Konrad Paul Liessmann

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Der Wiener Philosoph und Essayist über den Menschen im Zeitalter seiner
technischen Reproduzierbarkeit.
Konrad Paul Liessmann
Allmählich beginnt man klarer zu sehen. Nachdem sich der Pulverdampf, den die
Auseinandersetzung zwischen dem Philosophen Peter Sloterdijk und seinen
entrüsteten Gegnern produziert hatte, langsam verzieht, wird deutlicher, worum es in
dieser Debatte eigentlich gehen könnte – sicher nicht um die Frage, ob Sloterdijk ein
Kryptofaschist sei, wie seine Kritiker unterstellten. Die rasche Veröffentlichung des
umstrittenen Elmauer Vortrags "Regeln für den Menschenpark" machte schlagartig
klar, dass, wie Antje Vollmer in der "FAZ" schrieb, die "sensationsheischende
Skandalisierung" dieses Textes "einfach zu dreist" war: "Wer lesen und zuhören
konnte, begriff schnell, dass die ganze Hysterie ziemlich ohne textliche Grundlage
agierte." Der Skandal hatte aber sein Gutes. Wie selten zuvor wird in Deutschland
offen über das Problem diskutiert, das im Zentrum von Sloterdijks Vortrag gestanden
hatte: was bedeuten die Möglichkeiten, die sich am Horizont gentechnischen
Fortschritts abzeichnen, für das Selbstverständnis des Menschen.
Erstaunlich an der Erregung über Sloterdijk war ja in erster Linie, dass keines der
von ihm angeschnittenen Probleme bislang unbekannt gewesen wäre. Das Ende des
Humanismus ist mindestens so oft beschworen worden, wie man sich, auch in
Deutschland, die Segnungen der Gentechnik lustvoll ausmalen konnte. Schon 1994
hatte der renommierte Publizist Claus Koch unter dem bezeichnenden Titel "Das
Ende der Natürlichkeit" eine Sammlung zugespitzter Essays veröffentlicht, die
nahezu jede Variante gentechnischen Fortschritts affirmierten – und das reichte vom
Klonen bis hin zur Erzeugung von Tier-Mensch-Chimären; und kurz nachdem das
erste Klon-Schaf das Licht der Welt erblickte, publizierte der Verlag, der sowohl
Sloterdijk als auch seinen Kontrahenten Habermas unter Vertrag hat, unter dem
frivolen Titel "Hello Dolly?" eine Sammlung von Aufsätzen, die zu einem gut Teil
durchaus überzeugend argumentierte Plädoyers für das Klonieren von Menschen
darstellte. Niemand regte sich darüber auf. Möglich, dass die Empörung, die
Sloterdijk provozierte, tatsächlich mit dem Begriff "Anthropotechnik" zu tun hat, von
dem wir angeblich noch viel hören werden. Worin aber besteht die Provokation
dieses Begriffs?
Anthropotechnik ist, anders als viele vermuten, kein von Sloterdijk geprägter
Neologismus. An technischen Universitäten und Fachhochschulen ist dieser
Terminus durchaus geläufig, er bezeichnet ein Teilgebiet der Arbeitswissenschaft,
das
sich
mit
der
menschengerechten
Gestaltung
von
technischen
Arbeitsumgebungen
beschäftigt
–
vom
Entwurf
ergonomischer
Computerarbeitsplätze bis zum Design der lebenserhaltenden Systeme einer
bemannten Raumstation. Die Bedeutung, die Peter Sloterdijk diesem Begriff
gegeben hat, verlagert allerdings den Schwerpunkt von der Schnittstelle zwischen
Mensch und Technik hin zur Selbstanwendung der Technik auf den Menschen.
Damit allerdings verändern sich auch die Konnotationen dieses Begriffes. Klingt
Anthropotechnik als Forderung nach einer Anpassung der Technik an die
Bedürfnisse des Menschen noch seltsam weich und zustimmungsfähig, wird der
Begriff sofort als hart und kontrovers empfunden, wenn damit ein Programm der
Selbstformung des Menschen gemeint ist. Denn die These von Sloterdijk besagte ja,
dass Anthropotechnik nicht nur dort vorliegt, wo der Mensch sich tatsächlich einer
avancierten Technologie unterwirft, wie etwa im Fall der Gentechnik, sondern dass
alle Verfahren zur Gestaltung, Bildung, Erziehung, Sozialisation und Zivilisierung des
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Menschen Anthropotechniken sind. Der Mensch kann gar nicht anders, als sich zu
sich selbst technologisch, das heißt gestaltend und eingreifend, formend und
selektierend, zu verhalten.
Sloterdijk verblüffte bei einer improvisierten Pressekonferenz am Rande des
diesjährigen Philosophicum Lech dann auch die anwesende Journalistenschar mit
einem Hinweis auf die Renaissance-Anthropologie des Humanisten Giovanni Pico
della Mirandola, der schon die universelle Autoplastizität des Menschen gelehrt
haben sollte. Tatsächlich lässt Pico della Mirandola in einer Abhandlung über die
Würde des Menschen aus dem Jahre 1486 Gottvater zu seinem Geschöpf sagen:
"Wir haben keinen bestimmten Wohnsitz noch ein eigenes Gesicht, noch irgendeine
besondere Gabe verliehen, o Adam, damit du jeden beliebigen Wohnsitz, jedes
beliebige Gesicht und alle Gaben, die du dir wünschst, auch nach deinem Willen und
nach deiner eigenen Meinung haben und besitzen mögest. Den übrigen Wesen ist
ihre Natur durch die von uns vorgeschriebenen Gesetze bestimmt und wird dadurch
in Schranken gehalten. Du bist durch keinerlei unüberwindliche Schranken
gehemmt, sondern du sollst nach deinem eigenen freien Willen sogar jene Natur dir
selbst vorherbestimmen." Man mag das als Beginn der neuzeitlichen Hybris des
Menschen zur Selbstermächtigung und auch Selbstschöpfung deuten oder als
vertiefte Reflexion jenes Verdachts, der den Menschen umtreibt, seit er über sich
nachdenkt: dass er dasjenige Wesen ist, das sich selbst immer erst herstellen muss.
Zumindest seit Nietzsches Bemerkung, dass der Mensch das "nicht festgestellte
Tier" sei, gehört die Annahme einer fundamentalen Plastizität und Weltoffenheit des
Menschen zu den Grundüberlegungen der modernen philosophischen
Anthropologie. Ausgerechnet Günther Anders, einer der schärfsten Kritiker der
technischen Zivilisation unseres Jahrhunderts, hatte diesen Befund in jungen Jahren
auf den Punkt gebracht: "Künstlichkeit ist die Natur des Menschen, und sein Wesen
ist Unbeständigkeit."
Anthropotechnik, so ließe sich sagen, ist die Transformation von Natur in Kunst,
angewendet auf den Menschen selbst. Technik ist hier allerdings eher im Sinne der
antike techné zu verstehen: als ein methodisches Verfahren, als eine Kunstfertigkeit
zur Erreichung bestimmter Zwecke. Sie hat zur Voraussetzung, dass es keine wie
immer geartete Natur des Menschen gibt, die sich selbst genügt oder als Maßstab
gelten könnte. Der Naturmensch war immer schon eine Fiktion. Für den Menschen
war seine eigene Natur nur das Ausgangsmaterial, das es erst zu gestalten galt.
Eine prekäre Radikalisierung erfuhr dieser Sachverhalt allerdings durch die
Überlegung, dass es nicht nur darum gehen sollte, den Menschen nach ethischen
und ästhetischen Überlegungen zu formen – antike Verfahren, die Michel Foucault
als "Technologien des Selbst" beschrieben hat –, sondern darum, den Menschen zu
verbessern. Dieses Konzept des "neuen Menschen", der einen alten hinter sich
lassen sollte, ist aber christlichen Ursprungs. Im Christentum taucht die Idee der
Menschenerneuerung in aller Deutlichkeit auf, wenngleich noch gedacht als
spirituelles Erlösungsprogramm, so etwa wenn Paulus in einem Brief an die
Korinther schreibt: "Darum, ist jemand in Christus, so ist er eine neue Kreatur; das
Alte ist vergangen, siehe, es ist alles neu geworden." Dass dies zu einer rasanten
Weiterentwicklung von Anthropotechniken führte, zeigen nicht zuletzt die
Innovationen auf dem Gebiet der Selbstdisziplinierung, wie sie etwa ein
mönchisches Leben vorschreibt, von der Kasteiung bis zu den Meditationstechniken
der Mystiker. Aber auch der umstrittene Begriff des "Übermenschen" aus Nietzsches
"Zarathustra", den Sloterdijk zur Irritation vieler zitierte, ist christlichen Ursprungs. Er
wurde in der Reformationszeit geprägt, findet sich bei Martin Luther und wurde zu
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einem beliebten Terminus der pietistischen Erweckungsliteratur: "Im neuen
Menschen bist du ein wahrer Mensch, ein Über-Mensch, ein Gottes- und ChristenMensch", heißt es in einem Erbauungsbüchlein des 17. Jahrhunderts.
Die Idee des neuen Menschen entfaltete allerdings erst in ihrer säkularisierten
Gestalt ihre ganze Sprengkraft. Die Utopien der Neuzeit wollten samt und sonders
den neuen Menschen kreieren, nun nicht mehr als Resultat einer inneren
Anstrengung, sondern als Produkt einer zivilisationstechnischen Revolution, die von
allem Anfang an auch die Reproduktion des Menschen aus den Klauen des Zufalls
befreien wollte. Im totalitär-utopischen Sonnenstaat des Dominikanermönchs
Campanella wird der neue Mensch tatsächlich schon durch eine sexuelle Zuchtwahl
produziert, andere Utopisten suchten ihn durch eine radikale Umwälzung der
bestehenden Verhältnisse zu erzeugen. Für den russischen Revolutionär und
späteren Volkskommissar Lunatscharski war die Gesellschaft "ein Stück Marmor",
aus dem er eine "schöne Menschheit" kreieren wollte. Der neue Mensch gehörte so
zum Standardrepertoire marxistischer und kommunistischer Wunschvorstellungen,
und getreu der Doktrin, nach der die Umstände die Menschen machen, mussten
zuallererst die Umstände und mit ihnen so manche Menschen daran glauben, ohne
dass der neue Mensch am Horizont der Geschichte je aufgetaucht wäre.
Spätestens seit Anbruch der Moderne sind Anthropotechniken, welcher Art auch
immer, so als Verbesserungstechniken gedacht worden. Das hatte zur
Voraussetzung, dass man den Menschen, so wie man ihn erlebte, als misslungen,
als defizitär, wenigstens als verbesserbar empfand. Abhängig von der politischideologischen Ausrichtung wollte man den Menschen seitdem im Komparativ:
aggressiver oder friedlicher, kälter oder gefühlvoller, härter oder weicher, belastbarer
oder sensibler, egoistischer oder solidarischer. Seit dem 18. Jahrhundert war die
Pädagogik die avancierteste Anthropotechnik zur Erreichung dieser Ziele,
mittlerweile hart bedrängt von den Massenmedien und längst schon konfrontiert mit
dem Eingeständnis ihres Scheiterns. Denn die Geschichte der Erziehung des
Menschengeschlechts ist durchzogen von seltsamen Paradoxien. Einmal, wie etwa
bei Kant, sollte sie notwendig sein, um die barbarische Natur, die Wildheit zu
zivilisieren, und dann wieder, etwa bei Rousseau, rührte alles Unglück von eben
diesem Zivilisationsvorhaben her, und die Rückkehr zu einer unverstellten Natur
schien der einzige Weg, um den Menschen zu vervollkommnen. Noch Marx träumte
von einer "Resurrektion der Natur" in einer befreiten Gesellschaft.
Die Dramatik gegenwärtiger Debatten um die gentechnische Optimierung des
Menschen hat die Erfahrung oder die Einsicht im Hintergrund, dass diese
pädagogischen Projekte gescheitert sind. Nach 200 Jahren Aufklärung ist, wie das
20. Jahrhundert lehrt, der Mensch offenbar nicht besser geworden.
Interessanterweise will sich niemand damit bescheiden, dass der Mensch nun
einmal so ist, wie er ist: den anderen Menschen ein Wolf, wie es Thomas Hobbes
formulierte, der nur durch seine eigene Angst gezähmt werden kann. In der Regel
halten wir – und vielleicht ist dies das entscheidende Problem – an den überzogenen
Verbesserungsfantasien fest, wobei die von zeitgenössischen Reformpädagogen
immer wieder erneuerten Appelle, es doch noch einmal und immer wieder mit der
Erziehung zu versuchen, für viele immer unglaubwürdiger werden. Damit steigt die
Bereitschaft, das Übel an den Wurzeln, das heißt an den Genen, zu packen. So
gesehen müssten die modernsten Anthropotechniken in der Tat die letzte Hoffnung
der humanistischen Weltverbesserer sein: Gentechnik als Fortsetzung der
Pädagogik mit anderen, womöglich tauglicheren Mitteln. Dieser Gedanke, den auch
Sloterdijk andenkt, hat allerdings eine paradoxe Voraussetzung: dass die Formung
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des formbaren Menschen letztlich daran scheiterte, dass sich seine Natur als
widerständiger erwies als erwartet, weshalb in diese Natur selbst eingegriffen werden
muss. Die These von der Plastizität des Menschen war offenbar überzogen, die
Natur des Menschen selbst muss zuerst unter Kontrolle gebracht und dann optimiert
werden. Oder, im Computerjargon: Die Softwareprogramme der Humanisierung
liefen schlecht bis gar nicht auf der bestialischen Hardware des Menschen. Nun soll
diese selbst umgebaut werden. Abgesehen davon, ob die Thesen vom bestialischen
Charakter des Menschen und vom Zivilisationsverfall überhaupt stimmen: mit der
Verlagerung der Selbstformung des Menschen von der Kultur zurück in die Natur
selbst fände ein qualitativer Schnitt statt, der zweifeln lässt, ob Gentechnik
tatsächlich als lineare Fortsetzung bisheriger kultureller Selbststeuerungssysteme
gedacht werden kann.
Der Ruf nach Gentechnik zur Verbesserung des Menschen kann deshalb nicht
mit der Plastizität der Menschennatur argumentiert werden, sondern eher damit,
dass diese sich über alle Maßen als resistent erwiesen hatte. Gleichzeitig aber, und
das markiert den eigentlich problematischen Punkt dieser Debatte, hat sich die
moderne Gesellschaft darauf festgelegt, dass die Natur alle Menschen gleich und
frei geschaffen habe, und dies zu ihrem Fundament genommen. Wer die Natur des
Menschen verändern will, muss sich so über die politischen Konsequenzen dieses
Vorhabens im Klaren sein. Abgesehen davon, dass vieles, was gegenwärtig lautstark
unter dem Stichwort Gentechnik diskutiert wird, noch blanke Utopie ist – von der
Keimbahntherapie bis zum Gendesign seiner Kinder, radikalisieren auch die derzeit
möglichen Anwendungen der Reproduktionstechnologien – von der In-vitroFertilisation bis hin zum Klonen – in erster Linie die Frage nach dem Verhältnis des
Menschen zu seiner Natur. Wenn der Prozess der Modernisierung auch als einer der
fortschreitenden Herrschaft und Kontrolle über die Natur aufgefasst werden kann,
dann bleibt es fraglich, warum dieser Vorgang ausgerechnet vor der Natur des
Menschen selbst Halt machen sollte, zumal diese noch von niemandem eindeutig
bestimmt werden konnte.
Solch offene Fragen führen übrigens dazu, dass sich für und gegen die
Gentechnik seltsame Allianzen bilden. So verwundert es, dass gerade erklärte
Anhänger der Milieutheorie oft vehemente Gegner der Gentechnik sind, wo doch
eher das Gegenteil zu erwarten wäre: Wer überzeugt davon ist, dass die Umwelt
einen wesentlich größeren Einfluss auf die Bildung von Eigenschaften und
Verhaltensweisen hat als Erbanlagen, könnte der gentechnischen Modifikation
gelassen entgegensehen; und ähnlich vertreten aufgeklärte Zeitgenossen, die hinter
jedem Versuch, menschliches Verhalten genetisch zu erklären, schon Biologismus
und Rassismus witterten, nun selbst einen krassen Naturalismus, wenn sie die
vermeintliche Natur des Menschen vor den Zugriffen der Gentechnik retten möchten.
Hinter der Angstlust angesichts der gentechnischen Zukunftsvisionen zur
Menschenbildung steckt bei Gegnern und Befürwortern der Glaube, dass letztlich
doch die Gene für alles verantwortlich seien – nur wollen die einen dies ausnützen
und die anderen die Finger davon lassen. Dieser Glaube selbst könnte sich aber als
verhängnisvoller Irrtum erweisen. Abgesehen von der Schwierigkeit, Verhalten und
Eigenschaften von Menschen auf genetische Determinanten zu reduzieren, könnte
es sich bald erweisen, dass genetische Modifikationen den Menschen vielleicht
gesünder und langlebiger, aber nicht in einem moralischen Sinn besser machen.
Solange der Mensch ein Bewusstsein von Freiheit bewahrt, wird er hin und wieder
anders handeln, als es das Design-Programm vorgesehen hatte.
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Das bedeutet nicht, dass Gen-Technik, auch am derzeitigen Stand, nicht
gravierende Folgen hätte. Gentechnik, nicht zuletzt das viel diskutierte Klonen,
könnte vorerst einmal beschrieben werden als die Anwendung der Prinzipien der
wissenschaftlich-technischen Zivilisation auf den Menschen selbst. Zum Inbegriff
dieser Prinzipien gehört die Produktion von Identitäten. Ein wissenschaftliches
Experiment etwa ist nur gültig, wenn es gelingt, identische Ergebnisse durch
identische Verfahren unter identischen Bedingungen zu gewinnen. Mit anderen
Worten: Ein Experiment muss jederzeit wiederholbar sein. Der industriellen
Produktionsweise hat dieses Prinzip zum Erfolg verholfen: Sie stellt massenhaft
identische Güter unter identischen Bedingungen her, und selbst in der Kunst
triumphiert seit Walter Benjamin die Kopie über das Original. Günther Anders hat
schon in den fünfziger Jahren vermutet, dass es der Mensch auf Dauer nicht
aushalten werde, nicht in einer ähnlichen Weise gemacht zu werden wie seine
erfolgreichen Produkte. Unter dem Stichwort "Human Engineering" hatte Anders,
wenn auch mit großer Abwehr, die Tendenz der Entwicklung vorausgesehen: Der
Mensch wird seine eigene Entstehung letztlich den von ihm geschaffenen
Produktionstechnologien anvertrauen und sich dort, wo er es für profitabel erachtet,
in Serie herstellen, um seine "Malaise der Einzigartigkeit" zu überwinden und den
Zufall auszuschalten.
In einem bemerkenswerten Essay in der "FAZ" hat der Berliner Philosoph
Rüdiger Safranski jüngst in Bezug auf diese Reproduktionstechnologien die These
formuliert, dass Menschen demgegenüber ein Recht darauf haben müssen, geboren
anstatt gemacht zu werden, dass sie ein Recht darauf haben, ihr genetisches
Schicksal nicht zu kennen, und er argumentiert dies mit einem notwendigen Respekt
vor den letzten Geheimnissen der Natur, die sich unseren Verfügbarkeiten
entziehen: "Man will nicht nur von seinesgleichen gemacht, sondern ein Geschöpf
des Ungeheuren sein." Genau an diesem Punkt werden sich die Konturen einer
Selbstdeutung des Menschen herausbilden, wie sie durch die Fortschritte der
Reproduktionsmedizin provoziert werden. Nach dem derzeitigen Stand der Technik
und der Diskussion kann allerdings vermutet werden, dass Safranskis Vorschlag, der
übrigens einen schon vor anderthalb Jahrzehnten geäußerten Gedanken von Hans
Jonas aufgreift, zu spät kommt. Das eingeforderte Recht des Menschen auf ein
Nichtwissen seiner genetischen Disposition und der Bedingungen seines Zur-WeltKommens wird – so steht zu vermuten – rasch umschlagen in eine Pflicht zur
Produktionskontrolle des Menschen. In dem Maße, in dem es technisch möglich
wird, Erbkrankheiten frühzeitig zu diagnostizieren, steigt der Druck zur
vorgeburtlichen Therapie oder Selektion: In den USA führen behinderte Kinder
Prozesse gegen ihre Eltern, weil diese es unterlassen haben, sie abzutreiben. In
dem Maße, in dem es technisch möglich sein wird, Verhaltensdispositionen
genetisch zu modellieren, wird der Druck steigen, nichts unversucht zu lassen, um
dem Nachwuchs die besten Ausgangschancen zu bieten. Der Druck wird nicht nur
einer der Genmedizin und der sozialpolitischen Umwelt sein; der Druck wird vor
allem durch diejenigen erzeugt werden, die sich in einer Welt der genetisch
optimierten Zeitgenossen zunehmend benachteiligt fühlen müssen, gerade weil ihre
Eltern noch das Recht auf zufallsgesteuertes Zeugen und Gebären in Anspruch
nahmen, statt dass sie die Pflicht zur planmäßigen Konfiguration des Embryos auf
sich genommen hätten. Damit allerdings hört Gentechnik auf, eine Frage der
individuellen Entscheidungsfreiheit zu sein, und schlägt um in Biopolitik.
Die Reduktion gen-ethischer Fragen auf den Entscheidungsspielraum eines
Individuums verkennt den sozialen und politischen Charakter jeder Anthropotechnik.
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So attraktiv Gentechnik und Reproduktionsmedizin für die Gesundheit,
Lebensgestaltung und Nachwuchsplanung des Einzelnen auch sein können, weil
damit eine Reihe neuer Handlungsoptionen erwächst, so fatal oder zumindest
unerwünscht können die gesellschaftlichen Auswirkungen sein. Es geht eben nicht
nur darum, wie der Einzelne sich in Zukunft fortpflanzen möchte, sondern mit den
damit verbundenen Optionen und der Art und Weise, wie sie wahrgenommen
werden, fallen kulturelle und politische Entscheidungen höchsten Ranges. Und wie
immer man es dreht und wendet, wie zurückhaltend oder wie intensiv man
Gentechnik angewendet sehen möchte: Sie kratzt am Postulat der natürlichen
Gleichheit der Menschen und führt, auf welchen Umwegen auch immer, zurück zu
den nicht zuletzt durch die deutsche Geschichte diskreditierten Fragen der Eugenik.
Dass man deshalb in Deutschland – im Gegensatz etwa zu den USA, wo
Menschenzüchtungsprogramme in der wissenschaftlichen Öffentlichkeit durchaus
diskutiert werden können – diesem Problemkomplex gegenüber äußerst sensibel ist,
hat gute Gründe; daraus allerdings Denk- und Sprechverbote abzuleiten ist
kontraproduktiv. Sloterdijk vorzuwerfen, dass er einen Begriff wie Selektion
verwende, der doch an Auschwitz erinnere, wie es der Philosoph Ernst Tugendhat
jüngst in der "Zeit" getan hat, trifft nicht genau die Sache. Zu fragen wäre, ob die
immanenten Perspektiven der Gentechnik nicht Selektionsoptionen parat halten, die
tatsächlich an Grundzüge der Biopolitik der Nazis erinnern.
Es genügt die Vorstellung, dass sich das technisch mögliche Gen-Screening, wie
von manchen gefordert, im Arbeits- und Versicherungsbereich durchsetzen werde,
um sich über mögliche gesellschaftspolitische Konsequenzen klar zu werden.
Menschen mit genetisch determinierter höherer Krankheitsanfälligkeit oder
niedrigerer Lebenserwartung würden auf dem Arbeitsmarkt und in der Gesellschaft
zweifelsohne gezielt diskriminiert und benachteiligt werden – bis hin zu
eingeschränkten Möglichkeiten, sich fortzupflanzen. Es würde zweifellos eine
Selektion stattfinden – so unscheinbar diese auch in ihren ersten
Erscheinungsformen auftreten mag. Gegenüber den bisherigen Formen der
Benachteiligung von Menschen erreichte diese aber eine neue Qualität: Der
Selektionsnachteil wäre nun tatsächlich in der Natur selbst verankert, quasi
objektiviert durch die genetische Identität, die jeder als Strichcode mit sich trüge, und
das Postulat von der natürlichen Gleichheit der Menschen hätte sich als das
entpuppt, was viele immer schon vermuteten: als Nichtwissen von den natürlichen
Ungleichheiten der Menschen. Wer dann noch immer an diesem Postulat aus guten
politischen Gründen festhalten wollte, könnte gar nicht anders: Er müsste überhaupt
erst einmal die Herstellung einer Gleichheit der Menschen durch Verbesserung und
Angleichung ihres genetischen Basismaterials fordern. Da aber niemand glaubt,
dass unter gegenwärtigen und zukünftigen Bedingungen die Segnungen der
Gentechnik allen Menschen gleichermaßen zuteil werden, ist bei einem
beschleunigten Fortschritt der modernen Anthropotechniken eher zu erwarten, dass
sich die Differenzen zwischen den reichen und armen Zivilisationen noch einmal
dramatisch verstärken würden. Man braucht ja gar nicht den in Amerika beliebten
Horrorvisionen zu folgen, nach denen eine Rasse gentechnisch optimierter
Menschen weder willens noch fähig wäre, sich mit den naturbelassenen zu paaren,
man muss auch nicht von Züchtung und Übermenschen träumen oder warnen. Ein
Blick auf den gegenwärtigen Weltzustand zeigt, was es für eine globalisierte Erde
bedeuten muss, wenn sich in naher Zukunft in den Industrieländern schmale,
genmedizinisch hoch gerüstete Bevölkerungssegmente mit einer Lebenserwartung
von nahezu hundert Jahren ganzen Kontinenten gegenübersehen, auf denen ein
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durchschnittliches Menschenleben nicht länger dauert als einstens im europäischen
Mittelalter.
Bei einer Diskussion in Berlin hat sich Peter Sloterdijk der Forderung
angeschlossen, in Sachen Genpraxis eine Nachdenkpause von 50 Jahren
einzulegen. Wenn man, was zu erwarten ist, diesen Vorschlag achtlos beiseite
schiebt, sollte man zumindest nicht diejenigen inkriminieren, die versuchen, die
Bedingungen und Konsequenzen dessen zu verstehen, was gerade geschieht.
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