2. Sonntag nach Ostern (15.04.2012) Evangelium: Joh 20,19-31 Kleine Exegese: Mehrere Ostererzählungen sind in diesem Evangelium ineinander verwoben wie verschieden gefärbten Fäden eines Teppichs. Es handelte sich dabei um frühere und spätere Ostererzählungen. Alle berichten von der einen Grunderfahrung: „Jesus, der gekreuzigt worden war, er lebt. Wir haben den Herrn gesehen.“ Die Ostererzählungen sind Ausdruck von Glaubenserfahrungen, die die Botschaft Jesu und sein Sterben im Licht der Auferstehung deuten. Sie werden zu Glaubensbekenntnissen: Gott hat Jesus aus dem Tod in sein Leben hineingenommen. Deshalb lebt und wirkt er weiter, wo immer Menschen sich auf ihn einlassen und sich von seinem Geist bewegen lassen. Die Zweifel des Thomas leiten eine veränderte Glaubenserfahrung ein: nicht mehr das direkte Sehen und Berühren bilden den Anlass zu glauben, sondern das Wort der Glaubenszeugen und deren Lebens- und Glaubensgemeinschaft: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ In der Nachfolge der Apostel („der Seher“) gibt für die Gemeinde des Johannes und für uns heute keinen anderen Beweis als ihr Zeugnis. Indem wir ihrem Zeugnis trauen und uns selbst auf die Nachfolge Jesu einlassen, können auch wir österliche Erfahrungen machen. Zielsatz: Die Zuhörerinnen und Zuhörer werden ermutigt, mit ihren Fragen und Zweifeln, in ihrem Suchen und in ihrer kritischen Auseinandersetzung ihren eigenen Ostererfahrungen oder jener anderer nachzuspüren und sich selbst auf neue einzulassen. Motivation: Ganz allgemein können wir feststellen, dass sichSorgen und Zweifeln, Misstrauen und Vorsichtum uns herum im Blick auf das Leben, auf die Gesellschaft und auf die Zukunft breit machen. Und das nicht nur im Zusammenhang mit der Energie- und Finanzkrise. Auch in unseren Lebens- und Glaubensgemeinschaften hat die optimistische Stimmung an Kraft eingebüßt. Auf allen Gebieten hat die Unsicherheit fast überhandgenommen. Vieles ist ungewiss geworden. Eine lähmende und bedrückte Stimmung hat sich eingeschlichen. Während die einen resigniert und frustriert darauf reagieren, werden andere angriffslustig und machen sich andere auf die Suche nach Sündenböcken. Innerkirchlich und in unseren Pfarrgemeinden atmen wir dieselbe Luft. Wie soll es mit dem Glauben weitergehen, fragen sich die einen besorgt und mühen sich ab, den Glauben lebenswürzig und attraktiv zu feiern und zu verkünden. Andere sehen überhaupt nur mehr Krise: die Kirchen, der Glaube, die Priester, die Laien, die Sakramente, das Gebet, die Liturgie … alles ist in Krise. Sie reagieren darauf verängstigt, verzweifelt und deprimiert. Dann gibt es einige, die sich aggressiv und abwertend oder anklagend und vorwurfsvoll äußern und dagegen ankämpfen. Wieder andere zweifeln und fragen, ob nicht inmitten aller Veränderungen, Umbrüche und Herausforderungen gerade die Begegnung mit dem Auferstandenen stattfinden, der uns vorausgeht (so wiederholt auch in den Ostererzählungen unterstrichen!). Und andere ziehen sich in bewährte oder selbstgebastelte Sicherheiten zurück, fast nach dem Motto: „Nach mir die Sintflut!“ Problemfrage: Ganz allgemein und ganz gezielt auf unsere Kirche drängt sich die Frage auf: Wer ist für uns heute noch vertrauenswürdig, glaubwürdig? Wem kann ich trauen? Oder, im Blick auf mich (uns) selbst gefragt: Gilt mein (unser) Lebens- und Glaubenszeugnis, ist es für andere glaubwürdig, annehmbar? Lösungsangebot: Angesichts der verschiedenen Krisen und Herausforderungen, der ich mich als Christ und der wir uns als Gemeinde, als Kirche zu stellen haben, kann ich vom heutigen Evangelium Einiges abgewinnen. Mich fasziniert der freie Umgang mit den verschiedenen Ostererzählungen, wie dies im Johannes-Evangelium geschieht. Sie werden miteinander verbunden, immer wieder neu. Der rote Faden, der sie alle durchzieht, gipfelt in der Aussage: „Wir haben den Herrn gesehen!“ Anders gesagt: „Wir sind Jesus begegnet. Er lebt.“ Wir hören, wie freudig und begeistert davon erzählt wird. Das steckt an. Doch da wird uns noch Thomas vorgestellt, als einer der zweifelt, alles in Frage stellt und nach Beweisen verlangt. Er gehört auch, ja unbedingt, in die Ostererzählungen hinein. Diese Erfahrung gehört genauso dazu und will ernst genommen werden. Dabei ist ja interessant, dass Thomas darauf verzichtet, die Beweise zu überprüfen, was ihn Jesus ausdrücklich anbietet. Vielleicht hätte ich zugegriffen, berührt, um mich zu vergewissern. Johannes scheint in dieser Ostererzählung den Schwerpunkt nicht auf die Beweisführung zu legen, sondern darauf, dass die Ostererfahrung der Jünger übereinstimmt mit der Erfahrung des Thomas, dass Jesus als der Auferstandene lebendig da ist und lebt. Wir können sagen: Die Ostererfahrung der Jünger wird glaubwürdig in der eigenen Ostererfahrung des Thomas. Johannes lässt Jesus Thomas und uns sagen: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ Das gilt auch uns, heute. Ich wage mal aus dem bisher Gesagten folgenden Schluss zu ziehen: Echte Ostererfahrungen stecken andere zu neuen Ostererfahrungen an. Der Grund dafür liegt im roten Faden der Ostererzählungen: Jesus lebt und sein Geist wirkt weiter. Mein christlicher Glaube, mein Lebens- und Glaubenszeugnis gründet in Jesus, den Gott in sein Leben hineingenommen hat. Jesus ist für mich zum unüberbietbaren Ja zum Leben geworden, dem ich trauen kann. Jesus ist, anders gesagt, das radikalste Nein gegenüber allem, was das Leben bedroht, gefährdet oder gar zerstört. Jesus Auferstehung bürgt dafür, dass das Leben stärker ist in allem Leiden, mitten aller Ungerechtigkeit und selbst im Tod. Das Leben setzt sich darin durch, weil sich Gott in Jesus als Gott des Lebens erwiesen hat, dessen Geist belebend und zum Heil bewegend wirkt. Für Thomas werden die österlichen Glaubenszeugnisse in dem Moment glaubwürdig, als er selbst Jesus begegnet. Damit ist das Kritierium angeführt, das unser österliches Lebens- und Glaubenszeugnis glaubwürdig macht. Der Auferstandene lebt und wirkt in uns, in unserer Pfarrgemeinde, in unserer Welt. Mein bzw. unser österliches Glaubenszeugnis erschließt anderen sein Mitten-unter-uns-Sein, wenn wir damit rechnen, dass Jesus bereits da ist und wirkt. Mein bzw. unser österliches Glaubenszeugnis wird glaubwürdig, wenn wir uns in der Nachfolge Jesu von seinem Geist leiten lassen. Lösungsverstärkung: Gerade deshalb ist das Suchen und Fragen, das Zweifeln und die kritische Auseinandersetzung gefragt. Wir könnten sagen: Der Thomas gehört absolut dazu – in mir und in den anderen. Mit seiner Haltung provoziert und konfrontiert er uns zutiefst, radikal, um Jesus den Raum zu geben, sich zu zeigen, uns anzusprechen und mit seinem Geist zu erfüllen. Dazu braucht es ständig unser Suchen und Fragen - auch in unserem Beten, unser Zweifeln und unsere kritische Auseinandersetzung: nicht um uns selbst zu kreisen, sondern uns zu öffnen und empfänglich zu machen für neue Ostererfahrungen. Denn Jesus lebt mitten unter uns: „Selig, die nicht sehen und doch glauben!“ Gerade diese Seligpreisung gilt für uns heute: mitten aller Verunsicherungen und allem Misstrauen, mitten aller Krisen und Zweifel. Selig, die suchen und fragen nach der Wahrheit, nach der Gerechtigkeit, nach Lösungen von Konflikten und Krisen: sie bewegen unsere Herzen, um sich vom Geist Jesu leiten zu lassen. Selig, die daran zweifeln, ob Jesu lebendig und heilsam mitten unter uns wirkt: sie geben uns die Möglichkeit, noch einmal hinzuschauen und hinzuhören, um seine Gegenwart unter uns auszumachen. Selig, die nicht sofort Ja und Amen sagen: sie regen uns an, unser Gewissen zu prüfen, die Geister zu unterscheiden und können dadurch verhindern, dass wir eigenen Götzen nachlaufen. Selig, die zutrauen, dass auch inmitten der Krisen und Herausforderungen im Leben und im Glauben, Auferstehung angesagt ist. Und, selig, die damit rechnen, dass in jedem Menschen ein Thomas steckt, der zweifelt und fähig ist zu glauben. Sie werden unser Leben und unsere Welt österlicher werden lassen.