forschungsschwerpunkte

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PD Dr. Nicola Baumann
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FORSCHUNGSSCHWERPUNKTE
Selbst- und Fremdbestimmung
Wovon hängt es ab, ob wir uns Einstellungen, Wünsche und Ziele, die von
außen an uns herangetragen werden, zu eigen machen können? Welche Wünsche
und Ziele passen wirklich zu einem selbst? Diese Fragen betreffen den Prozess der
Internalisierung. Im Mittelpunkt meiner Forschung steht die Untersuchung einer
konflikthaften Form der Internalisierung, die ich „Selbstinfiltration“ oder
„fehlinformierte Introjektion“ nenne. Sie ist gekennzeichnet durch eine ungeprüfte
Übernahme fremder Ziele. Auf einer bewussten Ebene glauben Personen, ein Ziel
selbst zu wollen, während es tatsächlich nicht in das implizite System eigener Ziele,
Werte und Bedürfnisse integriert ist.
Zur Messung von Selbstinfiltration setze ich ein nicht-reaktives Verfahren ein,
das auf Gedächtnisfehlern bei der Frage nach der Quelle von Zielwahlen beruht:
Eine Neigung zur Selbstinfiltration liegt vor, wenn Personen objektiv fremdinduzierte
Tätigkeiten häufiger für selbstgewählt halten als Tätigkeiten, die von keinem gewählt
worden sind. Die Persönlichkeitsvariablen und situativen Randbedingungen, die eine
Neigung zur Selbstinfiltration fördern, sind inzwischen empirisch gut belegt
(Baumann & Kuhl, 2003; Kazén, Baumann & Kuhl, 2003): Selbstinfiltration tritt auf,
wenn Personen in einer negativen Stimmung sind, die sie nicht herabregulieren
können. Lageorientierte Personen sind durch ein derartiges Defizit in der
Selbstregulation von Affekten gekennzeichnet. Die Neigung zur Selbstinfiltration
scheint eher mit links- als mit rechtshemisphärischen Verarbeitungsprozessen
assoziiert zu sein (Baumann, Kuhl & Kazén, 2005).
Ausblick: Ich möchte der Frage nachgehen, ob auch implizite Einstellungen
(z.B. gegenüber fettreicher Nahrung) introjiziert sein können. Welche Rolle spielt das
Geschlecht? Darüber hinaus möchte ich die neuropsychologische Basis der
Selbstinfiltration untersuchen. Ferner interessiert mich der Zusammenhang zwischen
dem ‚Stresshormon’ Cortisol und Selbstinfiltration. Welche Schutzfaktoren gibt es
gegen eine Neigung zur Selbstinfiltration. Was moderiert die Tendenz zur
Externalisierung (d.h. der falschen Fremdzuschreibung ursprünglich selbstgewählter
Tätigkeiten)?
Motivation: Bedürfniskongruente Zielorientierungen
In der Motivationsforschung hat sich die Differenzierung zwischen impliziten
und expliziten Motiven etabliert, die mit unterschiedlichen Methoden erfasst werden
(projektiver Test vs. Fragebogen). In eigenen Untersuchungen habe ich personenund situationsseitige Faktoren identifiziert, die zu einer erhöhten Inkongruenz
zwischen impliziten und expliziten Motivsystemen führen. Darüber hinaus konnte ich
zeigen, dass das Streben nach ungewollten Zielen ein verborgener Stressfaktor ist,
der psychosomatische Symptome vermittelt (Baumann & Kuhl, 2005).
Ausblick: Die Bedeutung der Motivinkongruenz wurde bisher im Bereich des
Leistungsmotivs sichergestellt. Ich möchte in meiner zukünftigen Forschung
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überprüfen, inwieweit implizit/explizit Kongruenzen auch in anderen Motivbereichen
bedeutsam sind. Ferner interessiert mich die Bedeutung von impliziter/expliziter
Kongruenz im Affektbereich. Inzwischen gibt es gute Verfahren zur Messung
impliziter Affekte.
Affektivsensibilität und Affektregulation
Viele Persönlichkeitsdimensionen beschreiben die affektive Erstreaktion auf
emotionale Ereignisse, d.h. wie schnell eine Person in eine negative Stimmung
hinein gerät (Affektsensibilität). Ein weiterer wichtiger Aspekt für persönliches
Funktionieren ist die affektive Zweitreaktion auf emotionale Ereignisse, d.h. wie
schnell eine Person aus einer einmal eingetretenen negativen Stimmung wieder
heraus kommt (Affektregulation). Beide Komponenten lassen sich separat erfassen
und zeigen immer wieder Dissoziationen. Intuitive Urteile der semantischen
Kohärenz zwischen schwach assoziierten Wörtern werden z.B. durch negativen
Affekt erschwert, wenn Personen negativen Affekt nicht herabregulieren können, d.h.
lageorientiert sind (Baumann & Kuhl, 2002). Die Effekte der Lageorientierung sind
dabei unabhängig von der Sensibilität für negativen Affekt (Neurotizismus).
Ausblick: In weiteren Projekten möchte ich zwei Suchrichtungen verfolgen.
Zum einen möchte ich aufzeigen, dass phänomenal Ähnliches durch sehr
verschiedene funktionale Mechanismen gesteuert sein kann. Hoch korrelierende
Konstrukte (z.B. Neurotizismus und Lageorientierung) dissoziieren funktional (z.B. im
Sinne von Affektsensibilität vs. Affektregulation). Zum anderen möchte ich zeigen,
dass phänomenal Unterschiedliches durch einen gemeinsamen funktionalen
Mechanismus gesteuert sein kann: So liegt den recht unterschiedlichen
Phänomenen wie Introjektion, Entfremdung und Grübeln ein gemeinsamer
Mechanismus (im Sinne von Affektregulationsdefiziten) zugrunde.
Persönlichkeitsinteraktionen
Meine Forschung ist geleitet von der Idee, dass sich Persönlichkeit durch die
dynamische Interaktion zwischen grundlegenden affektiven und kognitiven Systemen
beschreiben lässt. Während viele Persönlichkeitseigenschaften die Disposition
erfassen, einzelne dieser affektiven und kognitiven Systeme zu aktivieren, ist das
dynamische Wechselspiel zwischen den verschiedenen Systemen
(Persönlichkeitseigenschaften) besonders informativ. In meiner aktuellen Forschung
konnte ich z.B. belegen, dass sich eine starke Ausprägung der intrinsischen Variante
des Leistungsmotivs, die durch Flow-Erleben und volitionale Effizienz begleitet ist,
durch die Interaktion zweier Persönlichkeitseigenschaften vorhersagen lässt. Frühe
Unabhängigkeit (z.B. eine schizoidartige oder vermeidende Persönlichkeit) motiviert
Personen dazu, Flow im Leistungsbereich aufzusuchen, wenn sie mit Handlungsoder „Mastery“-Orientierung einhergeht.
Ausblick: Durch die Betrachtung von Interaktionen zwischen Persönlichkeitseigenschaften (bzw. –systemen) kann sich die Bewertung von Eigenschaften
verändern. Eine Eigenschaft, die häufig eher negativ bewertet wird (z.B. ein
vermeidender Bindungsstil), kann ein wertvolles Potential darstellen, wenn sie in
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Kombination mit einem bestimmten anderen Merkmal auftritt (z.B.
Handlungsorientierung). Diesen dynamischen Blick auf Persönlichkeit möchte ich bei
der Untersuchung von Intuition, Flow, Versuchungsresistenz, Selbstkongruenz,
Terror Management, Rumination und vielen anderen Phänomenen fortsetzen.
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