MARIENKÄFER SETZT SICH AUF DEN KOPF EINES TOTEN Wir haben nicht genug von all diesen Bildern. Wir haben nicht genug von all den Bildern, die schon einmal da waren und nicht einmal von denen, die erst kommen werden. Gleichzeitig aber sind wir der Bilder schon so überdrüssig, dass sie uns anekeln. Wir werden von so vielen Bildern attackiert – Zeitschriften, die Wände in unseren Städten, die Kinoleinwände und die Fernsehbildschirme sind wie fiktive Museen, die uns unermüdlich visuelle Schwingung liefern! So viele Milliarden Bilder zerstören unsere Netzhäute und das Gehirn und beeinflussen in großem Ausmaß unsere Art zu lieben, zu essen, zu denken und zu trinken! ... Und an eben jener Kreuzung, an der die Bilder von heftigen Luftströmungen getrieben werden, die sie wegzudrücken versuchen, befindet sich František Janula. Seine neuen Gemälde erscheinen mir beispielhaft, nicht nur weil sie an dieser Bewegung aus Bulimie und Unwohlsein teilnehmen, sondern auch angesichts des Abbilds des Menschen am Ende des 20. Jahrhunderts und seiner Teilnahme an der Debatte über das Bild und die Ablehnung des Bildes – der Debatte, die vor mehr als sechzig Jahren von Malevitch und Mondrian begonnen wurde und die heute von mehr und mehr entgegensetzlichen Worten begleitet wird. Wenn wir über den heutigen Zustand der Avantgarde nachdenken, stellen wir fest, dass sie gegeneinander aber auch ruhig nebeneinander koexistieren, der Bilderkult, der noch so uninteressant, seicht und überflüssig sein kann, und zugleich der Widerwille gegen das Bild, der so hysterisch ist, dass es sich nicht nur um die eigentliche Flucht vor dem Bild handelt, sondern auch vor den Mitteln, die seiner Entstehung behilflich sind, wie der Leinwand, vor Farben und Pinseln, von denen wir uns mit Grauen abzuwenden versuchen! Es kommt mir vor, dass Janula extrem sensibel gegenüber der Absurdität ist, die aus dem für die gegenwärtige Avantgarde charakteristischen zwiefachen und gegenseitigen Verbot entsteht. Eine so unsinnige Absurdität wie die, wenn Ost und West sich einander politisch entgegenstellen und es keine andere Lösung gibt, als die Vernichtung des Feindes, was gleichzeitig jedoch Selbstmord wäre. Die Entscheidung Janulas mag von Zynismus oder Verzweiflung beeinflusst erscheinen, was im Übrigen Zustände sind, die einander oft begleiten: offene Feindschaft, das Schleudern eines Bildes auf ein anderes Bild und Unbild. Im Humor jedoch ist oder eher sind Taten gegenwärtig, Humor hat einen Hauch von Melancholie und vermählt sich mit gelber Leichenfarbe, vergessenem Violett und dem Rosarot vergessener Vergnügungen. Ein so in Bilder verliebter Mensch wie Janula muss doch Humor haben, um seine Bilder in Opposition stellen zu können, bis sie sich völlig stören? Ich glaube aber, dass wir uns täuschen würden, wenn wir dächten, dass dieser tschechoslowakische Maler sich auch nur einen Augenblick lang nach einer gegenseitigen Störung der Bilder sehnt. Es ist genau anders herum, mit Begeisterung mischt er Bilder und versucht herauszufinden, ob im Chaos zufälliger und unüberlegter Konflikte nicht explosive Bilder auftauchen, neue und unbekannte Wahrheiten, jungfräuliche, plötzlich aus dem gegenseitigen Zusammenstoß erstandene Bedeutungen. Etwas Anderes ist es, absichtlich misshellige Bilder zu verbinden, wie es Max Ernst in seinen Kollagen mit dem Ziel getan hat einen neuen Klang zu erhalten. Oder wie Fahlström und Rauschenberg, die beweisen wollten, dass alle Bilder ohne Unterschied aufeinander treffen können. Und um etwas Anderes geht es auch im Fall Janulas, der, ähnlich wie Max Ernst, an das freie Mischen jedweder Kalkulation glaubt, wie das bei Fahlström oder Rauschenberg der Fall ist, er liegt nämlich dem Ganzen ziemlich nahe und dies trotz grundsätzlicher Temperaments-, Stil- und Technikgegensätze, mit denen sich ein solcher Maler wie Errö befasst hat. Kurz gesagt, handelt es sich weder um Zynismus noch um Verzweiflung, aber stellen wir uns trotzdem die Frage: kann man in diesen geschwätzigen, absichtlich überfüllten und schamlos laxen Bildern eine ähnliche Poesie finden wie in den Bildern, die wir in bebilderten Zeitschriften und in der Werbung finden? Raubt ihnen die Art, wie er mit ihnen umgeht, nicht wenigstens teilweise ihre Grundsubstanz? Reißen sich diese durchsichtigen, unsicheren und wankenden Bilder nicht von den Wesen und Dingen los, die sie darstellen wollen? Es ist ähnlich wie bei den Dichtern, die eine Distanz zwischen den Worten und ihrer üblichen Bedeutung schaffen, um einem neuen Sinn einen Anfang geben zu können.… Das Symbol ist umso aufreizender, da es nicht vorsätzlich ist und nicht herausgeschrien wird. Beispielsweise: Janula gruppiert auf seinem Bild eine Vase, eine Blume und die Rückenansicht einer nackten Frau. Woanders wieder landet ein Marienkäfer auf dem Kopf eines Toten. Oder Geldscheine und Edelsteine, die wie Regen auf Kartoffeln fallen. Ein Gaffer mit Schnauzbart wird rot, weil er Frauen in intimen Momenten beobachtet. Aber auch die neuen Gemälde von Janula mit ihren wütenden Strukturen oder Landschaften mit knisternder Spitze, wie in Bildern, die bis 1900 gemalt wurden, können uns berühren, wo wir auf ein leuchtendes Stillleben oder eine elegante Präsentation verschiedener Rosenarten stoßen. Und auf das Eine oder Andere, da Janula Synthesen und unmögliche Kombinationen erschafft, die er unserem Blick vermittelt. Ist nicht der wahre Grund dieser Transparenz von Janulas Bildern jedoch die Tatsache, dass die mit Augen, Herz und Hand wahrgenommenen Bilder eingeengt sind, auch wenn sie eine zarte Versessenheit für weibliche Gegenwart ausdrücken? Bemüht sich František Janula nicht mittels dieser sich windenden, umgestürzten und verknitterten Bilder, eingehüllt in den zarten Schleier des Vergessens, um etwas Anderes als um ein Bild, das noch nie zu sehen war und der Realität mehr als die anderen schon gesehenen Bilder entspricht, die versteckte Sehnsüchte ausdrücken? Paris, 2. März 1973, José Pierre