Glaube und Naturwissenschaft (LP I, 1 P)

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Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1995 - 1. Neuner
Es fällt auf, daß die modernen Wissenschaften in dem Kulturkreis entstanden sind, der von der
christlichen Tradition geprägt ist. Der christliche Gottesglaube war historisch offensichtlich mit eine
Voraussetzung für das Entstehen wissenschaftlichen Denkens. In der jüdisch-christlichen Religion
sieht sich der Mensch unter den Auftrag gestellt: „Macht euch die Erde untertan“ (Gen 1,28). Der
Schöpfungsglaube setzt den Menschen frei, die Natur in seine Hand zu nehmen. Wer die Natur
und ihre Gesetze erforscht, steht nicht in Konkurrenz zu Gott; er macht sich nicht des Eindringens
in göttliche Bereiche und in vorbehaltene Zonen schuldig. Das Tabu ist gefallen. Die Vorstellung,
daß der Mensch die Welt nur in Konkurrenz zu den Göttern beherrschen kann, daß er die Götter
eifersüchtig macht, wenn er groß, mächtig und wissend wird, ist nicht biblischen Ursprungs, sondern stammt aus dem griechischen Denken, wo Prometheus dafür bestraft wird, daß er den Göttern das Feuer gestohlen hat. Wer die Gesetze der Welt entdeckt, versündigt sich nach
christlicher Überzeugung nicht an Gott, er vollzieht vielmehr seinen Auftrag.
Die Entdeckung naturwissenschaftlicher Zusammenhänge ist keine Widerlegung Gottes. Der Gott,
den der christliche Glaube als den Schöpfer des Himmels und der Erde bekennt, existiert nicht auf
der Ebene der Wirklichkeiten, die durch wissenschaftliche Forschung erhellt wird. Gott kann darum auch nicht als Lückenbüßer menschlicher Erkenntnis dienen. Der Blitz ist nicht Gott; und
wenn derartige Gottesvorstellungen durch die Naturwissenschaft überwunden wurden, war das ein
Dienst am Glauben. Durch die Wissenschaften wurden Mißverständnisse, Verkürzungen, Verwechslungen und unberechtigte Identifizierungen von innerweltlichen Erscheinungen mit Gott
überwunden. Dadurch wurde der Glaube geläutert, auch wenn dieser Prozeß für den Glaubenden
oft schmerzlich war.
P. Neuner, Die Frage nach Gott als Frage des Menschen, in: DIFF Tübingen (Hg), Funkkolleg Religion,
Studienbegleitbrief 2, Weinheim-Basel 1983, S.31
Aufgaben
1.
Erheben Sie aus dem Text den Beitrag des christlichen Gottesglaubens und des naturwissenschaftlichen Denkens für das Verständnis von Gott und Welt. (10 P)
2.
Verdeutlichen Sie an einem Beispiel aus dem Alten oder dem Neuen Testament, was die
Bibel unter Glauben versteht. (14 P)
3.
Erläutern Sie an einem Problemfeld der Gegenwart, inwiefern Glaube und Naturwissenschaft zu verantwortlicher Gestaltung von Leben und Welt aufeinander verwiesen sind. (18
P)
4.
Erörtern Sie die Behauptung des Verfassers, daß der durch die Naturwissenschaften ausgelöste Prozeß einen „Dienst am Glauben“ geleistet hat. (18 P)
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1995 / 1. Neuner
Lösungshinweise
zu Aufgabe 1:
Beitrag des christlichen Gottesglaubens:
Christlicher Gottesglaube
 erkennt die Welt als Schöpfung Gottes an
 will, daß der Mensch sich im Auftrag Gottes die Welt untertan machen soll (Gen 1,28)
 entmythisiert die Welt
 schafft die Voraussetzung für wissenschaftliches Denken
 überwindet das Tabu, in göttliche Bereiche einzudringen und so zum Konkurrenten Gottes zu
werden
 befähigt zur Erforschung der Natur und ihrer Gesetze.
Beitrag des naturwissenschaftlichen Denkens:
Wissenschaftliche Forschung
 betrachtet die Wirklichkeit der Welt von der ihr eigenen Ebene aus, auf der die Frage nach der
Existenz Gottes nicht zu entscheiden ist
 hat dem Glauben dadurch gedient, daß sie unzulässige Identifikationen Gottes mit innerweltlichen Phänomenen aufdeckte
 war Ursache für die Läuterung des Gottesglaubens.
zu Aufgabe 2:
Das biblische Glaubensverständnis kann u.a. aufgezeigt werden an:
 Gen 1 und 2 (Schöpfungstheologie des AT)
 Gen 12. 15 (Glaubensgehorsam des Abraham)
 Mk 14 (Jesu Todesangst und sein Vertrauen auf den Vater)
Folgende Aspekte können je nach gewähltem Text u.a. verdeutlicht werden:
 Anerkennung Gottes als Schöpfer von Mensch und Welt
 Beauftragung des Menschen durch den sich offenbarenden Gott
 Bereitschaft des Menschen, dem Ruf Gottes zu folgen (Umkehr)
 Vertrauen auf Gottes Führung (Geborgenheit)
 Wagnis des eigenen Lebens (Hoffnung)
zu Aufgabe 3:
Grundsätzlich kann darauf abgehoben werden, daß sowohl die Naturwissenschaften als auch der
Glaube Dimensionen der Wirklichkeit erfassen. Die Naturwissenschaften und der Glaube sind je
auf ihrem Gebiet eigenständig. Glaube ohne Wissen steht jedoch in der Gefahr, den Bezug zur
Wirklichkeit zu verlieren. Da die Naturwissenschaften von ihrem Gegenstand und ihren Methoden
her keine ethischen Maßstäbe zu setzen vermögen, sind sie auf Orientierung verwiesen, die ihnen
auch der biblische Glaube aufzeigen kann.
Die Erläuterung kann z.B. am Problemfeld der Humangenetik durchgeführt werden:
 die biochemische Forschung ermöglicht den Einblick in die fundamentalen Strukturgesetze des
Lebens
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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 sie schafft die Grundlage für einen technischen Eingriff in das Erbgut des Menschen
 der Schöpfungsglaube muß - will er realitätsbezogen sein - die Ergebnisse der Humangenetik
zur Kenntnis nehmen
 zum verantwortlichen Umgang mit den wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten, die
sich aus der biochemischen Forschung ergeben, ist eine ethische Normgebung erforderlich
 ethische Normen können nicht aus naturwissenschaftlichen Voraussetzungen und mit naturwissenschaftlichen Mitteln begründet und aufgestellt werden
 ausgehend von der Gottebenbildlichkeit des Menschen und seiner darin begründeten unbedingten Würde, kann der biblische Glaube einen Beitrag zum verantwortlichen Umgang mit den
wissenschaftlichen und technischen Möglichkeiten der Humangenetik leisten.
zu Aufgabe 4:
Die Erörterung kann aufzeigen:
 Naturwissenschaft ermöglicht Einsichten in die Natur und ihre Gesetzmäßigkeiten, die objektivierbar, quantifizierbar, eindeutig und in der Technik anwendbar sind
 diese Ergebnisse stehen in einer gewissen Spannung zum herkömmlichen Verständnis biblischer Aussagen
 das kann zu Glaubenskrisen, Indifferenz oder Ablehnung des biblischen Glaubens führen
 andererseits ermöglicht es die Klärung von Glaubensaussagen der Bibel, die weltbildhafter Einkleidung und geschichtlichem Wandel unterworfen ist
 folglich sind die biblischen Schriften auf ihren religiösen Gehalt und ihre eigentliche Intention
hin zu befragen: Sie sind keine Naturwissenschaft, sondern unterliegen den Auslegungsmethoden der biblischen Hermeneutik.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1995 - 2. Daecke / Testart
Der Theologe Sigurd Daecke, Inhaber des Lehrstuhls für Evangelische Theologie an der Philosophischen Fakultät der RWTH Aachen, zum Thema Naturwissenschaft und Religion:
Wenn Gott den Menschen als seinen Mitschöpfer geschaffen hat, dann hat er mit dessen Vernunft
und Geist auch Naturwissenschaft und Technik geschaffen. Wenn Gott wie in der kosmischen und
biologischen auch in der geistigen und kulturellen Evolution wirkt, dann ist das wissenschaftliche
und technische Vermögen des Menschen diesem von Gott gegeben. Natürlich kann er es, wie
auch seinen Leib und seinen Geist, mißbrauchen und gegen Gott und dessen Schöpfung einsetzen. Aber der Mißbrauch einer guten Gabe Gottes ist kein Grund, sie zu verurteilen. Und so ist wie alles, womit sich die geistige und kulturelle Evolution ereignet - auch die Naturwissenschaft,
sogar die von der christlichen Ethik so verurteilte Gentechnologie, eine Weise Gottes, seine
Schöpfung durch den Menschen als seinen Mitschöpfer weiterzuführen. Die Naturwissenschaft als
solche ist weder gut noch böse - der Mensch jedoch kann böse sein und ihre Ergebnisse schöpfungswidrig und evolutionswidrig entwickeln und benutzen.
Sigurd M. Daecke, „Naturwissenschaft als sicherer Weg zu Gott?“, in: Sigurd M. Daecke (Hg.), Naturwissenschaft und
Religion - Ein interdisziplinäres Gespräch, Mannheim, Leipzig, Wien, Zürich 1993, S. 227
Der Fortpflanzungs-Mediziner Jaques Testart plädiert für eine Ethik der Nicht-Forschung:
Ich glaube, daß es an der Zeit ist, eine Pause einzulegen, da die Stunde der Selbstbeschränkung
des Forschers gekommen ist. Der Forscher ist nicht derjenige, der jedes Projekt auszuführen hätte, das sich aus der Logik der Technik ergibt. Da, wo er sich aufhält, nimmt die Spirale der Möglichkeiten ihren Ausgang, und vor allen anderen errät er, wohin sich die Kurve entwickeln wird,
welche Linderungen diese Entwicklung bringen, aber auch welche Zäsuren, Zensuren und Verleugnungen sie bedingen wird. Ich „Forscher in künstlicher Fortpflanzung“, habe mich entschlossen aufzuhören: Nicht mit der Forschung zur Verbesserung dessen, was wir bereits tun, sondern
mit jener Forschung, die auf eine radikale Veränderung des Menschen hinarbeitet, dort, wo die
Fortpflanzungsmedizin mit der prognostischen Medizin (genetische Diagnose und Korrektur, d.
Red.) einhergeht. Die Logik der Forschung gilt selbst für das, worüber noch nicht einmal ein
Hauch von Fortschritt weht, aber ihre Geltung hat dort aufzuhören, wo bereits eine enorme Gefahr
für den Menschen heraufzieht.
Ich fordere eine Logik der Nicht-Entdeckung, eine Ethik der Nicht-Forschung. Man höre endlich
damit auf, so zu tun, als glaubte man, die Forschung sei wertfrei, nur ihre Anwendung könne man
als gut oder schlecht bezeichnen. Man nenne einen einzigen Fall einer Entdeckung, die trotz vorhandenem Bedarf oder erst erzeugtem Bedürfnis nicht angewandt worden wäre. Überhaupt müssen die ethischen Entscheidungen im Vorfeld der Entdeckung getroffen werden. . . . .
aus: Stuttgarter Zeitung vom 6.11.1993, zitiert aus: Jaques Testart. Das transparente Ei. 1988
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Aufgaben:
1.
Arbeiten Sie heraus, welche Einschätzungen und Bewertungen von Naturwissenschaft in
den beiden Texten zum Ausdruck kommen. (10 P)
2.
Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie hat sich im Laufe der Geschichte
immer wieder verändert. Beschreiben Sie mindestens zwei Ausprägungen diese Verhältnisses und untersuchen Sie, wie Daecke und Testart das Verhältnis von Naturwissenschaft
und Theologie bzw. Ethik sehen. (20 P)
3.
Entwickeln Sie an biblischen Texten Ihrer Wahl (z.B. Gen 1 und 2, Gen 11, Psalm 8, Psalm
104, Röm 8,18 ff.), wie der biblische Glaube bei der Erforschung und Gestaltung der Welt
durch die Naturwissenschaft eine Orientierung geben kann. (15 P)
4.
Setzen Sie sich mit einem der beiden Texte auseinander und bedenken Sie dessen Konsequenzen. (15 P)
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1995 - 2. Daecke - Testart
Lösungshinweise
zu Aufgabe 1:
Position Daeckes:
 Naturwissenschaft ist ein Ergebnis des Schöpfungshandelns Gottes; mit dem Menschen, dessen Vernunft und Geist, hat Gott auch die Naturwissenschaft und Technik geschaffen; sie ist
damit eine gute Gabe Gottes
 Naturwissenschaft ist eine Weise Gottes, seine Schöpfung durch den Menschen als seinem
Mitschöpfer weiterzuführen (Evolution)
 Naturwissenschaft und Technik als solche sind weder gut noch böse - sie können jedoch vom
Menschen nach dem Willen Gottes gebraucht oder gegen seinen Willen mißbraucht werden.
Position Testarts:
 Naturwissenschaft und Forschung können nicht wertfrei gesehen werden; bereits der Vorgang
der Forschung läßt erkennen, wohin neue Projekte und Entwicklungen führen
 Forschung und Anwendung sind nicht voneinander zu trennen; jede Entdeckung wurde bei Bedarf bisher auch angewandt
 im Blick auf die Fortpflanzungsmedizin, die auf eine radikale Veränderung des Menschen hinarbeitet, plädiert Testart deshalb für eine Selbstbeschr.nkung des Forschers, für NichtForschung, Nicht-Entdeckung.
zu Aufgabe 2:
Typische Ausprägungen des Verhältnisses von Naturwissenschaft und Theologie sind:
Ein Gegeneinander von kirchlicher Lehre / Theologie und Naturwissenschaft
Das Weltbild der Bibel galt / gilt als von Gott geoffenbarte Wahrheit; die neuen naturwissenschaftlichen Erkenntnisse stehen dazu im Widerspruch und werden deshalb bekämpft (z.B.
Fall Galilei, Kreationismus).
Aber auch in der Naturwissenschaft gab / gibt es die Tendenz, im Namen eines einseitig verstandenen Wissensbegriffs ein geschlossenes Weltbild zu konstruieren, in dem die Theologie keinen
Platz mehr hat (z.B. Haeckel, moderner Wissenschaftspositivismus).
Ein Nebeneinander von Theologie und Naturwissenschaft
Beide beschränken sich auf ihr jeweiliges Sachgebiet. Die Naturwissenschaft beschränkt sich darauf, objektive Daten zu sammeln und die Zusammenhänge zwischen ihnen mittels Theorien zu
erklären. Sie weiß um die Vorläufigkeit und Begrenztheit ihrer Erkenntnisse. Die Theologie beschränkt sich auf das Verhältnis von Gott und Mensch. Sie fragt nach dem Grund, Sinn und Ziel
des Seins, versucht also Antworten auf existentielle Fragen zu geben (z.B. Plank, Einstein).
Theologie und Naturwissenschaft im Dialog miteinander
Die Grundfrage lautet hier: Wie kann die Theologie ihre Glaubensaussagen, die nicht durch naturwissenschaftliche Methoden erfabar sind, in den Dialog mit der Naturwissenschaft einbringen,
unter Berücksichtigung der Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaft?
Dialogmöglichkeiten zeichnen sich in zwei Bereichen ab:
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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Biologie und Physik sehen das Ganze der Wirklichkeit als einen auf Zukunft hin offenen, evolutionären Prozeß. Theologischerseits entspricht dem die Vorstellung von der Schöpfung als einer creatio continua.
Die moderne Technik mit ihren ambivalenten Möglichkeiten läßt auch die Naturwissenschaft die
Frage nach dem Sinn und Ziel ihres Tuns stellen. Ethische Fragestellungen können auch wieder
zu einer Begegnung zwischen Naturwissenschaft und Theologie führen.
Das Verhältnis von Naturwissenschaft und Theologie / Ethik in den beiden Texten:
Daecke stellt einen Zusammenhang her zwischen Theologie und Naturwissenschaft. Er sieht den
Menschen als Mitschöpfer Gottes in der weitergehenden Schöpfung Gottes. Naturwissenschaft ist
damit eine notwendige, gottgewollte Aufgabe des Menschen. Theologie legitimiert Naturwissenschaft (vgl. seine Aussagen zur Gentechnologie). Es ist allerdings nicht recht zu erkennen, welch
weiteren Beitrag die Theologie in einen Dialog mit der Naturwissenschaft einbringen kann.
Testart verlangt demgegenüber einen kritischen Dialog zwischen Naturwissenschaft und Ethik.
Nicht erst am Ende des Forschungsprozesses, sondern bereits zu Beginn hat eine Auseinandersetzung stattzufinden. Wo durch Forschung Gefahr für den Menschen droht, muß Ethik der Forschung Einhalt gebieten. Testart zieht daraus persönliche Konsequenzen.
zu Aufgabe 3:
Vom Schüler wird erwartet, daß er das biblische Verständnis der Schöpfung und die Aufgabe des
Menschen in der Schöpfung sachgemäß anhand ausgewählter Texte darstellt. Dazu gehört vor allem die Einsicht, daß dem Menschen zugemutet wird, die Spannung zwischen Freiheit und Verantwortung im Blick auf sein Handeln in der Schöpfung auszuhalten. So betonen die
Schöpfungsberichte
einerseits
 die herausgehobene Stellung des Menschen, seine Gottebenbildlichkeit
 den Auftrag zu herrschen und zu forschen in einer entgötterten Welt
andererseits
 wird der Mensch aber auch als Geschöpf gesehen unter Geschöpfen
 soll er mit der ihm anvertrauten Schöpfung behutsam umgehen
 hat er sich Gott gegenüber zu verantworten
 wird er vor der Versuchung gewarnt, sich selbst zum Schöpfer und Gott zu machen.
In diesem Sinn kann der biblische Glaube dem forschenden Menschen eine Orientierung bieten.
Was er nicht zu geben vermag, sind verbindliche Handlungsanweisungen im Bereich konkreter
Forschung.
zu Aufgabe 4:
Diese Aufgabe soll dem Schüler die Gelegenheit geben, in Auseinandersetzung mit einem der
beiden Texte eigene Gedanken, Kenntnisse und Auffassungen darzustellen.
Wichtige bewertungsrelevante Gesichtspunkte sind dabei:
 Ist der Text verstanden worden bzw. wird das Textverständnis plausibel begründet?
 Läßt die Argumentationsweise erkennen, daß sich der Schüler gründlich mit dem Thema beschäftigt hat?
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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z.B. zu Daecke: „Die Naturwissenschaft als solche ist weder gut noch böse“ - warum ist das so
bzw. nicht so?
z.B. zu Testart: Warum liegen in der Fortpflanzungsmedizin Gefahren für den Menschen?
 Bedenkt der Schüler die Konsequenzen, die sich aus der jeweiligen Position der Autoren ergeben?
z.B. zu Daecke: Wo, wie und wann erkennt der Mensch hier Grenzen für sein Tun? Ist die Theologie hier noch ein attraktiver Gesprächspartner für die Naturwissenschaft? Leistet sie nicht
einem grenzenlosen Forschen und Anwenden dieser Erkenntnisse Vorschub?
z.B. zu Testart: Was kann der Einzelne dazu beitragen, sein Anliegen zu unterstützen? Warum
hat seine Forderung einer Ethik der Nicht-Forschung dennoch wenig Aussicht auf Erfolg? Ist
sie überhaupt wünschenswert? Gibt es andere wirksame Kontrollmöglichkeiten?
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1995 - 3. Zilleßen
Nachrichten über schwerwiegende Verstöße gegen Gesetze zum Schutz der Umwelt, über Giftstoffe in Nahrungsmitteln oder über Katastrophen, ausgelöst durch menschliche Eingriffe in die
Natur häufen sich. Die Kette der Vergehen scheint nicht abzureißen. Ist es Unwissenheit, Dummheit, Nicht-wahrhaben-wollen, Leichtfertigkeit oder gar Skrupellosigkeit, was in solchen Fällen
menschliches Handeln bestimmt? Die Vermutung liegt nahe, daß all dieses eine entscheidende
Rolle gespielt haben mag, und deshalb macht Resignation sich breit bei denen, die angesichts
dieser Nachrichten über die Zukunft der Schöpfung nachdenken. Der Umweltpolitik ist es bislang
offenbar nicht gelungen, das Blatt zu wenden und die Zerstörung der Umwelt aufzuhalten. . . .
Wenn die Umweltpolitik in diesen Diskussionszusammenhang gebracht wird, dann geht es dabei
nicht um eine neue Ethik und zunächst auch nicht um konkrete umweltpolitische Handlungsanweisungen. Vielmehr ist zu allererst zu fragen, wie es zu jener Vorherrschaft des Ökonomischen und
Materiellen kommen konnte, genauer: welche Einsichten und Erkenntnisse zurückgedrängt oder
vergessen wurden, damit die ökonomische Sicht des Lebens sich so total durchzusetzen vermochte. . . .
Die geistesgeschichtliche Entwicklung, die dazu geführt hat, daß die Natur fast nur noch unter
dem Gesichtspunkt ihrer Nutzbarkeit für den Menschen betrachtet wird, ist hinreichend beschrieben worden. Es ist der cartesianische1 Dualismus, der einerseits mit der Denkfähigkeit die Subjektivität des Menschen zum Urdatum erklärt (cogito ergo sum2) und zugleich die geist- und
seelenlose Natur einem mechanistischen, mathematisch berechenbaren Ablauf unterwirft. Die Natur ist für Descartes wie für viele unserer Zeitgenossen bloße Materie, als Objekt dem Menschen
als Träger des Geistes und daher Herrn und Besitzer der Natur anheimgegeben.
Je mehr die nach Descartes aufblühenden Naturwissenschaften das Naturgeschehen als analysier- und berechenbar entdeckten und die Natur zum Objekt ihrer wissenschaftlichen Betrachtung
in immer feinerer Spezialisierung machten, um so mehr entschwand mit der Sicht auf das Ganze
der Natur das Wissen darum, daß der Mensch selbst Teil der Natur ist. Vergessen wurde, daß der
Mensch noch als „Krone der Schöpfung“ Teil derselben ist und bleibt, eingebunden in Lebenszusammenhänge, die zu mißachten die Gefährdung seiner eigenen Existenz bedeutet. Das Wissen
um diesen Zusammenhang ist älter als die rational-analytische Denktechnik der Naturwissenschaften seit Descartes. Wir können gewiß nicht auf sie verzichten, aber wir müssen uns
der Tatsache wieder stärker bewußt werden, daß wir die Wirklichkeit der Welt noch nicht erkannt
haben, wenn ihre Einzelteile analysiert worden sind. Hier wird erneut die notwendig kritische Funktion der Ethik über die Politik sichtbar. Indem die Ethik nach dem Menschenbild fragt, deckt sie
auch den Irrtum eines Naturverständnisses auf, das Mensch und Natur nur im Verhältnis von Subjekt und Objekt sieht. Auch der Politiker, der nicht daran glaubt, daß die Natur neben dem Menschen ein eigenes Existenzrecht hat, weil sie von demselben Gott geschaffen wurde, wird dieses
Recht anerkennen können, wenn ihm bewußt geworden ist, daß es dabei um das eine Leben
geht, an dem auch der Mensch Anteil hat. Sein Leben steht mit auf dem Spiel bei dem von ihm
verursachten Artensterben in Fauna und Flora - und zwar nicht nur deshalb, weil wichtiges genetisches Potential für die Ernährung des Menschen verlorengeht.
aus: Zilleßen, Horst: Vom Leiden der Schöpfung, in: Evang. Kommentare 6/88, S.324ff
Worterklärungen:
1
cartesianisch: Adjektiv, abgeleitet aus dem Namen des Philosophen René Descartes, 1596 1650
2
cogito ergo sum: ich denke, also bin ich
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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Aufgaben:
1.
„Der Umweltpolitik ist es bislang offenbar nicht gelungen, ... die Zerstörung der Umwelt
aufzuhalten.“
Legen Sie dar, welche Ursachen der Autor für diese These nennt undwelche Konsequenzen für eine Umweltethik er daraus zieht. (10 P)
2.1
Beschreiben Sie im Anschluß an den Text Merkmale und Bedingungen naturwissenschaftlicher Erkenntniswege. (8 P)
2.2
Erläutern Sie an einem Beispiel, „daß wir die Wirklichkeit der Welt noch nicht erkannt haben, wenn ihre Einzelteile analysiert worden sind.“ (12 P)
3.
„Die Natur ist ... als Objekt dem Menschen als Träger des Geistes ... anheimgegeben.“
Vergleichen Sie diesen Satz mit biblischen Aussagen über das Verhältnis von Mensch und
Natur, indem Sie einen Text (z.B. Gen 1, Gen 2, Ps 8, Röm 8,18ff) ausführlich interpretieren. (15 P)
4.
Entwickeln Sie Gesichtspunkte einer biblisch begründeten Umweltethik, und zeigen Sie
anhand eines Beispiels aus der Gegenwart, welche Forderungen und Konsequenzen sich
für die Praxis ergeben würden. (15P.)
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1995 - 3. Zilleßen
Lösungshinweise
zu Aufgabe 1
In der Reorganisation des Textes sollte die Schülerin / der Schüler Folgendes erfaßt haben:
Bei der Umweltzerstörung spielen - so die Ursachenbeschreibung des Autors - Unwissenheit,
Dummheit, Nicht-wahrhaben-wollen, Leichtfertigkeit und Skrupellosigkeit eine Rolle, sind aber ihrerseits auch nur Symptome eines Phänomens, das des Menschenbildes und Naturverständnisses:
Seit Descartes wurden Mensch und Natur im Bewußtsein des Menschen auseinandergerissen.
Die Natur galt und gilt seitdem als meßbare Materie, die dem Menschen als denkendem Subjekt
gegenüber und zur Verfügung steht. Je weiter die Naturwissenschaft nach Descartes voranschritt,
je spezialisierter die Untersuchungen wurden, um so mehr verschwand das Bewußtsein von der
Natur in ihrer Ganzheit, den ökologischen Zusammenhängen und davon, daß der Mensch selbst
Teil der Natur ist, selbst in der ihn heraushebenden Definition als „Krone der Schöpfung“ Teil eben
dieser Schöpfung bleibt.
Für eine Umweltethik fordert Zilleßen, daß sie dem Irrtum des cartesianischen Denkens Rechnung
tragen muß, indem sie ihrerseits nach dem Menschenbild fragt und bewußt macht, daß
 die Wirklichkeit der Welt mehr ist als die Summe ihrer Einzelteile
 der Mensch Teil der Natur ist und nicht ihr Gegenüber
 die Natur ein vom Menschen unabhängiges Existenzrecht hat
 das menschliche Leben durch die Zerstörung der Natur gefährdet ist.
zu Aufgabe 2.1:
Den im Fragezusammenhang genannten Stichworten des Textes (mathematisch, analysierbar,
Spezialisierung, rationalistisch, analytische Denktechnik) gemäß soll in diesem Aufgabenteil der
klassische naturwissenschaftliche Erkenntnisprozeß beschrieben werden: Fragestellung, Sammlung von Daten, Hypothesenbildung, Verifikation / Falsifikation durch Experimente - bei Verifikation
Formulierung naturwissenschaftlicher Gesetzmäßigkeiten.
Als Bedingungen sollten genannt werden:
 der Erkenntnisgegenstand muß rational erfaßbar, meßbar und mathematisch formulierbar sein
 die naturwissenschaftliche Erkenntnis muß von jedem jederzeit und überall unter den ange gebenen Bedingungen reproduziert werden können.
zu Aufgabe 2.2:
In der Erläuterung soll die Schülerin / der Schüler auf die Grenzen naturwissenschaftlicher Erkenntnis eingehen:
 Naturwissenschaftliche Fragestellungen erfassen weder ästhetische noch ethische Kategorien
 Naturwissenschaftliche Fragestellung erfaßt die Kausalität, nicht aber die Frage nach der Existenz
 Naturwissenschaftliche Fragestellung segmentiert die Wirklichkeit in unzählige Details und unterliegt häufig der Gefahr, das Ganze aus dem Auge zu verlieren
 Naturwissenschaftliche Erkenntnis ist gebunden an die zur Verfügung stehenden Meßgeräte.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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Das Beispiel, an dem die Schülerin / der Schüler diese Grenzen von Naturwissenschaften
exemplifiziert, kann aus einem beliebigen Bereich gewählt sein, sollte aber durchgängig auf die
Grenzen hin untersucht werden, z.B. Landwirtschaft:
 Naturwissenschaftliche Erkenntnisse ermöglichen über technologische und chemische Anwendungen Agrarindustrie
 Naturwissenschaftlicher Erkenntnis ist weder eine ethische Wertung von Massentierhaltung,
noch eine Wertung über Schönheit oder Häßlichkeit einer von Hecken ausgeräumten „Agrarwüste“ möglich
 Naturwissenschaftliche Erkenntnis und ihre Anwendung führt zu Produktionssteigerung in
Ackerbau und Viehzucht, ohne nach dem Sinn von Überproduktion oder dem Sinn der Arbeit
des Landwirts zu fragen
 Naturwissenschaftlicher Fragestellung ist der Eigenwert des Tieres oder der Pflanze fremd,
was in der Anwendung naturwissenschaftlicher Erkenntnisse u.a. zu Artenarmut geführt hat
 Naturwissenschaftliches Forschen vernachlässigt leicht ganzheitliches Denken: mit dem Ziel
der Ertragssteigerung wurden Pflanzen gezüchtet, dies zum Preis eines erhöhten Düngerbedarfs, der wiederum die „Versalzung“ des Grundwassers bedingt.
zu Aufgabe 3:
Im Vergleich des Zitats von Zilleßen mit einem biblischen Text soll die Schülerin / der Schüler darauf eingehen, daß im Textzusammenhang „anheimgeben“ „zur-Verfügung-stellen“ meint, daß die
biblischen Aussagen von „untertan machen“ oder „bebauen und bewahren“ dagegen auf Verantwortung zielen. Dies ist herzuleiten aus der Interpretation eines Textes, z.B. Gen 1:
 Gott ist Schöpfer der Welt, die damit entmythologisiert wird
 Gott erschafft die Lebensräume, bevor er ihnen Lebewesen zuordnet
 der Mensch ist Geschöpf und Ebenbild, also ein Lebewesen neben anderen (gleicher Schöpfungstag), gleichzeitig aber hervorgehoben durch seine Möglichkeit, mit Gott in Beziehung zu
treten ( die Schülerin / der Schüler kann selbstverständlich auch eine andere inhaltliche Beschreibung der Ebenbildlichkeit geben, wichtig ist, daß sie aus dem Gesamtzusammenhang
von Gen 1 sachgemäß ist)
 der Schöpfungsauftrag vom „Untertan-machen“ als die Aufgabenbeschreibung eines antiken
Herrschers, der Unheil von seinem Volk abwenden soll.
zu Aufgabe 4:
Die Schülerin / der Schüler kann hier die Ergebnisse aus den Aufgaben 1 und 3 aufnehmen und
ethische Gesichtspunkte entwickeln, die die biblische Beziehung Gott - Mensch - Natur zum Kriterium des Umgangs mit der Natur heute machen.
Solche Gesichtspunkte könnten sein:
 Menschen sind als Geschöpfe Gottes Teil der Gesamtschöpfung
 der Mensch ist seinem Schöpfungsauftrag gemäß verantwortlich für die Mitschöpfung
 das Gebot der Nächstenliebe umfaßt auch das Recht des Schwächeren; das Recht des
Schwächeren betrifft auch die „feindlich“ fremde Natur
 aus der Gleichberechtigung jeden Glieds der Natur - auch der unbelebten - folgt ein Lebensrecht auch für das Kleinste,
daraus folgt:
 die Kategorie der Nützlichkeit wird durch die der Barmherzigkeit ersetzt oder ergänzt
 die Orientierung an bloß menschlichen Bedürfnissen wird zugunsten einer Orientierung an der
betroffenen Natur aufgegeben
 Leitprinzip von Ökonomie und Politik, auch vom Handeln im Alltag soll das ökoethisch Vertretbare sein.
Von der Entwicklung ethischer Kriterien ausgehend, hat die Schülerin, der Schüler die Möglichkeit,
an einem aktuellen Problem konkrete Forderungen und praktische Kosequenzen zu entwickeln.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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1998 - 4. Weizenbaum
Von der künstlichen Intelligenz zum künstlichen Glauben
Wie weit ist es mit uns gekommen, daß jemand öffentlich erklären muß, er bestehe darauf, daß es
einen Unterschied zwischen menschlichen Wesen und Maschinen gibt? Ist es nicht ein Zeichen
des Wahnsinns unserer Zeit - und es gibt viele solcher Zeichen -, daß so etwas überhaupt ausgesprochen werden muß? Wie sind wir so herrlich weit gekommen?! Vielleicht fing es mit dem biblischen Satz „Macht euch die Erde untertan“ an. Es müßten aber auch gleich die uralten Träume
der Menschheit hinzugefügt werden: in das Weltall zu fliegen (Ikarus1), das göttliche Feuer für
unmenschliche Zwecke zu rauben (Prometheus2), künstliches Leben herzustellen (Pygmalion3).
Es scheint uns Menschen gerade in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts gelungen zu sein, diese Träume zu realisieren. Wir fliegen in das Weltall, und wenn wir die Energie, die in der Erde, etwa im Uran, gespeichert ist, als Feuer betrachten, dann haben wir auch den Prometheus-Traum
erfüllt. Und schließlich ist die Manipulation und Verwandlung genetischen Materials, ist die Schaffung künstlicher Intelligenz, das Bestreben, menschliches Denken dem Computer zu übergeben,
Teil des Versuchs, künstliches Leben herzustellen, also den Pygmalion-Traum zu realisieren.
Anders gesagt haben wir, besonders in der zweiten Hälfte dieses Jahrhunderts angefangen, ganz
ernsthaft Gott zu spielen. Wir hatten, zumindest seit biblischen Zeiten, die Fähigkeit, uns als Gott oder richtiger: Götter - zu gerieren4, nämlich seit der Mensch die Macht hat, „massenhaft“ Leben
zu vernichten. Heute greifen wir mehr und mehr genauso rigoros in die Herstellung von Leben ein.
Es ist möglich, ein Kind zu empfangen von einem Vater, der seit vielen Jahren tot ist, und einen
Embryo außerhalb des Körpers einer Mutter heranwachsen zu lassen. Wir sind heute imstande,
das gesamte Erbgut des Menschen zu vernichten oder es künstlich und willkürlich zu verändern.
Diese Entwicklung vollzog sich in dem Maße, in dem wir unseren wahrhaften Gott verlassen und
vergessen haben und damit auch die Religion unserer Vorfahren. Und das wiederum konnten wir
nur schaffen, indem wir eine neue, „moderne“ Religion gründeten und die dazugehörigen Kirchen
und Kirchenschulen. . . .
Es ist dringend notwendig, daß wir modernen Menschen endlich erkennen, was wir seit Newton,
also in den letzten dreihundert Jahren, hergestellt haben: eine formelle Religion, voll ausgerüstet
mit Kathedralen - meine eigene Universität, das Massachusetts Institute of Technology, ist eine
solche Kathedrale - und einer Priesterschaft mit allem, was dazugehört, wie Kardinäle, Bischöfe,
einfache Priester und Novizen, ferner Geheimsprachen, nur für Eingeweihte verständlich, und
auch Ornate5, Trachten wie etwa die weißen Laborkittel oder die Ausstattung eines Astronauten.
Vieles davon war schon vor langem vorhanden. Was fehlte, bis vor ungefähr vierzig Jahren, war
das Goldene Kalb selbst, eine Entität6, die angebetet werden kann, ein Wesen, das rein menschliche Grenzen offensichtlich leicht überschreitet - mit anderen Worten: ein künstlicher Gott. Aber es
würde nicht korrekt sein, den Computer mit dieser Rolle zu identifizieren, eher ist es die Berechenbarkeit, auf die der Computer uns bewußt aufmerksam gemacht hat und damit verführte, also der
Computer mehr als Metapher statt als konkreter Gegenstand verstanden. ...
Den Gott, den wir durch unseren künstlichen Glauben ersetzt haben, können wir nicht mehr wahrnehmen, nicht mehr hören, nicht mehr um Hilfe bitten. Ist es nicht höchste Zeit, daß wir zu Gott,
und damit auch zur Demut, zum Menschen und zum Menschlichen, zurückkehren? Haben wir
noch Zeit, den gesunden Geist und die Seele des Menschen wirken zu lassen?
Die Antwort auf diese Frage liegt in euren und in meinem Herzen.
Aus: Joseph Weizenbaum, Von der künstlichen Intelligenz zum künstlichen Glauben,
in: Helmut A. Müller, Naturwissenschaft und Glaube, 1988
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
14
Erklärungen:
1
Ikarus
2
Prometheus
3
Pygmalion
4
gerieren
Ornat
6
Entität
5
Gestalt aus der griech. Mythologie: Auf der Flucht von Kreta kam Ikarus mit
seinen durch Wachs zusammengehaltenen Flügeln der Sonne zu nah und
stürzte ins Meer.
Nach griech. Sage stahl Prometheus das Feuer und brachte es auf die Erde,
da es der Göttervater Zeus den Menschen vorenthielt; er wurde dafür hart
bestraft.
Sagenhafter König von Kypros (Zypern), der sich in eine von ihm selbst gefertigte Statue einer Jungfrau verliebte. Aphrodite (Göttin der Liebe) belebte
sie auf seine Bitten hin; daraufhin nahm er sie zur Frau.
auftreten als
feierliche Amtstracht
Seinsweise, Wesen
Aufgaben:
1.
Erheben Sie aus dem Text, wie Joseph Weizenbaum die Entwicklung zum künstlichen
Glauben beschreibt und worauf er sie zurückführt. (15 P.)
2.
„Macht euch die Erde untertan“
Interpretieren Sie diesen Satz im Zusammenhang der biblischen Schöpfungserzählungen.
(10 P.)
3.
Beschreiben Sie die Aufgabe und die Arbeitsweise der Theologie und die Aufgabe und Arbeitsweise der Naturwissenschaften. (15 P.)
4.
„Ist es nicht höchste Zeit, daß wir zu Gott, und damit auch zur Demut, zum Menschen und
zum Menschlichen, zurückkehren?“
Entwerfen Sie eine Antwort an Weizenbaum, in der Sie sich mit seiner Aussage auseinandersetzen und dabei mögliche Konsequenzen bedenken, die sich hieraus für die Naturwissenschaften ergeben können. (15 P.)
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
15
1998 - 4. Weizenbaum
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1:
Joseph Weizenbaum beschreibt die Entwicklung zum künstlichen Glauben
 als Abfolge scheinbar gelungener Realisierungen uralter Menschheitsträume
 Eroberung des Weltalls (Ikarus)
 Nutzen der Atomenergie (Prometheus)
 Herstellung künstlichen Lebens (Pygmalion).
 als Folge des menschlichen Willens, Gott spielen zu wollen. Dies zeigt sich
 in der Vergangenheit durch die massenhafte Vernichtung
 in der Gegenwart durch die willkürliche Herstellung menschlichen Lebens.
Ausgangspunkt ist für Joseph Weizenbaum der biblische Satz „Macht euch die Erde untertan“,
vorläufiger krönender Abschluß im Streben nach Allmacht ist der Computer, der die Grenze zwischen künstlicher Maschine und Mensch verwischt und damit das Tun unserer Zeit als Wahnsinn
entlarvt.
Joseph Weizenbaum führt die Entwicklung zurück auf
 die Entfremdung von Gott und der Religion der Vorfahren
 die Schaffung einer neuen „modernen“ Religion, die die alte ersetzt.
Diese Religion weist alle Merkmale einer Religion auf (Kathedralen, Priester, Geheimsprache
usw.) und kann sogar einen eigenen, künstlichen Gott vorweisen. Dieser künstliche Gott, der wie
ein Goldenes Kalb angebetet wird, ist die „Berechenbarkeit“, an die der Mensch glaubt und die der
Computer versinnbildlicht. Der Mensch hat sich damit zwar einen Gott erschaffen, aber dieser Gott
ist nicht mehr wahrnehmbar; der Mensch bleibt allein.
zu Aufgabe 2:
Die Schülerin / der Schüler soll wesentliche Aussagen der biblischen Schöpfungserzählungen herausarbeiten:





der Mensch als Geschöpf Gottes
der Mensch als Geschöpf unter Mitgeschöpfen
der Mensch als Ebenbild Gottes; damit Sonderstellung als Stellvertreter und Sachwalter Gottes
Schöpfung als Lebensraum des Menschen
Schöpfungsauftrag
 als Herrschaft in Verantwortung und Fürsorge
 als „bebauen und bewahren“.
Der biblische Befund widerspricht einer Interpretation des Satzes „Macht euch die Erde untertan“
im Sinne eines „modernen“ Glaubens an die Wissenschaft, da er u.a.
 den Machbarkeitswahn ablehnt
 die Begrenztheit des Menschen betont
 den Mitmenschen und die Natur als Mitgeschöpfe respektiert.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
16
Sollte die Schülerin / der Schüler darüber hinaus herausarbeiten, daß eine einseitige und an Allmachtsphantasien orientierte Bibelauslegung von Gen 1,28 dazu geführt hat, den Glauben an die
„moderne“ Wissenschaft zu stärken, ist dies besonders zu bewerten.
zu Aufgabe 3:
Aufgabe der Theologie: In Auslegung der biblischen Tradition Rechenschaft über den Glauben
abzulegen. Dies geschieht mit wissenschaftlichen Methoden, die für jedermann nachprüfbar sind.
Methoden der Theologie sind z.B. die historisch-kritische Methode und die Hermeneutik.
 Historisch-kritische Methode: Ihr Ziel ist, die ursprüngliche Aussageintention der biblischen Texte offenzulegen; sie bedient sich dabei der Exegese (Textkritik, Literarkritik etc.).
 Die hermeneutische Methode: Sie will die Verbindung zwischen dem Text damals und der Situation heute herstellen. Dabei kommt es zum „Prozeß des Verstehens“, dem sog. Hermeneutischen Zirkel: Vorverständnis - Korrektur des Vorverständnisses - neues Verständnis.
 Aufgabe der Naturwissenschaft: Die Erforschung von Erscheinungen, die meßbar, wiederholbar, vorhersagbar, kausal erklärbar und unter Versuchsbedingungen jederzeit überprüfbar sind.
Ihre Arbeitsweise vollzieht sich in den Schritten: Datensammlung - Hypothesenbildung- Verifikation / Falsifikation im Experiment - Gesetz- Theorie.
Die Aufgabe ist gelöst, wenn an grundlegenden Methoden die wissenschaftliche Arbeitsweise von
Theologie und Naturwissenschaft verdeutlicht wird.
zu Aufgabe 4:
Die Schülerin / der Schüler soll sich sachlich mit der Antwort Weizenbaums auseinandersetzen
und ihre / seine Meinung begründet darlegen.
Gesichtspunkte für die sachliche Auseinandersetzung können z.B. sein:
 Ist die Analyse, die Weizenbaum von seinen Beobachtungen her erstellt, schlüssig?
 Ist der von Weizenbaum aufgezeigte Weg aus der Misere überhaupt realisierbar?
 Gibt es Alternativen zu Weizenbaums Aussagen?
Im weiteren soll die Schülerin / der Schüler auf die Konsequenzen eingehen, die sie / er aus ihrer /
seiner eigenen Meinung für den Umgang mit Naturwissenschaft zieht. Dabei können mögliche
Konsequenzen, die aus einer christliche Haltung resultieren, z.B. sein:
 verantwortliches Handeln an der Schöpfung
 maßvolle Selbstbeschränkung
 respektvoller Umgang mit der Natur.
Dabei sollte die Schülerin / der Schüler zeigen, daß sie / er in der Lage ist, mit der Thematik differenziert umzugehen.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
17
1998 - 5. Holst
Der Verhaltensforscher Erich von Holst schreibt in der Abhandlung „Vom Wesen des tierischen
Lebens“ im Jahr 1969:
Wer ein modernes biologisches oder physiologisches Lehrbuch in die Hand nimmt, um dort eine
bündige Antwort zu finden auf die Frage, worin eigentlich das „Wesen des tierischen Lebens“ besteht, der wird das Buch wohl bald aus der Hand legen, baß enttäuscht darüber, daß doch die
Wissenschaft uns immer Steine statt Brot bietet. Denn nirgends findet er die Frage nach dem
„Wesen“ des Lebens überhaupt gestellt. Statt dessen sieht er sich überschüttet von einer Unzahl
von Einzeltatsachen, Beziehungen, Gesetzen, die ein wenig gewaltsam unter Überschriften wie
„Der Stoffwechsel“, „Die Reizerscheinungen“, „Entwicklung und Wachstum“ usw. geordnet sind.
Es ist, als hätte die Biologie, die ja doch die Lehre vom Leben sein soll, verstrickt in eine endlose
Fülle von Erscheinungen, längst ihre ursprüngliche Aufgabe vergessen, nämlich zu erkennen, was
eigentlich Leben überhaupt und was tierisches Leben, im Unterschied zum menschlichen, seinem
Wesen nach bedeutet.
Würde der Fragende sich nicht an ein totes Buch, sondern an einen lebenden Biologen wenden,
dann könnte er wohl folgende Antwort hören: „Mein Lieber, das, was Sie suchen, kann Ihnen
überhaupt keine Wissenschaft geben. Denn Ihnen würde jede Schilderung der Lebensvorgänge,
aber auch jeder Versuch einer begrifflichen Abgrenzung des Lebendigen leer und tot erscheinen
neben dem, was Sie selbst hinter diesem Wort ahnen oder spüren. Das Reich, zu dem Sie den
Schlüssel suchen, ist nicht von unserer Welt. Der wäre ihr Mann, dem es gelänge, jene unbestimmten Gefühle, jene halbbewußten Gedanken ans Licht zu ziehen, die Ihnen beim Worte Leben auftauchen, Gebilde, die nicht (wie Sie glauben) die beobachtete Natur, sondern die
schöpferische Kraft Ihrer eigenen Seele hervorzaubert. Das vermöchte vielleicht ein Philosoph, sicherlich ein Weiser, am gewissesten ein begnadeter Dichter...“
So etwa antwortet der Biologe. Der Frager aber wendet sich vielleicht gelangweilt hinweg. Vielleicht auch - doch das ist der seltenere Fall - beginnt er aufzuhorchen und weiterzufragen. Und da
geht ihm allmählich ein Licht auf, daß unser menschlicher Geist in mehreren Reichen zu Hause
ist, daß er mehrere „Sprachen“ sprechen kann, deren jede nur sinnvoll ist, solange sie sich rein
erhält von einer Vermengung mit den anderen. Er erkennt, daß sie alle, etwa die Sprache der
Wissenschaft, der Kunst, der Philosophie, der Religion ihren besonderen menschlichen Lebensbereich ausfüllen und daß folglich eine sogenannte naturwissenschaftliche oder biologische „Weltanschauung“ schon deshalb ein Unsinn ist, weil die Naturwissenschaft ja nur eine unserer
Geisteskammern legitim bewohnt.
Erich von Holst, Vom Wesen des tierischen Lebens, in:
R. Böhme, K. Meschkowski (Hrsg.), Lust an der Natur, München, Zürich 1986, S. 73f.
Aufgaben:
1.
Erheben sie aus dem Text, warum für Erich von Holst die Frage nach dem „Wesen“ des Lebens von
den Naturwissenschaften nicht beantwortet werden kann. (10 P.)
2.
Stellen Sie an zwei Texten des Alten Testaments dar, wie sich die „Sprache der Religion“ zur Frage
nach dem Leben äußert.
3.
Beschreiben Sie, wie die Naturwissenschaften zu ihren Erkenntnissen gelangen und vergleichen Sie
damit das methodische Vorgehen der Theologie
4.
„Unser menschlicher Geist ... (kann) mehrere Sprachen sprechen, deren jede nur sinnvoll ist, solange sie sich rein erhält von einer Vermengung mit den anderen“ (Z.26ff).
4.1
Erläutern Sie auf dem Hintergrund der Geschichte des Verhältnisses von Theologie und Naturwissenschaft diese Aussage.
4.2
Prüfen Sie (ggf. an einem Beispiel), ob dieser Aussage aus naturwissenschaftlicher und theologischer Sicht heute noch zugestimmt werden kann.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
18
1998 - 5. Holst
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1:
 Wer mit Hilfe eines modernen Lehrbuchs der Biologie Aufschluß über diese Frage nach dem
„Wesen des Lebens“ erhofft, wird enttäuscht: Die Naturwissenschaft stellt diese Frage nämlich nicht (sie hat ihre ursprüngliche Aufgabe vergessen) und kann sie deshalb auch nicht beantworten.
 Die Biologie erfaßt stattdessen eine Unzahl von Einzeltatsachen, stellt Beziehungen zwischen ihnen her und versucht sie unter bestimmten Begriffen einzuordnen.
 Die begriffliche Darstellung der Lebensvorgänge durch die Naturwissenschaften bleibt aber hinter dem unmittelbaren sinnenhaften und gefühlsmäßigen Erleben des Lebens immer zurück;
die Sprache der Naturwissenschaft stößt hier an ihre Grenzen.
 Es sind deshalb andere Zugänge nötig, Zugänge, die die halb- und unbewußten Gefühle, die
das Leben in uns auslöst, ans Licht bringen; den Schlüssel zu dieser Welt haben die Philosophen, Weisen und Dichter.
 An der Fragestellung kann dem „Frager“ aufgehen, daß „unser menschlicher Geist in mehreren Reichen zu Hause“ ist: neben der Sprache der Naturwissenschaft gibt es die Sprache der
Kunst, der Philosophie, der Religion und jede Sprache füllt ihren eigenen Lebensbereich
aus; wer um diese verschiedenen Sprachen weiß, ist davor gefeit, das Leben nur eindimensional auf die Sprache der Naturwissenschaft oder gar auf eine naturwissenschaftliche Weltanschauung zu verkürzen.
zu Aufgabe 2:
In der Auslegung von Schlüsseltexten kann gezeigt werden, daß Leben in der theologischen Betrachtung in einem übergeordneten Sinnzusammenhang steht.
An den Schöpfungserzählungen von Gen 1 oder 2 z.B. kann die Schülerin / der Schüler
verdeutlichen:
 Leben entsteht und entwickelt sich aus dem schöpferischen Geist / Wort Gottes, es verdankt
sich der schöpferischen göttlichen Energie.
 Der Mensch wird als Geschöpf gesehen unter anderen Geschöpfen, er gehört zur Erde.
 Gleichzeitig ist ihm eine besondere Würde gegeben als Ebenbild Gottes.
 Die Gottebenbildlichkeit des Menschen beinhaltet die Freiheit des Menschen, aber auch die
Beauftragung des Menschen zur besonderen Verantwortung für die Schöpfung.
 Der siebte Tag als die „Krone der Schöpfung“ soll jede Woche neu an die Schöpfung erinnern.
Die Psalmisten (z.B. Psalm 8 oder Psalm 104) zeigen sich überwältigt von der Größe, Ordnung,
Vielfalt und Herrlichkeit der Schöpfung. Die Antwort des Menschen darauf ist Freude und Dankbarkeit dafür, daß er an der Gabe und den Gaben der Schöpfung teilhaben darf. In Liedern und
Gebeten preist der Mensch deshalb die Schöpfung Gottes.
zu Aufgabe 3:
Von der Schülerin / dem Schüler wird erwartet, daß sie / er die im Text angesprochenen unterschiedlichen Zugangsweisen zur Wirklichkeit aufgreift und im Blick auf die Naturwissenschaften
und die Theologie methodisch konkretisiert. Sie / er sollte die Vorgehensweisen also nicht einfach
nur aufzählen oder aneinanderreihen, sondern sie aus der Sache heraus schlüssig entwickeln.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
19
Wichtige Vergleichspunkte sind:
Die Naturwissenschaften sammeln durch Beobachten der „Erscheinungen“ Daten und suchen
dann nach Beziehungen und Gesetzmäßigkeiten zwischen ihnen - die Theologie bezieht sich auf
Erfahrungen und Begegnungen, die Menschen mit dem Leben gemacht haben und von denen sie
erzählen.
Die Naturwissenschaften entwickeln Hypothesen und Theorien, die das Beobachtete zu erklären
versuchen, Testreihen und Experimente werden entwickelt, um die Zusammenhänge zu überprüfen und gegebenenfalls bessere Theorien zu ermöglichen - die Theologie versucht durch methodisch kontrolliertes Vorgehen (vgl. historisch-kritische Methode) die aus unterschiedlichen Zeiten
und Kulturkreisen stammenden literarischen Texte zu verstehen und sie für den modernen Menschen zu erschließen.
Was Naturwissenschaften und Theologie als Wissenschaften verbindet ist das entdeckende
Interesse, der offene, auf Erkenntniszugewinn ausgerichtete Lernprozeß und letztlich das Wissen
um die Vorläufigkeit und Bruchstückhaftigkeit menschlichen Erkennens (methodischer Zweifel).
zu Aufgabe 4:
Die Aufgabe gliedert sich in zwei Teile:
Zunächst sollte die Schülerin / der Schüler deutlich machen, warum der Autor für eine saubere
Grenzziehung und Trennung der „verschiedenen Sprachen“ plädiert. Sie / er sollte zeigen, daß es
in der Geschichte und z.T. noch heute Versuche auf naturwissenschaftlicher und theologischer
Seite gegeben hat und gibt, die jeweils eigene „Sprache“ zu verabsolutieren und damit zum Beispiel die Biologie zur „Weltanschauung“ zu erheben (Evolutionismus) bzw. die Theologie zur „Naturwissenschaft“ (Kreationismus). Sie / er kann zu dem Schluß kommen, daß aus dieser
Perspektive die Aussage von Erich von Holst verständlich und berechtigt ist.
Inwieweit eine schiedlich-friedliche Trennung der „Sprachen“ den Herausforderungen und Notwendigkeiten unserer Zeit gerecht wird, soll die Schülerin / der Schüler in einem zweiten Schritt
prüfen. Fragen, an denen sich die Punktevergabe orientieren kann, sind z.B.:
 Werden die vielfältigen Bedrohungen des Lebens und die Bedrohtheitsgefühle der Menschen
wahrgenommen und angesprochen?
 Wie wird in diesem Zusammenhang die Rolle von Naturwissenschaft und Technik beschrieben?
 Wird die Notwendigkeit eines öffentlichen Diskurses gesehen mit dem Ziel, Forschung transparent zu machen und wirksame Kontrollmöglichkeiten zu errichten?
 Wird reflektiert, ob Theologie hierzu einen Beitrag leisten kann bzw. Naturwissenschaften auf
andere Disziplinen angewiesen sind?
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
20
2001 - 6. Zink
Alter Glaube und neues Weltbild
Wenn wir unter Christen „Schöpfung“ sagen, reden wir von der Welt, über die auch andere Leute
sich Gedanken machen, zum Beispiel die Naturwissenschaft. Sie war es, die das Bewußtsein der
Menschen in den letzten zweihundert Jahren ungleich mehr geprägt hat als der christliche Glaube.
In ihrem Weltbild gab es für Gott keinen Raum mehr.
Inzwischen hat sich vieles verändert. Wer heute noch das Weltbild der Aufklärung teilt, bedürfte
dringend der Aufklärung über den heutigen Stand der Wissenschaft. Sie ist nicht fromm geworden, aber sie weiß mehr über die Grenzen, bis zu denen sie zuständig ist. ...
Die Neuzeit ging davon aus, der Mensch unterscheide sich grundlegend von der übrigen Natur. Er
sei kein Teil der Natur, sondern stehe ihr frei und denkend gegenüber. Die Folge davon war, daß
man nicht nur einen scharfen Abstand zwischen Natur und Mensch sah, sondern daß man logischerweise mit Gott ebenso verfuhr. Man stellte sich einen Gott in weitem Abstand vor. Entweder
im räumlichen Abstand, wie Schiller etwa sagt: „Droben überm Sternenzelt muß ein lieber Vater
wohnen.“ Oder im zeitlichen Abstand als den, der vor überlanger Zeit einmal die Welt geschaffen,
sich aber nun von ihr zurückgezogen und sie den Naturgesetzen überlassen habe. ...
In der Neuzeit hat sich der Mensch von der Natur abgelöst, ist ihr frei und selbständig gegenübergetreten. Die Folge war, daß das Zeitalter der Industrialisierung im vorigen Jahrhundert in der
Meinung, die Natur sei das Eigentum des Menschen, mit jener Ausbeutung und Vergiftung der Erde begann, die heute auf die globale Katastrophe zutreibt.
Diese Sichtweise hat sich geändert. Heute wird der Mensch von der Naturwissenschaft allgemein
als ein integrierter Bestandteil der Natur angesehen, ein Organ in ihr, auch sein Bewußtsein, auch
sein Denken. Der Mensch offenbare sich heute als ein Mitspieler der Natur, der in das Spielgeschehen integriert ist und es keineswegs von außen betrachtet. Das aber ist er nach der Bibel
immer gewesen. ...
In der Neuzeit war es selbstverständlich, die Welt nach Art eines Bauwerks aufgebaut zu sehen.
Man etablierte unten das Reich der toten Materie, darüber das Reich der Pflanzen, darüber das
Reich der Tiere und endlich das Reich des Menschen und seiner Kultur. Die Welt war in Stockwerken aufgebaut. Heute spricht man statt von einem Bauwerk lieber von einem Netzwerk, in dem
die einzelnen Bereiche sich gegenseitig durchdringen, gegenseitig durchwirken. ...
In der Neuzeit ging es der Naturwissenschaft um die objektive Wahrheit. Sie war überzeugt, daß,
was sie fand, die Wahrheit sei und mit der Realität übereinstimme. Heute würde man sagen, alle
Ergebnisse der Naturwissenschaft sind begründete Vermutungen. Es gibt für den Menschen keine
Wahrheit, sondern nur Annäherungen an die Wahrheit.
Jörg Zink in: „ Publik Forum - Zeitung kritischer Christen“ 1996, Nr.1, S. 23f
Aufgaben:
1. „Wer heute noch das Weltbild der Aufklärung teilt, bedürfte dringend der Aufklärung über den
heutigen Stand der Wissenschaft.“ (Z. 6f.) Erläutern Sie diese These anhand des Textes. 15
P.
2. Vergleichen Sie die Aussagen des Alten Testaments zur Schöpfung (z.B. Gen 1 und 2) mit
den Ausführungen Jörg Zinks zum „heutigen Stand der Wissenschaft“ (vgl. Z. 7ff.). 18 P.
3. Beschreiben Sie Möglichkeiten und Grenzen eines naturwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit. 12 P.
4. Schildern Sie (ggf. an einem Beispiel), worauf es Ihrer Meinung nach im Gespräch zwischen
Theologie und Naturwissenschaft ankommt. 15 P.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
21
2001 - 6. Zink
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1: „Wer heute noch das Weltbild der Aufklärung teilt, bedürfte dringend der Aufklärung über den heutigen Stand der Wissenschaft.“ (Z. 6f.) Erläutern Sie diese These anhand des
Textes.
Jörg Zink sieht das Weltbild der Aufklärung durch folgende Kennzeichen geprägt:
 Sie hat das Bewußtsein stärker beeinflußt als der Glaube, für Gott gab es keinen Raum mehr.
 Ein großer Abstand war zwischen Mensch und Natur und ebenso zwischen Mensch und Gott:
Gott hoch über den Sternen und am Anfang des Kosmos.
 Die Welt entsprach einem Bauwerk mit vier Stockwerken: Materie - Pflanzen - Tiere und hoch
darüber der Mensch.
 Die Natur wurde als „Eigentum“ behandelt und ausgebeutet.
 Die Naturwissenschaft war von der objektiven Realität ihrer Aussagen überzeugt.
Daran hat sich nach Zink heute geändert:
 Die Naturwissenschaft sieht ihre Grenzen: sie begnügt sich mit „Annäherungen an die Wahrheit“ und „begründeten Vermutungen“.
 Statt von Stockwerken spricht man vom „Netzwerk“: alles ist miteinander verwoben.
 Auch der Mensch steht nicht über der Natur, sondern in ihr und ist ein Teil von ihr.
zu Aufgabe 2: Vergleichen Sie die Aussagen des Alten Testaments zur Schöpfung (z.B. Gen 1
und 2) mit den Ausführungen Jörg Zinks zum „heutigen Stand der Wissenschaft“ (vgl. Z. 7ff.).
Die Schülerin / der Schüler soll wesentliche Aussagen der biblischen Schöpfungserzählungen herausarbeiten, z.B.:





der Mensch als Geschöpf Gottes
der Mensch als Geschöpf unter Mitgeschöpfen
der Mensch als Ebenbild Gottes; damit Sonderstellung als Stellvertreter und Sachwalter Gottes
Schöpfung als Lebensraum des Menschen
Schöpfungsauftrag
 als Herrschaft in Verantwortung und Fürsorge
 als „bebauen und bewahren“
 Gott ist in der Schöpfung.
Der “heutige Stand der Wissenschaft“ ist nach Zink u.a. dadurch gekennzeichnet, dass
 der Mensch als ein integrierter Bestandteil der Natur angesehen wird, als ein Organ in ihr (auch
sein Bewußtsein, auch sein Denken)
 der Mensch sich als Mitspieler der Natur zeigt, der in das Spielgeschehen integriert ist und das
Ganze eben nicht von außen betrachtet
 von einem Netzwerk gesprochen wird, in dem die einzelnen Bereiche sich gegenseitig durchdringen, gegenseitig durchwirken
 alle Ergebnisse der Naturwissenschaft begründete Vermutungen sind
 es für den Menschen keine Wahrheit gibt, sondern nur Annäherungen an die Wahrheit.
Im Vergleich könnten z.B. folgende Aspekte angesprochen werden:
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
22
 Es besteht dieselbe Reihenfolge: Materie, Pflanzen, Tiere, Mensch.
 Die Herrschaft des Menschen über die Natur ist ein wichtiges Motiv in der Auseinandersetzung
mit dem babylonischen Mythos von den göttlichen Naturgewalten.
 Der Mensch wird mit den Tieren in eine Reihe gestellt und mit Ihnen zusammen erschaffen.
 Der Herrschaftsauftrag ist ein Teil der Gottesebenbildlichkeit und kann als Auftrag des liebenden Schöpfers nur im Sinne fürsorglicher Verantwortung und partnerschaftlicher Gemeinschaft
verstanden werden.
zu Aufgabe 3: Beschreiben Sie Möglichkeiten und Grenzen eines naturwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit.
Möglichkeiten eines naturwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit:
Die Bereiche, die von den Naturwissenschaften erfaßt werden können, beziehen sich auf die empirische Erforschung z.B. von Erscheinungen, die
 messbar
 wiederholbar
 vorhersagbar
 kausal erklärbar
 unter Versuchsbedingungen jederzeit überprüfbar sind.
Die Arbeitsweise vollzieht sich in den Schritten:
 Datensammlung
 Hypothesenbildung
 Verifikation / Falsifikation im Experiment
 Gesetz
 Theorie.
Grenzen eines naturwissenschaftlichen Zugangs zur Wirklichkeit sind gesetzt z.B. im Bereich
 der Frage nach Sinn und Ziel des Lebens
 mitmenschlicher und mitgeschöpflicher Erfahrungen wie Liebe, Vertrauen, Sehnsucht, Stolz,
Hass, Angst, Trauer und den entsprechenden Lebenssituationen
 aller ethischen Fragen, gerade auch solcher, die durch den „Fortschritt“ der Wissenschaft entstehen: Darf man alles machen, was man heute kann?
zu Aufgabe 4: Schildern Sie (ggf. an einem Beispiel), worauf es Ihrer Meinung nach im Gespräch
zwischen Theologie und Naturwissenschaft ankommt.
Die Antwort der Schülerin / des Schülers kann sich auf verschiedene Aspekte der Aufgabenstellung beziehen:
 Welche Voraussetzungen müssen gegeben sein, um ein fruchtbares Gespräch zu führen?, z.B.
 Bereitschaft, sich inhaltlich zu informieren
 Bereitschaft, sich wenigstens in die unterschiedlichen Denk- und Arbeitsweisen einzuarbeiten
 Notwendigkeit eine entsprechende Sprachregelung zu treffen (z.B. in Bezug auf Begriffe
wie „Leben“ oder „Fortschritt“).
 Was haben beide Seiten in das Gespräch einzubringen?, z.B.
 Forschungsergebnisse und deren mögliche Anwendung
 ethische Prinzipien und Kategorien
 ethische Bewertung von Forschungsvorhaben.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
 Was können beide Seiten evtl. voneinander lernen?, z.B.
 Offenheit für alle Dinge, die dem Menschen begegnen können
 Besinnung auf den Zusammenhang des Ganzen.
Ob die Schülerin / der Schüler die Aufgabe anhand eines Beispiels löst oder nicht, ist ihr / ihm
freigestellt. Für die Punkteverteilung ausschlaggebend ist die differenzierte und sachgerechte
Darstellung.
23
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
24
2001 - 7. Dürr
Die Verantwortung naturwissenschaftlichen Erkennens
Wissenschaft hat im Wesentlichen zwei unterschiedliche Motive: Sie möchte etwas erkennen und
wissen, aber sie möchte auch etwas machen, sie möchte manipulieren und verändern. Traditionell
versteht sich die Wissenschaft im Sinne des ersten Motivs als ein Teil der Philosophie, der es primär um Erkenntnis und Wahrheit geht. Diese Betrachtungsweise bestimmt auch heute noch weitgehend das Selbstverständnis eines Wissenschaftlers an der Universität und den
Forschungsinstituten.
Die eigentliche Beschäftigung der Naturwissenschaft hat (aber) direkt oder indirekt mit dem zweiten Motiv, nämlich mit den praktischen Anwendungen dieser Wissenschaft zu tun, wie sie insbesondere in der Technik zum Tragen kommt. Hier ist Wissen nicht primär ein Promotor 1 von
Erkenntnis, von Einsicht und Weisheit, sondern Wissen wird hier zum know-how, zu einem
Zweckwissen, Wissen wird hier zu einem hochpotenten Mittel der Macht, einer ungeheuer ambivalenten2 Macht, deren vernünftige Handhabung unbedingt eine geeignete Bewertung erfordert. ...
Die Notwendigkeit einer Wertung von Wissenschaft wird wichtiger, je mehr sie sich vom Wissen
zum Machen verlagert. Lassen Sie mich dazu ein konkretes Beispiel geben: Um etwa eine Atombombe künftig verhindern zu wollen, wäre es nicht nötig, einem Otto Hahn seine erkenntnisorientierte Forschung zu verbieten. Es war ja nicht so, daß ein nach Transuranen suchender Otto Hahn
als zufälliges Abfallprodukt seiner Forschung plötzlich eine Atombombe in seinen Händen hielt.
Die Atombombe leitet sich in der Tat von der Hahnschen Entdeckung der Atomkernspaltung ab,
aber die Entwicklung der Bombe benötigte eine gigantische Spezialforschung, die genau mit dem
Ziel durchgeführt wurde, eben diese Massenvernichtungswaffe herzustellen. Ihr Bau wurde von
einer, wie sie wenigstens glaubten, dazu legitimierten Gruppe von Politikern beschlossen. Die
Entwicklung der Atombombe war dabei grundverschieden von der Entwicklung eines Atomreaktors. Im Falle der Atomphysik erscheint also ziemlich klar erkennbar, wo eine Grenzlinie zwischen
erkenntnisorientiertem und zweckorientiertem Forschen mit nützlichen oder schädlichen Auswirkungen gezogen werden könnte. An dieser Grenzlinie muß Verantwortung einsetzen. Eine solche
klare Abgrenzung ist selbstverständlich nicht in allen Bereichen der Physik möglich. Ich denke
hierbei etwa an Elektronik, wo nützliche und schädliche Anwendungen sehr eng beieinander liegen. Noch fragwürdiger wird diese Unterscheidung ... auf dem Gebiet der Biologie und insbesondere der Molekularbiologie.
Jedenfalls darf Wissen nicht mehr wahllos angehäuft und hemmungslos umgesetzt, sondern muß
nach allgemeinen ethischen Grundsätzen bewertet und behutsam verwendet werden.
Wichtig vor allem ist, daß der Forscher versucht, die „Topologie“3 seines Forschungsgeländes
auszuspähen, bevor er sich auf den Weg begibt.
Um im Bilde zu bleiben: Auf einem Wiesenpfad in einem breiten, verschlungenen Gebirgstal zu
gehen, birgt selbst bei relativer Unübersichtlichkeit des Geländes kaum Gefahren, im Gegensatz
etwa zu einer Wanderung auf einem schmalen, steinigen Gebirgsgrat im Nebel oder bei der Überquerung eines Lawinenhangs.
Selbst eine solche gefährliche Gratwanderung könnte der Forscher oder Techniker wagen, wenn
die mögliche Folge nur sein eigener Absturz wäre, aber nicht wenn dabei die ganze Seilschaft –
nämlich ganze Völker, zukünftige Generationen oder sogar die Menschheit als Gattung – mit in
den Abgrund gerissen würde.
Hier darf ein verantwortungsbewußter Forscher einfach nicht weitergehen, auch wenn für die
Menschheit auf diesem gefährlichen Pfad einige „segensreiche Fortschritte“ winken und er mit
größter Bedachtsamkeit versucht, das Absturzrisiko zu verringern. Er muß sich bei seiner Entscheidung dabei an der ungünstigsten Prognose orientieren.
Aus: Hans-Peter Dürr (Physiker): Die Verantwortung naturwissenschaftlichen Erkennens,
in: ders.: Die Zukunft ist ein unbetretener Pfad. Bedeutung und
Gestaltung eines ökologischen Lebensstils.
Herder Verlag, Freiburg 1995, S.27 u. 29f. (gekürzt)
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
25
Worterklärungen:
1
Promotor - Förderer
ambivalent - doppelwertig
3
Topologie - hier: Reichweite
2
Aufgaben:
1. Geben Sie die Grundgedanken des Textes in eigenen Worten wieder. 15 P.
2. Prüfen Sie anhand biblischer Texte, ob die von Dürr aufgezeigte Verantwortung des Naturwissenschaftlers für seine Forschung theologisch begründet werden kann. 15 P.
3. Stellen Sie an einem Beispiel dar, wie die Naturwissenschaft zu ihren Erkenntnissen gelangt.
12 P.
4. „Jedenfalls darf Wissen nicht mehr wahllos angehäuft und hemmungslos umgesetzt, sondern
muß nach allgemeinen ethischen Grundsätzen bewertet und behutsam verwendet werden. ...“
(Z.32ff) Erörtern Sie an einem aktuellen Beispiel naturwissenschaftlicher Forschung (z.B. Molekularbiologie / Gentechnik; Organtransplantation; Atomforschung; Mikroelektronik), welche
„ethischen Grundsätze“ für einen Naturwissenschaftler leitend und bindend sein sollten, wenn
er seiner Verantwortung gerecht werden will. 18 P.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
26
2001 - 7. Dürr
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1: Geben Sie die Grundgedanken des Textes in eigenen Worten wieder.
Der (Natur-)Wissenschaft geht es heute angesichts der Hochtechnologie nicht in erster Linie um
die Erkenntnis- und Wahrheitsfrage, sondern hauptsächlich um die praktische Anwendung und
(kommerzielle) Nutzung der Forschungsergebnisse. Wissen wird zum Zweckwissen. Wissenschaft
wird zur Machenschaft.
(Natur-)Wissenschaft ist ein hochpotentes, ambivalentes Machtmittel, dessen Nutzung der ethischen Wertung bedarf, die der Naturwissenschaftler nicht ignorieren kann. (Beispiel: Atomkernspaltung, Nuklearforschung)
Nach Dürr setzt die Verantwortlichkeit des Naturwissenschaftlers an der „Grenzlinie zwischen erkenntnisorientiertem und zweckorientiertem Forschen mit nützlichen und schädlichen Auswirkungen“ (Z.25ff) ein.
Auf Grund der Problematik einer eindeutigen Grenzziehung zwischen nützlichen und schädlichen
Folgewirkungen der Forschung stellt sich in der gegenwärtigen Forschung die Frage der ethischen
Bewertung nicht erst angesichts der ermittelten Forschungsergebnisse, sondern bereits im Prozess des Forschens selbst.
Der Naturwissenschaftler hat die Aufgabe, bereits vor Durchführung der Forschung die Tragweite
seiner Forschung, mögliche Wirkungen und Folgen, zu erkunden.
Ein verantwortungsvoller Naturwissenschaftler muss da seine Grenzen sehen, wo er durch sein
Forschen dazu beiträgt, andere Menschen und zukünftige Generationen in den Abgrund zu reißen.
Diese Grenze gilt auch angesichts zu erwartender „segensreicher Fortschritte“ der wissenschaftlichen Erkenntnisse. Orientierungspunkt für den Naturwissenschaftler ist jeweils die „ungünstigste
Prognose“ (Z. 47).
zu Aufgabe 2: Prüfen Sie anhand biblischer Texte, ob sich die von Dürr aufgezeigte Verantwortung des Naturwissenschaftlers für seine Forschung theologisch begründet werden kann.
Bei der Beantwortung dieser Frage kann erwartet werden, dass an mehr als einem biblischen Text
(z.B. Gen 1 und 2, Ps 8, Ps 104, Röm 8) wichtige schöpfungstheologische Aussagen genannt und
dargestellt werden, die die besondere Verantwortung des Menschen hervorheben und so die „Topologie“ der Verantwortung eines Forschers aus theologischer Sicht umreißen:
 Die Welt besitzt als Gottes Schöpfung eine besondere Würde, der Rechnung getragen werden
muss.
 Alles in der Welt (Lebewesen und Materie) ist von Gott geschaffen, also gottgewolltes „Mitgeschöpf“ für den Menschen. (Schöpfungssolidarität)
 Der Mensch ist zur Gemeinschaft bestimmt, die es zu schützen gilt.
 Durch die „Gottesebenbildlichkeit“ und den „Herrschaftsauftrag“ trägt der Mensch eine außerordentliche Verantwortung. Ziel seiner „Machtausübung“ ist v.a. die Fürsorge für Gottes
Schöpfung und deren „Bewahrung“.
 Im Schöpferlob („Was ist der Mensch, dass du an ihn denkst“, Ps 8) erkennt der Mensch seine
Begrenztheit und Fehlbarkeit an.
 Die Schöpfung ist auf Zukunft hin angelegt.
zu Aufgabe 3: Stellen Sie an einem Beispiel dar, wie die Naturwissenschaft zu ihren Erkenntnissen gelangt.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
27
Ziel der Naturwissenschaft ist es, die Gesetzmäßigkeiten der Natur zu entschlüsseln. Ihr Arbeitsweise vollzieht sich in den Schritten Datensammlung, Hypothesenbildung, Verifikation / Falsifikation, im Experiment, Erstellung von Gesetz und Theorie. Dabei kann sowohl induktiv als auch
deduktiv vorgegangen werden.
Die Aufgabe ist gelöst, wenn eine Vorgehensweise der Naturwissenschaft an einem Beispiel (die
Entdeckung der Fallgesetze, die Erforschung der Ursachen des Kindbettfiebers o. a.) exemplarisch verdeutlicht wird.
zu Aufgabe 4: „Jedenfalls darf Wissen nicht mehr wahllos angehäuft und hemmungslos umgesetzt, sondern muß nach allgemeinen ethischen Grundsätzen bewertet und behutsam verwendet
werden. ...“ (Z.32ff)
Erörtern Sie an einem aktuellen Beispiel naturwissenschaftlicher Forschung ( z.B. Molekularbiologie / Gentechnik; Organtransplantation; Atomforschung; Mikroelektronik), welche „ethischen
Grundsätze“ für einen Naturwissenschaftler leitend und bindend sein sollten, wenn er seiner Verantwortung gerecht werden will.
Erwartet wird, dass die Schülerin / der Schüler an einem selbst gewählten Gebiet der naturwissenschaftlichen Forschung dessen Ambivalenz, d.h. Risiken / Gefahren sowie Chancen / Nutzen konkretisiert.
Bei der Beurteilung der ethischen Grundsätze kann z.B. entlang der schöpfungstheologischen
Aussagen gefragt werden, was es in einem konkreten Fall bedeutet, für die Mitmenschen Verantwortung zu tragen (z.B. Organspender – Organempfänger oder pränatale Diagnostik) oder die
Schöpfung zu bewahren (z.B. technische Höchstanstrengungen, um vom Menschen verursachte
Umweltschäden zu reparieren).
Diese Erörterung schließt das Nachdenken über die von Dürr formulierten Grundsätze mit ein:
Was heißt „nützlich“, was „schädlich“? - Wer bestimmt solche Definitionen? - Bedeutet eine Orientierung an den „ungünstigsten Prognosen“ nicht Forschungsstillstand?
Wie könnte maßvolle Selbstbeschränkung konkret aussehen?
Als Ergebnis sollte festgestellt werden, dass die „ethischen Grundsätze“ nicht automatisch eine
richtige Entscheidung nahelegen, sondern dass sie immer wieder neu geprüft und in der Auseinandersetzung mit den Möglichkeiten und Ergebnissen der Forschung um eine verantwortbare
Bewertung gerungen werden muss. Der gesellschaftlichen Verantwortung wird man dann gerecht,
wenn diese ethische Urteilsfindung in einem steten öffentlichen Diskurs mit möglichst vielen Gruppen der Gesellschaft geschieht und sich Naturwissenschaftler / Techniker auf der einen Seite und
Ethiker (Theologen / Philosophen) auf der anderen Seite nicht von vorneherein in unterschiedlichen Lagern sehen.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
2004 - Schwan
Das zerstörte Tabu
von Gesine Schwan
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Dass Wissenschaft ausgerechnet Religion bräuchte: Abwegigeres lässt sich
wohl nicht denken! Steht Wissenschaft nicht für Freiheit, Offenheit, Neugier, verlässliche Erkenntnis? Geht Religion nicht dagegen mit einengender Autorität,
Dogmatik, Gehorsam gegenüber dem Gewohnten und ungeprüftem Glauben
einher? Liegt nicht das große Verdienst der Aufklärung darin, die Wissenschaft
von der Religion befreit und dadurch erst zu sich selbst gebracht zu haben?
Und dennoch halte ich die These dagegen: Die gegenwärtige Wissenschaft
braucht Religion zu ihrer Befreiung.
Wissenschaft wird nicht im luftleeren Raum betrieben. Naiv wäre die Vorstellung,
die individuelle Neugier der Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler spiele die
entscheidende Rolle. Weichen stellend wirken vielmehr die Prioritäten derjenigen
Personen und Institutionen, die Wissenschaft finanzieren. Je kostenintensiver eine Wissenschaft ist, desto intensiver schlagen diese Prioritäten durch. ... Der mit
Abstand wichtigste Gesichtspunkt, der auch die staatliche Finanzierung in
Deutschland leitet, ist die absehbare wirtschaftliche Rentabilität wissenschaftlicher Ergebnisse. Auf der Strecke bleiben dabei die Transparenz der Prämissen
und Ergebnisse und ihr Rückbezug auf Gesichtspunkte und Maßstäbe, die von
einem umfassenderen Wahrheits- und Wirklichkeitsverständnis her angelegt
werden könnten. ...
Was wir erleben, ist eine Instrumentalisierung der Wissenschaft zugunsten von
wirtschaftlichen Interessen. ... Wir können die sich rasant vermehrenden Veröffentlichungen inhaltlich nicht mehr überblicken oder einordnen. Die eine Hand
weiß nicht mehr, was die andere tut, höchstes Spezialistentum in einer Teildisziplin geht mit höchstem Banausentum in der Nachbardisziplin einher...
Das westliche Wissenschaftsverständnis wurde im wesentlichen zusammen mit
der klassischen Antike von den drei Offenbarungsreligionen geprägt. Dazu gehört ... der Glaube an die eine Welt als eine Schöpfung, die zum Guten angelegt
und von Gott in die partnerschaftliche Verantwortung des Menschen gegeben ist.
...
Wenn die Wirklichkeit als Gegenstand der Wissenschaft ebenso wie die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler selbst als Gottes Schöpfung begriffen
werden, hat das Folgen für Forschung und Lehre.
Beide sind in die Verantwortung für eine Schöpfung genommen, die als prinzipiell
gut gilt und die daher in ihrem Bestand gesichert werden muss. Jeder Eingriff
muss sich die Frage nach den Folgen und deren Beherrschbarkeit sowie nach
dem Heil für Mensch und Welt stellen.
Je weitreichender wir aufgrund des Fortschritts unseres Wissens über die Abläufe der Natur diese technisch zu manipulieren vermögen, desto gravierender stellt
sich das Gewicht dieser Verantwortung. Wissenschaft, die die Endlichkeit des
Menschen, damit auch ihre Fehl- und Korrumpierbarkeit aus dem Blick verliert,
gerät in Schuld... Ein religiös verankertes Wissenschaftsverständnis baut nicht
naiv darauf auf, dass die meisten Forscher sich „wünschen, dass das, was sie
erforschen, zum Nutzen der einzelnen Menschen wie der Gesellschaft und der
Umwelt wirkt“, ohne die erkennbaren sozialen und ökonomischen Zwänge sorgfältig zu prüfen, die die Forschungsrichtungen de facto bestimmen.
Wissenschaft hat aus sich selbst keinen normativen Wegweiser, keine Orientierung am ganzheitlichen Horizont der Wahrheit.
Gesine Schwan, Süddeutsche Zeitung Nr. 3, 2003, Seite 15. (04.01.2003)
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Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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Aufgaben:
1.
„Die gegenwärtige Wissenschaft braucht Religion zu ihrer Befreiung:“ (Z. 8f.)
Legen Sie ausgehend von dieser These dar, wie Gesine Schwan
die gegenwärtige Situation der Wissenschaft charakterisiert und
welche Bedeutung sie der Religion in diesem Zusammenhang
beimisst.
15 P.
2.
Entfalten Sie, wie die jüdisch-christliche Tradition das Selbstverständnis des Menschen und seine Verantwortung für die Welt
beschreibt.
15 P.
3.
Beschreiben Sie die Methodik naturwissenschaftlichen Arbeitens
und zeigen Sie Möglichkeiten und Grenzen naturwissenschaftlichen Arbeitens auf.
15 P.
4.
Virtuelle Welten bergen Möglichkeiten und Gefahren. Erörtern
Sie an einem oder mehreren Beispielen Chancen und Risiken!
15 P.
60 P.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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2004 - Schwan
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1:
Die Schülerin/ der Schüler wertet den Text aus, folgende Aspekte sollten dabei genannt werden:
Situation der Wissenschaft:
 Wissenschaft und Forschung sind nicht unabhängig und frei (GG Art. 5, Abs. 3), sondern abhängig von ökonomischen Interessen,
 Wissenschaft wird instrumentalisiert zu Gunsten wirtschaftlicher Interessen.
Bedeutung der Religion für die Wissenschaft:
 Religion stellt die Wissenschaft in den größeren Zusammenhang eines umfassenden Wirklichkeitsverständnisses,
 Wissenschaftlern ihre Verantwortung für Gottes Schöpfung bewusst zu machen und verantwortungsvollen Umgang mit der Schöpfung einzufordern,
 nach den Folgen und deren Beherrschbarkeit zu fragen,
 Wissenschaftlern das eigentliche Ziel ihrer Forschungen: Heil für Mensch und Welt vor Augen
zu halten.
zu Aufgabe 2:
Ausgehend von atl. Bibeltexten (z.B. Gen 1 und 2, Ps 8, Ps 11, Ps 104 ) soll das jüdischchristliche Menschenbild und der Herrschaftsauftrag des Menschen entfaltet werden.



Der Mensch, Geschöpf und Ebenbild Gottes.
Das Spannungsverhältnis zwischen herrschen und bewahren.
Die nüchterne sachliche Einstellung zur Natur, Natur ist entgöttert und frei zum Erforschen.
zu Aufgabe 3:
Naturwissenschaft ist die methodisch-experimentell angeleitete Erforschung der Natur, die von
verschiedenen Ansätzen ausgeht. Hier sollten zumindest zwei (induktiv, deduktiv, logischpositivistisch) in ihrem methodischen Vorgehen beschrieben werden können. Darüber hinausgehend sind Argumente für eine Begrenztheit des naturwissenschaftlichen Anspruches zu formulieren.
Methoden:
- Induktive Methode/ Empirismus: 1. Beobachten und Sammeln von Daten 2. Erstellen einer Hypothese.
- Deduktive Methode/ Rationalismus: 1. Erstellen einer Hypothese 2. Überprüfung durch Versuche.
- Logisch-positivistische Methode: 1. Sammeln von Daten 2. Erstellen einer Hypothese 3. Überprüfung der Hypothese als Falsifikation bzw. Bewährung 4. ggf. Erstellen einer Theorie oder Formulierung einer Naturgesetzes.
Grenzen (hierbei müssen nicht alle genannt, die genannten aber erläutert werden):
 Die wissenschaftliche Arbeit wird geleistet unter dem Vorbehalt der Vorwegnahme (Antizipation; Methodenauswahl, Versuchsaufbau, Zielsetzungen ...).
 Über einmalige Sachverhalte bzw. persönliche Erlebnisse und Gefühle (Liebe) sind keine verifizierbaren Aussagen möglich
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)






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Politische Fragen können nicht gelöst werden (kein Steuerungspotenzial)
Keine Beantwortung von Sinnfragen
Keine Beantwortung von ethischen Fragen: ("gut" und "böse" sind keine naturwissenschaftlichen Begriffe)
Philosophisch: Naturwissenschaft ist nur der Glaube an Gesetzmäßigkeiten (Popper)
Nichtexistenz einer existenziellen Gewissheit aus der Naturwissenschaft
Unerfassbarkeit der ganzen Wirklichkeit.
zu Aufgabe 4:
Der Schüler/ die Schülerin wählt seine Beispiele für virtuelle Welten frei und erörtert daran Chancen und Risiken und stellt diese in einen umfassenderen Wertezusammenhang.
Mögliche Risiken:
 Mensch wird zum Schöpfer virtueller Welten ohne ethische Standards, Gefahr unreflektierter
Übernahme,
 Wirklichkeitsverlust (z.B. vermeintliche Konsequenzenlosigkeit),
 Gefahr der Isolierung und Entfremdung,
 Blick für Opfer und Benachteiligte kann verloren gehen,
 gesellschaftlicher Gegensatz zwischen Benutzern und Nichtnutzern,
 Übernahme von einseitigen Konfliktlösungsmodellen (z.B. PC-Spiele)
Mögliche Chancen:
 Förderung der kommunikativen Kompetenz (z.B. im Chat),
 verbesserte Informationsbeschaffung,
 Optimierung von Arbeitsabläufen (z.B. virtuelle Arbeitsplattform),
 kreatives Ausprobieren von Identität
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
2004 - Hawking
„Ich könnte mit Einstein und Newton pokern“
Focus-Interview (gekürzt) mit dem Naturwissenschaftler Stephen Hawking
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Focus: Nicht zum ersten Mal attestieren Sie den Menschen, reichlich unintelligent zu handeln. Was missfällt Ihnen an unserer Spezies?
Hawking: Während der vergangenen zwei Millionen Jahre erhöhte Aggression
für ein Individuum die Chance zu überleben und sich fortzupflanzen. Es wurde
deshalb bei der natürlichen Auslese bevorzugt, so etablierte sich die Aggression
in der Spezies Mensch. Doch Angriffsbereitschaft ist ein ziemlich dummer Instinkt, solange wir auf genügend Atomwaffen sitzen, um die Welt mehrfach zu
zerstören. Deshalb halte ich die Menschheit für nicht sehr intelligent.
Heute hat sich Aggression als lebenswichtiger Reflex überlebt. Doch die darwinistische Auslese arbeitet viel zu langsam, um sie aus unserer genetischen Ausstattung wieder zu eliminieren. Die einzige diesbezügliche Hoffnung sehe ich in
der Gentechnik.
Focus: Plädieren Sie also dafür, einen Übermenschen zu schaffen, der den
Homo sapiens ablösen könnte?
Hawking: Mit gezielten Veränderungen des Erbguts könnten wir die Komplexität
der Erbsubstanz DNA erhöhen und dadurch den Menschen verbessern. Es wird
zwar ein langsamer Prozess sein, weil man pro Generation rund 18 Jahre warten
muss, um die Effekte der Genveränderung festzustellen. Dennoch sollten wir
diesen Weg einschlagen, wenn wir wollen, dass biologische den elektronischen
Systemen überlegen bleiben. Anders als unser Intellekt verdoppeln Computer ihre Leistung alle 18 Monate. Daher ist die Gefahr real, dass sie Intelligenz entwickeln und die Welt übernehmen. Wir müssen also schnellstens Techniken
entwickeln, die eine direkte Verbindung zwischen Gehirn und Computer ermöglichen, so dass die Kunsthirne zur menschlichen Intelligenz beitragen, statt sich
gegen uns zu stellen.
Focus: Auch ohne Intelligenzverstärker, nur Kraft ihres Verstands, erkunden die
Physiker bereits die Grenzen des Kosmos. In ihren kühnsten Theorien greifen
sie sogar darüber hinaus. Der Traum der Wissenschaftler ist, eine endgültige
Theorie zu finden, die alle Phänomene des Universums erklärt. Wie müsste sie
aussehen?
Hawking: Wir versuchen, Einsteins allgemeine Relativitätstheorie sowie die
Quantentheorie zu einer einzigen Theorie, der so genannten Quantengravitation,
zu vereinen. Die Relativitätstheorie beschreibt die Phänomene von Materie und
Schwerkraft, die Quantentheorie das Verhalten der Elementarteilchen wie Atome, Elektronen und Quarks. Gelänge die Vereinigung, hätten wir in der Tat eine
„Theorie von allem“, die beschreibt, wie das Universum begann und warum es so
ist, wie wir es beobachten.
Focus: Skeptiker meinen, weder Relativitäts- noch Quantentheorie seien gut
genug verstanden, um als Basis einer endgültigen Theorie zu dienen.
Hawking: Klar sind unsere Theorien noch unvollständig, und wir können nicht
wissen, wie eine solche Weltformel aussieht. Aber ich bin ziemlich sicher, dass
sie beide Theorien enthalten wird.
Focus: Wäre sie dann die Formel Gottes, nach der er die Welt erschuf?
Hawking: In diesem Sinn könnte man wahrhaftig sagen, es wäre die Formel
Gottes.
Fokus: Dann müsste sie neben dem Ursprung des Universums auch weitere
Welträtsel lösen, etwa ob es zusätzliche Dimensionen und Paralleluniversen gibt,
oder die Frage nach dem Wesen der Zeit. Werden wir darauf jemals Antworten
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Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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erhalten, oder ist unser Verstand zu schwach, um die ganze Wahrheit der Natur
zu erfassen?
Hawking: Es ist vorstellbar, dass unser Geist eine Welttheorie, die alle Phänomene des Universums beschreibt, nicht begreifen kann. So verstehen Menschenaffen die Relativitätstheorie nicht, obwohl ihr Erbgut zu 99 Prozent mit dem
unseren identisch ist. Doch dieses eine Prozent Unterschied verschafft dem
Menschen einen großen Vorteil: die Sprache. Sie verbindet alle menschlichen
Gehirne der Welt zu einem riesigen, aber langsamen Computer. Ich hoffe, dieser
Computer ist leistungsstark genug, um eine Theorie von allem zu Stande zu
bringen.
Focus: Schon öfter äußerten Sie, Sie möchten den hinter einer Weltformel stehenden „Plan Gottes“ erfahren – als endgültigen Triumph des menschlichen
Geistes. Wie nahe sind Sie ihm gekommen?
Hawking: Vor 20 Jahren glaubte ich, wir würden die Theorie von allem bis zum
Ende des 20. Jahrhunderts finden. Doch obwohl wir eine Reihe von Fortschritten
gemacht haben, erscheint unser großes Ziel noch ebenso weit entfernt wie damals.
Focus 36/2001, S. 136 –140 (3.September.
2001)
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Aufgaben:
1.
Stephen Hawking ist auf der Suche nach der Weltformel.
Zeigen Sie auf, worin er die Schwierigkeiten auf diesem Erkenntnisweg sieht und wie er diese lösen will.
10 P.
2.
Erörtern Sie das Verhältnis von christlichem Schöpfungsglauben
und naturwissenschaftlichen Erkenntnissen. Nehmen Sie davon
ausgehend Stellung zu den Aussagen von Stephen Hawking.
20 P.
3.
Hawking sucht "eine Theorie von allem, die beschreibt, wie das
Universum begann und warum es so ist, wie wir es beobachten."
(Z. 36f.) Erläutern Sie die Methoden und Grenzen der naturwissenschaftlichen Forschung.
15 P.
4.
Zeigen Sie an einem Beispiel die Notwendigkeit des Dialogs
zwischen Naturwissenschaft und Glauben auf.
15 P.
60 P.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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2004 - Hawking
Lösungsvorschlag
zu Aufgabe 1:
Für den Physiker Steven Hawking bestehen die Schwierigkeiten auf der Suche nach einer Weltformel vor allem in einer Zeit- bzw. einer Qualitätsfrage. Gelingt es dem Menschen eine Weltformel zu entwickeln bevor ihn seine Aggressionsbereitschaft zur Selbstzerstörung führt oder die
künstliche Intelligenz die Weltherrschaft übernimmt, dann könnte er (der Mensch) aus bekannten
aber unvollständigen Theorien mit Hilfe seiner Sprachfähigkeit die geistigen Grenzen des Einzelnen überwinden und zur Formulierung einer Weltformel kommen.
Schwierigkeiten auf dem Erkenntnisweg zur Weltformel und Lösungsvorschläge:




Die Entwicklung einer Weltformel ist bedroht durch die Aggressionsbereitschaft des Menschen
im Zusammenspiel mit den zur Verfügung stehenden atomaren Waffen.
Lösung: Veränderung des Erbgutes zu mehr Komplexität hin und damit Verbesserung des
Menschen.
Die Entwicklungsgeschwindigkeit der Computer könnte zur Überlegenheit der elektronischen
Systeme und damit zur Übernahme der Welt führen.
Lösung: Entwicklung von Techniken, die durch eine direkte Verbindung des menschlichen
Hirns mit dem Computer verhindern, dass sich diese gegen die Menschen stellen.
Die Theorien der Menschen sind noch zu unvollständig um eine Weltformel zu erstellen.
Lösung: Allerdings werden die beiden wichtigsten der bekannten Formeln (Relativitäts- und
Quantentheorie) darin vorkommen.
Möglicherweise ist die zu findende Weltformel für Menschen unbegreiflich.
Lösung: Abhilfe könnte die Sprache schaffen, da sie die langsamen menschlichen Gehirne zu
einem leistungsstarken Computer vernetzen kann.
zu Aufgabe 2:
Im Zentrum der Antwort sollte die eigene Positionierung stehen, die schlüssig und in Auseinandersetzung mit Hawking zu begründen ist.
In der Antwort sollte enthalten sein:
 eine Skizzierung des "christlichen Schöpfungsglaubens"
 eine Angabe der zugrunde liegenden Texte: Gen. 1,1 - 2, 4a; Gen 2,4b - 3 (möglich auch
Ps 8, Ps 104 oder andere)
 die Nennung wichtiger Unterschiede zwischen den Texten, z.B. Reihenfolge der Schöpfungstaten (z.B. Erschaffung des Menschen), Herkunft (z.B. Priesterschrift, Jahwist), Aussageabsicht (z.B. Kosmogonie-Anthropogonie), usw.
 die Bewertung der genannten Unterschiede zwischen den biblischen Texten sowie eine
Antwort auf die Frage nach ihrer Aussageabsicht
 Erkenntnisse der Naturwissenschaft(en) und ihre kritische Relativierung (z.B. Wahrheitsanspruch bis zum Beweis des Gegenteils, Probleme der Beweisführung durch Vorentscheidung bei der Methodenauswahl usw.)
 die Benennung des (vermeintlichen) "Widerspruches"
 die eigene Position
Folgende Punkte könnten kritisch gegenüber Hawking vorgebracht werden.
Glaube und Naturwissenschaft (alter Lehrplan)
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Genmanipulation
Anmaßung die Weltformel zu finden ( Gen 11)
Missachtung der Schöpfung Gottes.
zu Aufgabe 3:
Naturwissenschaft ist die methodisch-experimentell angeleitete Erforschung der Natur, die von
verschiedenen Ansätzen ausgeht. Hier sollten zumindest zwei (induktiv, deduktiv, logischpositivistisch) in ihrem methodischen Vorgehen beschrieben werden können. Darüber hinausgehend sind Argumente für eine Begrenztheit des naturwissenschaftlichen Anspruches zu formulieren.
Methoden:
- Induktive Methode/ Empirismus: 1. Beobachten und Sammeln von Daten 2. Erstellen einer
Hypothese.
- Deduktive Methode/ Rationalismus: 1. Erstellen einer Hypothese 2. Überprüfung durch Versuche.
- Logisch-positivistische Methode: 1. Sammeln von Daten 2. Erstellen einer Hypothese 3. Überprüfung der Hypothese als Falsifikation bzw. Bewährung 4. ggf. Erstellen einer Theorie oder Formulierung einer Naturgesetzes.
Grenzen (hierbei müssen nicht alle genannt, die genannten aber erläutert werden):
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Die wissenschaftliche Arbeit wird geleistet unter dem Vorbehalt der Vorwegnahme (Antizipation; Methodenauswahl, Versuchsaufbau, Zielsetzungen ...).
Über einmalige Sachverhalte bzw. persönliche Erlebnisse und Gefühle (Liebe) sind keine
verifizierbaren Aussagen möglich
Politische Fragen können nicht gelöst werden (kein Steuerungspotenzial)
Keine Beantwortung von Sinnfragen
Keine Beantwortung von ethischen Fragen: ("gut" und "böse" sind keine nat.-wiss. Begriffe)
Philosophisch: Naturwissenschaft ist nur der Glaube an Gesetzmäßigkeiten (Popper)
Nichtexistenz einer existenziellen Gewissheit aus der Naturwissenschaft
Unerfassbarkeit der ganzen Wirklichkeit
...
zu Aufgabe 4:
Die Beantwortung der Frage ist unter einer Vielfalt von Aspekten bzw. Anwendungsfeldern von
Naturwissenschaft aus möglich.
Wichtig erscheint die treffende Wahl eines Beispiels und seine angemessenen Beschreibung.
Hierbei muss die Notwendigkeit des Dialogs deutlich werden.
Mögliche Beispiele sind im Bereich der Gentechnik zu finden. Eine Antwort sollte
 über den Stand des Erreichten bzw. das Problem in Kenntnis setzen
 Möglichkeiten und Gefahren benennen
 weitere Folgen dieser Entwicklung prognostizieren
 einen Beitrag des Glaubens formulieren und mit dem Problem in Beziehung setzen (z.B.
grundsätzliche Wertungen des Menschseins, Würde, Verantwortung für die Schöpfung, ...)
 die (gemeinsame) Verantwortung für die Wirklichkeit mit einbeziehen und somit die ethische Dimension dieses Dialoges erschließen
 Glaube und Naturwissenschaft als zwei unterschiedliche Zugangsweisen zur Wirklichkeit
erkennbar machen.
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