Mit 16 wahlunfähig Gängige Argumente gegen die Senkung des Wahlalters kritisch beleuchtet Das Unterrichts- und Wissenschaftsministerium haben gestern eine Studie des Kolumnenautors zu den Meinungen 14- bis 24-Jähriger über Politik und politische Bildung vorgestellt. An sich hat das mit der Senkung des Wahlalters auf 16 Jahre nichts zu tun. Ein Ausbau der politischen Bildungsarbeit für alle Altersgruppen sollte davon unabhängig geschehen. Indirekt aber eröffnet Wählen mit 16 natürlich neue Chancen, endlich mehr für politische Bildung zu tun. Die gängigsten Gegenargumente sind daher kritisch zu durchleuchten. 1. Junge Menschen seien besonders politisch verdrossen und/oder desinteressiert. Das ist insofern eine Falschaussage, als sich 16- bis 17-Jährige diesbezüglich nicht von vermeintlich reifen Erwachsenen unterscheiden. Zugleich fordern Jugendliche viel stärker politische Bildung ein. Außerdem wird das politische Interesse durch Möglichkeiten der Mitbestimmung am besten gefördert. Ausgrenzung dient kaum der demokratischen Motivation. Gezielt zu fördern wären daher Subgruppen - etwa Lehrlinge - mit einem besonders niedrigen Politikbezug. 2. Eine Mehrheit der Jugendlichen will gar nicht wählen. Das ist statistisch richtig, doch kommt es dabei auch darauf an, wie man den Begriff Jugend definiert: 14- bis 17-jährige stimmen der Senkung des Wahlalters nämlich viel mehr zu 18- bis 24-jährige. Ein bisschen erklären also große Brüder und Schwestern (sowie deren Eltern) den Betroffenen, was diese angeblich wollen. 3. Jugendliche werden in Schulen indoktriniert. Dahinter steht als Unterstellung, Schüler würden von Parteikadern mit Schaum vor dem Mund und tonnenweise Propagandamaterial überrollt. Woher wissen wir das? Viel mehr als ungesetzliche Versuche der Einflussnahme ist in Bildungseinrichtungen eine Nicht-Auseinandersetzung mit Politik und Politikern gang und gäbe. 4. Wählen mit 16 könnte der Partei X oder Y nützen. Ja, natürlich haben etwa Grüne in der Stadt bei den 16- und 17-jährigen einen Wettbewerbsvorteil. Doch handelt es sich insgesamt um knapp über zwei Prozent der Wähler, welche sich auf mindestens fünf Parteien aufteilen. Das Wahlergebnis wird anderswo entschieden. Beispielsweise gibt es mehr als doppelt so viele über 80-Jährige. 5. In Europa wählen alle erst mit 18 Jahren und Brasilien oder Nicaragua wären kein gutes Vorbild. Auf nationaler Ebene ist es so. Trotzdem kann etwas, das sich bei uns und in Deutschland auf Gemeinde- und Länderebene bewährt hat, mit bildungspolitischem Flankenschutz auf den Bund übertragen werden. Österreich soll ruhig einmal Erster sein. 7. Jugendliche dürfen mit 16 Jahren nicht wählen, weil Autofahren mit 18 erlaubt ist. Bis zur vollen Strafmündigkeit gibt es massenhaft Vergleiche wider jedwede Differenzierung im Rechtssystem. Als Nächstes argumentiert vielleicht jemand, das Wahlrecht mit der gesetzlichen und/oder realen Geschlechtsreife zu verknüpfen. Nach dem Motto, wer schon oder erst miteinander ins Bett geht, darf ein Fahrzeug lenken, länger eingesperrt werden oder wählen. 8. Jugendliche sind auf ihr Wahlrecht unzureichend vorbereitet. Das ist als Einwand berechtigt und als Herausforderung anzunehmen. Wählen mit 16 allein ist zu wenig. Von strukturellen Veränderungen der Schulfächer bzw. Lehrpläne und Universitätsstudien bis zu einem Netzwerk von Jugend- und Basisinitiativen muss vieles geschehen. Bundes- und Landesregierungen sind daran zu messen, ob sie es verstehen, inhaltliche Schwerpunkte nachzureichen. Für mehr Demokratiequalität. (von Prof. Dr.Peter Filzmaier / DER STANDARD, 9. Mai 2007 http://derstandard.at/Text/?id=2873174) Es wäre wohl um 1919 in Österreich ohne Probleme möglich gewesen, das geringe politische Interesse eines Großteils der Frauen zu belegen. Wäre das ein schlüssiges Argument gegen das Frauenwahlrecht gewesen? Die Presse 11.5.07 Der Meinungsforscher Andreas Kirschhofer stellt in der „Presse“ vom 27. April dem politischen Wissen und Interesse der Jungen ein schlechtes Zeugnis aus. IMAS-Chef Kirschhofer hat recht – kann er sich doch auf die entsprechenden Daten stützen. Und er fügt hinzu: „Auch in den höheren Altersgruppen ist es mit der politischen Bildung schlecht bestellt“. Auch da hat er Recht. Nur: Die Schlussfolgerungen, die Kirschhofer zieht, richten sich indirekt, aber eindeutig nur gegen die politischen Rechte einer Gruppe – gegen die der 16- bis 18-Jährigen. Warum diese Einseitigkeit? Natürlich: Es geht gegen die Ausweitung des Wahlrechtes auf diese Gruppe. Und mit dieser Tendenz, empirisch richtige, aber überinterpretierte Befunde in einen erkennbar polemischen, tagespolitischen Kontext zu bringen, stellt sich Kirschhofer in einen interessanten, auch historischen Zusammenhang Es wäre wohl um 1919 in Österreich ohne Probleme möglich gewesen – wären die Instrumente der empirischen Sozialforschung schon zur Verfügung gestanden, das geringe politische Interesse eines Großteils der Frauen zu belegen; und den geringen Bildungsstand dieser Mehrheit der Bevölkerung. Vielleicht wären auch Belege vorgelegen, dass die Mehrzahl der Frauen nicht alle Parteien benennen konnte, die für die Wahl der Konstituierenden Nationalversammlung kandidierten. Wäre das ein schlüssiges Argument gegen das Frauenwahlrecht gewesen? Wahlaltersenkung kein Wundermittel Es wäre auch heute leicht, den Nachweis zu erbringen, dass zum Beispiel Menschen im Alter zwischen 75 und 85 Jahren weniger über die Einrichtungen der EU Bescheid wissen als Menschen zwischen 25 und 35 – wäre das ein Grund, über das Wahlrecht der Alten nachzudenken? Es wäre auch kein Problem, zu zeigen, dass Studierende der Politikwissenschaft mehr vom Wirken der Sozialpartnerschaft gehört haben als Studierende des Maschinenbaues – wäre das ein Anlass, das Stimmrecht der Letzteren mit einem Fragezeichen zu versehen? Die Senkung des Wahlalters von 18 auf 16 Jahre ist kein Wundermittel, um das politische Interesse der Jungen massiv zu fördern oder gar die Qualität der Demokratie entscheidend zu verbessern. Aber diese Senkung ist erst recht kein Grund, so zu tun, als würde ein Kreis von politisch höchst Interessierten und unermüdlich Aktiven durch das Hinzutreten von Desinteressierten und Passiven erheblich gestört. Kirschhofers Sicht ist überaus selektiv. Die Ausweitung des Wahlrechtes zugunsten einer Bevölkerungsgruppe, von der aus guten Gründen anzunehmen ist, dass sie bei Wahlen gerade nicht die beiden Regierungsparteien überdurchschnittlich bevorzugen wird, hätte ja auch der Anlass sein können, ein hohes Lied auf die beispielhafte Selbstlosigkeit von SPÖ und ÖVP zu singen: Seht her, da sind zwei Parteien an der Regierung, die davon ausgehen müssen, von dieser Reform keine parteipolitischen Vorteile, ja vermutlich sogar Nachteile zu haben; seht her, und diese Parteien ziehen die Reform dennoch durch! Nicht aus Selbstlosigkeit Natürlich handeln SPÖ und ÖVP nicht einfach aus Selbstlosigkeit. Zu stark war der Druck auf dieser Koalition, der eine historische Mission, eine „Agenda“ fehlt, irgendetwas zu beschließen, das sie als wichtige Reform hinzustellen vermag. Einem simplen Markt- und damit Machtkalkül aber, das jede Entscheidung vom unmittelbaren Nutzen für die eigene Partei abhängig macht, entspricht die Ausweitung des Wahlrechtes jedenfalls nicht. Andreas Kirschhofer ist zuzustimmen, wenn der darauf verweist, dass das „Ideal des mündigen Bürgers ... noch in sehr weiter Ferne“ ist. Es wäre ihm auch zuzustimmen, hätte er auf das fast schon optimistisch wirkende „noch“ verzichtet. Kirschhofer ist aber gar nicht zuzustimmen, wenn er – kaum verschleiert – eine besondere generelle Skepsis anmerkt: „Ist die Bevölkerung über ein relativ bescheidenes Maß hinaus politisch lernfähig?“ Hier geht es plötzlich nicht mehr „nur“ um die politische Mündigkeit der 16- bis 18-Jährigen. Hier geht es um „die Bevölkerung“ schlechthin. Kirschhofer wendet sich damit gegen die Grundannahme der Demokratie: dagegen nämlich, dass „die Bevölkerung“ mündig ist, dass sie reif ist für die Demokratie; und dass kein Nachweis des mangelnden Interesses und der mangelnden Bildung etwas an dieser Annahme zu ändern vermag. Ablehnung der Demokratie? Kirschhofer wendet sich, indem er sich so über „die Bevölkerung“ äußert, letztlich gegen das allererste Axiom der Demokratie. Die Ablehnung dessen läuft mit immanenter Logik auf die Ablehnung der Demokratie hinaus. Wer sich darauf einlässt, die Mündigkeit „der Bevölkerung“ von empirisch messbaren Details abhängig zu machen, landet schließlich bei der Ablehnung der Demokratie. Vertreter des Absolutismus und der Männerherrschaft und der Apartheid haben ja immer schon gewusst, dass „das Volk“ oder „die Frauen“ oder „die Schwarzen“ nicht oder zumindest noch nicht reif sind, um am politischen Prozess gleichberechtigt beteiligt zu werden. Und diese Vertreter der alten Ausschließung haben immer auch ihr Urteil mit im Detail oft nur zu richtigen Befunden untermauert: Landarbeiter und Hausfrauen und Farbige waren ganz einfach zumeist weniger gebildet als Feudalherren oder Großbürger oder Latifundienbesitzer. Aber diese Momentaufnahmen, restriktiv interpretiert, dienten letztlich immer nur einem Ziel: der Sicherung der Herrschaft der einen, die vom Ausschluss der anderen profitierten. Schließlich erhielten aber alle diese unzureichend gebildeten Landarbeiter und Hausfrauen und Farbigen doch das Stimmrecht – und siehe, die Demokratie ist, wie sie ist. Natürlich hat diese Parallele ihre Grenzen. Ob 17-Jährige wählen dürfen oder nicht, das ist – nach unserem heutigen Verständnis – keine Grundfrage der Demokratie. Das ist vielmehr eine Frage, die im Rahmen der Demokratie unterschiedlich beantwortet werden kann. Und solange man nicht in den Irrtum verfällt, am Wahlrecht der 17-Jährigen entscheide sich die Zukunft der Demokratie, spricht einiges – durchaus pragmatisch – für die Ausweitung: nach dem Grundsatz, dass im Zweifel nicht für weniger, sondern für mehr Rechte zu optieren ist. Zum Glück für unsere niemals perfekte Demokratie hat Kirschhofer in seinem Beitrag in einem Punkt vollkommen Unrecht: Sein angedeuteter, sein implizierter Pessimismus, dass politische Bildung und Aufklärung keine dauerhafte Wirkung hätten, widerspricht der gesicherten Erfahrung. Von der vor allem von den Alliierten geförderten „re-education“ in Deutschland und Japan nach 1945 bis hin zum eindeutig erkennbaren Zusammenhang zwischen Bildung und Anti-Antisemitismus in Österreich (und anderswo) gibt es einen eindeutigen Befund: Politische Bildung zahlt sich aus. Sie schafft nicht „das Ideal des mündigen Bürgers“, sie verbessert aber sehr wohl die Voraussetzungen für die Demokratie. Anton Pelinka iseit September 2006 Prof. für Politikwissenschaft und Nationalismusstudien an der Central European University Budapest Die Presse 11.5.2007 www.diepresse.at/home/meinung/gastkommentar/303289/print.do