Gertrud Pechmann / Matrikola: 153850 c/o Sgra Tiezzi Via Margutta, 1a 00187 Roma Pontificia Università Gregoriana / Facoltà di Teologia Christl. Prophetie und Dogmenentwicklung Dozent: Dr. Niels Christian Hvidt 30.04.2003 Prophetie und Tradition (Kap.6) Stellungnahme: Wichtig finde ich in diesem Kapitel, dass der Zusammenhang zwischen Prophetie, Offenbarung und Tradition(en) hergestellt wird. - Offenbarung ist die Äußerung Gottes, die mit Jesu Leben, Tod und Auferstehung ihren vorläufigen Höhepunkt gefunden hat. Dieses Heilsereignis wird nach katholischer Lehre nur vom Wiederkommen Jesu Christi am Ende der Zeit übertroffen. Ich gehe mit der Ansicht einher, dass frühere bzw. spätere Offenbarung bezüglich ihrer Natur und Qualität ein Ausdruck derselben Realität wie die Offenbarung Gottes in Jesu Christi sind. Somit ist die Frage beantwortet, die sich durch so viele Kapitel zog: Ist die Offenbarung bereits beendet? Die Antwort ist Nein, da sich Gott durch die Zeit seinem Volk mitteilt. - Ein Mittel der Offenbarung kann die Prophetie sein. Gewisse Menschen empfangen göttliche Botschaften, meist, um gewisse Glaubens-Auswüchse, die den Gläubigen nicht gut tun, zu bereinigen. - An dieser Stelle müssen wir und mit Tradition (T) und den Traditionen (t) beschäftigen. Tradition steht für das Geheimnis unseres Glaubens: Die Offenbarung Gottes in Jesu Christi, die durch die Kirche vermittelt wird. Traditionen sind dagegen menschliche Bräuche, die sich im kirchlichen und gesellschaftlichen Leben eingebürgert haben, ähnlich wie Moralvorstellungen. Es scheint mir oft so, als ob in der katholischen Kirche heute nicht scharf genug zwischen der Tradition (T) und den dazugehörigen Traditionen (t) unterschieden wird. Mich stört vor allem das Unwissen der Gläubigen, die sich manchen Traditionen beugen, obwohl sie nicht für die Kirche an sich stehen. Ein harmloses Beispiel: Eine Freundin von mir wuchs in den 50er Jahres des vergangenen Jahrhunderts in Südfrankreich auf. Dort herrschte die Meinung, ein Kinobesuch sei sündig. Also musste sie nach jedem Kinobesuch beichten, da sie sonst nicht die Kommunion empfangen durfte. Nach heutigem Verständnis ist ein Kinobesuch bestimmt kein Grund mehr, beichten zu gehen. Damals aber verstanden die Menschen in dieser Region eine Sitte als Tradition der Kirche, die bei Nichtbefolgen die Kommunion verweigerte. Ich halte es heutzutage sogar für gefährlich, wenn die Kirche nicht auf den Unterschied zwischen Tradition und Traditionen hinweist. Denn viele Bräuche sind mittlerweile veraltet und holen die Menschen nicht in ihrer Lebenswirklichkeit ab – eine mögliche Folge ist, dass sich Gläubige von der Kirche entfremden oder mit ihr nichts mehr zu tun haben wollen. Genauso verhängnisvoll finde ich die Tendenz, die Gläubigen nicht auf ihr Gewissen als letzte Instanz hinzuweisen. Die Kirche kann als Institution zwar Maßstäbe für ein christliches Leben an die Hand geben. Aber das Leben ist nicht schwarz-weiß. Oft 1 müssen Menschen in gewissen Situationen Entscheidungen treffen, die in keinem Katechismus zu finden sind – und vor allem die spezielle Situation des Einzelnen vernachlässigen. Aus diesen Definitionen lässt sich folgern: Tradition ist der „Ort“, an dem Gottes Offenbarung durch die Kirche an uns weitergegeben wird. Die Offenbarung ist mit Jesus Christus vor etwa 2000 Jahren geschehen und bis heute unübertroffen. Sie zieht sich aber durch die Zeit und wird von Gott aktualisiert – sie ist also nichts Statisches, etwas, das bereits abgeschlossen ist. Das kann sie auch gar nicht sein, wenn am die Eschatologie im Christentum ernst nimmt: Denn die vollkommene Offenbarung geschieht am Ende der Zeit mit dem Wiedererscheinen Jesu Christi. Also laufen, hoffen und glauben wir auf ein künftiges Ziel, nämlich die Vollendung der Welt, zu. Insofern kann Tradition nichts Statisches sein. Und das ist gut so: Denn wie schon oben im Beispiel beschrieben, muss die Offenbarung immer wieder an die Sprache und die Denkweise der jeweiligen Zeit angepasst werden. Sonst läuft sie in Gefahr, irgendwann alle Gläubigen zu verlieren, weil sie nicht mehr verstanden wird. Daraus folgt, dass die Tradition die Prophetie, also die Aktualisierung der Offenbarung durch Gott, notwendig mit einschließen muss. Deswegen sehe ich sie als einen Teil des „heiligen Erbes“ (depositum fidei). Mir scheint, als ob die Kirche diese flexible Sicht von Tradition (T) – die noch von Kirchenvätern wie Maximus d.G. vertreten wird – zeitweise etwas aus den Augen verloren hat. Schließlich ist die wissenschaftliche Literatur voll von Überzeugungen wie dem Ende der Offenbarung nach Jesus Christus, nach dem letzten Apostel oder nach der Erstellung des Kanons. Doch auch Kardinal Ratzinger, Präfekt der Glaubenskongregation, vertritt die Meinung, dass Prophetie auch für die Tradition (T) eine wichtige Rolle spielt und weitergepflegt werden muss. Leider scheint diese Sicht von Prophetie und Tradition (T) zwar durchaus vorhanden in der Kirche und auch in der Theologie, doch die Vermittlung an die Gläubigen ist wohl gescheitert – obwohl diese Sicht für Prophetie sogar im Katechismus zu finden ist: „Im Laufe der Jahrhunderte gab es sogenannte ‚Privatoffenbarungen’, von denen einige durch die kirchliche Autorität anerkannt wurden. … Sie sind nicht dazu da, die endgültige Offenbarung Christi zu ‚vervollständigen’, sondern sollen helfen, in einem bestimmten Zeitalter tiefer aus ihr zu leben.“ (Kap.2 / 66) Nun ist es ein Fakt, dass Propheten, z.B. Birgitte von Schweden, durch die Jahrhunderte hindurch die Kirche beeinflusst haben. Hatte sie also auch einen Einfluss auf die Erstellung von Dogmatischen Konstitutionen, die höchste Verbindlichkeit beanspruchen? Laut Katechismus setzt „das Lehramt der Kirche … die von Christus erhaltene Autorität voll ein, wenn es Dogmen definiert, das heißt, wenn es in einer das christliche Volk zu einer unwiderruflichen Glaubenszustimmung verpflichtenden Form Wahrheiten vorlegt, die in der göttlichen Offenbarung enthalten sind oder die mit solchen Wahrheiten in einem notwendigen Zusammenhang stehen“ (Kap.2 / 88). Das heißt also anders formuliert: Es gibt eine von Gott geoffenbarte Wahrheit. Verschiedene Aspekte dieser einen Wahrheit fasst die Kirche in verbindlichen Dogmen. Sie beleuchtet damit die Glaubenswahrheit, die sie durch die Überlieferung der Apostel (Tradition und Traditionen) und die Schrift als gegeben ansieht. Wenn nun die Prophetie Teil des depositum fidei bzw. der Tradition (T) ist, ist es damit auch möglich, dass die Kirche von Prophetie beeinflusst wird. 2 Wenn aber Offenbarung immer wieder aktualisiert wird – heißt das im Umkehrschluss, dass ständig neue Dogmatische Konstitutionen herausgegeben werden müssen? Eigentlich ja – was auch durchaus praktisch wäre, denn neue Dogmen könnten verbindliche andere Entscheidungen, die von den Umständen einer gewissen Zeit geprägt sind, aber heute schlicht nicht mehr geglaubt werden, bereinigen bzw. entschärfen. Und genau dies wird meines Wissens auch getan: Zwar können Dogmen nicht abgeschafft werden, da sie die Wahrheit Gottes in einem wichtigen Aspekt wiederspiegeln. Aber eventuell lassen die Papiere Spielraum für andere Formulierungen oder Interpretationen, die dann der jeweiligen Zeit angepasst werden können. Es gibt nur zwei Probleme, die ich in diesem Zusammenhang sehe: 1. Irgendwann gibt es so viele Dogmen, dass man ihre Menge nicht mehr überblicken kann, bzw. ihren Inhalt nicht mehr weiß (was in der Praxis sowieso schon geschehen ist) 2. Irgendwann ist der christliche Glauben so reglementiert wie der jüdische und „verkopft“ – und das wollten Jesus, die Apostel und Kirchenväter sicher nicht. 3