Patienten und Methoden

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Sonderdruck aus:
Osteoarthritis and Cartilage (1993) l, 233-241
© 1993 Osteoarthritis Research Society
OSTEOARTHRITIS
and
CARTILAGE
Intraartikuläres Na-Hyaluronat bei Gonarthrose:
eine multizentrische Doppelblindstudie
VON WOLFHART PUHl, ANDREAS BERNAU, HELMUT GREILING, WOLFGANG KÖPCKE,
WOLFGANG PFÖRRINGER, KARL J. STECK, JOSEF ZACHER UND HANS P. SCHARF'
'RKU Orthopädische Klinik, Universität Ulm; Tübingen; Institut für klinische Chemie und Pathobiochemie, Medizinische Fakultät der RWTH Aachen; Medizinische Fakultät, Universität Münster;
Orthopädische Klinik Harlaching, LMU München; 'Luitpold Pharma München;
Orthopädische Klinik der EK Universität Tübingen
Zusammenfassung
In einer randomisierten multizentrischen Doppelblindstudie wurden die Wirksamkeit und
Verträglichkeit von intraartikulären Na-Hyaluronat-Injektionen bei Patienten mit Gonarthrose
untersucht. 209 Patienten erhielten Injektionen von entweder 25 mg Hyaluronat/2,5 ml (Verum,
n = 102) oder 0,25 mg Hyaluronat/2,5 ml (Kontrollpräparat n = 107) in wöchentlichem Abstand.
Sieben Patienten in jeder Gruppe wurden von der „protocol correct“Wirksamkeitsanalyse
ausgeschlossen.
Der Lequesne-Index als erstes Hauptzielkritenum zeigte eine signifikante Überlegenheit der mit
Verum behandelten Patienten für die Zeit nach der dritten Injektion bis zur letzten Nachuntersuchung neun Wochen nach der letzten Injektion (MANOVA, p < 0,025). Der als zusätzliches
Hauptzielkriterium definierte Paracetamol-Verbrauch ließ keine signifikanten Unterschiede
zwischen den Behandlungsgruppen erkennen. Die meisten der sekundären Wirksamkeitskriterien
zeigten ein deutlich besseres Ansprechen auf die Verumbehandlung, ohne daß bei den Einzeltests
zu den einzelnen Zeitpunkten signifikante Gruppenunterschiede erreicht wurden. Die
Nebenwirkungen beschränkten sich auf leichte, vorübergehende lokale Reaktionen bei vier
Patienten (sechs Ereignisse) der Verumgruppe und bei fünf Patienten der Kontrollgruppe.
Die klinisch-chemischen und hämatologischen Parameter blieben im wesentlichen unverändert.
Schlüsselwörter: Na-Hyaluronat, Arthrose, Gonarthrose, intraartikuläre Behandlung.
Einführung
Die Gonarthrose ist die häufigste Gelenkerkrankung;
ihre Inzidenz nimmt mit zunehmendem Lebensalter
und einer höheren Lebenserwartung zu]. Man geht
davon aus, daß biomechanische und biochemische
Faktoren bei der Pathogenese dieser Erkrankung interaktiv zusammenwirken.
Die Behandlung der Gonarthrose ist oft unbefriedigend. Nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs) oder
intraartikuläre Kortikosteroid-Injektionen werden zur
symptomatischen kurzfristigen Linderung der Beschwerden eingesetzt. Es gibt jedoch wenig Anhaltspunkte dafür, daß sie den Verlauf des degenerativen
Prozesses positiv beeinflussen können; dagegen können schwerwiegende unerwünschte Arzneimittelreaktionen insbesondere bei der Langzeitanwendung auftreten. Die Diskussion um die sogenannten Chondroprotektiva im Hinblick auf ihr mögliches krankheitsbeeinflussendes Potential und ihre Risiken wird kontrovers geführt. In jüngster Zeit ist die intraartikuläre
Substitution von hochmolekularem Hyaluronat als
neuer Therapieansatz auf großes Interesse in der internationalen Literatur gestoßen. Die berichteten
Ergebnisse rechtfertigen die Durchführung einer kontrollierten klinischen Studie nach modernen biometrischen Kriterien und nach den Richtlinien der
WHO/Eular, um das tatsächliche Wirksamkeitspotential und die Verträglichkeit dieser neuen Behandlung
beurteilen zu können.
Die Ergebnisse einer randomisierten multizentrischen
Parallelgruppenstudie, in der die „blind-observer"Methode eingesetzt wurde, werden im folgenden vorgestellt.
Patienten und Methoden
STUDIENDESIGN
In dieser Studie wurden sterile, pyrogenfreie NaClPhosphatpufferlösungen hochreinen Na-Hyaluronats
mit einem Molekulargewicht von 6,0-12,0x105 Dalton
verwendet, das aus Hahnenkämmen extrahiert und von
Seikagaku Corp. Tokio hergestellt wurde. Die Dosierung und das Behandlungsschema beruhen auf Studien
aus Japan, wo das Präparat zugelassen ist und seit 1987
zur symptomatischen Behandlung der Gonarthrose eingesetzt wird.
Das Prüfpräparat enthielt 25 mg Na-Hyaluronat/2,5
ml. Das Kontrollpräparat enthielt 0,25 mg Na-Hyaluronat/2,5 ml und wurde aufgrund seiner niedrigen Wirkstoffkonzentration als pharmakologisch weniger wirksam angenommen.
Beide Präparate standen als Behandlungseinheiten
mit je fünf Einzeldosen (Ampullen), die mit Identifizierungsdaten der Studie und einer fortlaufenden dreistelligen Randomisierungsnummer versehen waren,
zur Verfügung. Die Nummern wurden den Patienten in
der Reihenfolge ihrer Aufnahme in die Studie zugeordnet. Obwohl die Präparate an ihrer Etikettierung nicht
zu unterscheiden waren, konnten sie bei der Handhabung aufgrund ihrer unterschiedlichen Viskosität identifiziert werden. Um Doppelblindbedingungen zu
gewährleisten, mußte deshalb die „blind-observer"Methode gewählt werden. Die stratifizierte Randomisierung erfolgte nach der permutierten Blockmethode
(Rancode, IDV München) durch die Abteilung Biometrie von Luitpold Pharma. Der Randomisierungscode
war nur dem Biometriker bekannt. Die Prüfärzte erhielten versiegelte undurchsichtige Umschläge, die den
Randomisierungscode zur Identifizierung der einzelnen Patienten für eventuelle Notfälle enthielten. Diese
Umschläge wurden nach Beendigung der Studie
zurückgegeben.
Die Studie wurde an ambulanten Patienten von 7
orthopädischen Kliniken und 17 niedergelassenen
Orthopäden durchgeführt (siehe Fußnote auf der Titelseite). Auf der Basis einer Irrtumswahrscheinlichkeit
von a = 2,5% (adjustiert für 2 Hauptzielkriterien) und
einer Teststärke von 1-ß = 90% wurde eine Stichprobengröße von 200 Patienten errechnet, wobei man von
einem standardisierten Unterschied zum mittleren Ausgangswert des Lequesne-Scores (erstes Hauptzielkriterium) von mindestens 0,5 ausging. Als Rekrutierungsphase wurde der Zeitraum von April bis Oktober 1990
festgelegt.
Nach einer einwöchigen Auswaschphase wurden insgesamt fünf Injektionen in wöchentlichem Abstand
intraartikulär in das betroffene oder stärker betroffene
Kniegelenk verabreicht. Im Anschluß an die jeweilige
Untersuchung des Patienten durch den Prüfarzt wurde
die Injektion von einem weiteren Orthopäden, der für
die Behandlung und für die Verwaltung der Präparate
verantwortlich war, vorgenommen. Untersuchungen
erfolgten zu Beginn der Studie und danach wöchentlich
mit einer Abschlußuntersuchung eine Woche nach der
fünften Injektion. Paracetamol war als Ausweichanalgetikum gestattet; es konnten, bei Bedarf, l bis 2
Tabletten ä 500 mg bis zu dreimal täglich eingenommen werden. Der Analgetikaverbrauch der einzelnen
Patienten wurde während der Behandlungszeit durch
Tablettenzählung und danach durch Befragen der Patienten ermittelt und dokumentiert. Um mögliche Langzeitwirkungen der Behandlung festzustellen, wurden
Nachuntersuchungen l und 2 Monate nach der
Abschlußuntersuchung durchgeführt; außerdem wurden die Patienten nach einem weiteren Monat
nochmals befragt.
PATIENTEN
Einschlußkriterien waren eine idiopathische Gonarthrose, definiert anhand validierter klinischer und röntgenologischer Kriterien mit einer Sensitivität von 91%
und einer Spezifität von 86% [7], ein Patientenalter
zwischen 40 und 75 Jahren und die Einwilligung des
Patienten nach vorheriger Information.
Ausschlußkriterien waren entzündliche Gelenkerkrankungen, BKS > 40 mm nach l Stunde oder RF >
1:40, spezifische Arthropathien, z.B. Chondrokalzinose, massiver Gelenkerguß (> 100 ml), erhebliches
Übergewicht (Gewicht nach Broca + 50%), ausgeprägte Achsenfehlstellung oder Instabilität, Endoprothesen
an den unteren Extremitäten, klinisch manifeste Coxarthrose, intraartikuläre Injektionen von z.B. Kortikosteroiden in den letzten 3 Monaten vor Studienbeginn,
entzündliche oder fieberhafte Erkrankungen, Gelenköder Hautinfektionen, Schwangerschaft, Kontraindikationen für Paracetamol. Die Patienten wurden angehalten, folgende medikamentöse Begleitbehandlungen zu
vermeiden: andere intraartikuläre Injektionen, Kortikoide, 'Chondroprotektiva', NSAIDs, Analgetika
außer Paracetamol und Okklusions verbände. Andere
eingeleitete Behandlungen konnten unverändert während der gesamten Dauer der Studie fortgeführt werden
und wurden dokumentiert. Der Neubeginn zusätzlicher
Behandlungen war nicht zulässig.
BEFUNDERHEBUNG
Die folgenden Variablen wurden zu Beginn in Woche
0, nach einer einwöchigen Auswaschzeit in den
Wochen l bis 6 sowie in den Wochen 10 und 14 untersucht: der Lequesne-Index für den Schweregrad der
Gonarthrose, der Paracetamol-Verbrauch, der
auf einer 100-mm visuellen Analogskala (VAS) erfaß-
te Schmerz des Patienten in der jeweils vorausgegangenen Woche, Ruheschmerz, Belastungsschmerz,
Anlaufschmerz, Krepitation, Gelenkbeweglichkeit
(Neutral-0) und Gelenkerguß. Eine subjektive Beurteilung der Wirksamkeit auf einer Vierpunkteskala
erfolgte durch Arzt und Patient in den Wochen 6, 10
und 14. Die Gesamtverträglichkeit wurde in Woche 6
beurteilt. Zu den Zeitpunkten Woche 0 und Woche 6
wurden klinisch-chemische und hämatologische
Laborparameter untersucht. In Woche 18 wurden die
Patienten entweder persönlich oder telefonisch über
ihre Einschätzung von Ausmaß und Dauer der Besserung befragt. Etwaige unerwünschte Ereignisse wurden
während der gesamten Dauer der Studie dokumentiert.
Nach den Empfehlungen der WHO/Eular wurde
die Besserung im Lequesne-Index für den Schweregrad
der Gonarthrose (IS K) als Hauptwirksamkeitskriterium
definiert. Der ISK spiegelt den Schmerz, der ein Drittel
des 24-Punkte-Gesamtscores ausmacht, und den funktionellen Status des Patienten im Alltag wider und ist
statistisch validiert und in der Literatur anerkannt Da der
Analgetikaverbrauch den Score des Index
beeinflussen könnte, wurde die verbrauchte Paracetamolmenge als zweites Hauptzielkriterium im Prüfplan
definiert. Aus dem gleichen Grund wurde ein modifizierter Lequesne-Index, der 0,5 bis 3 Extrapunkte für
einen durchschnittlichen Tagesverbrauch von > 100
mg bis > 2500 mg Paracetamol vorsah, als zusätzliches sekundäres Wirksamkeitskriterium definiert.
STATISTISCHE ANALYSE
Die statistische Analyse basierte auf folgenden Verfahren: Die Ausgangslagenhomogenität wurde in Abhängigkeit der Variablenskalierung mit Kontingenztafel-
analysen, nicht-parametrischen Rangtests und varianzanalytischen Methoden überprüft.
Unterschiede zwischen den Behandlungsgruppen im
Verlauf des Lequesne-Index (erstes Hauptzielkriterium) über den Gesamtstudienzeitraum wurden mit multivariater Varianzanalyse getestet. Daran schlössen
sich simultane zweiseitige t-Tests für die einzelnen
Zeitpunkte an.
Der durchschnittliche Paracetamol-Verbrauch (zweites Hauptzielkriterium) wurde in Rangziffern transformiert und mit multivariater Varianzanalyse auf
Behandlungsunterschiede geprüft.
Die Wahrscheinlichkeit für den Fehler l. Art betrug
2,5% für jedes der beiden Hauptzielkriterien, um die
multiple Irrtumswahrscheinlichkeit auf 5% zu begrenzen. Bei den simultanen Einzeltests wurde die Bonferroni-Holm-Adjustierung angewendet.
Nebenzielkriterien wurden explorativ mit parametrischen bzw. nicht-parametrischen Methoden ausgewertet.
GESETZLICHE BESTIMMUNGEN
Die Studie wurde nach den Grundsätzen der Deklaration von Helsinki, den derzeit gültigen gesetzlichen VorSchriften und den EU-Richtlinien der „Good Clinical
Practice" (GCP) durchgeführt. Alle Patienten hatten
ihr schriftliches Einverständnis gegeben. Die Ethikkommission der Universität Ulm erteilte ihre Zustimmung.
Ergebnisse
PATIENTENMERKMALE
Von den 209 Patienten der 25 Studienzentren wurden
nach dem Randomisierungsplan 102 der Verumgruppe
und 107 der Kontrollgruppe zugeteilt.
14 Patienten mußten von der Wirksamkeitsanalyse,
jedoch nicht von der Verträglichkeitsanalyse ausgeschlossen werden: fünf Patienten in der Verumgruppe
(nicht zulässige Begleitbehandlungen: 4, Abweichung
von der Dosierung: l) und vier Patienten in der Kontrollgruppe (nicht zulässige Begleitbehandlungen: 2,
Verstoß gegen die Alters- oder Gewichtsgrenzen: 2).
Zwei Patienten in der Verumgruppe (Widerruf der Einwilligung: l, Umzug: l) und ein Patient in der Kontrollgruppe (Noncompliance) schieden aus nichtmedizinischen Gründen aus, zwei weitere Patienten in der
Kontrollgruppe wegen Begleiterkrankungen (Harnwegsinfektion: l, Krankenhauseinweisung wegen
Brustkrebs: l).
Insgesamt wurden 195 Patienten aus 24 Zentren, 95
in der Verum- und 100 in der Kontrollgruppe in die
„protocol correct" Wirksamkeitsanalyse einbezogen.
Zwei Patienten in jeder Behandlungsgruppe mit fehlender Befunderhebung beim ersten bzw. zweiten
Nachuntersuchungszeitpunkt wurden in diese Bewertung eingeschlossen, wobei die fehlenden Daten durch
den letzten gültigen Wert („last value option")ersetzt
wurden.
Bei Studienbeginn bestanden keine signifikanten
Unterschiede zwischen den demographischen und klinischen Merkmalen der Behandlungsgruppen, außer
daß der Anteil der weiblichen im Vergleich zu den
männlichen Patienten in der Verumgruppe größer war.
Eine Kovarianzanalyse mit den Kovariaten
Geschlecht bzw. andere Parameter, die tendenzielle
Unterschiede in den Ausgangswerten gezeigt hatten,
bestätigte, daß die auf den Hauptzielkriterien beruhenden Aussagen zur Wirksamkeit von diesen Faktoren
nicht beeinflußt wurden.
HAUPTWIRKSAMKEITSKRITERIEN
Der Lesquesne-Index (ISK) als erstes Hauptzielkriterium zeigte eine kontinuierliche Reduktion des mittleren
Punkte-Scores in beiden Gruppen während der fünf¬
wöchigen Behandlung und bei der abschließenden
Untersuchung l Woche nach der letzten Injektion (t6)
im Vergleich zu den Ausgangswerten von 10,4 bzw.
9,4 Punkten. Diese Abnahme setzte sich bei den
Nachuntersuchungen 5 Wochen (t 10) und 9 Wochen
(t 14) nach Beendigung der Behandlung weiterhin fort,
insbesondere in der Verumgruppe, und war während
der gesamten Dauer der Studie signifikant (p < 0,05
bis p < 0,0001). Durchschnittlich betrug die absolute
Score-Abnahme 3,5 Punkte in der Verumgruppe und
2,6 Punkte in der Kontrollgruppe bei der Abschlußuntersuchung sowie 4,4 Punkte bzw. 2,8 Punkte bei der
zweiten Nachuntersuchung. Der Globaltest für die
multiplen Endpunkte zeigte statistisch signifikante
Unterschiede (p < 0,025) zwischen den Behandlungsgruppen zugunsten der mit Verum behandelten Patien¬
ten für die Zeit nach der dritten Injektion. Bei den Tests
für die einzelnen Zeitpunkte wurde zwischen den
Behandlungsgruppen auf der Basis adjustierter a-Werte 9 Wochen nach der letzten Injektion ein signifikanter Unterschied (p = 0,0053) festgestellt. Eine
„intent-to-treat" Analyse aller rekrutierten Patienten
anhand der „last value Option" führte zu nahezu identi¬
schen Ergebnissen. Die statistischen Schlußfolgerun¬
gen wurden durch zusätzliche Analysen der relativen
Veränderungen im Vergleich zu den Ausgangswerten
bestätigt.
Eine Analyse der Behandlungsergebnisse bei den
Prüfärzten in Kliniken im Vergleich zu den niederge¬
lassenen Orthopäden zeigte keine signifikante Inhomo¬
genität hinsichtlich der Unterschiede in der ISKAbnahme zwischen der Verum- und der Kontrollgrup-
pe. Insgesamt schien jedoch der Score-Rückgang in der
Gruppe der niedergelassenen Ärzte stärker zu sein
Erfolg der früheren Behandlung (%)
Sehr gut/gut
27(28,4)
Mäßig / kein
64 (67,4)
Nicht dokumentiert
4 (4,2)
26(26,0) 0,89*
68 (68,0)
6 (6,0)
Lequesne-Score (Punkte)
Mittelwert (Mediän)
Standardabweichung
10,4(10)
3,9
9,4 (9) 0,14*
3,5
Schmerz (VAS in mm)
Mittelwert
Standardabweichung
54,1
22,6
51,4
22,4
0,65*
Täglicher Paracetamol-Verbrauch (t0-t1), (Tabletten)
Mittelwert
0.9
1,1
0,63*
Standardabweichung
1,4
1,6
*Wilcoxon-Mann-Whitney Test
Der durchschnittliche tägliche Paracetamol-Verbrauch, der als zweites Hauptzielkriterium für die
Wirksamkeit definiert worden war, war allgemein
niedrig und zeigte während des gesamten Behandlungszeitraums und in der Nachbeobachtungszeit keine
wesentlichen Änderungen oder signifikanten Unterschiede zwischen beiden Gruppen. 44,2% der mit Verum behandelten Patienten im Vergleich zu 46% in der
Kontrollgruppe nahmen das Ausweichanalgetikum in
der Anlaufphase überhaupt nicht ein. Dieses Verhältnis
veränderte sich geringfügig auf 52,6% bzw. 51% in der
Woche nach der letzten Injektion und 67,4% bzw. 58%
in der Zeit vor der letzten Nachuntersuchung 2 Monate
später.
SEKUNDÄRE WIRKSAMKEITSKRITERIEN
Die Beurteilung des Gesamtschmerzes in der jeweils
vorausgegangenen Woche anhand der 100-mm visuel¬
len Analogskala durch den Patienten zeigte in beiden
Gruppen einen erheblichen Rückgang des Schmerzes
während der Behandlungszeit und bei den Kontrolluntersuchungen 5 und 9 Wochen später. Der durch¬
schnittliche Rückgang war signifikant während des
gesamten Behandlungszeitraumes. Die anschließenden
Nachuntersuchungen zeigten eine weitere Zunahme
der Besserung bei den mit Verum behandelten Patien¬
ten und eine gegensätzliche Tendenz in der Kontroll¬
gruppe. Der Unterschied zwischen den Gruppen wurde
signifikant (p < 0,05) 5 Wochen (26,3 mm bzw. 18,3
mm) und 9 Wochen (27,6 mm bzw. 17,4 mm) nach
dem Ende der Behandlung.
Die Untersuchungsbefunde am Kniegelenk zeigten
im Vergleich zu den Ausgangsbefunden in beiden
Behandlungsgruppen einen erheblichen Rückgang der
Symptomatik am Ende der Behandlung und danach.
Ruheschmerz, Anlaufschmerz, Belastungsschmerz,
Krepitation und Ausmaß der Gelenkbeweglichkeit
wurden übereinstimmend gebessert. Der Unterschied
zwischen den Gruppen war eindeutig zugunsten der
mit Verum behandelten Patienten, ohne jedoch Signifikanz zu erreichen. Die Inzidenz von Gelenkergüssen
war anfangs gering und wurde durch die Behandlungen
noch etwas reduziert .
Die subjektive Einschätzung der individuellen Therapieergebnisse durch den Arzt und Patienten ließ keinen
signifikanten Unterschied zwischen den Gruppen
erkennen. 68,8% der Behandlungsergebnisse in der
Verumgruppe (Arzt und Patient) und 60,2% (Arzt)
bzw. 57,1% (Patient) in der Kontrollgruppe wurden bei
der letzten Nachuntersuchung als gut und sehr gut eingestuft.
Der modifizierte Index für den Schweregrad der Gonarthrose, der im Prüfplan als Sekundärkriterium definiert worden war, um den individuellen ParacetamolVerbrauch auszugleichen (bis zu 3 zusätzliche ScorePunkte je nach durchschnittlichem täglichen Bedarf an
Paracetamol-Tabletten), zeigte während und nach der
Behandlung Score-Verbesserungen und Unterschiede
zwischen den Behandlungsgruppen (MANOVA, p =
0,0028), die nahezu identisch waren.
Bei der Befragung 3 Monate nach dem Ende der
Behandlung berichteten 65,2% der mit Verum behandelten Patienten und 57% der Kontrollpatienten eine
anhaltende Besserung, wogegen 9,8% in der Verumgruppe und 19% in der Kontrollgruppe der Ansicht
waren, daß sie überhaupt nicht auf die Behandlung
angesprochen hätten. 57,6% der Patienten in der Verumgruppe und 49% in der Kontrollgruppe waren der
Meinung, daß die Beschwerden völlig nachgelassen
hätten oder zumindest stark zurückgegangen seien im
Vergleich zur Zeit vor der Behandlung. Eine Zunahme
der Beschwerden wurde nur von 3% der Patienten in
der Kontrollgruppe berichtet.
VERTRÄGLICHKEIT
Die Verträglichkeit der intraartikulären Behandlung
wurde bei 95,8% der mit Verum behandelten Patienten
und bei 96% der Kontrollpatienten mit sehr gut oder
gut bewertet. Die „intent-to-treat" Analyse zeigte
nahezu identische Ergebnisse: 96% in der Verumgruppe im Vergleich zu 96,1% in der Kontrollgruppe.
LABORUNTERSUCHUNGEN
Keiner der untersuchten klinisch-chemischen und
hämatologischen Variablen (Elektrolyte, Glucose,
Harnstoff, Kreatinin, Bilirubin, Harnsäure, alkalische
Phosphatase, ASAT, ALAT, Gamma-GT, Hb, Hämatokrit, Erythrozyten, Leukozyten, Differentialblutbild)
zeigte auffällige Gesamtveränderungen oder Unterschiede zwischen den beiden Behandlungsgruppen bei
der ersten und letzten Untersuchung. Die BKS war
leicht rückläufig (-0,44 mm/h) bei den mit Verum
behandelten Patienten, während eine geringfügige
Zunahme (0,25 mm/h) in der Kontrollgruppe beobachtet wurde. Das C-reaktive Protein, das entweder quantitativ oder qualitativ gemessen wurde, lag meist innerhalb des Normbereichs und zeigte keine wesentlichen
Veränderungen in beiden Gruppen.
UNERWÜNSCHTE EREIGNISSE
Unerwünschte Ereignisse, die wahrscheinlich mit der
Behandlung zusammenhängen und die als Nebenwirkungen des Medikaments selbst oder der Gelenkmanipulation anzusehen sind, wurden von vier der 102 Patienten (sechs Ereignisse) in der Verumgruppe und fünf
der 107 Patienten in der Kontrollgruppe berichtet. Sie
beschränkten sich auf schmerzhafte Reaktionen mit
oder ohne Schwellung im behandelten Kniegelenk und
waren alle von geringer Intensität und kurzer Dauer.
Systemische unerwünschte Ereignisse wurden als allergische Reaktionen bei vier Patienten der Kontrollgruppe dokumentiert; keine dieser Reaktionen stand im
Zusammenhang mit der intraartikulären Behandlung.
Unerwünschte Ereignisse während der gesamten
Behandlungs- und Nachbeobachtungszeit,
Zahl der Patienten :
Verum (n= 102) Kontrollpräparat (n= 107)
Lokale Reaktionen am Injektionsort
Schmerz im Knie
3
Schmerz im Knie und Erguß
1
Wärmegefühl im Knie
Spannungsgefühl im Knie
Interkurrente Erkrankungen
LW Fraktur bei Osteoporose
1
Bizepsehnenruptur
Baker-Zyste
1
Ischialgie
1
Herzinfarkt
Hamwegsinfektion
Brustkrebs
Andere Ereignisse
Kniegelenkersatz
1
Erguß im unbehandelten Knie
1
Interkurrente Erkrankungen traten bei drei Patienten
der Verumgruppe und bei vier der Kontrollgruppe auf,
sie standen offensichtlich in keinem ursächlichen oder
zeitlichen Zusammenhang mit dem Prüfpräparat. Zwei
weitere mit Verum behandelte Patienten mußten aus
studienunabhängigen Gründen stationär behandelt
werden .
DISKUSSION
Das Konzept der intraartikulären Substitution von
hochmolekularem Hyaluronat zur Verbesserung der
Viskoelastizität und Gleitfähigkeit bei der Arthrose
basierte ursprünglich auf dem Befund einer verringerten Konzentration, Polymerisation und eines verminderten Molekulargewichts des körpereigenen synovialen Hyaluronan bei entzündlichen und degenerativen
Gelenkerkrankungen. Es wird postuliert, daß
die Viscosupplementation mit Hyaluronat die Matrix-
1
2
2
1
1
1
1
-
komponenten und die Zellen des Knorpels und Synovialgewebes vor mechanischer Belastung schützt und
eine Linderung der Schmerz Symptomatik durch
Abdeckung der Nozizeptoren in der Gelenkkapsel
induziert. Ergebnisse experimenteller Studien
legen nahe, daß neben einem derartigen, im wesentlichen mechanischen Effekt möglicherweise andere
Wirkungsmechanismen zum therapeutischen Potential
des Wirkstoffes beitragen: Stimulierung der endogenen Synthese von hochpolymerem Hyaluronan, Unterdrückung der Infiltration von Entzündungszellen durch
Hemmung der Lymphozyten-Migration und der
Makrophagen-Mobilität und eine Normalisierung des
Proteoglykanstoffwechsels in der Grundsubstanz durch
Interaktion mit Chondrozyten sowie durch eine Unter
drückung des Proteoglykanabbaus, können
möglicherweise mit pathogeneti sehen Mechanismen
bei der Arthrose interagieren und sogar regenerative
Prozesse im Gelenk auslösen. Es muß aber darauf hin
gewiesen werden, daß nur hochpolymeres Hyaluronan
die genannten Eigenschaften und biologischen Funk
tionen besitzt. Bei akut entzündlichen Zuständen könnte die Freisetzung von Hydroxylradikalen und lysosomalen Enzymen aus polymorphkernigen Leukozyten
zu einer erhöhten Depolymerisation führen.
Die vorliegende Studie wurde geplant, um bei Patienten mit Gonarthrose die Wirksamkeit und Verträglichkeit von fünf in wöchentlichem Abstand verabreichten intraartikulären Injektionen von 25 mg NaHyaluronat/2,5 ml zu untersuchen. Dieses Behandlungsschema ist auf der Basis klinischer Wirksamkeitsund Dosisfindungsstudien in Japan zugelassen und findet dort breite therapeutische Anwendung.
Das Hauptinteresse galt dem Zeitraum bis zum Einsetzen einer Besserung sowie dem Ausmaß dieser Besserung, die mit dem Lequesne-Index, einer in Europa
zur Beurteilung von Medikamenten bei der Arthrose
offiziell empfohlenen Methode, objektiviert werden
sollte. Da in der Literatur nur unzureichende Informationen zur Dauer der therapeutischen Wirkung vorlagen, sah der Prüfplan Nachuntersuchungen und eine
letzte Patientenbefragung 3 Monate nach Abschluß der
Behandlung vor. Da ein allgemein anerkanntes Vergleichsprodukt fehlt, wurde eine stark verdünnte
Lösung von Na-Hyaluronat (0,25 mg/2,5 ml) als Kontrollpräparat gewählt. Diese Konzentration wurde als
pharmakologisch deutlich weniger wirksam angenommen, ohne dem Patienten einen möglichen therapeutischen Nutzen des Medikaments zwangsläufig vorzuenthalten.
Das erste Hauptzielkriterium, die Abnahme des
Lequesne-Scores, zeigte ein frühes Einsetzen einer
Besserung in beiden Behandlungsgruppen. Der Score
nahm bis zum Ende der Behandlung weiterhin in beiden Gruppen ab. Vor allem in der Verum-Gruppe war
auch nach Behandlungsende eine zunehmende Besserung erkennbar. Für den Zeitraum nach der dritten
Injektion zeigten die mit Verum behandelten Patienten
eine signifikante Überlegenheit. Das Ausmaß der
erzielten Besserung ist erheblich, wenn man bedenkt,
daß bei Ausgangswerten von etwa 10 Punkten, wie sie
in unserem Patientengut vorlagen, ein NSAID bei Gonarthrose den Lequesne-Score nach Wirkungseintritt im
allgemeinen um nicht mehr als zwei bis drei Punkte
senkt. Das positive Ansprechen der Kontrollgruppe
ist möglicherweise nicht nur eine Folge der Verabreichung der niedrig konzentrierten Hyaluronatlösung,
sondern auch das Resultat der wiederholten intraartikulären Injektionen selbst. Der erhebliche Nutzen von
intraartikulären Placeboinjektionen bei Gonarthrose ist
aus der Literatur gut bekannt. Dabei mag die
ärztliche Führung des Patienten ebenfalls eine Rolle
spielen.
Die anhaltende Besserung bis zur letzten Untersuchung zwei Monate nach der Behandlung ist ein weiteres interessantes Ergebnis. Dies wirft die Frage auf,
inwieweit medikamentös induzierte Prozesse im
arthrotischen Gelenk zum Tragen kommen, die die
Krankheitserscheinungen mehr als nur vorübergehend
beeinflussen können.
Die größere Wirksamkeit, die bei den Patienten der
niedergelassenen Orthopäden im Vergleich zu den Klinikpatienten beobachtet wurde, könnte das Ergebnis
einer engeren Arzt-Patient-Bindung in diesem Bereich
sein im Sinne eines besonderen Vertrauensverhältnisses des Patienten zu seinem Arzt und einer intensiven
Betreuung. Die von den Prüfärzten in den Kliniken
beobachteten Ergebnisse zur Wirksamkeit zeigten die
gleiche Tendenz wie die Resultate einer Na-Hyaluronat-Studie in Japan, die vorwiegend in Klinikzentren
durchgeführt wurde.
Der individuelle Verbrauch des Ausweichanalgetikums, der die Schmerzsituation des Patienten reflektie¬
ren sollte, wurde als zweites Hauptzielkriterium
gewählt, da ein Einfluß auf den Lequesne-Score erwar¬
tet wurde. Der Analgetika-Verbrauch unterschied sich
aber im Gegensatz zum Lequesne-Index nicht zwi¬
schen den Behandlungsgruppen. Der Paracetamol-Ver¬
brauch hing anscheinend eher von der Einflußnahme
des Arztes und von der Grundeinstellung des Patienten
gegenüber der Einnahme eines zusätzlichen Medikamentes ab, als vom Ausmaß der Beschwerden. Die Tatsache, daß sowohl während der Auswaschphase als
auch der eigentlichen Studie keine eindeutige Korrelation zwischen dem Schweregrad der Symptome und
der Einnahme des Analgetikums erkennbar war,
spricht für diese Annahme.
Die weiteren Untersuchungen zur Beurteilung der
Symptomatik, die als sekundäre Wirksamkeitskriterien
dienten, zeigten durchgehend Besserung in beiden
Behandlungsgruppen auf. Es war eine klare Tendenz
zugunsten des Verum zu erkennen, insbesondere bei
der Schmerzbeurteilung durch den Patienten sowie bei
der Beurteilung des Ruhe- und Anlauf Schmerzes durch
den Arzt. Die Unterschiede zwischen den Gruppen
waren weniger deutlich bei den Symptomen Belastungsschmerz, Gelenkerguß und Krepitation. Das gleiche gilt für die
subjektive Einschätzung des therapeutischen Ergebnisses durch Arzt und Patient, bei der
die Rate guter und sehr guter Bewertungen sogar bei
der Kontrollgruppe nahezu 60% betrug. Man kann
lediglich spekulieren, ob dieses Ergebnis eine unzureichende Trennschärfe der 4-Punkte-Befragung (Regression auf den Mittelwert) und einen erheblichen Einfluß
der intraartikulären Injektion selbst widerspiegelt.
Das Ergebnis der Verträglichkeitsanalyse zeigt, daß
die intraartikuläre Injektion von Na-Hyaluronat sehr
gut vertragen wird (lokal und systemisch); seltene und
vorübergehende Reaktionen am Applikationsort stehen
vermutlich nicht mit dem Medikament, sondern mit der
Applikationsart im Zusammenhang.
Die Ergebnisse dieser Multizenterstudie haben erneut
den therapeutischen Nutzen einer intraartikulären
Behandlung der Gonarthrose mit hochmolekularem
Na-Hyaluronat belegt. Die Verbesserung des Lequesne-Index, der von der WHO/Eular empfohlen und von
europäischen Zulassungsbehörden akzeptiert wird,
korreliert gut mit den Ergebnissen aus früheren Studien, die in anderen Ländern, mit anderen ethnischen
Gruppen und unterschiedlichen Variablen zur Beurteilung der symptomatischen und funktionellen Besserung durchgeführt wurden, sowie mit den Befunden kürzlich bekannt gewordener, weiterer klinischer
Studien. Die positive Wirkung scheint nicht
sofort einzutreten oder nur vorübergehend zu sein, da
die Besserung während der Dauer der Behandlung allmählich zunahm und danach für die gesamte Nachbeobachtungszeit von 2 Monaten anhielt. Betrachtet man
das begrenzte therapeutische Arsenal, das für eine gut
verträgliche und wirksame Behandlung von degenera
tiven Gelenkerkrankungen zur Verfügung steht, ist die
intraartikuläre Substitution von Na-Hyaluronat eine
vielversprechende Alternative in der Behandlung von
Gonarthrosebeschwerden.
Ob substituiertes Hyaluronat möglicherweise im
Sinne einer Beeinflussung pathogenetischer Prozesse
bei der Arthrose eine Rolle spielt, läßt sich zum jetztgen Zeitpunkt nur vermuten; dies müßte Gegenstand
weiterer Untersuchungen werden.
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