Predigt zur Liturgiekonstitution Die heutige jüngere Generation kann sich gar nicht mehr ein Leben ohne Computer, ohne Internet, ohne Handy, SMS, Facebook, Google oder Youtube vorstellen. Wenn ich ihnen erzähle, dass ich meine Facharbeit Ende der 80er Jahren noch mit der Schreibmaschine geschrieben habe, dann merke ich, dass ich von einer anderen Zeit rede. In einer Zeit, in der man nicht den anderen 5 min, nachdem die vereinbarte Zeit des Treffens verstrichen war, auf dem Handy anrufen konnte: Wo bleibst du denn? Ja ich bin jetzt in der Kantstraße. Ohje, dann musst du gleich rechts abbiegen usw. Diese zwei Zeiten sind durch die Computerrevolution getrennt. So ähnlich ist es auch mit der katholischen Liturgie vor und nach dem II. Vatikanum. Nirgendwo sonst ist für die breite Öffentlichkeit die Revolution II. Vatikanum so offensichtlich als in der Liturgie! Heutzutage ist so vieles selbstverständlich im Gottesdienst, dass das revolutionär Neue gar nicht mehr auffällt – genauso wie der jungen Generation Computer, Handy, SMS und Youtube selbstverständlich ist! Also beamen wir uns mal gut 50 Jahre zurück und sind Mäuschen in einem typisch vorkonziliarem Gottesdienst: Außer die Predigt alles auf Latein, nicht in der Landessprache. Kein Volksaltar sondern die Messe wurde mit dem Rücken zum Volk gesprochen. Was taten die Gläubigen – Latein verstanden die meisten ja nicht. In der Singmesse sang man zum Glück schöne Lieder, auf Deutsch und passend zum jeweiligen Augenblick der Messe. Aber was sollte man in der stillen Messe ohne Lieder machen? Die Frommen beteten Rosenkranz, die Gelangweilten verzogen sich auf die Empore und konnten da auch mal geheim eine rauchen und plauschen. Bei viel Weihrauch merkten das die Frommen unten nicht. Die Fortschrittlichen lasen im zweisprachigen Schott mit. Aber das war eine jüngere Entwicklung am Vorabend des II. Vatikanums. Und der Priester? Der las die Messe und zwar alles – nur die Ministranten klinkten sich bei gewissen Stellen mit ihren lateinischen Antworten ein. Leise las er die Messe, die Einsetzungsworte durfte er nur flüstern, damit es im Volk keiner hörte, um des Geheimnisses willen. Kein Wunder, dass der lateinische Spruch von „Dies ist mein Leib“ als quasi Zauberspruch von den Leuten verstanden wurde, dem man magische Kraft zutraute. Was hörte man da immer? War es Hokuspokus? Warum muss der Pfarrer das auch immer so leise sprechen! Aber zur Kommunion ging das normale Volk selten. Man betete eher nur den Leib Christi an. Wichtig ist nun: Die Liturgie war nicht immer so in der Kirche! Erst seit dem Trienter Konzil 1570 ist die Liturgie vereinheitlicht, seitdem nur noch ein Hochgebet und ein Messformular für alle katholischen Messen. Davor gab es eine Vielfalt von Riten. Und es gab auch mehr Personen, die aktiv am Gottesdienst beteiligt waren: neben Priester und Ministranten auch Lektor und Kantor und Diakon, evtl. auch ein Chor. Ist nun das Revolutionäre, dass man diese Vielfalt vor dem Trienter Konzil wieder aufgriff, die Landessprache erlaubte und einen Volksaltar einführte? Das Entscheidende der Liturgiekonstitution aus dem II. Vatikanum wäre dann noch nicht begriffen. Kennen Sie Malen nach Zahlen? Auf einer Leinwand sind genau die Umrisse der Farbteile eingezeichnet und dazu die Nummer der Farbe, die Sie hinein malen sollen. Aber ein großer Maler malt ganz anders. Er hat einen Eindruck, vielleicht auch eine Idee und aus dieser Ahnung, Empfindung, Eindruck, evtl. ausgelöst durch eine Landschaft, Stillleben oder Person, malt er sein Bild. In der Liturgie gibt es auch ein Malen nach Zahlen: Einfach wortwörtlich die Messe lesen und alle Anweisungen des Messbuches genau befolgen. Kapieren muss man davon eigentlich nichts… Hauptsache man liest genau ab und befolgt alle Anweisungen. Liturgische Unterweisungen für Priester im 19. Jahrhundert war meistens auch nicht viel mehr als Erklären, wie Malen nach Zahlen geht. Aber liturgische Formen sind wie ein großartiges Bild ein quasi ästhetischer Ausdruck, der einen Geist vermitteln will. Liturgie soll nicht Malen nach Zahlen sein, sondern mit dem Wissen um die innere Bedeutung und Sinn vollzogen werden. „Vom Geist der Liturgie“ nennt Romano Guardini seine Schrift, die er am Osterfest 1918 vollendet hat. Er ist der bekannteste Wegbereiter der liturgischen Bewegung. Papst Pius X. selbst lud die Katholiken 1905 schon in einem Dekret dazu ein, die Kommunion regelmäßig zu empfangen, ein erster Schritt zu mehr aktiver Teilnahme. In der liturgischen Bewegung wurden dann konsequent nach einem neuen Verständnis von Gottesdienst gesucht und auch Neues im Vollzug ausprobiert, wie zum Beispiel ein Volksaltar. Das II. Vatikanum nahm dieses Suchen nach dem Geist der Liturgie auf und entwickelte von daher seine Liturgiekonstitution. Was ist also für das II. Vatikanum der Geist der Liturgie, aus dem sich dann die Formen ergeben müssen? Erstens: Jede gottesdienstliche Feier hat grundsätzlich zwei Bewegungen: Gott wendet sich dem Menschen zu und der Mensch antwortet. Damit hat jede Liturgie dialogische Struktur. Zum Beispiel im Wortgottesdienst: Wir hören das Evangelium, Jesus Christus spricht damit selbst zu uns. Gott wendet sich uns zu. In der Predigt wird die Botschaft ausgelegt, wir können das Evangelium verarbeiten. Dann antworten wir mit dem Glaubensbekenntnis und mit den Fürbitten. Diese Bewegung ist urmenschlich, wie Einatmen und Ausatmen, und sie ist ebenso typisch Gottes Handeln: Gott wird Mensch, er steigt hinab! Und die Menschheit wird durch Leben, Verkündigung des Reiches Gottes, Tod und Auferstehung Christi zu Gott emporgehoben! Zweitens: In jedem Gottesdienst ist Jesus Christus selbst gegenwärtig, in der betenden Gemeinde, in seinem Wort, dem Evangelium, in seinen Sakramenten. Eigentlich spendet er durch den Heiligen Geist jedes Sakrament. In jedem Gottesdienst feiern wir seine Gegenwart, schaffen wir Raum, seine Gegenwart zu erleben. Jeder Gottesdienst möchte Begegnung sein, Begegnung mit Jesus Christus! Drittens: Die Gemeinde ist Trägerin des Gottesdienstes. Das Volk Gottes feiert Gottesdienst, nicht ein Priester allein. Jesus Christus will sich nicht nur einzelnen in ihrer frommen Seele mitteilen, sondern er will gerade auch in der Gemeinschaft von Gläubigen erlebbar sein. Deswegen sollen alle den Gottesdienst mitvollziehen: geistig dabei sein, zuhören und mitbeten, aber auch aktiv dabei sein können, als Lektor, Kommunionhelfer, Ministrantin, beim Kommunionempfang, beim gemeinsamen Singen im Chor usw. Und hier sieht man, dass die äußeren Veränderungen gewissermaßen Folgeerscheinungen, Konsequenzen sind. Nicht mehr Malen nach Zahlen sondern aus einem verstandenen Sinn der Liturgie her Liturgie gestalten: dann muss die Sprache die Landessprache sein! Wenn alle aktiv feiern, kann sich der Priester nicht im Hochgebet vom Volk Gottes wegwenden. Viertens: Wenn es darum geht, die Gnade Gottes und unsere Antwort zu feiern und erleben zu lassen, dann können die Formen sich ändern, dann darf es auch eine Vielfalt von Formen geben, dann müssen die Texte, Riten und Formen so sein, dass sie diesen Geist der Liturgie so ausdrücken, dass es die Menschen von heute auch verstehen. Und deswegen müssen Texte, Formen, Lieder auch immer neu entstehen, verändert werden, reflektiert werden. Denn keine liturgische Form ist als ewiges Gesetz vom Himmel gefallen, sondern ist aus einem geschichtlichen Prozess heraus entstanden. „Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben. Bei dieser Erneuerung sollen Texte und Riten so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.“ Zitat aus Nr.21 In der Zeit nach dem II. Vatikanum ist in dieser Hinsicht viel passiert. Vor dem II. Vatikanum gab es nur ein Hochgebet, und das war in seiner inneren Struktur nicht homogen. Nach dem Konzil wurde ein Hochgebet aus der Alten Kirche wiederbelebt und wurde inzwischen vielleicht zum beliebtesten Hochgebet. Aber man schrieb auch neue Hochgebete, das 3. und 4. im Messbuch, drei Kinderhochgebete, die vier sogenannten Schweizer Hochgebete und das Versöhnungshochgebet. Aber seit 30 Jahren tut sich nichts mehr. Man hält sich in Rom nicht mehr an die Marschrichtung der Liturgiekonstitution, Texte neu entsprechend dem Wandel der Menschen neu zu formulieren und mehr Vielfalt anzubieten. Anstatt neue Hochgebete zu erlauben, betete Papst Benedikt in jeder Messe das vorkonziliare erste Hochgebet. Aber wir sollten nicht nur nach Rom schauen. Die Aufforderung, eine lebendige, gemeinschaftliche, verständliche, Gottes Gnade offenbarende Liturgie zu feiern, gilt für jede Gemeinde. Sie ist eine wunderbare Herausforderung, die uns mit Freude erfüllen darf: Weil wir Gottes Liebe zu den Menschen feiern dürfen! Pfarrer Michael Pflaum Lesung aus der Liturgiekonstitution 7 Um dieses große Werk voll zu verwirklichen, ist Christus seiner Kirche immerdar gegenwärtig, besonders in den liturgischen Handlungen. Gegenwärtig ist er im Opfer der Messe […] vor allem unter den eucharistischen Gestalten. Gegenwärtig ist er mit seiner Kraft in den Sakramenten, so dass, wenn immer einer tauft, Christus selber tauft. Gegenwärtig ist er in seinem Wort, da er selbst spricht, wenn die heiligen Schriften in der Kirche gelesen werden. Gegenwärtig ist er schließlich, wenn die Kirche betet und singt, er, der versprochen hat: "Wo zwei oder drei versammelt sind in meinem Namen, da bin ich mitten unter ihnen" (Mt 18,20). … 21 Damit das christliche Volk in der heiligen Liturgie die Fülle der Gnaden mit größerer Sicherheit erlange, ist es der Wunsch der heiligen Mutter Kirche, eine allgemeine Erneuerung der Liturgie sorgfältig in die Wege zu leiten. Denn die Liturgie enthält einen kraft göttlicher Einsetzung unveränderlichen Teil und Teile, die dem Wandel unterworfen sind. Diese Teile können sich im Laufe der Zeit ändern, oder sie müssen es sogar, wenn sich etwas in sie eingeschlichen haben sollte, was der inneren Wesensart der Liturgie weniger entspricht oder wenn sie sich als weniger geeignet herausgestellt haben. Bei dieser Erneuerung sollen Texte und Riten so geordnet werden, dass sie das Heilige, dem sie als Zeichen dienen, deutlicher zum Ausdruck bringen, und so, dass das christliche Volk sie möglichst leicht erfassen und in voller, tätiger und gemeinschaftlicher Teilnahme mitfeiern kann.