Thesen der LEBENDIGEN GEMEINDE zum christlich-muslimischen Dialog Stuttgart, 24. März 2005 1) Wir halten den Dialog mit dem Islam für notwendig. Wir begrüßen es, wenn Menschen unterschiedlichen Glaubens miteinander ins Gespräch kommen über das, was sie im Innersten bewegt. Angesichts der vielfältigen Herausforderungen einer zunehmend globalisierten Welt und der teilweise zerstörerischen Spannungen im Zusammenleben der Religionen, ist das interreligiöse Gespräch eine unabdingbare Verpflichtung für die christlichen Kirchen. Für ein gedeihliches Zusammenleben sind Kenntnisse über die jeweils andere Religion ganz entscheidend. 2) Wir suchen einen ehrlichen Dialog mit den Menschen anderen Glaubens, der die Frage nach der Wahrheit nicht ausklammert oder gar für überflüssig erklärt. Wir suchen einen Dialog, in dem sich die Gesprächspartner gegenseitig ihre Glaubenserfahrungen und Glaubensüberzeugungen bezeugen und zumuten und das Zeugnis des jeweils anderen aushalten. Zitat aus dem Neujahrsbrief 2006 von Prälat Paul Dieterich, Seite 4: „Dialogwürdig ist ein Mensch, der bereit ist, im Dialog seine eigene Glaubenserfahrung und Glaubensüberzeugung in aller Zurückhaltung aber eindeutig zu äußern. Er ja erst kann ein wirklich interessanter Dialogpartner sein. Wenn letzteres gegeben ist, sehe ich keinen wirklichen Gegensatz zwischen Dialog und Mission Alle gescheite Mission ist dialogisch.“ Diese Zeilen unterstreichend, fügen wir hinzu: Jeder „gescheite“ Dialog ist für uns Christen auch missionarisch. Das Christuszeugnis ist konstitutiver Bestandteil des Dialogs, den Vertreter der christlichen Kirchen mit Andersgläubigen führen. Um einen Begriff von Ihnen, Herr Landesbischof, aufzunehmen, möchte ich sagen: In unserem Gespräch mit Andersgläubigen verwenden wir eine „christologische Grammatik“. Wir wissen, dass für muslimische Gesprächspartner das christliche Bekenntnis zum dreieinigen Gott und das Bekenntnis zu Jesus Christus als wahrem Gott und wahrem Menschen, der für die Sünde der Welt gestorben ist, nicht akzeptabel ist. In einem ehrlichen Dialog dürfen dennoch und gerade deshalb die trinitarischen, christologischen und soteriologischen Grundaussagen unseres Glaubens nicht verschwiegen werden, sondern sollen zeugnishaft zu Wort kommen. Wir streben einen Dialog an, der von einem respektvollen Miteinander geprägt ist und dabei theologische Differenzen nicht künstlich negiert, sondern offen diskutiert. Wer bestehende Unterschiede in falsch verstandenem Harmoniestreben verharmlost, schadet dem Dialog. 3) Unterschiede in Glauben und Gotteserkenntnis bedingen eine separate Glaubenspraxis. So ist etwa ein gemeinsames Gebet von Christen und Muslimen vom christlichen Verständnis des Gebets her nicht möglich. Wir Christen feiern Gottesdienst im Namen des Dreieinigen Gottes. Wir beten im Namen des Dreieinigen Gottes. Trinitarischer Gottesglaube auf der einen Seite und ein strikter islamischer Monotheismus auf der anderen Seite bedingen einen jeweils anderen Gottesdienst. 4) Wir wünschen uns, dass die christlichen Kirchen das Gespräch mit Partnern suchen, die wesentliche Teile der Muslime in Deutschland autorisiert vertreten und die Wirklichkeit des Islam repräsentieren. Das Ernsthaftigkeit des Dialogs. 5) Wir erwarten von Muslimen in Deutschland, dass sie das Grundgesetz und die ihm zugrunde liegende Werteordnung akzeptieren und als Grundlage des Zusammenlebens anerkennen. Den Willen zur Integration in die westliche Gesellschaft und zum Erlernen der deutschen Sprache setzen wir voraus. Hier hat auch der Gesetzgeber die entsprechenden Voraussetzungen zu schaffen, die Integration fördern und überhaupt erst ermöglichen. 6) Wir sehen auch uns Christen in der Pflicht, auf muslimische Mitbürger zuzugehen: Berührungsängste und eine vorurteilsbehaftete Abwehr gegenüber muslimischen Mitbürgern bringen uns genauso wenig weiter wie die Verharmlosung tief im Islamismus verwurzelter politischer Aktivitäten. Freilich hinterfragen wir die im islamischen Selbstverständnis geforderte Übereinstimmung von rechtlichem und religiösen Sozialwesen. Diese Fragen sind in den Dialog einzubringen und dort zu stellen. Wir erwarten von Muslimen in Deutschland, dass sie sich unmissverständlich distanzieren von gewalttätigen Ausschreitungen und terroristischen Akten, die im Namen des Islam verübt werden. Wir sind dankbar für Äußerungen von Muslimen, in denen das geschieht. 7) Als Christen sind wir mit den Juden durch eine gemeinsame Glaubensgeschichte untrennbar verbunden. Als Christen in Deutschland mit der Vergangenheit des Dritten Reiches und den unzähligen Verbrechen am jüdischen Volk treten wir mit besonderem Nachdruck für das Existenzrecht Israels ein. 8) Wir beklagen die verheerende Situation verfolgter Christen in vielen islamischen Ländern und fordern von Muslimen, die dort leben und gesellschaftlich Verantwortung tragen, die Menschenrechte zu achten und Religionsfreiheit zuzulassen. Von den Muslimen in Deutschland erwarten wir und bitten sie, dass sie diese Forderung vernehmbar unterstützen und sich wo möglich in ihren Heimatländern für Religionsfreiheit einsetzen. Zur Religionsfreiheit gehört insbesondere auch die Freiheit zum Übertritt in eine andere Glaubensgemeinschaft. 9) Wir streben an, dass sich die Christen verschiedener Kirchen mit größtem Nachdruck neu bei den politisch Verantwortlichen in Deutschland und in islamischen Ländern für die bedrängten und zum Teil massiv verfolgten Christen einsetzen. Wir begrüßen es, wenn Menschen unterschiedlichen Glaubens gemeinsam für die Religionsfreiheit eintreten. Ein positives Beispiel sind verschiedene Stellungnahmen im Zusammenhang mit dem Todesurteil über den Afghanen Abdul Rahman. 10) Ziel des christlich-muslimischen Dialogs muss es sein, das Zusammenleben zwischen Christen und Muslimen in christlich geprägten Ländern wie Deutschland genauso wie in islamisch geprägten Staaten friedlich zu gestalten und Integration zu fördern. Ein ernsthafter, für das missionarische Zeugnis offener Dialog bildet die Basis für eine solche friedliche Koexistenz und für die hoffnungsvolle Kooperation von Menschen verschiedenen Glaubens. gez. Steffen Kern