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WS 2000/01
Hubert Philipp Weber
Seminar:
Streit in der Theologie als treibender Faktor der Entwicklung
Momente einer Häresiologie von Simon dem Magier bis Tissa Balasuriya.
15. Januar 2001
Referat: Manfred Zwieb
10. Sitzung
Der Modernismusstreit Altes bewahren oder Neues finden?
A. Gliederung:
1.Begriffsbestimmung
2.Geschichtliche Entwicklung
3.Offizielle kirchliche Stellungnahmen zum Modernismus
4.Ausgewählte inhaltliche Schwerpunkte (dargestellt aus der Sicht der Modernisten)
5.Abschließende Beurteilung
B. Texte
1. Enzyklika „Pascendi dominici gregis“ (8.9.1907)
Die Grundlage der religiösen Philosophie sehen die Modernisten in jener Lehre, die man gemeinhin
Agnostizismus nennt. Demzufolge wird die menschliche Vernunft völlig von Phänomenen
eingeschlossen. Dingen nämlich, die erscheinen: deren Grenzen zu überschreiten, hat sie weder das Recht
noch die Möglichkeit. Deshalb ist sie weder imstande, sich zu Gott zu erheben, noch dessen Existenz wie
auch immer durch das, was man sieht, zu erkennen. Daraus wird geschlossen, daß Gott in keiner Hinsicht
direkt Gegenstand der Wissenschaft sein kann; was aber die Geschichte anbelangt, daß Gott keineswegs
als geschichtliches Subjekt anzusehen ist. (....)
DH 3475
Dieser Agnostizismus ist in der Lehre der Modernisten jedoch nur als negativer Teil anzusehen: der
positive besteht, wie sie sagen, in der vitalen Immanenz. Dabei schreiten sie nämlich folgendermaßen
vom einen zum anderen fort.
Die Religion – ob sie natürlich ist oder über der Natur – muß wie jedwede Tatsache eine Erklärung
zulassen. Die Erklärung aber wird, da die natürliche Theologie getilgt und der Zugang zur Offenbarung
wegen der Verwerfung der Beweise für die Glaubwürdigkeit verschlossen, ja sogar jedwede äußere
Offenbarung völlig aufgehoben ist, außerhalb des Menschen vergeblich gesucht. Sie ist also im Menschen
selbst zu suchen: und weil die Religion eine bestimmte Form des Lebens ist, ist sie ganz im Leben des
Menschen zu finden. Aufgrund dessen wird das Prinzip der religiösen Immanenz behauptet. Bei einem
jeden vitalen Phänomen – ein solches ist, wie schon gesagt wurde, die Religion – ist nun gleichsam die
erste Regung aus einem Bedürfnis bzw. einem Drang herzuleiten: die Anfänge aber, wenn wir über das
Leben genauer reden wollen, sind in einer Regung des Herzens zu sehen, die Gefühl genannt wird. (....)
Da dieses Bedürfnis nach Göttlichem nun nur unter bestimmten und geeigneten Umständen gespürt wird,
kann es aus sich nicht zum Bereich des Bewußtseins gehören; es liegt aber zunächst unterhalb des
Bewußtseins verborgen, bzw., wie sie mit einem von der modernen Philosophie entlehnten Wort sagen,
im Unterbewußtsein....
DH 3477
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(In ihren Vorstellungen über die Kirche) behaupten sie zunächst, sie entstehe aus einem zweifachen
Bedürfnis, zum einem in jedwedem Gläubigen, vor allem in dem, der eine ursprüngliche und einzigartige
Erfahrung erlangt hat, seinen Glauben anderen mitzuteilen; zum anderen – nachdem der Glaube unter
mehreren gemeinsam geworden ist – in der Versammlung, zu einer Gesellschaft zusammenzuwachsen
und das Gemeinwohl zu schützen, zu vermehren und zu verbreiten. Was also (ist) die Kirche? Sie ist
Frucht des Kollektivbewußtseins bzw. der Verbindung des Bewußtseins einzelner, die kraft des
lebendigen Bleibens von einem ersten Gläubigen abhängen, nämlich – für die Katholiken – von Christus.
DH 3492
2. Motu Proprio „Sacrorum antistitum“ (1.9.1910)
(...) Ich bekenne, daß Gott, der Ursprung und das Ziel aller Dinge, mit dem natürlichen Licht der Vernunft
„durch das, was gemacht ist“ (Röm 1,20), das heißt, durch die sichtbaren Werke der Schöpfung, als
Ursache vermittels der Wirkungen sicher erkannt und sogar auch bewiesen werden kann.
DH 3538
Die äußeren Beweise der Offenbarung, das heißt, die göttlichen Taten, und zwar in erster Linie die
Wunder und Weissagungen lasse ich gelten und anerkenne ich als ganz sichere Zeichen für den göttlichen
Ursprung der christlichen Religion, und ich halte fest, daß ebendiese dem Verständnis aller Generationen
und Menschen, auch dieser Zeit, bestens angemessen sind.
DH 3539
Ich nehme aufrichtig an, daß die Glaubenslehre von den Aposteln durch die rechtgläubigen Väter in
demselben Sinn und in immer derselben Bedeutung bis auf uns überliefert (wurde); und deshalb verwerfe
ich völlig die häretische Erdichtung von einer Entwicklung der Glaubenslehren, die von einem Sinn in
einen anderen übergehen (...)
DH 3541
Ich verwerfe ebenso diejenige Methode, die heilige Schrift zu beurteilen und auszulegen, die sich unter
Hintanstellung der Überlieferung der Kirche, der Analogie des Glaubens und der Normen des
Apostolischen Stuhles den Erdichtungen der Rationalisten anschließt und – nicht weniger frech als
leichtfertig – die Textkritik als einzige und höchste Regel anerkennt.
DH 3546
3. „Zwischen Scylla und Charybdis“- George Tyrrell (1907)
„Es ist für uns nicht länger schwierig, zu glauben, daß ‚kein Mensch jemals Gott gesehen hat’, ihn
gesehen hat als etwas außerhalb der Welt und der Menschheit Stehendes und von ihm Getrenntes; oder
daß kein Mensch jemals Gottes Stimme aus den Wolken oder aus dem brennenden Dornbusch oder vom
Gipfel des Sinai herab vernommen hat. Wir haben längst uns nicht nur an die Vorstellung von einem
schweigenden und verborgenen Gott gefügt, sondern auch einzusehen gelernt, daß unser anscheinender
Verlust unschätzbaren Gewinn bedeutet. Denn nun wissen wir ihn da zu suchen, wo Er allein zu finden,
zu sehen und zu hören ist, nahe und nicht fern, innen und nicht außen, im Herzen seiner Schöpfung, im
Mittelpunkt des menschlichen Geistes, im Leben eines jeden, und noch mehr im Leben aller.
Vom Sinai des Gewissens (des Individuums und der Gesamtheit) verkündet Er mit Donnerstimme Sein
Gebot und Seinen Urteilsspruch, von den Höhen Seiner Heiligkeit blickt Er mitleidig herab auf unsere
irdische Schwäche und Sünde, in Seinem Christus, in Seinen Heiligen und Propheten erscheint Er im
Fleisch und wird offenbar, schlägt er Seine Wohnung auf unter den Menschenkindern.
Hand in Hand mit diesem Gefühl der göttlichen Immanenz hat sich die Vorstellung von der Autorität des
allgemeinen Geistes und Gewissens über den Geist und das Gewissen entwickelt. Das allgemeine
Bewußtsein erscheint als ein verhältnismäßig zugänglicheres Werkzeug des göttlichen Willens, als ein
zureichenderer Ausdruck der göttlichen Wahrheit. Es stellt sich ein normales Niveau dar, unter das das
Individuum nicht herabsinken darf und das es erst erreicht haben muß, ehe es fähig wird, es zu kritisieren
und zu haben. Die Bruchstücke der Offenbarung Seiner Selbst, die Gott jedem einzelnen Herzen und
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Geist zuteil werden läßt, schließen sich im Herzen und im Geist der Gemeinschaft zu einer Einheit
zusammen und bilden einen in stetiger Entwicklung begriffenen Körper von Glaubenssätzen, Gesetzen
und Gebräuchen; durch die Beziehung mit ihm wird der individuelle Geist erweckt und angespornt.
Während individuelle Urteile und Regungen dem trübenden und ablenkenden Einfluß aller möglichen
Sonderinteressen ausgesetzt sind, läßt sich von dem übereinstimmenden Denken und Wollen der
Gemeinschaft mit gutem Recht erwarten, daß sie von solchen Beschränkungen frei und allein durch einen
Zweck bestimmt sein werden, der eine größere Annäherung an wirklichere Allgemeinheit und
Göttlichkeit darstellt und in dem die normale Entwicklung des menschlichen Geistes reiner zum
Ausdruck kommt.
(....) Entwicklung und Fortschritt bedingen, daß das Individuum unter gewissen Umständen das Recht, ja
die Pflicht habe, die feststehenden Formen des Glaubens, des Gesetzes und der Sitte zu verlassen und
dem höheren und endgültigen Gesetz des Geistes zu gehorchen.“ (....)
(S.442ff)
„Ich brauche wohl kaum des weiteren auszuführen, daß ich unter Demokratie nicht die Unterwerfung des
Klerus unter die Laien, der wenigen unter die vielen verstehe. Klerus und Laien sollen in gleicher Weise
dem ganzen Körper unterworfen sein, dessen Existenz logisch jeder solchen Teilung vorausgeht; sie
sollen jener formlosen Kirche unterworfen sein, der gegenüber die amtliche Hierarchie nur ein dienendes
Werkzeug ist, von der sie ihre Autorität herleitet, der sie verantwortlich ist, von der sie reformiert werden
kann. Dieser Körper des heiligen Geistes, der der sich auf der Oberfläche erhebenden kirchlichen
Organisation, die er für sich selbst geschaffen hat, zugrunde liegt und ihr Leben einflößt, hat seine eigene
charismatische Hierarchie der Gaben und Gnaden bewahrt.
Wir verlangen also nicht die Verwandlung der Kirche in eine Laiengemeinschaft; wir verlangen nur die
Anerkennung der Tatsache, daß die Laien teil haben an jenem höchsten Priestertum und an jener höchsten
Autorität, von denen das Priestertum und die Autorität der amtlichen Hierarchie abgeleitet wird.“ (......)
(S.462f)
4. „Evangelium und Kirche“ – Alfred Loisy (1902)
„Die von der Kirche als geoffenbarte Dogmen dargebotenen Vorstellungen sind keine vom Himmel
gefallenen Wahrheiten, die von der religiösen Tradition in ihrer genauen Ursprungsform aufbewahrt
worden wären. Der Historiker sieht in ihnen eine durch mühsame theologische Gedankenarbeit erworbene
Interpretation religiöser Tatsachen. Mögen die Dogmen auch ihrem Ursprung und Wesen nach göttlich
sein, so sind sie doch nach Bau und Zusammensetzung menschlich. Es ist undenkbar, daß ihre Zukunft
nicht ihrer Vergangenheit entsprechen sollte. Die Vernunft hört nicht auf, dem Glauben Fragen zu stellen,
und die traditionellen Formeln sind einer fortwährenden Interpretationsarbeit unterworfen, in der „der
Buchstabe, der tötet“, wirksam kontrolliert wird „durch den Geist, der lebendig macht.“ (2 Kor 3,6)
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