05_Schmetterer:_Glaubenszeugnisse

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Meine sehr verehrten Damen und Herren,
meine Aufgabe heute ist es, im Rahmen Ihrer Reihe „Kirche und Gegenwart – Offenbarung“
das Thema „Glaubenszeugnisse“ zu behandeln.
Die erste Frage, die mir wesentlich dazu scheint, ist zunächst einmal abzuklären, was Zeugnis
und dann insbesondere Glaubenszeugnis heißt, was rechtens darunter zu verstehen ist.
1.) Zum Verständnis von „Zeugnis“
Wenn das NT auf „Zeugnis“ zu sprechen kommt, greift es auf den gängigen griechischen
Stamm „mer“ zurück. Davon leitet sich „martys“, der Zeuge, und „martyreo“, Zeugnis geben,
ab. „mer“ hat die Grundbedeutung: „erinnern, beweisen“, insoferne es seinen ursprünglichen
Sitz im Leben in der Gerichtssprache hat. Der Märtyrer ist also einer, der sich vor Gericht
erinnert – und zwar nicht frei flottierend, sondern so, dass die Erinnerung Beweischarakter für
sich in Anspruch nimmt.
So gesehen ist die deutsche Übersetzung „Zeugnis“ für „martys“ kongenial. Denn auch
Zeugnis, das auf das althochdeutsche „ziugon“ zurückgeht, hat von dieser Wurzel her die
primäre Bedeutung „erklären“.
Sowohl „martys“ als auch „Zeugnis“ sind also Tätigkeiten, die dem Intellekt zuzuordnen sind.
Ich glaube, dass dies angesichts einer zunehmenden kirchlichen Eventkultur ein durchaus
bemerkenswertes Ergebnis ist.
Wenden wir nun das hier erreichte Verständnis von Zeugnis auf das Element
„Glaubenszeugnis“ an. Der bzw. die Glaubenszeugin ist dann eine, die ihren Glauben
erinnert, die also zunächst einen kontemplativen Schritt setzt. Doch diesem kontemplativen
muss dann ein aktiver Schritt folgen: Das, was sich in der Erinnerung gezeigt hat, ist
intellektuell kritisch zu prüfen – so, dass es für einen selbst und dann auch für andere
erklärende, ja beweisende Kraft erhält.
Ich bin hier an einen Punkt angelangt, der mir anthropologisch extrem wichtig scheint und
den ich daher auch etwas näher betrachten möchte. Ich halte mich dabei an die Einsichten des
größten Theologen und Philosophen, den die Kirche hervorgebracht hat, an Thomas von
Aquin.
Thomas unterscheidet zwei Grundvollzüge des menschlichen Geistes: den Intellekt und den
Willen. Der Wille ist derjenige Antrieb, der ein Erkanntes in die Wirklichkeit überführt.
Nehmen wir als Beispiel eine Schneiderin: Mit ihrem Intellekt nimmt sie einen Stoff und den
möglichen Zuschnitt in den Blick. Mit ihrem Willen setzt sie das dabei Erkannte, den dabei
gefassten Plan um und schneidet zu. – Nun sind aber unsere geistigen Kräfte nicht fein
säuberlich voneinander getrennt, sondern greifen ineinander – und manchmal auch
gegeneinander (dass sie dies letztere tun, ist für Thomas eine der Folgen dessen, dass wir
unter dem Gesetz der Sünde leben).
Vor allem die Erinnerung ist nach Thomas davon betroffen. Denn der Wille verschiebt allzu
oft das, was sich in der Erinnerung zu sehen gibt. Er verklärt oder er verdunkelt. Er verleitet
den Intellekt nicht das zu sehen, was ist, sondern das, was ich sehen will.
Wenn wir diese Mahnung auf das Glaubenszeugnis anwenden, dann zeigt sich etwas, dem wir
im kirchlichen Glaubenszeugnis nur zu oft begegnen: Ich erinnere etwas, das von dem geprägt
ist, was ich gerne hätte, und erkläre daraufhin einem anderen mein Gern-Gehabtes – und
wundere mich, dass der andere dies nicht sieht. Und weil ich es sehr gerne gehabt hätte,
bezichtige ich den anderen vielleicht sogar der Bosheit, der Verstockung usw.
2. Reflexionen zum Glaubenszeugnis
A) Hinführung
Natürlich können wir an einem Vormittag nicht den ganzen inhaltlichen Reichtum dessen,
was geglaubt wird, abschreiten. Deswegen scheint es sinnvoll, sich auf den Ursprung und das
Ziel dessen, was geglaubt wird, zu beschränken. Wobei „beschränken“ ein höchst
unglückliches Wort dafür ist, denn es geht bei Ursprung und Ziel ja um Gott selbst, der alles
in allem umfasst und darüber hinaus geht.
Im Kontext des heutigen Themas muss es also zuallererst um das Gotteszeugnis gehen. Ich
will es nochmals ausdrücklich machen: Wie zeigt sich Gott in unserer präsenten Erinnerung
so, dass dieses Sich-Zeigen vor der intellektuellen Kritik bestehen kann und diese Erinnerung
für mich und möglicherweise für andere erklärende, ja beweisende Kraft erhält.
Wenn die Frage nach dem Glaubenszeugnis so klar gestellt wird, und letztlich nur so gestellt
werden kann, dann können wir hier schon einige immer wieder begegnende Fehlformen
benennen, die gerade nicht die Aufgabe des Glaubenszeugnisses erfüllen.
B) Fehlformen des Glaubenszeugnisses
a) Da ist der oft getane Verweis auf andere Glaubende ohne jede Bezugnahme auf die Sache
selbst. Das läuft dann ungefähr so: Warum ich glaube? Nun, in meiner Jugend hatte ich einen
jungen Kaplan, der mich begeistert hat. Und dieser Kaplan hatte in seiner Jugend wieder
einen jungen Kaplan, der ihn begeistert hat und so fort. In so einer Reihe kann man dann nur
noch hoffen, dass wenigstens der erste Kaplan Gott selbst gesehen hat. Aber selbst wenn
dieser erste Kaplan Gott selbst erfahren hat, ist ja noch nicht verständlich, warum mich das
betreffen soll. (Übrigens ist vice versa der Hinweis auf einen korrumpierten und/oder
ungläubigen Kaplan zur Ablehnung Gottes auch nicht valid.)
b) Dann gibt es, eng mit dem im ersten Punkt Gesagten verwandt, die Ablenkung der Frage
nach dem Gotteszeugnis auf eine kirchen-institutionelle Frage oder Vollzug. Gerade so
genannte engagierte Glaubende sind hier anfällig. Legen Sie ihnen die Frage nach dem
Glaubenszeugnis vor und fast immer wird sie abgelenkt auf einen Jammer über die
zurückgehenden Gottesdienstbesuche am Sonntag.
c) Weiters sind alle esoterischen Antworten hier zu nennen, also Antworten, die ein
Geheimwissen für sich beanspruchen – meist verbunden mit dem Gefühl der Auserwähltheit
und Erhabenheit über die Nichtwissenden. Weniger scharf und doch parallel in der Struktur
dazu sind Zugänge, die sich in gewisser Weise an das alte Kinderspiel anlehnen: „Ich seh’, ich
seh’, was du nicht siehst.“ Oder dann „pädagogisch“ ausgedrückt: „Meine Aufgabe ist es,
Gott zu den Menschen zu bringen.“
d) „Meine Aufgabe ist es, Gott zu den Menschen zu bringen“, das legt nahe: „Ich habe Gott
und die anderen nicht.“ So ausgesprochen klingt das ziemlich doktrinär. Wenn diese Figur
sich allerdings in die allumfassende Sprache der Ökonomie kleidet, kann sie sehr schön
„liberal“ und „zeitgemäß“ klingen. Z. B.: „Die Kirche muss lernen ihr Produkt besser an die
Menschen zu bringen.“ Gott ist dann endgültig derjenige, den die Kirche produziert, herstellt.
Und unvermutet haben wir den Bezirk der Blasphemie betreten.
Die ganze Heilige Schrift ist voll von donnernder Zurückweisung einer irgendwie gearteten
Herstellung eines Gottes. Ja, sie geht sogar noch viel weiter in der Kritik eines solchen Tuns:
Jede angemaßte Verfügungsgewalt des Menschen über Gott wird den lebendigen Gott gerade
verfehlen und ist ihr daher ein Gräuel, weil Götzendienst. Bevor wir uns aber einem Götzen
hingeben, ist es besser von Gott zu schweigen. Folgerichtig hat der lateinamerikanische
Theologe Jon Sobrino daher diesen biblischen Eifer in folgenden Satz gebracht: „Gemäß der
Heiligen Schrift ist der eigentliche Gegensatz zum Gott des Lebens nicht der Atheismus,
sondern der Götzendienst.“
C) Glaubenszeugnis im Horizont der Ehrfurcht
All diese Fehlformen machen uns darauf aufmerksam, dass das Gotteszeugnis unter der
ständigen Gefährdetheit steht sich von Gott abzuwenden. So gesehen will ich meine weiteren
Ausführungen im Schatten der Ehrfurcht tun, also der ständigen Sorge Gott gerade zu
verfehlen.
Den Ort der Rede von Gott aber möchte ich so verfolgen, dass ich insgesamt einer
Phänomenologie des Redens von etwas nachgehe.
a) Rede von etwas
Wie kann ich eigentlich rechtens überhaupt von etwas reden? Wenn wir dem ernsthaft
nachgehen, werden wir sehen: Rede von etwas ist immer ein Zweites. Ihr voraus geht ein Akt
der Rezeptivität. In der Rede bringe ich Etwas zum Ausdruck, wobei die Rede einem
Vernommen-Haben dieses Etwas entstammt. Ein mir Vorgegebenes rührt mich an – so, dass
ich es zur Sprache bringe. Bezeichnend ist unser Sprachgebrauch: „Etwas (z. B. ein Bild) hat
mich angesprochen.“ So entspringt Rede aus dem Vernehmen dessen, was anspricht, aus dem
Angesprochen-Sein.
b) Rede von Person
Dieser allgemeine Sachverhalt gilt natürlich auch für die Rede von Personen, doch tritt hier
noch ein Wesentliches hinzu. Denn die Rede von Person als Person setzt eine personale
Erfahrung mit ihr voraus.
Sehen wir uns dazu ein Beispiel an: In der U-Bahn sitzt mir ein junger Mann gegenüber, der
mir von seinem äußeren Erscheinungsbild gefällt, mich in diesem Sinn anspricht. Ich steige
aus, treffe einen Bekannten, und kann ihm nun von dem jungen Mann erzählen. Doch das,
was ich sagen kann, wäre noch kein Sprechen von ihm als dieser unverwechselbaren Person,
die er ist. Was muss also geschehen, damit ich in der Lage bin, von diesem jungen Mann als
Person anderen zu erzählen?
Bei der Beantwortung dieser Frage kommt das Entscheidende zur Sicht. Es liegt nämlich
nicht zuerst in meiner Macht dahin zu gelangen, um von ihm als Person erzählen zu können –
ich bin vielmehr auf ihn selbst, sein Sich-mir-Öffnen angewiesen. Die Rede von Person als
Person setzt so eine von ihr selbst ermöglichte personale Erfahrung mit ihr voraus. Rede von
Person – so können wir jetzt sagen – setzt voraus, dass die Person, von der die Rede sein soll,
sich zuerst in Freiheit öffnet, zuerst selbst von sich redet.
c) Rede von Gott
Diese Überlegungen können wir nun auf die Rede von Gott anwenden. Rede von Gott erweist
sich nämlich jetzt nur dann als möglich, wenn Gott zuerst selbst von sich geredet hat und
redet. Ich kann nur von Gott reden, insofern Gott selbst von sich redet, sich mir als Gott
geöffnet hat, und ich diese seine Rede vernommen habe und vernehme.
Setzen wir für „Rede Gottes von sich selbst“ den klassischen theologischen Ausdruck
„Offenbarung“, so können wir zusammenfassend sagen: Wahrhaftige Rede von Gott ist an die
Offenbarung Gottes gebunden. Rede von Gott ist nur möglich, wo ein Hören auf die
Offenbarung Gottes vorangegangen ist und das Vernommene weitergegeben wird.
Aber so wie der Überstieg von Dingen auf Personen einen Qualitätssprung beinhaltet, so
beinhaltet der Überstieg von Personen auf Gott auch einen Qualitätssprung. Vielleicht klingt
es lächerlich, aber es ist nicht so gemeint: Der Qualitätssprung ist der, dass Gott selbst eben
nie in der U-Bahn sitzt. Gott, wenn es denn wirklich um Gott geht, sitzt überhaupt nirgends.
Oder, um es wieder mit Thomas von Aquin zu sagen: „Streng gesprochen ist Gott nicht.“
Genau das ist der vorhin angesprochene Qualitätssprung zwischen der Rede von einer
menschlichen Person und der Rede von Gott. „Gott ist nicht“, denn Gott ist ja zunächst die
Antwort auf das stauende Wahrnehmen, dass überhaupt etwas ist und nicht vielmehr nichts.
Oder, weniger philosophisch, sondern biblisch gesprochen: Gott ist der, der alles aus dem
Nichts geschaffen hat. Gott ist der Schöpfer aller sichtbaren und unsichtbaren Dinge. Diese
Dinge sind, weil Gott sie geschaffen hat. Und insoferne ich sagen kann: „Der Tisch hier ist“,
kann ich eben nicht in gleichem Maße sagen: „Gott ist“. D.h., um wieder Thomas zu folgen:
Gott in sich ist von uns nicht einsehbar, sondern „nur“ seine Hervorbringungen, seine
Schöpfung.. Sie sind der Ort der Rede Gottes, aber Gott selbst ist mir entzogen.
Ich will versuchen, um das deutlicher zu machen, eine kleine Analogie zu bringen, wobei eine
Analogie natürlich immer nur eine unzureichende Annäherung ist und auch missverstanden
werden kann.
Wie kann ich heute eigentlich über Franz Schubert reden? Er selbst ist tot, und so ist mir die
direkte personale Begegnung mit ihm verwehrt. Aber wer je einmal, sagen wir, seine große CDur-Symphonie gehört hat, wirklich gehört hat, der wird vielleicht mehr über Schubert
verstehen, als von so manchem Mitmenschen, der leibhaftig neben ihm ist.
Die Folge, die Thomas aus dem Ganzen zieht, ist nun die: Wir haben eigentlich nur einen
Weg der Rede von Gott: nämlich in Ernsthaftigkeit und dankbarem Staunen die Wirklichkeit
zu vernehmen und diese zur Sprache zu bringen. Denn die Wirklichkeit ist das, was uns Gott
in seiner unbegreiflichen Liebe zugedacht hat. Das, was ist, zur Sprache zu bringen, ist somit
das Gotteszeugnis schlechthin, ja der erste Gottesdienst. Thomas drückt dies einmal sehr
scharf aus: „Offenkundig falsch ist die Meinung derer, die sagen, dass es zur Wahrheit des
Glaubens nichts beiträgt, was einer über die Welt denkt, solange er nur über Gott richtig
denkt. Denn ein falsches Denken über die Welt führt zu einem falschen Denken über Gott und
zieht die Gedanken von Gott ab.“
D) Glaubenszeugnis im Horizont einer säkularen Welt
Das letzte Zitat von Thomas führt uns mitten in die heutige Welt – und ich denke, dies ist
auch kein Zufall, denn die geistesgeschichtlichen Probleme des Hochmittelalters waren und
sind den geistesgeschichtlichen Problemen unserer Zeit sehr eng verwandt (das wäre einmal
eine ganz eigene Vorlesung wert, denn ich denke, wir könnten viel draus lernen). Was
wussten einzelne Theologen in der Zeit des Thomas nicht alles von Gott zu sagen! Ob sich
dies an der Wirklichkeit ausweisen ließ, wurde überhaupt nicht geprüft. Oft war dieses
Geschwätz einfach nur dumm, aber da man sich daran gewöhnt hatte, für dieses Geschwätz
von Gott keinen Ort des Ausweises mehr angeben zu müssen, konnte es auch für alles
mögliche andere verwendet werden. Sie dürfen ja nicht vergessen, dass Thomas in die Epoche
hineingeboren wurde, in der die Kirche das erste Mal in der Geschichte gegen ihre eigenen
Gläubigen einen Kreuzzug entfacht hatte, den so genannten Kreuzzug gegen die Albigenser,
und ihre dabei wirksamen Machtgelüste hinter ideologische Wolken verbarg. Zwar war dieser
Krieg zunächst auch bestimmt durch eine Auseinandersetzung über den wahren Glauben mit
den so genannten Katharern, doch bald ging es nur mehr um politische,gebietsmäßige und
ökonomische Machterweiterung. Die Idee der Dominikaner – und Thomas war erst die zweite
Generation dieses Bettelordens – war es, die ursprüngliche Auseinandersetzung mit den
Katharern dahingehend zu führen, dass man im Streitgespräch eruierte, wer mehr von der
Wirklichkeit sah, und von daher für sich in Anspruch nehmen konnte, wahrhaftiger von Gott
zu reden.
Legen wir das auf unsere Welt um, dann bedeutet das: Gotteszeugnis heißt zuinnerst und
zuerst Avantgarde der Wirklichkeitserkenntnis zu sein. Zeugnis gibt der oder die ab, die in
ihrem Bereich mit höchstem Sachverstand am Werk ist. Gotteszeugnis gibt der bzw. die ab,
die Wirklichkeit zum Leuchten bringt und nicht einfachhin der bzw. die, die stets Gott im
Munde führt. (Vielleicht sollten wir daher als wahrhaftig Gottglaubende die festzustellende
Gottvergessenheit dieser unserer Gegenwart einmal theologisch auch positiv beurteilen.)
Erst von daher kann es dann so etwas wie ein ausdrückliches Glaubenszeugnis geben. Führt
die Ernstnahme der Heiligen Schrift als Interpretation der Welt durch Gott zu einem tieferen
Verständnis? Führt die Anerkenntnis der Geschichte Gottes mit den Menschen, deren
Höhepunkt Leben und Sterben Jesu Christi ist, zu einem tieferen Verständnis? Das alles aber
muss sich wieder im Blick auf die Wirklichkeit erweisen, ob sie mir enger oder weiter wird.
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