Leerer Magen und kaputte Häuser

Werbung
Butter gegen Karten.
Das Geld war völlig wertlos geworden. Es gab Bezugsmarken fürs Essen, doch die haben
für meine zwei Geschwister, meine Mutter und mich oft nicht gereicht. Mama hat damals
aus Griesmehl und Zwiebeln Schmalz gekocht, das haben wir uns dann aufs Brot
geschmiert - wenn es welches gab. Glücklicherweise gab es noch den Metzger und die
Bäckerin, die uns ab und zu mal was zugesteckt haben. Das ein oder andere Mal fanden wir
im Fleischpaket, das wir vom Metzger mitgebracht hatten, die abgegebene Karte wieder, die
wir noch einmal verwenden konnten. Doch das Glück hatte nicht jeder.... So Manchen
mangelte es auch an Gespür für die Armut der anderen. Nach 1945 habe ich im Büro einer
Landmaschinenreparaturwerkstatt gearbeitet. Den Besitzern ging es gut, das Ehepaar war
recht füllig. Dadurch, dass sie mit reichen Landwirten handelten, hatten sie ein gutes
Einkommen. Ich musste dort nach getaner Büroarbeit beim Strümpfestopfen helfen und
sah immer den riesigen Tisch voller Lebensmittel vor mir, während wir anderen alle nicht
genügend zu essen hatten.
Ingeborg Schwartze
Natürlich gab es Lebensmittel, die knapp waren, doch mit den Lebensmittelkarten sind wir
immer gut hingekommen, und wer Beziehungen zum Land und den Bauern hatte, lebte
schon recht ordentlich. Mit dem Öl mussten wir allerdings geizen, da kam man nicht so
schnell dran.
Hilde Vetterlein, geb. 1922
Auch mit Nahrungsmitteln und Bekleidung konnte die Soester Bevölkerung nach dem Kriegsende
nur unzureichend versorgt werden. Viele Soester hungerten, aber niemand verhungerte. Lebensmittel,
Toilettenartikel, Textilien oder Schuhe konnten nur gegen Abgabe von Karten erworben werden.
Neben den Lebensmittelkarten für die Grundversorgung gab es über 50 weitere Arten von
Lebensmittelkarten, Reisemarken und langfristige Karten, etwa für Eier, Obst, Gemüse und
Kartoffeln. Dann gab es 20 verschiedene Arten von Sondermarken und 10 verschiedene Sorten von
Bezugs- und Berechtigungsscheinen sowie Quittungsblocks. Allein im Dezember 1947 wurden 3000
Bezugsscheine ausgegeben. Zunächst wurden die Lebensmittelkarten für eine Zuteilungsperiode von
vier Wochen, seit dem 1. Mai 1948 für je einen Monat ausgegeben.
Der folgende Zeitungsartikel über die „neue Zuteilung" von Lebensmittelkarten erschien am 18. 4.
1947 in der Westfalenpost, der Regionalzeitung, die nach dem Krieg als erste wieder im Kreis Soest
zugelassen wurde. Er macht Probleme, die mit der Ausgabe der Karten verbunden waren, deutlich.
Unna 16. April (Eigene Meldung)
Wie bereits in der vorigen Ausgabe kurz gemeldet, erfolgt in der 4. Woche der 100.
Zuteilungsperiode der Aufruf von nur 3 Pfund Brot, um der geringen Vorratslage an Mehl in
vorsorglicher Weise Rechnung zu tragen. Die Lieferung erfolgt für Erwachsene
(Normalverbraucher) auf dem Großabschnitt E mit 1500g, Jugendliche erhalten 5 Pfund Brot.
Die Brotabschnitte IV über 1000g Brot der Lebensmittelkarten 11 und 13 dürfen in der vierten
Woche nicht beliefert werden. Diese Abschnitte sowie alle übrigen nicht aufgerufenen
Brotabschnitte der 100. Zuteilungsperiode behalten ihre Gültigkeit. Sie sind sorgfältig
aufzubewahren, da eine spätere Belieferung vorgesehen ist.
62,5g Fett und 100g Fleisch
Für die vierte Woche der 100. Zuteilungsperiode erfolgt der Aufruf von 62,5g Fett auf dem
Abschnitt I für Erwachsene (Normalverbraucher). Die gleiche Fettmenge erhalten auch
Jugendliche, Kinder, Kleinstkinder und Säuglinge. Für sie ist Abschnitt II b bzw.: III (für
Säuglinge) mit 62,5g Fett zu beliefern. Die Lebensmittelkarten für Erwachsene, Jugendliche,
Kinder sind je nach Vorratslage mit Fett oder Butter zu beliefern, die Lebensmittelkarten 14
bis 16 dagegen ausschließlich mit Butter. Die Abschnitte Fett 3 und 4 der Berechtigungskarte
für werdende Mütter M70 sind je mit 50g Butter zu beliefern.
Der Abschnitt II über Fleisch ist zur Belieferung mit 100g Fleisch aufgerufen. Der Abschnitt
III über 100g Fleisch der 100. Zuteilungsperiode für die 4. Woche zur Belieferung mit 125g
Salzheringen vorgesehen. Ein Ei - aber nicht für alle
In der kommenden Woche kann nunmehr im Bereich des Haupternährungsamtes Ruhr und der
Ernährungsämter B Siegen-Stadt, Siegen-Land, Altena, Olpe, Lüdenscheid, Iserlohn-Stadt und
Iserlohn-Land auf Grund des Anmeldeabschnitts G auf den Einzelabschnitt Nr. 9 der Eierkarte
ein Ei für jeden Versorgungsberechtigten ausgegeben werden.
Ausgabe von Feinbackware
Da Herstellung und Anbieten von Feinbackwaren in einer Zusammensetzung, die mit
gegenwärtigen geringen Rationssätzen nicht in Einklang steht, umfangreiche Kritik ausgelöst
hat, wurden Höchstsätze für die Markenangabe festgesetzt.
Die Anforderung von Zucker- und Fettmarken soll einen Höchstsatz von insgesamt 10g
Zucker oder Fettmarken auf 50g Brotmarken für ein Einzelstück nicht überschreiten. Es
dürfen also für ein Stück Kuchen höchstens verlangt werden z. B. 50g Brotmarken und 10g
Zuckermarken oder 50g Brotmarken, 5 Zucker- und 5g Fettmarken. Als Lohnherstellung ist
nur ein Vorgang anzusehen, bei dem sämtliche Backzutaten vom Auftraggeber angeliefert
werden und lediglich ein Werklohn eingerichtet wird. Eine Abforderung irgendwelcher
Kartenabschnitte darf dabei nicht stattfinden. Alles, was bisher in der Werbung, insbesondere
im Feilhalten der Feinbackwaren zu berechtigter Kritik Veranlassung gegeben hat, ist
zukünftig zu unterlassen.
Auch das Essen in öffentlichen Einrichtungen, etwa der Roten-Kreuz-Küche, oder in Restaurants
wurde mit Lebensmittelkarten bezahlt. Und selbstverständlich wurden den vor allem seit dem
Frühjahr 1946 in großer Zahl nach Soest gekommenen Flüchtlingen oder Vertriebenen
Lebensmittelkarten ausgehändigt. Soest wurde mit Lebensmitteln aus der Börde versorgt. Die
Landwirtschaftsbetriebe dort bestellten ihre Äcker durchschnittlich zu 60 % mit Getreide und zu
20% mit Hackfrüchten. Die Börde lieferte für ca. 100 000 Menschen Brotgetreide, für 70 000
Menschen Kartoffeln und für 500.000 Menschen Fleisch im Jahr. Man kam aber ohne Zulieferungen
von außen nicht aus.
Eine Lebensmittelkarte aus der Nachkriegszeit
Zu einem Missverständnis kam es, als Getreide aus den USA geliefert wurde. Von den Amerikanern
befragt, welche Lebensmittel man am meisten brauchte, wurde ihnen Roggen- und Weizenkorn zum
Brotbacken genannt. Das Wort „Korn„ wurde ihnen aber falsch mit „corn“, also Mais, übersetzt. Der
dann gelieferte Mais hatte den Nachteil, dass man ihn nicht backen konnte. Ihm fehlte die Stärke.
Deshalb wurde er mit Schrot vermischt. Das daraus dann hergestellte Brot schmeckte zwar, sättigte
aber nicht.
Probleme in der Versorgung mit Lebensmitteln gab es auch, weil die Märkte nicht mehr
funktionierten. Wegen der allgemeinen Unsicherheit und des regen Schwarzmarkthandels wurden in
den Jahren 1945 bis 1947 die Wochenmärkte so gut wie gar nicht beschickt. Erst nach der
Währungsreform vom 20. Juni 1948 fanden die Wochenmärkte wieder regelmäßig statt. Da der freie
Handel mit Vieh wegen der Zwangsbewirtschaftung verboten war, fanden von 1943 bis 1947 auch
keine Viehmärkte mehr statt.
Stadt Soest
Lebensmittelkartenausgabe
Die Lebensmittelkarten der 101. Zuteilungsperiode werden für Normalverbraucher im
Stadthaus, Zimmer 22, wie folgt ausgegeben: Für Ostbörde, Westbörde und Burghof:
Dienstag, den 22. 4., Nr. 1 bis 500, Mittwoch, den 23. 4., Nr. 501 bis 1000, Donnerstag, den
24. 4., Nr. 1001 bis 1500, Freitag, den 25. 4., Nr. 1501 bis Schluss. Für Walburg erfolgt die
Ausgabe an den gleichen Tagen Nr. 1 bis 400, Nr. 401 bis 800, Nr. 801 bis 1200, Nr. 1201 bis
Schluss.
Voll- und Teilselbstversorger Mittwoch Nr. 1 bis 301, Donnerstag Nr. 301 bis 600, Freitag Nr.
601 bis Schluss.
Westfalenpost. Soester Zeitung. 18. April 1947, Nr. 31, S. 4
Kampf dem Käfer
Um zu verhindern, dass die so dringend benötigten Nahrungsmittel durch Schädlinge vernichtet
wurden, führte man systematische Bekämpfungsmaßnahmen durch. Eine große Gefahr für die Felder
und die Gärten der Stadtbezirke bildete schon 1945 der Kartoffelkäfer. Es wurde ein KartoffelkäferSuchdienst eingerichtet. Er bestand hauptsächlich aus Schulkindern, die unter Aufsicht ihrer Lehrer
die Felder absuchten, die dann mit Kalkarsen abgespritzt wurden. In den folgenden Jahren gab es
dann wegen des größeren Befalls umfangreichere Maßnahmen. In jedem Frühjahr wurden
Spritzschulungen durchgeführt. Die Teilnehmer wurden zu Spritzwarten ausgebildet, die Gespannund Rückenspritzen beherrschen lernten. Bekämpfungsmaßnahmen wurden durch das
Pflanzenschutzamt eingeleitet. Das setzte auch die jährlichen Termine für die Käferbekämpfung fest.
Schuhe gegen Scheine...
Damals hatte jeder von uns Kleiderkarten und pro Familie gab es eine Schuhkarte. Aber die
meisten trugen Holzschuhe. Die Kinder hatten ständig Splitter in den Füßen. In einem Geschäft
wurden auch Schuhe aus Spanplatten verkauft, mit Papierbändern dran, die man sich um die
Waden wickeln konnte.
Anne Marie Jahn
Es gab nicht einfach neue Anziehsachen wie heute. Wir haben alte Zuckersäcke aufgeribbelt
und uns daraus Pullover gestrickt. Mit Schuhen war es noch schlechter, die konnte man sich nun
nicht eben selber machen. Da musste ich schon mal Vaters derbe Stiefel tragen.
Ingeborg Schwartze
Engpässe gab es auch in der Versorgung der
Soester Bevölkerung mit Textilien, Schuhen,
Haushaltswaren und anderen Gebrauchsartikeln.
Reserven gab es keine. Im Gegenteil. Im Juni
1945 hatten die Briten angeordnet, dass die
Soester überzählige Bekleidungsstücke für die
ehemaligen, in ihre Heimat aufbrechenden
Zwangsarbeiter abgeben mussten. Zwar wurden
sehr viele Anträge auf Bezugsscheine gestellt,
aber nur Bürgern, die sich in großer Not
befanden, wurden sie auch bewilligt. Zum
Beispiel wurden Bezugsscheine für
Fahrradbereifung nur an Arbeiter ausgegeben,
die mehr als 5 km von ihrer Arbeitsstätte
entfernt wohnten, an beinverletzte
Kriegsbeschädigte sowie an Bürger, die
dringend auf die Benutzung ihres Fahrrades
angewiesen waren. Die Angestellten des
Wirtschaftsamtes, die die Bezugsscheine
ausgaben, mussten sich häufig die Klagen derer
anhören, denen trotz Bedürftigkeit nicht
geholfen werden konnte. Versorgen konnte man
sich mit den raren Gütern meistens auf dem
Schwarzmarkt oder in Tauschzentralen. Aber
nach der Währungsreform im Juni 1948 hörten
sie auf oder machten zu. Denn Bekleidung,
Schuhe und anderes gab es jetzt wieder in den
Läden zu kaufen.
Ein behelfsmäßig hergerichtetes Geschäft
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