sprecher ihrer jeweiligen Sprache sind. Das Zurückdrehen der Zeit ist für das Beispiel wesentlich: dadurch erst wird erreicht, dass sich Oskar 1 und Oskar 2 im gleichen psychologischen Zustand befinden und dies für alle kompetenten Sprecher der jeweiligen Sprachen gilt. Putnam nimmt nicht an (vielmehr darf man unterstellen, dass er das Gegenteil annimmt), dass Oskar 1 und Oskar 2 dieselbe Sprache sprechen: Die beiden Worte "Wasser" sind nur gleichlautende aber nach Putnam vermutlich keine identischen Worte. Problematisch erscheint die Formulierung auf S. 34 oben: "Oskar 1 und Oskar 2 fassten also im Jahr 1750 den Ausdruck 'Wasser' verschieden auf, ...." These 1 und These 2 sind durch Betrachtung des Beispiels intuitiv gestützt. Zusammen mit den Annahmen des Beispiels stützen sie Putnam's zentrale These 3. Putnam skizziert an dieser Stelle seine Theorie darüber wie die Extension von Ausdrücken wie "Wasser" (Namen natürlicher Arten) tatsächlich festgelegt ist. Zwei wichtige Elemente seiner Theorie sind: die These der versteckten Indexikalität/ die These des wissenschaftlichen Essentialismus. Beide Elemente werden schon an dieser Stelle des Textes angesprochen. Die Grundidee: These 4: Die Festlegung der Extension von Ausdrücken wie "Wasser" (Namen natürlicher Arten) erfolgt durch Hinweis auf Exemplare der fraglichen Art ("Flüssigkeiten von dieser Art", "Tiere von dieser Art"). In ostensiven Festlegungen der Extension von Namen natürlicher Arten durch Hinweis auf Exemplare der Art ist implizit davon die Rede, dass die Extension sich auf Exemplare der gleichen Art wie dieses Exemplar hier erstrecken soll. Dabei ist es wichtig richtig zu verstehen was "der gleichen Art" heissen soll. These 5: In der ostensiven Festlegung der Extension von Namen natürlicher Arten durch "Exemplare der gleichen Art wie dieses" ist die 'Gleichheit der Art' als übereinstimmung in den wesentlichen Merkmalen gemeint. Was diese wesentlichen Merkmale sind ist dem kompetenten Sprecher im Allgemeinen nicht bekannt. Was diese wesentlichen Merkmale kann normalerweise nur durch wissenschaftliche Forschung herausgefunden werden. Bemerkungen zu These 4: These 4 ist die These der versteckten Indexikalität. Es handelt sich aber um keine echte Indexikalität, jedenfalls wenn man voraussetzt, dass die Ausdrücke "Wasser" auf der Erde und "Wasser" auf der Zwillingserde nicht dasselbe Wort sind. Versteckte Indexikalität/ Echte Indexikalität Als Indexikalität eines Ausdrucks bezeichnet man die Abhändigkeit des Referenten (Bezugsobjekts) des Ausdrucks in jeder konkreten Verwendung von bestimmten Merkmalen des Kontextes der Verwendung. Beispiele echt indexikalischer Ausdrücke: "ich", "hier", "jetzt". (Der Bezug von "ich" in jeder konkreten Verwendung hängt davon ab, wer spricht. Der Bezug von "hier" in jeder konkreten Verwendung hängt davon ab, wo der Sprecher spricht. Der Bezug von "jetzt" in jeder konkreten Verwendung hängt davon ab, wann gesprochen wird.) Echte Indexikalität läge nur dann vor, wenn dasselbe Wort "Wasser" in unterschiedlichen natürlichen Umgebungen (auf unterschiedlichen Planeten mit unterschiedlichen Flüssigkeiten in den Flüssen und Seen....) verwendet würde und man dann sagen dürfte: der Referent des Ausdrucks "Wasser" ist festgelegt durch das Merkmal des Verwendungskontextes '.....befindet sich auf dem Planeten des Sprechers in den Flüssen und Seen'. Bemerkungen zu These 5: - These 5 ist die These des wissenschaftlichen Essentialismus. Der wichtige Kern dieser These ist, dass der Bezug von Ausdrücken unserer Sprache durch die uns eventuell unbekannte Natur der Dinge festgelegt ist. Die Wissenschaften können es sich zur Aufgabe machen, diese Natur (Wesen/ Essenz) zu erforschen. Die 'Natur' von Wasser ist die chemische Zusammensetzung. Die 'Natur' von Arten von Tieren deren genetische Struktur. - Kripke's antimaterialistisches Argument setzt implizit voraus, dass der wissenschaftliche Essentialismus für Ausdrücke wie "Schmerz" falsch ist. Hier wissen wir nach Kripke ohne auf wissenschaftliche Resultate warten zu müssen worin die Natur der Sache besteht, auf die wir uns beziehen. - Die These des wissenschaftlichen Essentialismus (These T 5) erklärt weshalb der psychologische Zustand kompetenter Sprecher die Extension eines gegebenen Ausdrucks (These 3) im Allgemeinen nicht festlegt. 2. Zwei Beispiele zur These der sprachlichen Arbeitsteilung Das Alumimium/ Molybdän - Beispiel: Annahmen des Beispiels: Ausser Experten kann niemand Aluminium von Molybdän unterscheiden. Experten auf beiden Planeten können die beiden Stoffe mühelos unterscheiden. Aluminium auf der Erde gebräuchlich, Molybdän selten. Molybdän auf der Zwillingserde gerbäuchlich, Alumimium selten. Ausdrücke "Aluminium" und "Molybdän" auf der Zwillingserde gegenüber der Erde vertauscht. These 6: Oskar 1 bezieht sich mit "Aluminium" auf Aluminium und mit "Molybdän" auf Molybdän. Oskar 2 dagegen bezieht sich mit "Aluminium" auf Molybdän und mit "Molybdän" auf Aluminium. These 6 impliziert: These 7: Der psychologische Zustand eines individuellen Sprechers (sein individuelles Verständnis eines Ausdrucks) legt nicht fest, worauf er sich mit diesem Ausdruck bezieht. Bemerkungen zu diesem Beispiel: Der wichtige Unterschied zum "Wasser-.Beispiel": Im Wasserbeispiel ist der Bezug des Wortes "Wasser" auf beiden Planeten allein durch die natürliche Umgebung der Sprachgemeinschaft festgelegt. Dagegen gibt es nur deshalb zwei Ausdrücke "Aluminium" und "Molybdän" mit jeweils unterschiedlichem Bezug in beiden Sprachgemeinschaften, weil es in beiden Sprachgemeinschaften Experten gibt, die Aluminium von Molybdän unterscheiden können. These 8: Die Extension eines Ausdrucks in einer Sprachgemeinschaft ist in manchen Fällen nur deshalb in bestimmter Weise festgelegt, weil Experten in der Lage sind Exemplare der fraglichen Art korrekt zu identifizieren. These 9: Auch in diesen Fällen (siehe These 8) bezieht sich der nicht informierte einzelne Sprecher auf das Bezugsobjekt, das dank des Beitrags von Experten festgelegt ist. Bemerkungen zu diesen Thesen: These 8 und These 9 formulieren was Putnam unter sprachlicher Arbeitsteilung versteht. Es sind also zwei Aspekte dieser These zu unterscheiden: (1) Festlegung des Bezugs eines sprachlichen Ausdrucks (beruht eventuell auf der Kompetenz von Experten) (2) Festlegung des Bezugs eines Ausdrucks im Idiolekt eines Sprechers (beruht auf der Kompetenz von Experten der Sprachgemeinschaft, zu der er gehört). These 9 liefert eine weitere Erklärung für These 3. Das Ulmen/ Buchen - Beispiel: Ein Sprecher X kann Ulmen und Buchen nicht unterscheiden. Dennoch bezieht er sich mit "Ulmen" auf Ulmen und mit "Buchen" auf Buchen. Dieses Beispiel illustriert These 9. 3. Wissenschaftstheoretische Konsequenzen These 10: Sprecher unterschiedlicher Sprachgemeinschaften zu unterschiedlichen Zeitpunkten, welche mit den von ihnen verwendeten Namen natürlicher Arten verschiedene Beschreibungen verbinden, können sich dennoch auf dieselbe Sache beziehen. Illsutration dieser These durch das Goldbeispiel (vgl. S. 48ff) These 11: Unterschiedliche wissenschaftliche Theorien, die in den mit einem Begriff verbundenen Annahmen nicht übereinstimmen (Beispiele: Masse/ Elektronen), können sich mittels dieser Begriffe dennoch auf dieselbe Sache beziehen. These 10 und These 11 kann durch die Thesen 4 und 5 begründet werden. Zu These 10: Der Bezug ist ostensiv (These 4) unter Bezugnahme auf die verborgene (eventuell unbekannte Natur des Bezugsobjekts) festgelegt und nicht durch die Beschreibungen, die überlicherweise mit dem Namen der natürlichen Art verbunden werden. Zu These 11: Auch Wissenschaftler sind so zu interpretieren, dass der Bezug eines Teils ihrer wissenschaftlichen Termini ostensiv und unter Bezugnahme auf die verborgene Natur der Sache festgelegt ist. Thema 2: Zu den Besonderheiten der Bezugnahme mittels des Wortes "ich" Zu unterscheiden: Besonderheiten der Selbstzuschreibung von Eigenschaften/ Besonderheiten der Bezugnahme auf sich selbst Besonderheiten der Selbstzuschreibung von Eigenschaften (diese sind nicht Gegenstand dessen, was unter dem gegenwärtigen Thema behandelt werden soll): - These der 'Unkorrigierbarkeit': Für gewisse Eigenschaften gilt: wenn eine Person sich diese Eigenschaft gegenwärtig zuschreibt, so hat sie gegenwärtig diese Eigenschaft. - These des privaten Zugangs (Privatheit): Für gewisse Eigenschaften gilt: jeder hat in Bezug auf sich selbst eine ganz andere epistemische Grundlage dafür zu glauben, dass er diese Eigenschaften gegenwärtig hat als andere, aussenstehende Personen. - These des priviligierten Zugangs: In Bezug auf gewisse Eigenschaften hat jeder eine bessere epistemische Grundlage zur Beurteilung der Frage, ob ihm diese Eigenschaften zukommen, als andere, aussenstehende Personen. Von diesen Thesen zu unterscheiden sind Thesen über die Besonderheit der Bezugnahme mittels des Wortes "ich". Eine solche These ist die These der Immunität gewisser Urteile in Bezug auf sich selbst gegenüber einem Irrtum durch Fehlidentifikation (immunity against error through misidentification). Unterscheidung zwischen 2 Arten von Fehlern: Irrtum durch Fehlprädikation/ Irrtum durch Fehlidentifikation Beispiel eines Irrtums durch Fehlprädikation: A sieht B und urteilt aufgrund von B's Gesichtsausdrucks, dass B traurig ist. Der Gesichtsausdruck beruht aber bei B in Wahrheit auf Langeweile. Beispiel eines Irrtums durch Fehl-Identifikation: A sieht B hält aber B fälschlich für C. A urteilt aufgrund von B's Gesichtsausdrucks, dass C traurig ist. Tatsächlich ist B traurig (der Gesichtsausdruck ist Ausdruck von Traurigkeit). Dennoch ist A Urteil, dass C traurig ist falsch (der Irrtum beruht darauf, dass er B irrtümlich für C hält). These: Gewisse Urteile in Bezug auf sich selbst lassen keinen Fehler durch Fehl-Identifikation zu. Beispiele solcher Urteile: A urteilt aufgrund seiner momentanen Befindlichkeit, dass er traurig ist. A urteilt aufgrund seiner momentanen Befindlichkeit, dass er eifersüchtig ist. A urteilt aufgrund seines visuellen Erlebens, dass er einen Kanarienvogel sieht. A urteilt aufgrund seines Erlebens, dass er Zahnschmerzen hat. A urteilt aufgrund seiner inneren Wahrnehmung seines eigenen Körpers bei geschlossenen Augen, dass seine Beine überschlagen sind. Wodurch sind Urteile, die in dieser Weise gegen Irrtümer durch Fehlidentifikation immun sind charakterisiert? Eine naheliegende (aber falsche Hypothese): Es handelt sich genau um diejenigen Urteile, in denen sich eine Person eine gegenwärtige psychische Eigenschaft zuschreibt. Gegenbeispiele: - Jemand urteilt auf der Grundlage der vermeintlichen Wahrnehmung seines Spiegelbildes, dass er schlechter Laune ist. (Hypothese erfasst zu viele Fälle.) - Jemand urteilt bei geschlossenen Augen auf der Grundlage der inneren Wahrnehmung seines Körpers, dass seine Beine überschlagen sind. (Hypothese erfasst zu wenig Fälle.)