Schriftsprache und Hörschädigung S: : Mo 14-16 Uhr; 1. FR./2.FR; WP 2:2 Aufbau; GF3:2; Z3/104 05.05.03 Einführung in die Thematik Bimüller Begriffliche Klärung Schriftbeispiele hörgeschädigter Jugendlicher 12.05.03 Wie wir lernen? Zum Beispiel Lesen und Schreiben. Ein Bimüller Erfahrungsexperiment Menzel, W. (1986) 19.05.03 Wesen der Schriftsprache Relationen zwischen Laut- und Schriftsprache z.B. Sassenroth (1991), Seminar Cholewa 26.05.03 Modellvorstellungen des Lesens und Schreibens z.B. Klicpera & Gasteiger-Klicpera(1998) 02.06.03 Schriftsprachkompetenz Kuhn, Rohde Cremer, Schulte E. (2002), Eisenwort u.a. (2002), Löwe(2001) 16.06.03 Funktion und Aneignung der Schriftsprache in der Schoener, Gehörlosenpädagogik Förster, Müller Günther (1985), v. Uden, A. (19944) 23.06.03 Schriftsprachkarrieren hochgradig hörgeschädigter Firnhaber, Menschen Mehlo, Günther (1985), Forchhammer (1899), Hartmann Steinberg & Harper (1983), Keller (1993) 30.06.03 Erwerb der Schriftsprache als strategiengeleiteter Armingeon, Prozess Zimmerer Sassenroth (2000), Günther (2002) 07.07.03 Phonologische Bewusstheit und Hörschädigung Valentin, Roth Jansen & Marx (1999) Sterne (2000) 14.07.03 Schriftsprache und Gebärdensprache Cinar, Popendieker (1992), Albertini (2002), Neuberger, Barz Wudtke 2001) 21.07.03 Konsequenzen für eine kompensatorisch-alternative Cremer, Salzer Förderpraxis Günther (2002), Brügelmann (1986), Sassenroth (2000) 28.07.03 Abschluss-Kolloquium Evaluation In dieser Veranstaltung werden Schriftsprachkompetenz, Erwerb und Ausdifferenzierung schriftsprachlicher Fähigkeiten im Kontext von Hörschädigung betrachtet. Dabei werden zunächst das Wesen der Schriftsprache sowie die Relationen zwischen Lautund Schriftsprache in alphabetischen Schriftkulturen angerissen, Modellvorstellungen des Lesens und Schreibens besprochen und Belege für eine Autonomie der Schriftsprache diskutiert. Funktion und Stellenwert der Schriftsprache im Rahmen der Gehörlosenpädagogik werden dargestellt. Als Begründung für einen kompensatorisch-alternativen Förderansatz werden Beispiele erfolgreicher Schriftsprachkarrieren hochgradig Hörgeschädigter und das Stufenmodell des Schriftspracherwerbs von Frith und Günther (1986) angeführt. Auf die Entwicklung der Schriftsprachkompetenz in bilingualen Konzepten (Gebärden-, Laut- und Schriftsprache) wird eingegangen. Als Voraussetzung für die Teilnahme wird der Besuch der Veranstaltung "Einführung in die Psycholinguistik des Schriftspracherwerbs" von Prof. Cholewa empfohlen. Der Erwerb eines benoteten Seminarscheins für den Grundfragenbereich Sprache und Kommunikation ist durch Übernahme eines Referates mit schriftlicher Hausarbeit möglich. 2 Literatur: Albertini, J. (2002): Wie gehörlose schreiben lernen: Die Interaktion von Sprache, Modalität und Unterricht. In: Hörgeschädigtenpädagogik 2/2002: 74-79 Cremer, I., Schulte, E. (2002): Schriftsprachkompetenz Hörgeschädigter im Hinblick auf berufliche Qualifizierung. In: Hörgeschädigtenpädagogik 1/2002: 4-12 Eisenwort, B., Vollmann, R., Willinger, U., Holzinger, D. (2002): Zur Schriftsprachkompetenz erwachsener Gehörloser. In: Folia Phoniatrica et Logopaedia 54: 258-268 Forchhammer, G. (Göpfert, E. Hrsg.) (1899): Der imitative Sprachunterricht in der Taubstummenschule auf der Basis der Schrift. Leipzig Günther, K.-B. (19852): Schriftsprache bei hör- und sprachbehinderten Kindern. Bedeutung und Funktion für Sprachaufbau und Entwicklung, dargestellt am Beispiel gehörloser Kinder. Heidelberg: Groos Günther, K-B. (2001): Bedeutung und Erwerb der Schriftsprache für gehörlose und (hochgradig) schwerhörige Kinder. In: Hörgeschädigte Kinder 38: 67-83 Günther, K.-B. (2002): Erwerb und Ausdifferenzierung der Schriftsprache bei hochgradig hörgeschädigten Kindern – Theoretisch-konzeptionelle Grundlagen für eine kompensatorisch-alternative Förderpraxis. Sprache Stimme Gehör 26: 71-79 Jansen. H. & Marx, H. (1999): Phonologische Bewusstheit und ihre Bedeutung für den Schriftspracherwerb. In: Forum Logopädie 2: 7-16 Keller, H. (1993): Mein Weg aus dem Dunkeln. Bern, München, Wien: Scherz, 11122 Klicpera, C. & Gasteiger-Klicpera, B. (1998): Psychologie der Lese- und Schreibschwierigkeiten. Weinheim: Beltz Löwe, A. (2001): Schriftsprachkompetenz ist heute für hochgradig schwerhörige Kinder notwendiger denn je. In: Hörgeschädigtenpädagogik 6/2001: 267-269 Menzel, W. (1986): Wie wir lernen? Zum Beispiel: Lesen und Schreiben. In: Lernen – Ereignis und Routine. Friedrich Verlag, Velber, Jahresheft IV: 153-163 Paul, P.V. (1998): Literacy and Deafness: The Development of Reading, Writing and Literate Thought. Boston: Allyn & Bacon Popendieker, R. (1992): Freies Schreiben und Gebärden. Hamburg: Signum Sassenroth, M. (20004): Schriftspracherwerb. Bern, Stuttgart, Wien: Haupt Steinberg, D. & Harper H. (1983): Teaching written language as a first language. In: Coulmas, F. & Ehlich, K (Eds.): Writing in focus, 328-354 Sterne, A. (2000): Phonological Awareness of Syllables, Rhymes, and Phonemes in Deaf Children. In: J. Child Psychol.Psychiat. Vol 41, No 5: 609-625 Uden A.v. (19944): Das gehörlose Kind. Hörgeschädigtenpädagogik Beiheft 5. Heidelberg: Groos Wudtke, H. (2001a): Schriftspracherwerb bei gehörlosen Kindern. Ein Rätsel für Pädagogen. In: Grundschule Sprachen 2: 34-35 Wudtke, H. (2001b): Von der Leisesprache zur Schriftsprache: Eine Schriftsprachkarriere im Zeitraffer. : In: Grundschule Sprachen 2: 36-38 3 Relationen zwischen Laut- und Schriftsprache Verschiedene Schriftsysteme Nicht phonologische Systeme: Piktographie (z.B. Piktogramme, Hieroglyphenschrift) Ideographie (z.B. Bliss) Logographie (z.B. Chinesische Schrift, Zahlen, mathematische Symbole) Phonologische Systeme Silbenschrift (z.B. Jap. Katakana) Alphabetschrift Alphabetschrift Jedes lautsprachliche Segment wird durch ein schriftsprachliches Zeichen abgebildet/repräsentiert. Ähnlichkeiten zwischen ähnlich klingenden Wörtern (z.B. Stange – Wange) und nicht zwischen semantisch nahen Wörtern (z.B. Stange – Rohr) Höhere Anzahl an Phonemen gegenüber Graphemen (40:26) Prinzipien der Verschriftung im Deutschen - phonematisches Prinzip: Das Schriftsprachsystem spiegelt die phonologischen Merkmale des Lautsprachsystems wider. Nach Naumann (1989) können ca. 75-90% der deutschen Wörter mit Hilfe von PGK-Regeln eindeutig korrekt realisiert werden. Das Deutsche gilt als Sprache mit vergleichsweise regelmäßiger PGK. Einzelgraphem Einzelphonem L/l [l] Einzelgraphem Phonemverbindung z [ts] Graphemverb. Einzelphonem ch [x] Einzelphonem Verschiedene Grapheme [a:] a, aa, ah - morphematisches Prinzip: Im Schriftsprachsystem bleiben morphologische Formen erkennbar z.B. Haus - Häuser; Berg - Berge; Fahr-rad; backen - Bäcker - historisches (etymologisches) Prinzip: historische Schreibungen (auch von Fremdwörter, z.B. CHEMIE) werden tradiert. z.B. wurden ST und SP im Mittelhochdeutschen als [st] und [sp], nicht jedoch wie heute als [t] und [p] ausgesprochen - grammatisches Prinzip: Die Schriftsprache spiegelt Merkmale des grammatischen Aufbaues der Lautsprache wider: z.B. Substantive und Satzanfänge werden durch Großbuchstaben repräsentiert. - semantisches Prinzip homophone Wörter mit unterschiedlicher Bedeutung werden formal unterschiedlich realisiert (z.B. LAIB - LEIB; LIED - LID) (vgl. jedoch Bank/Bank: hier findet das semantische Prinzip keine Anwendung) 4 Priorität der Lautsprache Schriftsprache als Abbildung gesprochener Sprache Schriftsprache ist phylo- und ontogenetisch älter Kompetenz der Lautsprache als integrierender Bestandteil Zusammenhänge bestimmt durch Graphem-Phonem-Korrespondenzregeln Autonomie der Schriftsprache Laut- und Schriftsprache sind keine deckungsgleichen Systeme Keine eindeutige Korrespondenz von Phonemen und Graphemen im Deutschen Erwerb der Schriftsprache auch ohne Lautsprachkompetenz möglich Besondere Beziehungen zwischen Laut- und Schriftsprache Unterschiede zwischen Laut- und Schriftsprache Kontextbezogenheit Dialogische vs. Monologische Kommunikationsform Parasprachliche Mittel Möglichkeiten zur Sprachkontrolle Bedeutung der Metasprache Problem der Segmentierung Begriffe zu Laut- und Schriftsprache Phonem = kleinstes bedeutungsdifferenzierendes Segment der Lautsprache (z.B. [bu:x – tu:x]; [bal - fal]; [hu:n - ha:n]/) Buchstabe = schriftsprachliche Basiseinheit in alphabetischen Systemen Graphem = schriftsprachliches Segment (Buchstabe bzw. Buchstabengruppe), das mit einem Phonem korrespondiert z.B. /Sch/ -> []; /f/ -> [f]; /ng/ -> [] Allograph = graphische Variante zur Realisierung eines Graphems z.B. <F> -> f, F, usw. Graphem-Phonem-Korrespondenz (PGK): Zuordnungsrelation zwischen schrift- und lautsprachlichen Segmenten beim Lesen z.B. H-AH-N -> [h-a:-n] Phonem-Graphem-Korrespondenz (GPK): Zuordnungsrelation zwischen schrift- und lautsprachlichen Segmenten beim Schreiben z.B. [h-a-l-m] -> H-A-L-M 5 Keine ein-eindeutige Korrespondenz von Phonemen und Graphemen im Deutschen: [] -> SCH (z.B. SCHIFF, SCHLANGE) -> S (z.B. STUFE, SPATZ) [f] -> F (z.B. FISCH; FUSS) -> V (z.B. VATER, VEILCHEN) [a: ] -> A (z.B. SCHAL) -> AH (z.B. KAHN) -> AA (z.B. SAAL) [] -> EU (z.B. BEULE, LEUTE) -> ÄU (z.B. SÄULE, HÄUSER) <U> -> [u:x] (z.B. TUCH, BUCH, FLUCH) -> [ux] (BRUCH) <JEEP> -> [di:p/ <TH> [t] (z.B. Theater) Auslautverhärtung <-B> -> [-p] (z.B. LOB, BUB) <-D> -> [-t] (z.B. TOD, BLÖD) <-G> -> [-k] (z.B. TAG, LEG) 6 Modellvorstellungen des Lesens Wortüberlegenheitseffekt * * * WURM U MRUW U A U A U A Phonologisches Rekodieren Theorie: o Model der zweifachen Zugangswege (Coltheart 1978) Visueller Reiz (Taktiler Reiz) Direkter Zugang Buchstabenfolge Wortidentifikation (im mentalen Lexikon) Phonologische Rekodierung Phonemfolge Indirekter Zugang o Analogie-Modell (Patterson und Coltheart 1987) o Netzwerkmodelle (Seidenberg and McClelland 1989) Empirische Belege: o Einfluss der Homophonie auf das Worterkennen (z.B. fogl/Vogel) o Information über die Phonemfolge von Wörtern o Unterschiede im Erkennen von regelmäßigen und unregelmäßigen Wörtern Ausnutzen der orthographischen Information Bedeutung von Buchstabenschemata Bedeutung von Morphemen Einfluss des Kontextes 7 Modelle des Rechtschreibens Routenmodell nach in Anlehnung an Ellis & Young (1991) Bedeutung der Phonem-Graphem-Zuordnung Regelmäßige Wörter sind leichter zu schreiben als unregelmäßige Schreiben von Pseudowörtern: Verwenden der am häufigsten vorkommenden PGK-Regeln Verbesserung, wenn Pseudowörter mehrmals gehört und/oder nachgesprochen werden können Bedeutung wortspezifischer Rechtschreibkenntnisse Erinnerung an spezifische Schreibweise im mentalen Lexikon Direkte lexikalische Ermittlung hat Vorrang vor Anwendung der PGK-Regeln Verwendung von Analogien Wissen um Wortbildungsregeln Einfluss der Gedächtnisanforderungen Rechtschreibfehler durch zu langsamen Schreibprozess 8 Phonologischer Stimulus: /ha:n/ graphematischer Stimulus: <BALL> 1. auditive Analyse /h/a:/n/ 2. visuelle Analyse <B/A/L/L> 3. auditiver Buffer /h/a:/n/ 4. visueller Buffer <B/A/L/L> 5. phonolog. Input-Lexikon 6. graphemat. Input-Lexikon Lex. Eintrag: /ha:n/ Lex. Eintrag: <BALL> 7. semant. System 13. graphem. Segmentierung +Vogel, männl., etc. +Spielzeug, rund, etc. <B/A/LL> 11. PGK: /h/ -> <H> /a:/ -> <AH> o. <AA> o. >A> /n/ -> <N> 14. GPK <B_> -> /b/ <A/LL> -> /a/l/ 8. visuelle Bild- und ObjektErkennung 15. Phonemverschmelzung 12.Allographenwahl A: a,A,A,... 9. phonolog. Output-Lexikon Lex. Eintrag: bal/ 16. sprechmotorische Realisierung [bal] 10. graphem. Output-Lexikon /bal/ Lex. Eintrag:<HAHN> 17. graphomotorische Realisierung HAHN 9 Seminar: Hörschädigung und Schriftsprache Dozentin: Frau Bimüller Semester: SS 2003 Referenten: Marcella Müller, Katrin Schoener, Antje Förster Funktion und Aneignung der Schriftsprache - Schriftsprache schon immer wesentliche Funktion bei Sprachaufbau hörgeschädigter Kinder Schreiben nur Hilfsmittel kein schriftliches Denken Schriftsprache ist eindeutiger und vollständiger als Lautsprache 1. Stellung der Schriftsprache in der Gehörlosenpädagogik in der Geschichte 1.1. - PEDRO PONCE DE LEON Schriftsprache für Beginn der Sprachentwicklungsarbeit und entfaltete Sprachkompetenz nur praktische Umsetzung - BONET (1620) - - - - französische Methode SICARD Nicht nur Theorie sondern auch praktische Umsetzung Schriftsprache zum Erwerb der Sprachkompetenz 1.3. - lieferte Theorie PEDRO PONCE DE LEON, BONET und CARRION spanische Methode Gehörlose erwerben beachtliche Kompetenz in der Schriftsprache Sprachniveau aber niedrig Handalphabet zusätzliche Kommunikationshilfe (Buchstaben auf der Handinnenfläche angeordnet) im 17.Jh. in England um das Ablesen ergänzt 1.2. 2. Spanische Methode Deutsche Methode HEINICKE (1912) Lautsprache im Mittelpunkt der Schriftsprache wurde keine Bedeutung beigemessen Stellung der Schriftsprache in der Lautsprachmethode - Schrift als Sprechlernhilfe (wie z.B. PMS) Gehörlose sind schlechte Leser CONRAD – Untersuchung 50% der 16 jährigen Gehörlosen sind Analphabeten, 20% haben das Leseniveau eines 10 jährigen und 2,5% erreichen das Normalniveau VAN UDEN (1976) Lautsprachmethodiker, aber Schriftsprache hat wesentliche Rolle beim Sprachaufbau „ dass die Kinder im Allgemeinen die Wörter besser vom Mund absehen und besser sprechen, die sie schon lesen und schreiben können“(S. 20) gehörlose Kinder beziehen ihre Sprechperzeption und – produktion auf die stabileren Schriftbildstrukturen 10 - Leselernen ab 3 ½ - 4 Jahren neue Wörter erst sprechen und dann lesen und schrieben in der Praxis hatte Schriftsprache trotzdem sekundäre Rolle und wurde nur auf Aufsätze reduziert 3. Schriftsprache als Sprachaufbauinstrument für gehörlose Kinder - Leipziger Methode – GÖPFERT (1899) und LINDNER - Ausgehen von der Schriftsprache ermöglicht natürlichen Sprachaufbau Auge anstelle des Ohres Schrift ist stabil und bietet große Zuverlässigkeit Schreibbewegungen erleichtern Auffassung und unterstützen das Gedächtnis Lesen geht Schreiben voraus Sprache anbieten, die Kinder verstehen und initiativ verarbeiten können Inhalt: am Interesse der Kinder orientieren Schriftsprache hat nur am Anfang des Sprachaufbaus eine dominante Funktion - PROBLEM: kommunikative Schwerfälligkeit der Schriftsprache Schriftsprachmethode konnte sich nicht gegen die Lautsprachmethode durchsetzen 4. Stellung der Schriftsprache im ganzheitlichen Sprachunterricht - KERN (1958) Schriftsprache als Ausgangspunkt für den Sprachaufbau Sinnfunktion durch Schriftsprache am leichtesten zu realisieren 1. Kind rasch in das Reich der Sprache einführen 2. Ausgehen vom Sinnganzen 3. Schriftsprache ist Ausgangspunkt dann Sprechen ZIEL: Entfaltung verständlichen Sprechens - 5. Primat der Schriftsprache bei der Einführung von neuen Wörtern und Sätzen für die gesamten ersten zwei Schuljahre danach lautsprachliche Arbeit Sprachsystem kann ganzheitlich über Schriftsprache und unabhängig vom Stand der Artikulation entwickelt werden kommunikative und produktive Aspekte des Schreibens werden nicht erwähnt Antonius van Uden: Das gehörlose Kind – Fragen seiner Entwicklung und Förderung Untersuchungen zu Körpersprache, Phonetik, Psycholinguistik und Soziologie Welche Selbstkontrollmittel (müssen automatisiert ablaufen) haben für gehörlose Kinder beim Sprechenlernen den Vorzug? 1. 2. 3. 4. Selbstkontrolle (und wichtigste): Sprachabsehen Selbstkontrolle: Lautwahrnehmung Selbstkontrolle: artikulatorische/ kinästhetisch-taktile Kontrolle Selbstkontrolle: Schriftbild 11 Bedeutung des Schriftbildes - - - - - eventuell schlägt bei manchen Kindern nur das Schriftbild an. Dann kann es auch eingeführt werden, bevor Kind Mundabsehen etc. kann (bei dyspraktischen Kindern) Ewings (1964): Wörter mit Kind aufschreiben, die es schon absehen und evtl. sprechen kann (Papa, Auto...). Diese Wörter werden schnell zu Gesprächswörtern gemacht. Wenn sprechen und erkennen der Schriftbilder fortgeschritten ist, dann wird Sprechen und Schriftbild analysiert und integriert. Alexander Graham Bell (1884): wollte ausschließlich mit dem Schriftbild beginnen und erst darauf das Sprechen aufbauen. Gefahr: Kinder entwickeln viele Gebärden für die Wörter deren Schriftbild und nicht Sprechbild sie kennen. Vatter (1889): er wollte kein Schriftbild gebrauchen, bevor das Sprechen genügend entwickelt war Ling (1976): erst sprechen, dann Schriftbild. Er warnt vor bizarrem Sprechen, wenn Kinder zu sehr von Schriftbild abhängig sind und sie dies einfach in das Sprechen übersetzten. Wort von „Mund zu Mund“ lernen und danach erst aufschreiben Zwei Fehler, die man machen kann: 1. zu wenig Schrift einsetzen: zu viele Wörter und Idiome bleiben mehr oder weniger „verschwommen“ 2. zu viel Schrift einsetzen: Kinder werden abhängig von Schrift gemacht. Dadurch entstehen typische Sprechfehler und sogar schlechtes Sprechen Fazit: Die Ewings nehmen eine gesunde Zwischenposition ein 6. Psycholinguistische Begründung eines Sprachunterrichts bei Hörgeschädigten (prälingual gehörlosen Kindern) 1. Das spontane Gespräch steht im Mittelpunkt der ganzen kommunikativen Didaktik. (solange wie erforderlich „Fangmethode“ anwenden und „eine Doppelrolle spielen“) Fangmethode: nicht direkt das eigene Erleben das Kindes soll zentral gestellt werden, sondern das Gespräch (also die Kommunikation als Interaktion) Spielen einer Doppelrolle: ein Gespräch ist immer schon da, selbst wenn einer der Partner noch kein Wort sagen kann Mit Hilfe der Fangmethode und des Spielens einer Doppelrolle entsteht von klein auf das Gespräch. 2. Spontane Äußerungen und Erfahrungen der Kinder müssen so weit wie möglich - im Gespräch integriert - ausgewertet werden. ein geschriebener Satz ist erst dann ein richtiger Satz, wenn sein Sinn wahrnehmbar wird (Intentionalität) in jeder linguistischen Äußerung werden drei Aspekte unterschieden: Darstellung - Ausdruck - Appell (analog zu den drei Satzzeichen Punkt Fragezeichen - Ausrufezeichen) Gespräch ist also der Austausch der Intentionen unter Partnern 12 3. Für große Variation in den Erfahrungen muss Sorge getragen werden. (Wörter und Sätze sollen zu einem erforderlichen Abstraktionsniveau gelangen und ein flexibler Besitz werden) es gibt keine isolierten Sätze im psycholinguistischen Verhalten 4. Tempo und Rhythmus des Sprechens besonders hervorheben (speziell Gruppierungen der Wörter, „Zangenbau“ (Umklammerung)) Rhythmische Gruppierungen anstelle von Reihenfolge der Wörter beachten Pausen beim Sprechen haben einen besonderen Wert Verstehen oder Produzieren von Sätzen ist kein Markovianischer Prozess sondern eine Struktur, Figur, Gestalt (Zangenbau) 5. Wortschatz in reichen Verbindungsmöglichkeiten einschließlich der Ausdrücke, des Idioms, der Homonyme, der bildlichen Bedeutung usw. immer mehr ausbauen und gleichzeitig die Gefahr erkennen, dass man immer wieder gleiche Wörter gebraucht. (normal begabte gehörlose Kinder lernen mindestens 5-6 neue verbale Bedeutungen pro Schultag, 16jährige mit Leseniveau eines 10jährigen, hörenden Kindes) 6. Wörter möglichst innerhalb ihres syntagmatischen Kontextes lassen (d.h. in einem intentionalen Ganzen), um Verbindungsmöglichkeiten natürlich begreifbar werden zu lassen. 7. Kurzgedächtnis (short term memory) für die Sprache besonders durch lautsprachliches Auswendiglernen in gutem Rhythmus und mit raschem Tempo trainieren, weiter durch das Steigern des Gedächtnisses für schriftliche Sprachformen. (beide Sprachformen müssen sich durchdringen) 8. Gespräch muss sich zum richtigen Lesen von Normalsprache entwickeln. ohne genügende Frequenz des Sprachgebrauchs ist es nicht möglich, eine Sprache zu lernen, d.h. für gehörlose Kinder: Notwendigkeit des Lesens. es handelt sich also um Frequenz der Sprachanbietung, -rezeption, -produktion (abhängig von der Umwelt, d.h. Soziolinguistik) 9. Sprachformen immer vom Kind selbst entdecken lassen, anstatt nur zu präsentieren. nur durch solche Entdeckungen und Selbsttätigkeit wird das gehörlose Kind stärker motiviert, das selbst Entdeckte auch anzuwenden, immer mehr Formen zu entdecken und wendiger im sprachlichen Benehmen zu werden. diese Entdecken ist nur auf einer normal - sprachlichen Basis möglich. das Feld, in dem sie Formen entdecken lernen, ist hauptsächlich das Lesematerial Was wollen wir eigentlich mit unserem Sprachunterricht? (Ziel) dem gehörlosen Kind helfen, als Erwachsener unabhängig am Leben seiner Familie, seiner Umgebung und seines Vaterlandes teilzunehmen Kommunikationsaspekt LITERATUR: Günther, K.-B. (1985): Schriftsprache bei hör- und sprachbehinderten Kindern. Heidelberg: Groos Uden A.v. (1994): Das gehörlose Kin. Hörgeschädigtenpädagogik Beiheft 5. Heidelberg: Groos 13 Seminar: Dozentin: Referentinnen: Datum: Schriftsprache und Hörschädigung StR a.e.H. Bimüller Firnhaber, Hartmann, Mehlo 23.06.2003 Schriftsprachkarrieren hochgradig hörgeschädigter Menschen I) Helen Keller Laura Bridgman war die erste Taubblinde, der sich die Sprache erschloss. Ihr Lehrer Samuel Howe vom Perkins-Institut in Boston erteilte ihr 1836 den ersten Unterricht: Fingeralphabet der Taubblinden, Worte mit erhabenen Buchstaben auf Schildchen (an Gegenstände geklebt). Er begann mit Substantiven, dann folgten Verben und Adjektive. Dank ihrer Lehrerin Anne Sullivan war es ab 1887 auch Helen Keller möglich, Schriftsprache zu entwickeln – der einzige „Weg aus der Dunkelheit“. Entwicklungs-/Lernschritte: . Repertoire von ca. 60 Zeichen bei Ankunft von Anne Sullivan . Erlernen des Fingeralphabetes der Taubblinden; erste Worte: doll und cake; Helen entdeckt noch nicht, dass jedes Ding einen Namen hat; 20 Worte in einem Monat . Das „Geheimnis der Sprache“ eröffnet sich ihr am Brunnenhäuschen beim Erlernen des Wortes water. Sie erlernt 30 neue Wörter in wenigen Stunden, u. a. helen und teacher. Zunehmende Aufgabe von „Pantomime“ zugunsten der Wörter. . Nutzung des passiven Wortschatzes, d. h. Anne Sullivan spricht ganze Sätze in Helens Hand ... wie man Babies auch ganze Sätze in die Ohren spricht; Lernen „im Zusammenhang und aus dem Zusammenhang“ . Erster abstrakter Begriff: denken; später: Licht, Lachen, Liebe, Dunkelheit . Erlernen des schriftlichen Alphabetes, und zwar das Boston Line Type von Samuel Howe (auf Pappstreifen geprägte Buchstaben) ... an einem Tag! . Schreibenlernen in Quadratschrift => eifriges Briefeschreiben, Sprachbegeisterung . Braille-Alphabet . Auseinandersetzung mit Begriffen wie Seele, Tod, Weltentstehung, Gott etc. . Helen will unbedingt „mit dem Mund“ sprechen lernen, ein unerfüllbarer Traum für Taubblinde? Sie bekommt Sprechunterricht bei Sarah Fuller, Direktorin der Schule für Gehörlose in Boston. . Helen schreibt Geschichten . Helen lernt u. a. Deutsch und Französisch in einer Sprachschule für Gehörlose in New York City; Freund Mark Twain. . Erstmaliger Kontakt mit nichtbehinderten, gleichaltrigen Mädchen an der Cambridge School for Young Ladies; Anne Sullivan fungiert permanent, über ihre Grenzen hinaus, als Übersetzerin; Helen ist erfolgreich (Ausnahme: Algebra und Geometrie). . 4 unbefriedigende Jahre am Radcliffe College mit Universitätsabschluss cum laude; beginnt hier gegen Honorar ihre Lebensgeschichte zu schreiben (The Story of My Life, 1902) . „Vorträge“ und „Reden“ in nahezu der ganzen Welt; extreme Unabhängigkeit im Denken trotz extremer Abhängigkeit im Leben . liebt die deutsche Sprache und Kultur (außer Hitler) . schreibt mit 66 Jahren ihr persönlichstes Buch über ihre Lehrerin Anne Sullivan auf einer gewöhnlichen Schreibmaschine 14 . . Ihre „Reden“ müssen oft übersetzt werden. Erst im Alter gibt sie ihr Ziel des Sprechenlernens auf. Insgesamt hochdifferenzierte, bilder- und metapherreiche Schriftsprache mit abstrakten Begriffen und sehr sensibler Wahrnehmung; kritische Beschäftigung mit der Bibel, Philosophie, den Mythen der Griechen und Römer , Dichtungen, Naturstudien etc.. Benutzte Literatur zu Helen Keller: - Katja Behrens: Alles Sehen kommt von der Seele, Beltz Verlag Weinheim, 2001 - Helen Keller: Licht in mein Dunkel, Swedenborg Verlag Zürich, 1982? - K.-B. Günther: Schriftsprache bei hör- und sprachgeschädigten Kindern, Julius-Gross-Verlag Heidelberg, 1985 Zeittafel, Schreibproben und Sprachentwicklung nach Stern auf Folie Briefe von Helen Keller Tuscumbia, Alabama, 17. Juni 1887 helen schreibt anna george gibt helen apfel simpson schießt vogel jack gibt helen zuckerstängel doktor gibt mildred medizin mutter macht mildred neues Kleid Tuscumbia, September 1887 helen schreibt kleinen blinden mädchen einen brief helen und lehrerin kommen kleine blinde mädchen besuchen helen und lehrerin fahren mit dampfwagen nach boston helen wird mit blinden mädchen spielen blinde mädchen können mit fingern reden helen wird mr. anagnos besuchen und mr. anagnos wird helen lieben und küssen helen wird mit blinden mädchen zur schule gehen helen kann lesen und zählen und buchstabieren und schreiben wie blinde mädchen mildred fährt nicht nach boston mildred weint prince und jumbo fahren nach boston papa schießt enten mit gewehr und enten fallen ins wasser und jumbo und mamie schwimmen im wasser und bringen enten im maul zu papa helen spielt mit hunden helen reitet mit lehrerin helen gibt handee gras mit hand lehrerin gibt handee peitsche damit schnell geht helen ist blind helen steckt brief in umschlag für blinde mädchen aufwiedersehen Helen Keller 15 Sprachentwicklung nach W. Stern (1905) Substanzstadium Aktionsstadium Erstes Fragealter Erste Satzbildungen Erste Konjunktionen Negative Sätze Relations- u. Merkmalsstadium Sätze mit Objekt Zählen Flexionen Vergangenheitsbezeichnung Zweites Fragealter Pronomina Warumfragen Stern stellte einen Parallelismus der Sprachentwicklung von der „taubstummblinden“ Helen Keller (Fingeralphabet) und seiner „vollsinnigen“ Tochter Hilde (Lautsprache) fest. Bei Helen begann obige Sprachentwicklung ab Ende des 7. Lebensjahres, bei Hilde ab Ende des 1. Lebensjahres. Helen erreichte schon im 2. Halbjahr das Stadium der Warumfragen, Hilde dagegen erst im 3. Jahr. Aus: K.-B. Günther (1985): Schriftsprache bei hör- und sprachgeschädigten Kindern, Julius Gross-Verlag Heidelberg, S. 56 16 Schriftsprache als Erstsprache1 Vorbemerkungen: Da viele Gehörlose Probleme im Erwerb der Lautsprache haben, kam die Idee auf, direkt die Schriftsprache als Erstsprache zu unterrichten, was aber nicht heißen soll, dass Gelegenheiten zum Erlernen von Gebärden oder Lautsprache nicht wahrgenommen werden sollen. Zur Begründung dieses Ansatzes betrachtete man den Erwerb der Lautsprache bei hörenden Kindern und übertrug dieses auf den Erwerb der Schriftsprache bei gehörlosen Kindern. Hier dazu einige Bemerkungen aus dem Text: 1. Wörtern eine Bedeutung zuordnen ist beim Spracherwerb das Entscheidende, auch wenn man Wörter öfter hört, weiß man noch lange nicht, was sie bedeuten: z.B. mit dem Wort neko kann man so lange nichts anfangen bis man weiß, dass es Katze auf japanisch heißt. 2. Hörende lernen Sprache zu verstehen früher als sie zu produzieren, das heißt, dass gehörlose Kinder die Schrift verstehen könnten lange bevor sie sie schreiben können (Motorik). Man könnte also früher mit dem Verstehen von Schriftsprache also Lesen beginnen. 3. Im Idealfall sollen gehörlose Kinder Schriftsprache genauso lernen wie hörende Kinder sprechen– Ganzwortmethode(!), da geschriebene Sprachen leider kein „direktes“ Kommunikationsmittel ist, ist das schwierig. 4. Die Natürlichkeit beim Spracherwerb soll beibehalten werden, d.h. keine Grammatik erklären wollen (z.B. Pluralbildung oder Ähnliches), diese Strukturen werden automatisch erworben. 5. Bedeutungstragende Items werden leichter gelernt als solche ohne Bedeutung (z.B. Wörter leichter als Alphabet). Auch abstrakte Wörter können und sollen im Kontext gelernt werden, wie pretty, like, wish, because…, da dies beim Sprechen lernen bei Hörenden auch so abläuft. 6. Syntax wird auch automatisch mitgelernt; hörende Eltern bringen ihren Kindern auch keine Syntaxregeln bei. Schriftspracherwerb bei Konrad Konrad ist beim Beginn des Unterrichts 2 Jahre 5 Monate alt, er hat einen Hörverlust von 90 dB auf dem besseren Ohr. Seine Eltern sind auch gehörlos. Kommunikationsmittel ist ASL. Sein Vater kann ein wenig geschriebenes Englisch, seine Mutter versteht kein gesprochenes Englisch und nur sehr wenig geschriebenes Englisch, weil sie in Japan aufgewachsen ist , und erst 5 Jahre vorher in die USA gezogen ist. Konrad wird hauptsächlich von der Großmutter väterlicherseits unterrichtet, sie ist hörend und kann etwas ASL und etwas japanisch. 1 Aus: Steinberg, D. /Harper, H.: Teaching written language as a first language to a deaf boy 17 Programm: Jedes geschriebene Wort soll auch laut gesprochen oder gebärdet werden, um Hörreste auszunützen bzw. Gebärden zu lernen (als Nebeneffekt). 1. Phase: word familiarization Sie dient dazu dem Kind aufzuzeigen, dass jedes Objekt einen Namen hat, bzw. dass jedes Wort einem Objekt gegenübersteht. Wortkarten werden auf einige Objekte im Raum auf Kind-Augenhöhe angebracht und immer wieder darauf gezeigt und gesprochen oder gebärdet, was eben auf der Karte steht. Man kann auch als weiteren Schritt (Spiel) eine zweite Karte von jeder Karte anfertigen und das Kind muss die passende, identische Karte suchen. 2. Phase: word identification In dieser Phase soll das Kind lernen, welches Wort zu welchem Objekt gehört. Als Spiel kann man z.B. einzelne Karten vertauschen oder abhängen und wieder neu zuordnen lassen oder auch Kaufladen spielen (Einkäufer-Verkäufer). Wenn die Wörter erkannt werden, kann man auch mit Farben oder auch Verben beginnen (red car, green car). 3. Phase: phrase and sentence identification Ziel dieser Phase ist, dass das Kind kleinere Sätze lesen kann, diese sollten alle Wortarten enthalten, auch Artikel ,Präpositionen etc. (The dogs are barking, nicht nur dog bark). 4. Phase: text interpreting Die vielleicht spannendste Sache für das Kind: Texte lesen und verstehen. Es können auch Bücher mit dem Kind angefertigt werden oder einfache, gekaufte Bücher gelesen werden, was auch motiviert. Resultate Konrad lernte in 15 Monaten bei einer Förderung von 30 min täglich: 414 Einzelworte 242 Phrasen und Sätze, also 656 items insgesamt und hat begonnen einfache Bücher zu lesen. Beispiele: 1. Monat: Substantiv Verb Adjektiv Phrase Satz Airplane, apple, ball, banana, basketball, bath, bear, bed, bell, boat, bus, Calvin, car, chair, chopstick, cup, doll, drum., ear, Eiko, elephant, eye, flower, fork, football, frog, hair, house, Jo-Ann…. Jump, kick, pedal, run, walk big, black, blue, brown, green, orange, pink, purple, red, white, yellow Big bear, brown monkey, green frog, little bear, yellow lion How are you?, *kick the ball, *open the door, *pedal the tricycle, *water the plant 18 14. Monat Substantiv Verb Adjektiv Phrase Satz Bakery, city, family, fruits, meat, playmate, vegetables, week stayed, trim whole barber shop, drug store, pet shop *At the shopping center there are drug store, bank bakery, shoe store, Pet Shop barber shop, and many others *From school we went to the zoo on city bus, I also went to the shopping center, I didn´t go to school one whole week * I go to the barber shop to have my hair trim, I stayed home, * I was lonesome I didn´t have no playmate *I went to the super Market with my family, It was spring vactction… Konrad hat eine wahre Liebe zu Büchern entwickelt! Interessant anzumerken ist, dass Konrads Mutter mit ihm geschriebenes Englisch mitgelernt hat und er, da er schneller lernte, später seiner Mutter assistieren konnte. Abschließend kann man sagen, dass bei gehörlosen Kindern auch direkt durch das Medium Schrift eine Sprachkompetenz erworben werden kann. Kerstin Hartmann 19 Pädagogische Hochschule Heidelberg Seminar: Schriftsprache und Hörschädigung Dozentin: Studienrätin a.e.H. B. Bimüller Referentin: Katrin Mehlo Datum: 23. Juni 2003 Thema: Schriftspracherwerb bei George (um 1870) durch Graham Bell (Erfinder des Telefons und Vorreiter der Sprachmethode in den USA im 19. Jhd.) o George ist ein von Geburt an gehörloses, überdurchschnittlich begabtes Kind o er kommt mit 5 Jahren zu Graham Bell in den Unterricht an einer Gehörlosenschule o Für Bell sind zwei Bausteine im Spracherwerb wichtig: 1. Artikulation 2. geistige Entwicklung Im Referat wird auf 2. eingegangen. Gleichzeitig mit dem Training der Sprechorgane (1.) muss die geistige Entwicklung des Kindes (2.) in Form von Lesen und Schreiben ( Sprachaufbau) gefördert werden. Den Sprachaufbau gliedert Bell in vier verschiedene Bausteine. Alle vier Bausteine bewegen sich in einem Rahmen nonverbaler Kommunikation: 1) Wortübungen (Wortbildzuordnungen) 2) Satzübungen (Satzbildzuordnungen und freie schriftliche Kommunikation von Bell mit George, untermalt mit Gesten) 3) Schreiben (hauptsächlich Nachfahren und -schreiben von Sätzen) 4) Buchstabieren (wichtiges Mittel, um eigene sprachliche Ausdrucksfähigkeit des Kindes zu fördern; Handalphabet) Bell zeigt einige Texte von George, die dokumentieren, in welch kurzer Zeit George sowohl orthographisch als auch grammatikalisch korrekt schreiben lernt. 20 Phonologische Bewusstheit und Hörschädigung Phonologische Bewusstheit: - - Fähigkeit zur Durchgliederung von phonologischen Wortformen in Einzellaute, Silben, Silbenkonstituenten und zur Manipulation der Phonem- bzw. Silbenabfolge das ganzheitliche auditive Schallereignis wird in diskrete Elemente zerlegt Abstraktion vom Bedeutungsgehalt der Sprache Funktion der phonologischen Bewusstheit für den Erwerb von alphabetischen Schriftsystemen: - Identifizieren der lautsprachlichen Elemente, auf denen PGK/GPK-Regeln operieren Phonolgische Bewusstheit als grundlegende aber nicht hinreichende Voraussetzung des Schriftspracherwerbs Förderung der Phonologischen Bewusstheit verbessert Voraussetzungen für den Schriftspracherwerb Merkmale: Reimen Alliteration Wortlängenvergleich Satzlängenvergleich Identifikation in Wörtern/Sätzen Kompositasegmentierung Silbensegmentierung Lautsegmentierung Lautpositionsbestimmung Nonverbale Rhythmusbestimmung Lautsynthese 21 Aufgaben, die phonologische Bewusstheit erfordern: (vgl. Yopp, 1988) - Phonem-Wort-Zuordnung ("Kommt /f/ in Affe vor"?) - Identifikation der Phonemposition ("Steht /f / am Anfang, in der Mitte oder am Ende von Affe?") - Isolieren von Phonemen („welcher Laut kommt am Anfang von Tisch vor?“) - Segmentierendes Nachsprechen („Sch-o-k-o-l-a-d-e“) - Wörter ergänzen („T-sche“) - Rückwärts Nachsprechen (z.B. tal -> lat) - Reime finden („Welche Wörter reimen auf BALL?“) - Phoneme o. Silbenkonstituenten weglassen (z.B. „Welches Wort ergibt sich, wenn man aus Schwein das Sch (o. Schw) weglässt?, Welchen Laut hörst Du in Maus, der in aus fehlt?“) - Elemente austauschen („Sag rot, aber ersetzte o durch a“) Phonologische Bewusstheit im weiteren Sinn: Aufgaben, die an konkrete Spracherfahrungen anknüpfen (z.B. Reimpaare erkennen, Silben klatschen) Phonologische Bewusstheit im engeren Sinn: Aufgaben, in denen explizit mit lautlichen Strukturen operiert werden muss (z.B. /o:/ in Ofen) Phonologische Bewusstheit und Hörschädigung Sterne & Goswami (2000): Phonological Awareness of Syllables, Rhymes, and Phonemes in Deaf Children Phonologische Bewusstheit von hoher Bedeutung für den Schriftspracherwerb hörender Kinder Hörgeschädigte Kinder haben Schwierigkeiten im Umgang mit Schriftsprache Frage, ob gehörlose Kinder phonologische Bewusstheit haben und wenn ja, wie sie diese erwerben Literaturüberblick: wenig Studien, methodische Mängel, ausgewählte Gehörlose oder keine Angaben zum Ausmaß der Hörschädigung 22 Experiment 1: Wortlänge, Silbenerkennen Subjektive Daten N Geschlecht (w/m) CA (Monate) Mitttelwert RA Mittelwert IQ (PR) Mittelwert Gehörlos* 15 5:10 CA 13 3:10 RA 13 4:9 141 (117-159) 135 (130-141) 99 (94-103) 86 (75-114) N/A 92 (81-105) 61 (10-95) 56 (25-87) 61 (12-85) *11 aural/oral, 4 gebärdensprachlich Design: Beurteilen der Wortlänge (gleich ja/nein) anhand von Bildpaaren: kongruentes Set (phonologisch und orthographisch kongruent z.B. hat/key; televisioncomb) inkongruentes Set (phonologisch und orthographisch inkongruent z.B. elephantpiano, banana-fridge) Ergebnis (Mittelwerte): Anzahl (max. 18) Inkongruent Kongruent 11,53 15.73 13.77 16.92 12.15 15.77 Gl CA RA Reaktionszeit (sec) Inkongruent kongruent 6.44 5.40 5.66 5.01 7.72 6.77 Gehörlose Kinder können Wortlängen ähnlich schnell beurteilen wie hörende altersentsprechende Kontrollgruppe Jüngere Kontrollgruppe mit gleichem Lesealter erreichen ähnliche Leistungen Alle Gruppen brauchen länger bei inkongruenten Aufgaben Gehörlose Kinder haben gute phonologische Vorstellung der Silbe als Einheit 23 Experiment 2: Reimbewusstheit Subjektive Daten N Geschlecht (w/m) CA (Monate) Mitttelwert RA Mittelwert IQ (PR) Mittelwert Gehörlos 14 7:7 RA 16 8:8 124 (88-150) 92 (87-97) 94 (72-126) 91 (81-102) 65 (5-95) 66 (25-95) Design: 50 Reimpaare, 2 Reimwörter, 1 Ablenker; Kinder sollen Item auswählen, das sich mit dem Zielwort reimt (Bildertest); ausführliche Erklärung, was unter Reim zu verstehen ist; Hinweis, auch an die Schreibweise zu denken Ergebnis: O+ Orthographische Ähnlichkeit; O- keine orthographische Ähnlichkeit Richtig (max. 25) O+ O20,71 18,36 23,81 23,50 Gl RA Reaktionszeit (sec) O+ O6.36 7,48 4,69 4,75 Gehörlose Kinder nutzen orthographische Ähnlichkeit um Reime zu beurteilen Mehr richtige und schnellere Antworten, wenn die Wörter eine ähnliche Schreibweise haben Experiment 3: Phonembewusstheit Subjektive Daten N Geschlecht (w/m) CA (Monate) Mitttelwert RA Mittelwert IQ (PR) Mittelwert Gehörlos* 15 5:10 RA 13 4:9 141 (117-159) 99 (94-103) 86 (75-114) 92 (81-105) 61 (10-95) 61 (12-85) *11 aural/oral, 4 Gebärden 24 Design: Lesen von Nonsens Wörtern, die genauso klingen wie das Zielwort auf dem Bild– Auswahl homophoner Wörter: Orthographisch regelhafte Homophone (shoo, daw); Orthographisch nicht regelhafte Homophone (boiz, caik) Ergebnis: R+ (max. 10) 6,18 8,85 Gl RA R(max. 10) 6,41 9,46 Total (max. 20) 12.59 18,31 Gehörlose Kinder wählen korrektes Nonsense Homophon in 63% richtig Gehörlose Kinder signifikant schlechter als Kontrollgruppe mit vergleichbarem Lesealter Kaum Unterschiede R+/R- in beiden Gruppen Auch Homophone ohne orthographische Ähnlichkeit werden korrekt gewählt (z.B. door-daw) Die meisten Fehler waren Ablenker, die einen anderen Endbuchstaben hatten Gute Fähigkeit, Anlaute zu erkennen und zu vergleichen Zusammenfassung: Gehörlose Kinder mit durchschnittlichem Lesealter von 7,6 Jahren haben phonologische Basisfähigkeiten in allen drei linguistischen Ebenen Silbenbewusstheit gehörloser Kinder ist vergleichbar mit hörender Kontrollgruppe Reimurteile sind nicht zufällig, aber schwächer als bei Kontrollgruppe mit vergleichbarem Lesealter Phonologische Bewusstheit auf Silbenebene scheint wie bei hörenden Kindern der phonologischen Bewusstheit auf Phonemebene vorauszugehen Phonologische Strategien werden eingesetzt, wenn die Aufgabe dies erfordert 25 Seminar: Dozentin: Thema: Referentinnen: Datum: Schriftsprache und Hörschädigung StR a .e. H. Bimüller Schriftsprache und Gebärdensprache Sati Cinar , Maike Barz und Michaela Neuberger 14.07.03 I. Schriftspracherwerb bei gehörlosen Kindern2 (Michaela Neuberger) Schriftspracherwerb ohne lautsprachliche Basis Die Qualität sowie die Dichte der Kommunikation außerhalb des Kindes und etwas über dem kindlichen Niveau beeinflussen die Schriftsprachkarriere entscheidend. Gehörlose Kinder verfügen im Durchschnitt zu Schulbeginn über einen lautsprachlichen Wortschatz von 150 aktiven und 250 passiven Wörtern. Im Gegensatz dazu haben hörende Kinder einen durchschnittlichen Wortschatz von 3500 aktiven und 18000 passiven Wörtern. o Über 50 Prozent der Gehörlosen verlassen die Schule als funktionale Analphabeten. o Etwa fünf Prozent der gehörlosen Schülerinnen und Schüler sind zum Zeitpunkt des Schulabschlusses kompetente Leser und Schreiber. In dieser Gruppe sind überproportional häufig die gehörlosen Kinder gehörloser Eltern vertreten. Der Lautspracherwerb ist für Gehörlose ein Leseakt, da sie die flüchtigen Mundbilder ablesen müssen. Autonomie der Schriftsprache Die Schriftsprache ist in funktioneller (Kommunikation mit Abwesenden) sowie struktureller Hinsicht (größere Redundanz, größere Explizitheit) von der Lautsprache relativ autonom. Für Wudtke unterstützt das gelungene Experiment, Konrad, einem 2;5 Jahre alten gehörlosen Jungen die Schriftsprache als Erstsprache zu vermitteln, die These der Autonomie der Schriftsprache (vgl. Referat am 23.06.03). Die Gebärdensprache ist ein visuell- motorisches Sprachsystem. Es ist möglich, Schriftsprache im Bezug zu einer Gebärdensprache zu erwerben. Bis jetzt gibt es noch keine allgemein gebrauchte Verschriftung der Gebärdensprache, aber Gebärden lassen sich der Schriftsprache zuordnen und können als Bilderschrift schriftlich festgehalten werden. o Gehörlose, die Gebärdensprache benutzen, sind bilingual, aber monoliteral. Das Fingeralphabet ist ein schriftbezogenes Hilfsmittel, mit dem alle Wörter manuell rekodiert werden können. → „Korrespondenzen zwischen Laut-, Gebärden- und Schriftsprache sind kontingent können methodisch vielfältig manipuliert werden und laden zu unterschiedlichen, aber funktional äquivalenten Entdeckungen ein.“(Wudtke, H., 2001 a, S. 35). 2 Wudtke, H. (2001 a): Schriftspracherwerb bei gehörlosen Kindern. Ein Rätsel für Pädagogen. In: Grundschule Sprachen 2: 34-35. 26 Motorisch- visueller (Schrift-) Spracherwerb: Entwicklungsstufen Für Gehörlose ist die Lautsprache, genau wie die Gebärden- und Schriftsprache eine motorisch- visuelle Sprache. Gehörlose Schülerinnen und Schüler können nicht phoniegeleitet schreiben lernen. o Die logograhemische Lese- und Schreibstrategie ist für den Schriftspracherwerb von gehörlosen Kinder sehr bedeutend, da sie sich am Wortbild orientieren und Wörter visuell mit anderen Wörtern vergleichen. o Auf der syntaktischen und morphosyntaktischen Ebene kommt es zu Fehler, wenn gehörlose Kinder aktiv zu schreiben anfangen. Schrift lernen gehörlose Kinder als eine Art Begriffsschrift und das aktive Memorieren führt zum Kombinieren. Für einen begrenzten Wortschatz beherrschen die gehörlosen Schülerinnen und Schüler die Orthographie gut. „Einzig die zeitstabile und formprägnante Schrift bietet den Gehörlosen die Chance, tiefer in die Mehrheitssprache einzudringen.“ (Wudtke, H., 2001 a, S. 35). Vokabularphase- Strukturelle Phase Der Prozess des Schriftspracherwerbs verläuft interessanterweise bei gehörlosen Schülerinnen und Schülern so ab, dass sie jedes Jahr weiter hinter die Entwicklungsstand hörender Kinder zurückfallen, aber am Ende ihrer Schulzeit können einige gehörlose Jugendliche ihren gesamten sprachlichen Horizont schriftsprachlich ausdrücken und als Leser selbständig erweitern. → Es gelingt einigen gehörlosen Jugendlichen, die Tiefenstrukturen der deutschen Sprache zu rekonstruieren und flexibler anzuwenden, damit verlassen sie die Vokabularphase. Wenn gehörlose Jugendliche im 13. oder 14. Lebensjahr ein strukturelles Leselernniveau erreichen, können sie bis zu ihrem Schulabschluss ein altersadäquates Niveau im Lesen und Schreiben zu erlangen. 27 II. Eine Schriftsprachkarriere im Zeitraffer3 C. wird mit einem für Sprache nicht mehr ausnutzbaren Hörvermögen geboren. Seine Eltern beginnen sofort nach der Diagnose mit der oral-auralen Lautspracherziehung. Nach Angaben seiner Mutter reagiert C. weder mit noch ohne Hörgeräte auf Ansprache oder Geräusche. Mit 2;3 Jahren kann C. die Wörter „Ball, Auto, Wauwau und Puppe“ vom Mund ablesen und spricht lautlos „Mama, Papa“. → Angesichts dieser dürftigen Kommunikation beginnt seine Mutter LBG zu erlernen. C. erwirbt die Gebärden von seiner Mutter und kann mit 2;7 Jahren107 Gebärden produzieren. Im Alter von 3;6 Jahren benutzt er 250 Gebärden. Seine Mutter bietet ihm zu den lautsprachbegleitenden Gebärden immer lautsprachliche Mundbilder an. Im Kindergarten, der mittels LBG kommuniziert, lernt C. Kinder gehörloser Eltern kennen und entdeckt in diesem Zusammenhang die DGS. Nach kurzer Zeit produziert C. etwa 500 Gebärden. Bei Schulanfang umfasst C. aktiver Sprechwortschatz 250 Wörter, die Außenstehende nicht verstehen. Zusätzlich gebraucht er 62 Schriftwörter und beherrscht weitgehend das graphembestimmte Fingeralphabet. Durch aufwendige Recherchen konnte ermittelt werden, dass er etwa 1400 Gebärden zu Schulbeginn verwendet. Seine etwa 1000 aktiven Mundbilder realisieren gleichzeitig teils eigene vokale Gesten, teils Wortvorformen und erste richtig gesprochene Wörter. „C.’s Sprachwelt erscheint als eine Melange aus Gebärden, Mundbildern, Schriftwörtern, Fingerzeichen, in die Schritt für Schritt prägnante Formen (DGSPhrasen, DLS- Phrasen) eingeschrieben werden.“ (Wudtke, H., 2001 b, S. 36). Die Mutter von C. liebt selbst Kinderliteratur und sie hat es geschafft, dass auch C. sich für Bücher interessiert. In der ersten Klasse erzählt C. eigene und fremde Geschichten. C. verwendet beim Schreiben einfache Satzbaupläne (Subjekt – Prädikat – Objekt). In kleinen Schritten erweitert er seine Satzstrukturen. Mit acht Jahren erzählt er vor der Videokamera eigene Märchen und Geschichten. Lesen wird für C. zu einer Leidenschaft. „Pippi Langstrumpf“ liest er mit 10 Jahren alleine. Im Sach- und Literaturunterricht wird als Basis- bzw. Metasprache Gebärdensprache eingesetzt. Zu Beginn der Realschule werden Schulbücher der Regelschule benutzt und in sachlicher Hinsicht gelingt es einen altersangemessenen Unterricht für die gehörlosen Schülerinnen und Schüler anzubieten. Das darf nicht darüber hinweg täuschen, dass die Texterarbeitung zeitintensiv ist, um den Laut- und Schriftspracherwerb fortzuführen. Wudtke beschreibt, dass es im 6. Schuljahr zu kleinen „Schreibexplosiven“ in den Aufsätzen der Schülerinnen und Schülern kommt (vgl. Wudtke, H., 2001 b, S.37). 3 Wudtke, H. (2001b): Von der Leisesprache zur Schriftsprache: Eine Schriftsprachkarriere im Zeitraffer. : In: Grundschule Sprachen 2: 36-38. 28 Im Alter von 11 Jahren schreibt C. von sich aus Witze für seine Lehrerin auf. Daran wird deutlich, dass es sich vom buchstäblichen Wortsinn löst und Humor sowohl unterscheiden also auch genießen kann. C. erreicht bei einem im 6. Schuljahr durchgeführten Lesetest (LT 2), der für hörende Zweitklässler eingesetzt wird, ein Ergebnis im mittleren Bereich. C. hat dank seiner Gebärdensprachkompetenz ein sprachlich geformtes Weltwissen und kann sich auf dieser Grundlage den Sinn von anspruchsvolleren Texten erschließen. Mit zwölf Jahren kann es Wörter wie „Knecht, Mond, Hammer usw.“ erklären. Diese Ersetzungen zeigen einen wichtigen Fortschritt, da genau diese Fähigkeit bei gehörlosen Schülern in Untersuchungen nicht festgestellt werden konnten. Diese Fähigkeit, Metaphern zu verstehen, Synonyme sowie Ober- und Unterbegriffe zu finden, ermöglichen anspruchsvollere literarische aber auch Fachtexte zu verstehen. Im letzten Schuljahr der Realschule wurden mit C. zwei Lesetests durchgeführt. Bei einem Lesetest für hörende Siebtklässler (VL 5-7) erreicht C. einen Prozentrang von 96 und bei dem Lesetest für hörende Neuntklässler (VL 89) schafft er einen Prozentrang von 85. → Laut dieser Testergebnisse besitzt C. eine altersangemessene Literalität. Nach dem Realschulabschluss entschied sich C. weiter auf die Schule zu gehen und das Abitur zu machen. „C. ist ein Beispiel für eine gelebte Zweisprachigkeit eigentümlicher Art: Er ist bilingual, aber monoliteral; er ist ein Grenzgänger, bewegt sich täglich in den Welten der Gehörlosen und Hörenden.“ (Wudtke, H., 2001 b, S. 38). C. kommuniziert in Lautsprache mit seiner Mutter, aber sie verwendet DGS oder LBG. 29 III. Wie Gehörlose schreiben lernen: Die Interaktion von Sprache, Modalität und Unterricht4 Der Begriff „schreiben“ meint sowohl den Prozess als auch das Produkt. Die Funktionen von gesprochener und geschriebener Sprache sind sehr unterschiedlich. Bei einem Text muss die Schreiberin bzw. der Schreiber auf parasprachliche Mittel ( Gestik, Tonfall, Prosodie, Mimik usw.) verzichten und diese mit Hilfe von besonderen sprachlichen Strukturen und neuen Diskurskonventionen ausdrücken. Für hörgeschädigte Schülerinnen und Schüler ist mit dem Schreibenlernen, neben dem Erlernen der Konventionen der Schriftsprache, auch das Erlernen des Vokabulars, die grammatischen Strukturen und Funktionen des Lautsprache verbunden. Das Ziel von Hörgeschädigtenpädagogen ist, dass sich ihre Schülerinnen und Schüler sich ausdrücken und Erfahrungen flüssig mitteilen können. Aus diesem Grund gibt es in Nordamerika und Europa Programme, welche die Gebärdensprache als Unterrichtssprache verwenden. Durch die Verwendung der Gebärdensprache soll gehörlosen Schülerinnen und Schülern ein früher Zugang zu Sprache sowie reiche soziale Interaktion ermöglicht werden. Forschungsergebnisse von Marschark et al.(2002) weisen darauf hin, dass es einen Zusammenhang zwischen der Alphabetisierung und dem schulischen Erfolgen von Schülern gibt. Aus sozialkonstruktivistischer Perspektive sind Lesen und Schreiben Formen der Kommunikation und werden am besten durch soziale Interaktion erlernt. Aber die Interaktion und der Informationsaustausch von gehörlosen Schülern untereinander und mit Lehrern ist behindert, wenn die Lautsprache als Unterrichtssprache verwendet wird. Sprache, Modalität und Unterrichtsmethode sind die drei Faktoren, die das schulische Lernen von gehörlosen Schülerinnen und Schülern maßgeblich beeinflusst. Wie sieht die Beziehung zwischen ASL- Kompetenz und Schreibkompetenz im Englischen aus? Die Entwicklung von Schreibfertigkeiten ist mit der Sprachkompetenz verbunden. Die Verwendung von mehr als einer Modalität scheint den Schriftspracherwerb zu begünstigen. Wilbur (2000) argumentiert folgendermaßen, dass die umgangssprachliche Verwendung von ASL wichtige Eigenschaften des Diskurses nachbildet, die später auf eine andere Sprache (Englisch) und eine andere Modalität (das Schreiben) übertragen werden können. 1977 erforschten Brasel und Quigley die Kenntnisse von 72 gehörlosen Schülerinnen und Schülern im Alter von 10- 18 Jahren in Bezug auf Gebärdensprache und Alphabetisierung in der englischen Sprache. Es gab vier unterschiedliche Gruppen: eine Gruppe mit gebärdetem Englisch, eine ASLGruppe, eine Gruppe mit intensivem mündlichem Frühtraining und eine mündliche Durchschnittsgruppe (es wurden nur mündliche Methoden zu Hause verwendet, kein Frühtraining). Die Schülerinnen und Schüler erhielten Tests, um 4 Albertini, J. (2002): Wie gehörlose schreiben lernen: Die Interaktion von Sprache, Modalität und Unterricht. In: Hörgeschädigtenpädagogik 2/2002: 74-79. 30 ihre Kenntnisse in englischer Syntax und ihre Leseleistungen zu überprüfen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Gruppen mit Gebärdensprache bei jedem einzelnen Test besser abschnitten als die mündlichen Gruppen. Schley (1994) konnte einen bescheidenen positiven Zusammenhang zwischen ASL- Beherrschung und Lese- und Schreibkompetenz im Englischen bei gehörlosen Grundschülern an einer zweisprachigen Schule mit ASL und Englisch feststellen. Singleton und Supalla (1998) konnten keine eindeutige Beziehung zwischen ASL- Kompetenz und Lese- und Schreibkenntnissen im Englischen bei gehörlosen Grundschülern ausmachen. Messbare Auswirkungen der ASL- Leistungen auf die Lese- und Schreibkompetenz sind erst in der Mittel- bzw. Oberstufe festzustellen. Wie gestalten gehörlose Schüler Texte? Studien mit Teenagern und College- Studenten weisen auf der Gebrauch einer inneren Sprache hin, die dem Englischen ähnelt. 7 von 20 gehörlose College- Studenten, allesamt geübte ASL- Verwender, schrieben als sie, um einen Kommentar gebeten wurden, welche Art von Stimme sie beim Schreiben wahrnehmen würden, dass sie eine innere Stimme wahrnähmen. Mehrere beschrieben die Erfahrung so, als ob sie ihre eigene Stimme wahrnähmen, während sie schrieben. Niemand berichtete, dass er beim Schreiben innere Gebärden erlebte. Die Forschungen in diesem Bereich stehen noch am Anfang, aber sie deuten an, dass sowohl Alter als auch Sprachkompetenz, Erfahrung und Schreibsituation die Sprachbzw. Modalitätswahl eines gehörlosen Schreibers beeinflussen. Wie sind Sprache und Modalität mit der Vermittlung des Schreibens im Unterricht verbunden? Die Forschungen ergeben, dass sowohl der frühe Kontakt mit ASL als auch mit Englisch eine starke Unterstützung für den Schriftspracherwerb bietet (Marschark et al. 2002). Wilbur (2000) führt aus, dass die Schwierigkeiten einiger gehörloser Schüler beim Schriftspracherwerb, auf den begrenzten sprachlichen Input in allen drei Modalitäten (gesprochene Sprache, geschriebene Sprache und Gebärden) zurück zu führen sind. Wie können Schulen und Lehrer angemessenen Zugang zu Sprachen in verschiedenen Modalitäten gewährleisten? Die zweisprachigen ASL- und Englischprogramme in Nordamerika beruhen auf der Prämisse, dass das Erlernen und die Verwendung von ASL in der Schule eine solide sprachliche Grundlage und ein Mittel für flüssige Kommunikation im Unterricht darstellen. Es besteht im Gegensatz zu den bilingualen Programmen in gesprochenen Sprachen eine „pädagogische Kluft“ zwischen der „gesprochenen“ Form (ASL) und der schriftlichen Form der Zweitsprache (Englisch). Pädagogen versuchen durch Techniken wie „chaining“ und „sandwiching“ die Kluft zu überbrücken. Beim „chaining“ zeigt der Lehrer ein Konzept mit Hilfe einer Gebärde, weist dann auf den entsprechenden englischen Begriff und buchstabiert anschließend den englischen Begriff mit den Fingern. Beim „sandwiching“ buchstabiert der Lehrer ein englisches Wort 31 mit den Fingern oder zeigt es mit Hilfe einer Gebärde, weist dann auf die schriftliche Version und buchstabiert es erneut mit den Fingern oder zeigt es durch eine Gebärde. Diese Präsentationsmethoden sollen den Schülern helfen, Verbindungen zwischen den Modalitäten zu knüpfen. Witte und Albertini (1989) schlagen den Einsatz eines Dialogtagebuchs vor. In einer Untersuchung, an der 325 gehörlose „High- School“ – Schülerinnen und Schüler und 52 Lehrer aus den gesamten Vereinigten Staaten beteiligt waren, wurden Lehrer im Gebrauch von Dialogtagebüchern und dem prozessorientierten Ansatz der Vermittlung von Schreibfähigkeiten ausgebildet. Analysen von Stichproben zu Beginn und am Ende der zweijährigen Phase haben Verbesserungen in der gesamten Schreibqualität bei den Studenten gezeigt, ebenso wie eine Zunahme in der grammatikalischen Komplexität. 32 Seminar: Schriftsprache und Hörschädigung Dozentin: StR a .e H. Bimüller Referentinnen: Maike Barz Datum: 14.07.2003 Schriftsprache und Gebärdensprache Poppendieker: Praxis des Schreibunterrichts Schüler: - gehörlose Kinder hörender Eltern - LBG bzw. GBL als Erstsprache Kommunikation gegeben, dadurch „normale“ Voraussetzungen Unterricht: - freier Schreibunterricht angestrebte - Wissen-Transformieren-Strategie (das Lernen lernen) - intentionales Schreiben - gl-spezifische Aufgaben: Schreibtelefon, Kommunikation mit Hörenden Schreiben in den lautsprachlichen Konzeptionen: - bei Schuleintritt unzureichende Kommunikationsformen - Schriftsprache ersetzt Formen der Lautsprache - Verschränkung von Schreibunterricht und Sprachaufbauunterricht - Schreiben ist produktorientiert, nicht Prozess oder Strategie bei bestehender Gebärdenkommunikation ist Schreiben im besten Sinne möglich Freies Schreiben in der Gehörlosenschule: Strategien erlernen und bewusst machen - Vorstellungen von Schreiben - Keine Zergliederung - Ausdruck der Persönlichkeit - Eigene Rahmenbedingungen - Öffentlichkeit, Reflexion - Unterstützender Monolog freies Schreiben Voraussetzung ist das bestehende Kommunikationsmittel Sprachproduktionskompetenz: - formale Strukturen werden automatisch produziert, Inhalt bewusst - bei Schwierigkeiten setzen bewusste Lösungsstrategien ein - Sprache zur Planung und Handlungskontrolle - GBL funktioniert als inneres Sprechen - Schreibanfänger „erschreiben“ unbekannte Strukturen - dabei kommentierendes und begleitendes Sprechen/Gebärden 33 GBL als Basis für Formulierungsprozesse: - Vermischung grammatischer Systeme - Manuelle, orale, non-manuelle Komponenten - Begleitendes Sprechen doppelt codiert (manuell und oral) - Was wird verschriftet? Bewusstwerdung nötig: Kinder müssen beide Sprachen trennen können - Ausdifferenzierung in LS und DGS im Laufe der Schulzeit - individueller Sprachcode ist Ansatzpunkt für Schreibunterricht Verschriftungsstrategien: - allgemein: alphabetische Stufe mit „Rechtschreibsprechen“ - gl: rudimentäre Artikulation - Unterstützung durch GMS, PMS notwendig komplex vernetztes orthographisches Lexikon - Hinführung zur orthographische Stufe über Thematisierung von Schwierigkeiten und Regelwissen - Problem: Flexionen und Funktionswortarten - Lösung: Ausdifferenzierung von LS und DGS Umgang mit Fehlern: - keine Normvorlage - Fehler sind Teil des Lernprozesses, Ansatz für weiteren Unterricht - Unterscheidung Verschreiber & Regelfehler - Verschreiber (Rechtschreibung, Zeichen) durch Eigenaktivität korrigieren (Revision, Schreibkonferenz) - Regelfehler (Satzbau, Flexion, Lexikon) durch äußere prozessuale Hilfen (Karteikarten) - Ziel: Verinnerlichung dieser Hilfen zur Umgestaltung des inneren Regelsystems - Kriterium ist die Verständlichkeit Unterrichtskommunikation: - LBG bzw. GBL - Vorteil: Verständigung, freie Unterrichtsformen, Atmosphäre,... - Nachteil: Lehrerausbildung, nicht so flüssig,... - Nicht traditionelles Konzept + LBG - Sondern „bedeutungsvolle Kommunikation“: keine einfache Sprache, freies Schreiben möglich, hohe Gebärdenkompetenz nötig - LBG-Regeln: keine Morpheme und Artikel, Sinnzusammenhang bewahren, Verben & Substantive an DGS orientiert, Orientierung beachten Nie so ideal wie LS oder DGS Hat LBG im Unterricht überhaupt Sinn? Besser gleich DGS ?? 34 3. Deutsche Gebärdensprache und Schreibunterricht 3.1 Besondere Voraussetzungen für den Erwerb von Schreibkompetenz Hier werden die Voraussetzungen gehörloser Kinder von gehörlosen Eltern für den Erwerb von Schreibkompetenz und für den Unterricht im Schreiben untersucht. Ziel: Das Besondere ihrer Situation herausarbeiten, um es für die Früherziehung und Schule zu nutzen. =>Erkenntnisse könnten hilfreich für hörende Eltern gehörloser Kinder sein. 10% gehörloser Kinder haben auch gehörlose Eltern. (Stellt daher Minderheit dar.) 3.2 Unterschiede zwischen Kindern gehörloser Eltern und hörender Eltern Gehörlosigkeit beim Kind ruft keinen Schock bei gehörlosen Eltern hervor. Gehörlose Kinder, gehörloser Eltern haben keine Zusatzbehinderungen. =>Beide Faktoren führen zu stabileren Entwicklung dieser Kinder, da eine emotional ausgeglichene Beziehung zwischen Eltern und Kindern besteht. Leistungsvergleich zwischen Kindern hörender Eltern und gehörloser Eltern bestätigen, dass gehörlose Kinder gehörloser Eltern in allen Bereichen "gleich gut und oft besser"5 abschneiden. Auch in der Schreibkompetenz bringen sie die gleichen Leistungen. Nur der Bereich der Artikulationsfertigkeit stellt eine Ausnahme dar. 3.3 Mögliche Ursachen für die Unterschiede im Verhalten gehörloser und hörender Eltern Der Diagnoseschock bei den hörenden Eltern führt zum Verstummen gegenüber ihren Kindern und die spontanen verbalen Äußerungen entfallen. Gehörlose Eltern hingegen können als Gehörlose mit ihren Kindern von Anfang an kommunizieren und erleben keinen Diagnoseschock. Sie gewinnen die Aufmerksamkeit ihres Kindes und erhalten diese. (Videoaufnahmen zwischen den beiden Gruppen bestätigen dieses Vorgehen!) - - - - 5 6 Hörende Kinder richten in Spielsituationen ihre visuelle Aufmerksamkeit auf den Spielgegenstand oder auf die Spielhandlung. Gehörlose Kinder müssen ihre Aufmerksamkeit zwischen Spielgegenstand/- handlung und "der an sie gerichteten Kommunikation teilen. Gehörlose Mütter halten den Spielgegenstand mit der einen Hand und gebärden mit der freien Hand. Sie passen ihre Strategien den veränderten Bedürfnissen ihres Kindes an. Problem der geteilten Aufmerksamkeit wird nach 12 Monaten gelöst, da das Kind die Signale der Mutter sehr schnell deuten kann und dadurch weiß, wann es zu schauen hat. =>Auf dieser Basis vollziehen gehörlose Kinder eine altergemäße Sprachentwicklung und erwerben eine Primärsprache, "mit der der Alltag bewältigt sowie Welt- u. Sprachwissen erworben werden kann."6 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 202 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 204 35 3.4 Besondere Kennzeichen der Gebärdensprache als Primärspracherwerb bei gehörlosen Kindern mit gehörlosen Eltern Gehörlose Eltern wenden eine Mischform zwischen Lautsprache und Gebärdensprache an, um bei ihren Kindern die selbst erfahrene Diskriminierung durch Hörende zu vermeiden. Gehörlose Kinder erwerben schon vor Schulbeginn Wissen über die DLS, da gehörlose Eltern über die Wichtigkeit der LS für die Zukunft wissen. Das Schreiben ist im täglichen Leben Gehörloser ein wichtiges Kommunikationsmittel. Für deren Kinder ist der Gebrauch von Geschriebenem vertraut. Die Anbindung an eine Gehörlosengemeinschaft erlaubt es den Kindern bei allen Gesprächen teilnehmen zu können. Kinder erwerben "ein dem Wortschatz hörender Kinder vergleichbaren Gebärdenschatz."7 - - - 3.5 Gehörlose Eltern passen ihre Sprache und Gebärden bei den gemeinsamen Buchaktivitäten mit ihren Kindern, deren Entwicklungsstand und Bedürfnissen an. (=>Hörende Eltern geh. K. benennen Dinge und Gegenstände weniger.) Der Kommunikationsanteil bei geh. Kindern mit geh. Eltern liegt um 30% höher als bei geh. Kindern mit hörenden Eltern. Bsp.: Alice beim Buchlesen8: Angepasste kontextbezogene Art der Gebärde fördern die Sprachentwicklung von Alice. Vater und Tochter gehen vom Benennen über zu Aussagen über handelnde Personen und Dinge. Alice kann Bezüge zwischen sich, ihrem Alltag und den Buchgeschichten herstellen. erwirbt dabei Kenntnisse über das Schriftsystem. Soziale Rollenspiele tragen zu weiteren Erfahrungen bei und können beim Schreiben weiter entwickelt werden. Die Zeichen- und Kritzelerfahrungen kommen zum Einsatz u. werden weiter entwickelt. Die Kinder haben bereits schon Erfahrungen über Schreiben und Geschriebenes gesammelt und können ihr Wissen in Kritzelaktivitäten oder Schreibtelefonierversuchen umsetzen. Einfluss der Kindergartenerziehung auf die sprachliche Entwicklung Gehörlose Kinder kommen im Kindergarten und auch in der Schule mit hörendem Personal zusammen. Hier soll untersucht werden, welchen Einfluss dies auf die Kinder nimmt. Die Erzieherinnen benutzen LBG und DGS findet keine Anwendung. Die nur gesprochene LS, ohne Begleitung von Gebärden wird ebenfalls nicht eingesetzt. Kinder gehörloser Eltern nehmen die LBG als eine andere Art zu Gebärden wahr. Bsp. Dieter(3;4 Jahre): lernt im Kindergarten schnell die LBG hinzu und kann sie personenspezifisch einsetzen. 7 8 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 206 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 208 36 Kritik: Die Primärsprache der Kinder wird kaum beachtet. Die Kinder erwerben im Kindergarten eine zweite Sprache, die der LBG. Die Vorkenntnisse der Kinder in Bezug auf Geschriebenes wird nicht weiter gefördert. Die GS Fähigkeiten werden nicht weiter gefördert. Kinder bedürfen nicht der LS zum Schreibenlernen. 4. Konsequenzen für den Schreibunterricht Gehörlose Kinder mit gehörlosen Eltern bringen andere Voraussetzungen für den Schreibunterricht mit, der in methodischen Überlegungen einbezogen werden sollte. Diese Kinder erwerben in Bildungseinrichtungen eine zweite Sprache, die im Schreibunterricht adäquat berücksichtige werden sollte. 4.1 Gegebenheiten der deutschen Bildungseinrichtungen, die einer Veränderung bedürfen - Der gemeinsame Unterricht von Kindern mit gehörlosen und hörenden Eltern erfordert zusätzlich den Einsatz der GS. Die Gruppe der Kinder mit gehörlosen Eltern erlernen eine zweite Sprache in der Schule. Das oberste Ziel der Bildungseinrichtungen ist der Erwerb der deutschen LS in gesprochener und geschriebener Form für alle gehörlosen Schüler. Die GS ist keine Unterrichtssprache und kein Unterrichtsgegenstand. Die Kinder können ihre Primärsprache nicht weiter entwickeln, außer im Elternhaus. Folge: Negativer Einfluss auf die Einschätzung der eigenen Gruppensprache und die Nichtausbildung einer kognitiv-akademischen Sprachkompetenz. In Frankreich und Schweden gibt es bilinguale Programme für gehörlose Kinder. Der Unterricht erfolgt durch zwei Lehrkräfte. Eine gehörlose und hörende Lehrperson, die kompetent in der GS und der LS ist. Auch an deutschen Schulen für Gehörlose wäre es förderlich und notwendig Lehrpersonen zu haben, die kompetent in beiden Sprachsystemen sind. (Eine detaillierte grammatische Beschreibung der DGS liegt nicht vor.) 4.2 Lösungsvorschläge der Autorin9 Hörende Lehrerin sollte zwischen der DGS und LSG unterscheiden, um - - die Primärsprache angemessen anzuerkennen und einzubeziehen. Dadurch können Kinder beim Schreibenlernen für die zweite Sprache andere Formulierungen entwickeln. bei den Kindern hörender Eltern ein Bewußtsein für die Unterscheidung beider Sprachen wecken. Die Vorstellungen der Schüler könnte über geschriebene Formen der LS versprachlicht werden. Die Vorerfahrungen der Kinder gehörloser Eltern könnte hier zum Einsatz kommen. Um die DGS der gehörlosen Schüler zu fördern, wäre ein Fach DGS notwendig, in der eine DGS kompetente Person unterrichtet. 9 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 218 37 Förderlich ist es Gebärdentexte für den Unterricht zu erstellen und den Schreibprozess anzuregen, indem Kinder ihre Ideen in der Primärsprache beitragen und diese auf die zweite Sprache übertragen. 4.3 DGS als Basis für die Formulierungsprozesse beim Schreiben in der DLS Gehörlose Kinder gehörloser Eltern leben von Anfang an in einer "lebensweltlichen Zweisprachigkeit". Sie sind motiviert selber schreiben zu lernen, durch den Gebrauch der Schriftsprache durch die Eltern. Für Kinder hörender Eltern ist es wichtig, "die im GBL-Code codierten Bedeutungen in ihrer Relevanz für die Verschriftung ins Bewußtsein zu heben und Fähigkeiten" für Übertragungen in die geschriebene Form der DLS zu entwickeln.10 - - - Bei gehörlosen Kindern gehörloser Eltern läuft die Entwicklung der Primärsprache im phonologischen, semantischen, syntaktischen und pragmatischen Sinne normal ab. Sie verfügen über ein symbolisches Mittel zur inneren Planung und Handlungskontrolle. Sie können unterscheiden, welche Sprachanwendung ihrer eigenen Sprache entspricht und das Schreiben für sie in einer anderen Sprache erfolgt. In ihren ersten freien Texten werden diese Schüler eine Form der DLS verschriften, mit den von ihnen entwickelten Regeln. Der freie Schreibunterricht ermöglicht eine Individualisierung zwischen dem jeweils beim Formulieren während des Schreibens benutzten Sprachen und Codes. Damit die Lehrerin den Lernprozess eines Kindes erkennt und den Unterricht danach vorbereitet, muss sie über beide Sprachen gute Kenntnisse verfügen. Der individuelle Unterricht darf sich nicht nur auf den Schreibunterricht beschränken und sollte im Lese-, Sprach- und Artikulationsunterricht eine Vorgabe sein. Ihre lebensweltliche Zweisprachigkeit kann sich somit auch im Unterricht äußern. Literatur: Poppendieker, R. (1992): Freies Schreiben und Gebärden. Hamburg: Signum Albertini, J. (2002): Wie gehörlose schreiben lernen: Die Interaktion von Sprache, Modalität und Unterricht. In: Hörgeschädigtenpädagogik 2/2002: 74-79 Wudtke, H. (2001a): Schriftspracherwerb bei gehörlosen Kindern. Ein Rätsel für Pädagogen. In: Grundschule Sprachen 2: 34-35 Wudtke, H. (2001b): Von der Leisesprache zur Schriftsprache: Eine Schriftsprachkarriere im Zeitraffer. : In: Grundschule Sprachen 2: 36-38 10 Poppendieker, R.; "Freies Schreiben und Gebärden"; S. 220 38 39