Peter Hunziker Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft (aus: Medien, Kommunikation und Gesellschaft: Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996) Abstract Der Artikel behandelt den Einfluss, welchen die (Massen)Medien auf die Entwicklung der modernen Gesellschaft ausüben. Anhand verschiedener Ansätze erläutert er die Medien als eigenes System. Weiter deren Einwirkungen auf die politische und die öffentliche Meinungsbildung und deren Macht in Bezug auf diesen Prozess. Abschließend geht er noch auf die These über die größer werdende Wissenskluft ein. Schlagwörter Kommunikaiton, Gesellschaft, Medien, Massenmedien, Macht, Integration, Wissenskluft, Öffentlichkeit, Agenda-Setting-Hypothese Jasmin Haider Matrikelnummer 0248008, Studienkennzahl 033 641 696511 VO Medienpädagogik: Medienbildung, Medienkompetenz, Medienkultur Univ.-Prof. Dr. Thomas A. Bauer, Institut für Publizistik- und Kommunikationswissenschaft, Universität Wien, , WS 2004/2005 Der Text von Peter Hunziker befasst sich mit der Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft1. Das globale Kommunikationsnetz unserer modernen Gesellschaft ermöglicht eine rasche Verbreitung und eine uneingeschränkte Reproduktion von Kommunikationsinhalten aller Art. Um dieses Netzwerk der Kommunikation zu interpretieren wird u.a. die „funktionale Analyse“ herangezogen. Diese dient dazu die nötigen theoretische Vorüberlegungen zu beleuchten, und stellt die Frage, inwiefern die untersuchten sozialen Phänomene zum Fortbestehen der sie umgebenden Gesellschaft oder Kultur beitragen. Um die Medien einer solcher Analyse unterziehen zu können, müssen sie als erstes als gesellschaftliches Subsystem verstanden werden. Nach der funktionalen Analyse lassen sich zwei Subsysteme ableiten: das Produktions- und das Verteilungssystem. Das für diese Subsysteme relevante Umfeld gliedert sich wiederum in das wirtschaftliche System, welches von werbetreibenden Firmen geprägt ist, das politische System, das die gesetzlichen Rahmenbedingungen liefert und das Publikum mit seinen unterschiedlichen Ansprüchen. Setzt man all diese Faktoren in Verbindung zu einander, so ergibt sich daraus der Kontext, dass mediale Produktionssysteme als Verteilungssysteme von der finanziellen Zuwendung der Wirtschaft abhängig sind. Als Gegenleistung werden von den Medien Werberaum bzw. Publikumskontakt geboten, was eine gewisse Möglichkeit der Einflussnahme bedeutet. Der unmittelbare Einfluss der RezipientInnen auf die Medien beschränkt sich lediglich darauf, die angebotenen Inhalte anzunehmen oder abzulehnen durch Konsumverzicht. Diese Zusammensetzung weist allerdings eine starke Abhängigkeit der Medien von der Wirtschaft auf, woraus sich Medieninhalte ableiten, die auf niedrigem Niveau den Geschmack der breiten Masse ansprechen (low-taste-content). Auf diese Art und Weise liefern die Medien aber auch einen wichtigen Beitrag zur 1 Hunziker, Peter: Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft; aus: Medien, Kommunikation und Gesellschaft: Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996, S. 98 - 125 1 Stabilisierung des gesellschaftlichen Gesamtsystems, indem sie Werthaltungen der breiten Masse wiederspiegeln und auch durch ihren Unterhaltungseffekt von Problemen ablenken. Woraus sich wiederrum eine pädagogische Wirkung ergibt. Die sozialwissenschaftliche Systemtheorie liefert Anregungen zur Weiterentwicklung dieses Ansatzes. Sie unterteilt die soziale Umwelt, in der die Massenmedien eingebetet sind in mehrere Ebenen. Erstens die Gesellschaften in der die Massenmedien eingebettet sind, also die Elite und das Massenpublikum, zweitens die außenstehende Gesellschaften, welche dem ersten politischem, kulturellem und wirtschaftlichem nahe stehen bzw. es beeinflussen. Eine dritte Unterteilung umfasst jene Gesellschaften, die nur selten zum Gegenstand medialer Berichterstattung werden. Aus diesen Gefügen ergeben sich Austauschbeziehungen und in Folge dessen Abhängigkeiten, welche besonders intensiv zwischen den Mediensystemen und der Elite vorhanden sind. In diesem Fall ist also der funktionale Beitrag der Mediensysteme der, für eine Stabilisierung des Gesamtsystem gemäß dem Interesse der Elite zu sorgen. Eine pädagogische Wirkung die zu Denken geben sollte, da sie nur gewisse Inhalte zulässt. Die systemstabilisierenden Funktionen der Massenmedien können aber auch mit Hilfe der „materialistischen Medientheorie“ beleuchtet werden. Diese beruht im Großen und Ganzen auf Teilaspekten der kapitalistischen Warenzirkulation, d.h. die Medienproduzenten sind bestrebt, möglichst gewinnbringende Inhalte zu verbreiten. Es werden also auch nur dementsprechende Inhalte verbreitet um so die breite Masse in eine gewisse Richtung zu lenken. Zusammenfassend ist zu sagen, dass alle funktionalen Analysen der Massenkommunikation die Stabilisierung des bestehenden Gesellschaftssystems als zentral hervorheben. Bei dieser Stabilisierung ist aber auch der „Erziehungseffekt“ der Massenmedien nicht zu unterschätzen, worauf aber im folgenden noch näher eingegangen wird. 2 Machtpotential und Integrationspotential der Medien Um Macht auszuüben, muss man Menschen dazu bringen ihre Art zu Handeln einzuschränken. Die Medien spielen für diesen Prozess eine wichtige Rolle und dienen als Beeinflussungsinstrument. Diese Machtverteilung können die Medien allerdings durch ihre Selektionstätigkeit erheblich mitgestalten. Sie können zum Beispiel Politiker fördern oder zu Fall bringen. Systembedrohend wird dieser Einfluss der Medien dann, wenn eine radikalisierte journalistische Kritik vorherrscht, welche die politische Kultur zerstört. Aber auch bei der Schaffung einer Scheinöffentlichkeit, welche die legitimierte institutionelle Öffentlichkeit diskreditiert oder auch wenn sich die Medien selbst als zu mächtig ansehen und so zur Selbstlegitimierung gelangen. Als Integration wird das Bewusstsein der Zugehörigkeit der Individuen, Gruppe und Organisationen zur Sozialstruktur der Gesamtgesamtgesellschaft verstanden. Diese wird erreicht durch umfassende Information aber auch Integration von Randgruppen. Die Integrationsfunktion ist also ein Aspekt der die gesamte „Weltgesellschaft“ betrifft. Ein weiterer wichtiger Punkt in diesem Zusammenhang ist die Sozialisation, also das Hineinwachsen der Individuen in die Gesellschaft, indem sie eine generalisierende Darstellung der gesellschaftlichen Realität liefern. Sie „lernen“ den Menschen quasi was richtige Verhaltensweisen wären. Desintegrierende Effekte sind dann gegeben, wenn sich das Kommunikationsangebot, aus wirtschaftlichen und politischen Gründen, nur an einen Teil der Bevölkerung richtet, zum Beispiel nur an eine gewisse elitäre Schicht. Medien und kollektives Handeln Die moderne Gesellschaft ist einem ständigen Entwicklungsprozess unterworfen. Kollektives Verhalten ist in diesem Zusammenhang so zu definieren, dass das soziale Handeln durch eine gewisse vermittelte Vorstellung modifiziert wird. 3 Werden die gesellschaftlichen Ordnungsgefüge verändert, wird das soziale Verhalten gestört. Aus den daraus folgenden strukturellen Spannungen entwickeln sich neue Vorstellungen, die von vielen geteilt und so generalisiert werden. Dies führt zu einer Mobilisierung des Handelns und aktiviert Kontrollmechanismen. Ein neues Verhaltensmuster ist also geboren. Medien beeinflussen diesen Prozess erheblich mit, da sie mit ihren Inhalten eine breite Masse erreichen und so generalisierend wirken. Die Diffusionsforschung hat sich mit diesem Gebiet ausführlich beschäftigt. Diese besagt, dass zuerst eine Wahrnehmung einer Neuerung erfolgt (awareness), gefolgt von einem Interesse daran (interest), einem Bewerten der Neuerung (evaluation), dem versuchsweisen Anwenden (trial) und schließlich einer Übernahme der Neuerung (adoption). Die Medien beeinflussen kollektives Handeln aber auch über Mobilisierung, durch ihre enorme Reichweite. Abhängig ist dies „vom kollektiven Bewusstseinszustand und seinem Niederschlag in der generalisierten Vorstellung, sowie vom Machtpotential, das hinter dem Mobilisierungsappell steht“2. Medien und öffentliche Meinung Nach sozialpsychologischen Ansichten, bilden sich immer gemeinsame Normen und Wertvorstellungen. Verhaltensweisen und Meinungen die, will man nicht isoliert sein, einnehmen sollte. Vernachlässigt werden in diesem Konzept allerdings die gesellschaftlichen Funktionen der öffentlichen Meinungsbildung und es wird nicht unterschieden zwischen den Bedeutungen der Inhalte. Für den gesellschaftstheoretischen Ansatz, „ist die öffentliche Meinung ein funktionaler Bestandteil des politischen Systems“3, sie ergibt sich aus den politischen Vorstellungen der Bevölkerung. 2 Vgl. Hunziker, Peter: Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft; aus: Medien, Kommunikation und Gesellschaft: Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996; S. 111 3 vgl. w.o. S. 112 4 Im Laufe der Geschichte entwickelte sich eine ablehnende Haltung gegenüber populistischer Meinungsäußerung, die sich bis heute gehalten hat. Grundlegend hierfür ist das „elitäres“ Konzept, welches besagt, dass „sich die öffentliche Meinung hauptsächlich unter den am politischen Entscheidungsprozess aktiv Beteiligten herausbildet“4. Verantwortlich für diesen Vorgang sind das parlamentarische Regierungssystem, welches lediglich dafür sorgt, bereits in geschlossenen Gruppen vorgefasste Meinungen publikumswirksam zu verkaufen und die politische Presse. In diesem Zusammenhang werden die Forumspresse, welche unabhängig informier und die Meinungspresse genannt, die einzelne Gruppierungen oder politische Parteien vertritt5. Im Prozess der politischen Meinungsbildung unterscheidet man außerdem seit Entstehung der Massenpresse zwischen Elitepresse und populärer Unterhaltungspresse. Dies sollte insofern zu denken geben, dass die „Elite“ eine andere „Erziehung“ geniest als die breite Masse. Der Prozess der öffentlichen Meinungsbildung ist wesentlich von den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen abhängig. Von dem thematischem Feld, den sozialen Positionen der Träger der öffentlichen Meinung und den Adressaten der öffentlichen Meinung. Sowohl die Träger als auch die Adressaten spielen für die Massenmedien eine große Rolle, andererseits ist aber die Thematisierung der Medien wichtig für diese. Aus diesen Überlegungen lässt sich die Agenda-SettingHypothese ableiten. Diese besagt, dass die Medien bestimmen worüber wir nachzudenken haben, sie geben uns eine „Tagesordnung“ vor. Es geht um unsere Aufmerksamkeit, unser Wissen und Problembewusstsein gegenüber den täglich berichteten Ereignissen, Personen, öffentlichen Themen und Fragestellungen. Weiterführend ergibt sich das Wirkungskonzept der Schweigespirale, welches meint, dass die meisten Menschen der vermuteten Meinungsmehrheit zustimmen um der Isolation zu entgehen. 4 vgl. w.o. S 113 Vgl. Hunziker, Peter: Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft; aus: Medien, Kommunikation und Gesellschaft: Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996; S. 114 5 5 Medien und Wissensverteilung Mediensysteme beeinflussen die Verteilung der Wissensbestände in der Gesellschaft. Jeder eignet sich nur die für ihn passenden Wissensbestände an, woraus sich eine ungleichmäßige Verteilung ergibt. Daraus resultiert wiederum die These von der wachsenden Wissenskluft: wenn der Informationszufluss von den Massenmedien in ein Sozialsystem wächst, tendieren die Bevölkerungssegmente mit höherem sozioökonomischen Status und höherer Bildung zu einer rascheren Aneignung dieser Information, als die status- und bildungsniedrigeren Segmente, so dass die Wissenskluft zwischen ihnen größer wird. Schlussbemerkung Der Text behandelt im wesentlichen viele wichtige Teile der Kommunikationstheorie, schneidet diese aber nur an der Oberfläche an. Die pädagogische Wirkung der Massenmedien ergibt sich, nach meiner Auffassung, aus den Zusammenhängen von selbst und erscheinen völlig logisch. Bibliographie Hunziker, Peter: Wechselwirkungen zwischen Mediensystem und Gesellschaft; aus: Medien, Kommunikation und Gesellschaft: Einführung in die Soziologie der Massenkommunikation. wissenschaftliche Buchgesellschaft, Darmstadt, 1996, S. 98 - 125 Burkart, Roland: Kommunikationswissenschaft. UTB Verlag, Stuttgart 2002, 4. Auflage 6