Gunnar Kristjánsson, Dr. theol., Freitag 11. April 14.30

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Gunnar Kristjánsson, Dr. theol., Freitag 11. April 14.30 - 15.45
Die religiöse Bedeutung der Natur in der lutherischen Glaubenskultur in Island.
Menschsein und Religion. Anthropologische Probleme und Perspektiven
der
Glaubenskultur des Christentums
I. Einführung
Anthropologische Probleme und Perspektiven der Glaubenskultur des Christentums
in Island ist das Thema dieses Vortrags. Die Präsentation wird teilweise historisch aber
teilweise auch systematisch theologisch aufgebaut. Die Hauptthemen sind auf der einen
Seite die Natur, die meiner Meinung nach die Glaubenskultur in Island sehr geprägt hat;
das andere Hauptthema ist ein wichtiges theologisches Thema in unserer Literatur, das
Mitleid. Beides, Natur und Mitleid dürfen wichtige Komponente in der Diskussion über
Menschsein und Religion in der isländischen Glaubenskultur sein. Das eine hat mit der
äußeren Umgebung, das andere mit der inneren Motivation des Menschen zu tun.
Weil Island eine Insel ist, hat die Nähe zum Meer das Volk von Anfang an sehr tief
geprägt, auch heute noch. Dasselbe gilt auch für die Beziehung der Isländer zum Land
von Bergen, Gletschern und Vulkanen. Die Erwerbstätigkeit der Bauern und der Fischer
ist nie fern von der Ambivalenz der Natur: auf der einen Seite ist die Ergiebigkeit,
Fruchtbarkeit, Reichtum und Schönheit, auf der anderen Seite das Gefährliche, das
Unheimliche, das Ungewisse und das Fürchterregende.
a) Das Ohnmachtsgefühl
In der Kunst, in Poesie und Prosa, wird die schöne und gute Schöpfung gelobt und
gepriesen troz der Nähe zum Unheimlichen. Auch das Land: Die Gletscher, die Vulkane,
die Flüsse, die Erdbeben, das alles ist den Isländern, auch heute, gut bekannt. Hier ist das
Meer, das so viele Menschenleben genommen hat, wo das Boot so klein und der Mensch
noch kleiner wird. Im bekanntesten Seefahrtsgebet von der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts heißt es:
1
„Wenn ich jetzt zum Meer hinaus rudere und meine Ohnmacht spüre und die Schwachheit
des Bootes angesichts der heimlichen Kräfte der Luft und des Meeres, dann erhebe ich
die Augen des Glaubens zu Dir...“ i
So ist die Natur ein ambivalentes Element in der Grunderfahrung der Isländer. In
Poesie und Bildkunst, in Hymnen und Gebeten ist heute noch beides gut zu erkennen; die
Erfahrung, die dort ihren Ausdruck findet, ist manchmal deutlich religiös. Die Natur
bildet eine grundlegende Transzendenz-Erfahrung, die möglicherweise eine lockere
Verbindung mit dem Kultus der Kirche der vergangenen Zeiten gehabt hat. In Hymnen
und Gebeten spiegelt sich eine menschliche Erfahrung oder eine Kultur des
Ohnmachtsgefühls wider. So ist die Glaubenskultur in Island aus verschiedenen
Komponenten geflochten. Jede Kultur hat eigene Charakteristika wenn man nach der
primären Glaubenserfahrung fragt.ii
b) Die Gelassenheit
Auf der anderen Seite sind die Isländer eins der wenigen Völker der Welt, das über
mehr als vier Jahrhunderte hinweg fast ausschließlich nur das lutherische Christentum
kennen. Nach Einführung der Reformation durch den dänischen König im Jahre 1541
verschwand der römisch-katholische Glaube allmählich. Seit der zweiten Hälfte des 19.
Jahrhunderts gibt es wieder katholisches Christen in Island, die bis heute allerdings eine
kleine Minderheit darstellen. Das Luthertum hat die isländische Glaubenserfahrung
geprägt, und die isländische Kultur wiederum hat dem lutherischen Bekenntnis eine
eigene Prägung gegeben.
Durch die Jahrhunderte, bis zum Ende des neunzehnten Jahrhunderts ist die
isländische Gesellschaft ohne Dörfer und Städte gewesen. Die Kirchen sind in der Mitte
der ländlichen Gemeinden gewesen, wo die Bauernhöfe zerstreut liegen. Bis zum Ende
des neunzehnten Jahrhunderts ist den Isländern das dörfliche Leben unbekannt.
Deswegen hat sich das Hauschristentum in Island entwickelt und die isländische
Glaubenskultur – und die Kultur überhaupt – sehr deutlich geprägt.
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Lutherisch-reformatorische Themen wie Jesu Opfertod, die Rechtfertigung durch den
Glauben, das allgemeine Priestertum, Gnade und Freiheit, sind bis heute wichtige
Themen in der isländischen Glaubenskultur.
Bis heute haben diese Komponenten die isländische Glaubenskultur geprägt.
Allerdings ist das Hauschristentum keine kirchlich orthodoxe oder pietistische
Religionsgemeinschaft gewesen, auch nicht biblisches Christentum. Die Hauspostille hat
das Christentum durch die Jahrhunderte geprägt, d.h. ein Christentum das eher
individualistisch geprägt ist, ethisch-religiös und unabhängig vom Kirchengebäude, aber
enger an die Familie gebunden.
c) Das Hauschristentum
Die christliche Glaubenserfahrung ist von der lutherischen Tradition, in den letzten
zwei Jahrhunderten von der volkskirchlichen Tradition, geprägt. Allerdings kann man gut
sehen, dass die Hauptwerke der christlichen Literatur vom 17. und 18. Jahrhundert durch
die Haus-Frömmigkeit guten Zugang zur Bevölkerung hatten, einerseits die
Passionspsalmen von Hallgrímur Pétursson (1614-1674) – Hauptthema: Das Leiden –
und die Hauspostille von Bischof Jón Vídalín (1666 -1720) – Hauptthema: Gerechtigkeit.
Beide Werke sind häufig herausgegeben worden, die Passionspsalmen sind in
verschiedene Sprachen übersetzt worden, darunter in die deutsche Sprache, die
Hauspostille von Bischof Vidalin ist nie in andere Sprachen übersetzt worden.iii In den
Gebeten spiegelt sich eine Glaubenskultur des Vertrauens, der Hoffnung und der
Gelassenheit wider.
Ich werde versuchen die Hauptelemente der Glaubenskultur in Island auf dem
historischen Hintergrund darzustellen und zu zeigen, dass in Island sich eine eigenartige
Glaubenskultur entwickelt und die Kultur grundsätzlich geprägt hat. Aber wie?
3
Wie gehen wir weiter mit dem Untertitel der Konferenz: Anthropologische Probleme
und Perspektiven der Glaubenskultur des Christentums? Anthropologische Probleme,
was könnte das sein, wenn man die Glaubenskultur in Island betrachtet? Und welche
Perspektiven gibt es innerhalb der Religionskultur eines Volkes das von der Natur so
abhängig ist?
II. Glaubenserfahrung
Wenn man durch die Natur die Empfindung der Abhängigkeit so gründlich und tief
erlebt hat, kann man nach einer Gottesverbindung des Menschen oder auch nach dem
Christusglauben fragen:
i.
Könnte es sein, dass die Schöpfung dabei eine grundlegende Bedeutung gehabt
habe?
ii.
Kann es sein, dass vor allem hier das Gefühl der schlechthinnigen Abhängigkeit
geweckt wird?
iii.
Und könnte es sein dass der Mensch gerade hier ständig ein Gefühl von ultimate
concern erfahren habe, ist es vor allem durch die Natur, dass der Mensch erfährt,
was ihn unbedingt angeht?
An dieser Stelle möchte ich an zwei Begriffe in der Theologie vom
Religionswissenschaftlicher Theo Sundermeier erinnern, er unterscheidet zwischen
primärer
und
sekundärer
Religionserfahrung.
Er
hebt
damit
auf
die
Wirklichkeitsbewältigung von kleinen Gesellschaften ab, in denen Menschen in einem
geographisch begrenzten Raum leben, die gleiche Sprache sprechen, in einem
bestimmten Verwandtschaftsverhältnis zueinander stehen, die gleichen grundlegenden
Kulturtechniken verwenden und durch eine patriarchalische Herrschaftsform miteinander
verbunden sind. „Gesellschaft“ und „Religion“ lassen sich in diesen Gemeinschaften
nicht voneinander trennen, sondern gehen eine enge Symbiose ein und prägen die Bildund Vorstellungswelt.
4
Mit seiner These, dass sich die sekundäre Religionserfahrung immer wieder in die
primäre Religionserfahrung integriert und an der primären ausrichtet, gibt er den
primären Religionen den nach seiner Auffassung angemessenen Platz in der
Religionsgeschichte. Nach Sundermeier ist auch die individuelle Entscheidung von
Menschen moderner Gesellschaften für eine Welt- oder Erlösungsreligion, die
missionarisch Universalität für sich beansprucht und sich als „vera religio“ von falschen
Religionen absetzt, nie vom Deuterahmen primärer Religion ablösbar. Durch Selektion,
Interpretation, Transformation und Integration primärer Religionserfahrung reichert sich
die sekundäre Religionserfahrung mit den Beständen primärer Religionserfahrung an. So
können sich etwa christliche Glaubensüberzeugungen auf diese Weise „inkulturieren“
und auch in jeweils neuen Kontexten als lebensfähig erweisen.“iv
Die Natur hat die primäre religiöse Empfindung der Isländer tief geprägt. Das Meer
hat allezeit die Ambivalenz des Lebens wach gehalten, man konnte nie wissen ob die
Fischer am Abend zurück ans Land kommen würden. Dasselbe gilt für Erdbeben, die
zeitweise häufig sein können, ein Erdbeben weckt tiefe Unsicherheit, die Erde ist nicht
mehr ein fester Grund, sondern auch wie das Meer ein Ort radikaler Unsicherheit. Die
Vulkane und deren Zerstörung kennen die Isländer seit Jahrhunderten und die damit
verbundene Gefahr für Leib und Leben, Hof und Vieh, Gut und Land. Im 19. Jahrhundert
haben solche Ereignisse die Auswanderung vieler Isländer nach Amerika nach NordAmerika und Latein-Amerika zur Folge gehabt. Früher, z.B. in Volksmärchen, sind die
Gletscher Orte des Unheimlichen, der Kälte und des sicheren Todes. In einigen Gebieten
mussten Leute über die Gletscher wandern, um zu anderen Orten oder Gebieten zu
gelangen. Die Gletscherflüsse sind auch ein Teil von der Gefährdung der Gletscher, z.B.
wenn Vulkane unter der Schneedecke ausgebrochen sind, die Decke teilweise
geschmolzen und so den Strömung im Gletscherfluss verstärkt haben. - Wenn man die
anthropologischen Aspekte untersuchen will muss man an die Erfahrung denken.
5
Erfahrung ist ein breites Konzept.v Bei Luther hatte die Erfahrung eine grundlegende
Bedeutung wie es in seinen Tischreden heisst: sola autem experientia facit theologum
[allein die Erfahrung macht den Theologen].vi Religion hat im wesentlichen eine
emotionale Basis: „... wir können das nur so verstehen wenn wir uns an die Tiere
wenden... Alle grosse Gefühle haben wir mit den Tieren gemeinsam“ (E. Drewermann).
Das absolut grundlegende Gefühl die Dynamik der Befürchtung ist allen sterblichen
Wesen gemeinsam.“ vii „Schleiermacher ... setzt wieder in Kraft die direkte Verbindung
mit Gott, die bei den mittelalterlichen Mystikern bekannt ist, aber in einem Kontext wo
das Subjekt jetzt autonom ist“. viii Religion trifft den Menschen existentiell, das religiöse
gehört den Tiefen der menschlichen Seele. ix
a) Die Romantiker
Anfang des 19. Jahrhunderts haben vier isländische Studenten in Kopenhagen eine
neue Zeitschrift, Fjölnir, gegründet. Sie waren Jónas Hallgrímsson, Tómas Sæmundsson,
Konráð Gíslason, Student der Philologie und Brynjólfur Péturson, Jurastudent. Das sind
die sogenannten Fjölnismänner (Fjölnismenn). Die beiden ersten sind für meine
Darstellung besonders wichtig. Jónas Hallgrímsson (1807-1945) wurde respektierter
Naturwissenschaftler in Kopenhagen und Island, schon in jungen Jahren auch ein
beliebter Poet, heute noch hat er ähnlichen Status in Island wie etwa Goethe in
Deutschland.x Tómas Sæmundsson (1807-1841) wurde Pfarrer in Süd-Island.
Jónas Hallgrímsson hat die Schönheit der isländischen Natur „entdeckt“, die Natur
war für den Naturwissenschaftler aber mehr als Natur, sie war göttlicher Heiligtum. Sie
war ein Ort des Menschen, um zur göttlichen Erfahrung zu gelangen. Eine gute
Schöpfung, die schön und ergiebig ist: das ist das Motto der Romantiker, ihre tiefste
Realität ist göttlich, die Natur lebt wegen des Geistes Gottes. Die Natur als göttlicher
Heiligtum ist ein bekanntes Thema in Island.xi
Wichtig für die Prägung dieser Theologie – und auch der jungen Isländer in
Kopenhagen – war der Pfarrer der Frauenkirche in Kopenhagen und Bischof von Seeland
(ab 1834), Jacob Peter Mynster (1775-1854), einer der Wegbereiter der Romantik in
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Dänemark. Er war ein Zeitgenosse und Kontrahent von Sören Kierkegaard (1813-1855),
Mynster ist eher ein Vertreter der konservativen Richtung in der dänischen Kirche seiner
Zeit.xii
Die Theologie stand den Fjölnismännern nicht fern, Jónas Hallgrímsson – selber Sohn
eines Pfarrers wie auch Brynjólfur, der zugleich Bruder des Bischofs von Island gewesen
ist – hat sich dreimal erfolglos um eine Pfarrstelle in Island beworbeb. Im Jahre 1839
wurden Mynsters „Betragtninger over de christelige Troslaerdomme“ in isländischer
Sprache in Kopenhagen herausgegeben. xiii Das Buch wurde in Island sehr beliebt und im
Jahre 1853 zum zweiten Mal herausgegeben.xiv In einem Brief an Jónas Hallgrímsson
vom 9. August 1938 heißt es bei Tómas Sæmundsson: „Mir gefällt es gut dass Ihr
Mynsters „Betragtninger“ übersetzt“ habt“.xv
Die Poeten der romantischen Zeit haben tiefe Spuren im Verständnis der Isländer im
Verhältnis zur Natur hinterlassen, wo die Natur vor allem schön ist und verbirgt auch die
Nähe und Schönheit der Gottheit. Ihre Werke sind nicht selten fast Hymnen zur Natur
und zum Schöpfer. In der Kirche sind ihre Lieder jedoch nie gerne gesehen worden. Wir
können auch von Naturmystik in der „weltlichen“ Dichtung der Romantik reden. In der
Schönheit der Natur begegnet der Mensch seinem Schöpfer. Die Natur ist mysterium
tremendum et fascinans. Sie ruft auch hervor das Gefühl der schlechthinnigen
Abhängigkeit der Menschenxvi.
In jungen Jahren hatte der Rationalismus großen Einfluss auf Tómas, heißt es in
dessen Biographie, die sein Schwiegersohn, Dr. Jón Helgason (1866 – 1942), Bischof
von Island, geschrieben hat; in Kopenhagen ist der Rationalismus aber im Abwertstrend
gewesen, als die Fjölnismänner dort waren; der neue Trend heißt in der Biographie NeuKonfessionalismus. Die Romantik aber ist schon in der Zeit der isländischen Studenten
eins starke Bewegung in der Literatur und auch in der Theologie geworden.
Pfarrer Tómas Sæmundsson hat eine einjährige Europareise gemacht während der er
im Jahre 1832 in Berlin Friedrich Schleiermacher (1768-1834) getroffen hat. In seinem
Reisebuch beschreibt er seine Begegnung mit Schleiermacher, der großen Eindruck auf
7
den isländischen frisch gebackenen candidatus theologiae gehabt hat.xvii Seine
Beschreibung Schleiermachers zeigt, dass er nach ihrer Begegnung nicht enttäuscht
war.xviii Der deutsche Theologe hatte auch in Dänemark grossen Einfluss, das zeigt die
Beschreibung bei Tómas Sæmundsson, als Schleiermacher ein Jahr später und ein Jahr
vor seinem Tod nach Kopenhagen kam: die Studenten haben ihn mit einem Fackelzug
durch die Stadt empfangen und mit einem großen Fest geehrt; das dokumentiert seinen
Status – und damit seinen Einfluss – unter den Studenten in Kopenhagen in der Zeit der
Romantik. Während des Besuches von Schleiermacher in Kopenhagen war Tómas
Sæmundsson allerdings noch unterwegs auf seiner Reise durch Europa. xix
b) Nachhaltiger Einfluss der Romantiker
Folgendes ist für unsere Untersuchung wichtig. Der nachhaltige Einfluss der
Romantiker in Bezug auf das Einvernehmen der Natur bezieht sich auf den Gottesbegriff
der Romantik, der auch ein direkter Gegensatz zum Verständnis des Rationalismus
gewesen ist. In der Romantik begegnen wir der Gottheit in der Natur, im Rationalismus
war die Gottheit nicht mehr in der Schöpfung vorhanden, die Schöpfung ist vom
Schöpfer verlassen, ähnlich wie die Uhr ihren Uhrmacher nicht mehr braucht, die
Gottheit des Rationalismus hat der Schöpfung Gesetze gesetzt. In der Schöpfung sieht die
Romantik die lebensspendende Nähe der Gottheit. Gott ist hier eine unaufhörliche
kreative Macht.xx In Mynsters „Betragtninger over de christelige Troslaerdomme“ ist
diese Theologie deutlich zu finden. Die Vernunft ist aber auch wichtig, damit der Mensch
sich selbst versteht und damit er die Wahrheit des Glaubens begreifen kann. Diese Ideen
sind in den Werken von Tómas Sæmundsson deutlich zu erkennen.
Gegen Jahrhundertwende 1900 sind die Maschinen in die Boote gekommen, dann
haben die Fischer langsam die gemeinsamen Seefahrts-Gebete vor der Abfahrt abgelegt.
So hat sich die Säkularisierung in Island gemeldet: die machina hat den deus abgelöst, die
Welt der Technik hat vieles geändert, nicht alles und wahrscheinlich nicht so viel, wie
man in einer post-säkularisierten Gesellschaft annehmen könnte.
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Im hochmoderniserten Island des 21. Jahrhunderts hat sich die Angst, die man früher
vor der Natur hatte, geändert. Sie ist ein Ort der Möglichkeiten, die Rohstoffe sind
wertvoll, die Schönheit der Natur kann man den Touristen gut verkaufen, die Wasserkraft
ist von ausländischen Großkonzernen begehrt, eine Möglichkeit zum Verkauf von
Elektrizität durch eine Kabel-Verbindung zum Kontinent ist eine offene Möglichkeit. Die
Natur als Erlebnisort der Erlebnisgesellschaft ist auch ein begehrtes Ziel, die Gletscher
und die Vulkane, auch das Meer mit den Walen und anderen Meerestieren, auch die
Dunkelheit des Winters, die Nordlichter und der Schneesturm im Hochland. Alles was
früher so abschreckend und fürchterregend war, ist jetzt umgekehrt interessant geworden
und gibt den Einheimischen dazu Geld in die Tasche.
Die Isländer begreifen die Natur nicht mehr als eine unheimliche Erscheinung sondern
umgekehrt eine Möglichkeit: wir können etwas reicher werden um etwas glücklicher zu
werden, so sieht es aus. Neue Visionen werden verbreitet, neue Aufgaben sind in Aussicht
– und neue Verwantwortung. Die Möglichkeiten führen auch Probleme mit sich: das sind
die neuen Perspektiven mit denen das Volk sich beschäftigen muss. Welche Aufgabe hat
die Religion in der neuen Situation, was für eine Glaubenskultur entsteht in der neuen
post-säkularisierten Welt, die schon präsent ist?
c) Die Perspektiven
Wir kommen jetzt zurück zur Erfahrung der göttlichen Schönheit in der Natur. Fragen
kann man, ob die Theologie in unseren isländischen Kirchen zu christozentrisch sei, ob
die Schöpfung zu kurz kommt und damit auch die damit verbundene Erfahrung des
Menschen in der Natur, die im Grunde als eine religiöse Erfahrung gedeutet werden
dürfte? In der isländischen schöngeistigen Literatur braucht man nicht lange zu suchen,
um diese Gotteserfahrung zu spüren; dies allerdings vielleicht nicht immer explizit, weil
die säkulare Literatur sehr scheu sein kann, wenn es zu einer religiösen Erfahrung
kommt.
9
In den Werken von Halldór Laxness (1902-1998), dem isländischen Nobelpreisträger
für Literatur des Jahres 1955, gibt es viele Anspielungen auf die religiöse Erfahrung der
Menschen in der Natur. Es muss gesagt werden, dass die Literaturkritik solche Ereignisse
meistens nicht als religiös gedeutet hat. Es muss auch gesagt werden, dass die Werke von
Laxness mit Abstand die beliebtesten Bücher im Island des zwanzigsten Jahrhunderts
sind, eins von seinen Büchern, Sein eigener Herr, (erste Ausgabe 1933-1935, in vier
Teilen), wurde sogar zum „Roman des zwanzigsten Jahrhunderts“ in Island gewählt.
In diesem Roman stürmt eines der Kinder eines abgelegenen Bauernhofs in den
bergischen Höhen in Ost-Island ins Haus, wo die Familie sich aufhält:
Der kleine Nonni brachte seine Beinknochen auf den Hügel. Eines Tages brachte er
die Nachricht in die Stube, dass an der Hausmauer ein Löwenzahn aufgeblüht sei. Ein
aufgeblühter Löwenzahn. Ein seltenes Ereignis in einem hochgelegenen Tal zu dieser
Zeit des Jahres. Alle Geschwister und die Mutter gingen hinaus an die Hausmauer, um
diesen kleinen Löwenzahn zu betrachten, der seine Blüte so fröhlich und kühn gegen die
Wintersonne ausbreitete, diese junge, empfindliche Blüte. Ein Blümlein der Ewigkeit.
Lange, lange blickten sie in andächtiger Bewunderung auf diesen neuen Freund, diesen
zierlichen und liebenswerten Vorboten des Sommers inmitten der Winterstrenge. In
schweigender Verehrung berührten sie ihn leicht mit den Fingerspitzen...; es war als ob
sie sagen wollten: Du bist nicht allein, wir sind auch da, wir versuchen auch zu
existieren. Es war ein Tag mit heiterem Himmel...xxi
Hier erleben die Menschen „ein seltenes Ereignis“, das eine „schweigende
Verehrung“ hervorruft. Es weist hin auf eine grundlegende existentielle Erfahrung, wie es
im Text heisst: „... wir versuchen auch zu existieren.“ Hier erkennen die Menschen eine
Hilfe in ihrer Ohnmacht, ein Gefühl von „ultimate concern“ wird erkannt.
Viele gute Beispiele der primären religiösen Erfahrung finden sich auch im Werk
Weltlicht von Halldor Laxness, einem seiner beliebtesten Romane. Es erzählt von einem
Dichter, der arm und leidend ist – eine Art Christus-Figur –, er hat aber ganz eindeutige
religiöse Erfahrungen, deren erste so beschrieben wird:
10
Ólafur „fühlt, wie sich die Gottheit in der Natur in einem unbegreiflichen Klang
offenbart; das ist der Offenbarungsklang der göttlichen Allmacht. Ehe er es fassen kann,
ist er selber eine bebende Stimme im herrlichen Klang der Allmacht. Ihm ist, als wollte
seine Seele aufwallen, über seinen Körper hinausschäumen – wie kochende Milch über
den Rand einer Schüssel - , als sollte sich seine Seele in das grenzenlose Meer eines
höheren Lebens ergießen, das höher als Worte ist, jenseits des Gefühls. Den Leib
durchströmt eine Lichtflut, strahlender als jegliches Licht. Seufzend wird er der eigenen
Winzigkeit inne, umschlossen von diesem unermesslich herrlichen Klingen und Leuchten.
Sein Bewusstsein löst sich auf in ein heiliges, tränenreiches Sehnen: nicht mehr ein Teil
des eigenen Ichs zu sein, eins zu werden mit dem Höchsten.“ xxii
Hier wird ein Erlebnis im Sinne einer Naturmystik beschrieben. Der Dichter erlebt die
Nähe des „Höchsten“, es ist „ein heiliges“ Erlebnis als ihm „die Gottheit in der Natur“ in
einem „unbegreiflichen Klang offenbart“. In eigener Person ist er ein Teil von diesem
Ereignis geworden, er ist „selber eine bebende Stimme im herrlichen Klang der
Gottheit“. Hier geht es nicht mehr um ein menschliches Gefühl, weil das Ereignis den
Dichter „jenseits des Gefühls“ führt.
Aufgrund dieser Nähe zur Natur ist die primäre religiöse Erfahrung so deutlich in
unserer Kultur anzutreffen, in Prosa, Poesie, Theater und Film. Es ist des weiteren meine
These, dass eben diese primäre religiöse Erfahrung allgemein akzeptiert wird, die
sekundäre, kirchliche Religion, aber weniger. Hier haben Poeten und Theologen der
Romantik des neunzehnten Jahrhunderts nachhaltigen Einfluss gehabt.
II. Die sekundäre Religionserfahrung: Das Mitleid
Die Tradition aber hat auch einen anderen Ton. Das ist das Element der
Menschlichkeit, das sich durch die schwierigen Zeiten der Armut und Abgrenzung
entwickelt hat. Nicht nur die primäre religiöse Erfahrung ist an die Erfahrung in der Natur
geknüpft. Die Christologie, das Gebet an den christlichen Gott, sowie weitere Themen der
lutherischen Predigt durch die Jahrhunderte sind deutlich zu spüren. Mag sein, dass auch
dies ein typisch isländisches Phänomen ist.
11
Im schon oben erwähnten Roman Sein eigener Herr von Halldor Laxness wird von
einer Bauernfamilie im Heideland im Bergland Ost-Islands erzählt; es ist ein abgelegener
Bauernhof, auf dem die Familie in schwerster Armut lebt. Einmal sehen wir die
Geschwister Nonni und Ásta Sóllilja (Sonnenlilie). Der Lehrer ist fortgegangen, und sein
Weggang verstärkt noch die Einsamkeit vor allem für Ásta, denn sie hat ihn geliebt. Sie
weint als der jüngere Bruder Nonni zu ihr kommt. Das Kapitel heisst „Die grosse
Schwester“:
„Warum weinst du?“ fragte er.
„Wegen nichts“, antwortete sie und zog die Nase hoch.
„Hast du etwas verloren?“ sagte er.
„Ja“, sagte sie.
„Was?“
Nichts.“
„Wein doch nicht“, sagte er.
„Ich weine ja gar nicht“, sagte sie und hörte nicht auf zu weinen.
„War Papa böse zu dir?“
„Ja.“
„Was sagte er?“
„Gar nichts.“xxiii
Nonni versteht nicht was mit Ásta Sóllilja passiert ist, auch nicht als sie ihm erzählt,
dass sie so vor lauter Liebeskummer sterben möchte. Am Ende des Kapitels lesen wir
diese Gedanken vom kleinen Nonni:
Es war das erste Mal, dass er in das Labyrinth der menschlichen Seele blickte. Er
verstand es keinesweges. Aber was mehr war: er litt mit ihr... Die Quelle des erhabensten
Gesangs ist das Mitleid. Das Mitleid mit Asta Sollilja auf Erden.xxiv
Das ist das Ende des Kapitels, Nonni hat in die Seele eines Menschen hinein geblickt
und hat dabei eine neue Erfahrung gemacht: mit den leidenden zu leiden: Die Quelle des
erhabensten Gesangs ist das Mitleid.
12
Labyrinth der menschlichen Seele, ist das Wort, das der Autor des Romans gewählt
hat, um die Erfahrung Nonnis zu beschreiben, als er seine Schwester ansieht, deren Herz
wegen der Liebe gebrochen ist. Dann hat er empfunden, wie sehr ihm seine Schwester lieb
ist, und auch dass gerade in der Liebe zu den Leidenden der Kern der Menschlichkeit, des
Menschseins,
und
der
Menschenwürde
verborgen
ist.
Laxness
hat
eine
Anknüpfungstheologie entwickelt; hier ist ein Konzept, das Mitleid, das an Tillichs
„ultimate concern“ grenzt.xxv Es ist ein Wendepunkt christlicher Provenienz, im Fall
Laxness katholischer Provenienz, wenn man an seine römisch-katholische Prägung denkt,
die er in jungen Jahren als Novize während eines zweijährigen Aufenthalts im
Benediktiner- Kloster Saint Maurice de Clairvaux in Luxemburg erfährt – aber auch
lutherischer Provenienz, wenn man an seine Kindheit und Jugend denkt und die
isländische Glaubenskultur, die in seinem Elternhaus praktiziert wurde, wo die
Passionspsalmen von Hallgrímur Pétursson einen hohen Platz hatten. Wo die Passion
auch als compassio verstanden wird. xxvi
Die Passionspsalmen Hallgrímur Péturssons haben bis heute einen sehr großen
Einfluss auf die isländische Glaubenskultur in Island. Als Beispiel sei erwähnt, dass am
Ende fast jeder Beerdigung in Island ein Hymnus von ihm gesungen wird.
III. Anthropologische Perpektiven: Subjektivität, Religion, Ritual
Ich komme zurück zu der religiösen Deutung der Natur in der alten isländischen
Gesellschaft und in der Interpretation der Romantik, besonders in Theologie und
Literatur. In der Bildkunst ist die Präsentation der Natur überwiegend vom romantischen
Erbe des neunzehnten Jahrhunderts geprägt. Was sagt das alles über die
anthropologischen Perspektiven einer Theologie der Glaubenskultur? Die Glaubenskultur
ist meiner Meinung nach von den verschiedenen Komponenten der Erfahrung und der
religiösen Deutung der Erfahrung, die ich beschrieben habe, geprägt.
13
Wenn man zu den Begriffen primäre und sekundäre Religionserfahrung von Theo
Sundemeier
xxvii
zurückkommt finde ich drei Komponenten besonders wichtig: 1)
Subjektivität, 2) Religion und 3) Ritual. Die Subjektivität basiert auf der grundlegenden
Bedeutung der Erfahrung die das religiöse Verständnis in Island prägt. Die Religion ist
meiner Meinung nach vor allem ein anthropologisches Element, das sehr eng mit der
subjektiven Erfahrung gebunden ist. Und drittens meine ich, dass der Begriff der
sekundären Religionserfahrung in einem bedeutungsvollen Ritual ausmündet.
a) Subjektivität
Es ist nicht unwichtig, dass die lutherische Kirche so früh in Island Fuß gefasst hat,
nachdem der dänische König Christian III. die lutherische Reformation in Island
durchgesetzt hat, allerdings nicht ohne isländische Reformatoren, die die Reformation in
Deutschland – besonders in Hamburg, Rostock und Wittenberg – und in Dänemark
kennengelernt hatten.
In seinen Vorlesungungen über die Philosophie der Geschichte heißt es bei Georg
Wilhelm Friedrich Hegel: „Während die übrige Welt hinaus ist nach Ostindien, Amerika
– mit dem Ziel, Reichtümer zu gewinnen, eine weltliche Herrschaft zusammenzubringen,
deren Territorium sich über die ganze Erde erstreckt und wo die Sonne nicht untergehen
soll – ist es ein einfacher Mönch, der das, was die Christenheit vormals in einem
irdischen, steinernen Grabe suchte, vielmehr in dem tieferen Grabe der absoluten Idealität
alles Sinnlichen und Äußerlichen, im Geiste findet und im Herzen zeigt [...]. Luthers
einfache Lehre ist, dass das Dieses, die unendliche Subjektivität, d.i. die wahrhafte
Geistigkeit, Christus, auf keine Art in äußerlicher Weise gegenwärtig und wirklich ist,
sondern als Geistiges überhaupt nur in der Versöhnung mit Gott erlangt wird.“xxviii Dieses
Zitat ist der Auftakt für Ulrich Barth in seiner Entfaltung der Luther-Deutung im Sinne
der „Subjektivität des Glaubens“. xxix In seiner Entfaltung sieht er hauptsächlich auf drei
Themen: Buss-, Schrift-, und Gnadenverständnis Luthers. „Subjektivität des Glaubens“
ist ein wichtiger Zugangspunkt in Luthers theologischem Ansatz, dort muss die
Erfahrung der Menschen in gewisssem Sinne am Anfang stehen, nicht die Glaubenslehre,
14
sondern die Glaubenserfahrung. Oder mit anderen Worten: nicht nur die sekundäre
Religion, sondern auch die primäre Religion. Wenn man die Natur als den Grund der
religiösen Erfahrung bezeichnet, kann man gut eine Verbindung zwischen Luthers
Erfahrung und der primären Erfahrung ziehen.
b) Religion
Der zweite Punkt ist die Religion. Es kann gut sein, dass das Wort Religion in der
Umgangssprache zu eng verstanden wird und meistens auch nur mit Hinweis auf die
traditionellen Religionen der Welt, in Island dann meistens auf das Christentum und zwar
in engem eher dogmatischem Sinne der lutherischen Überlieferung, und zwar in den
letzten Jahrzehnten antiliberal und neukonservativ. Man kann es aber auch in breiterem
Sinne verstehen. Hier ist interessant der Anfang der „Betragtningen“ von Mynster
anzusehen, dort heisst es „Meine Seele ist müde – wo kann sie Ruhe finden? Sollte ich
ihrem Zustand beschreiben müsste ich sagen, sie wäre wie der Vogel, den der Wind bis
zum offenen Meer treibt: gegen den Himmel ist sein Kurs, seine Flügel aber werden
müde...“xxx Die Überschrift des ersten Kapitels ist: Religion. Christentum.xxxi Hier wird
die Religion als eine anthropologische Angelegenheit interpretiert: Den Anfang ist beim
Menschen zu finden. „Religion ist nicht nur Ritus, Kult und dadurch erzeugte
Vergemeinschaftung, sondern auch rational kaum kontrollierbare Neigung zum
Phantastischen, die aussergewöhnliche Fähigkeit von Menschen, sich in heiligen
Geschichten, Legenden und Mythen eine ganz andere Wirklichkeit als die hier und jetzt
gegebene vorzustellen.“ So heisst es bei Friedrich Wilhelm Graf.xxxii
c) Ritual
Hier sind wir am Anknüpfungspunkt zwischen der primären religiösen Erfahrung und
der sekundären religiösen Erfahrung gelangt.
Die Idee von den beiden verschiedenen Erfahrungen ist hilfreich und wichtig, auch
für die Pfarrer einer Volkskirche wie in Island, in der der Pfarrer den Menschen durch
seine Amtshandlungen dient, vor allem anläßlich von Taufe, Konfirmation, Trauung und
Beerdigung.
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Ritus und Ritual in der „alten Gesellschaft“ in Island sind nicht nur Gottesdienste und
Amtshandlungen der Pfarrer, sondern auch Hausandachten am Abend und längere
Hausandachte am Sonntagabend, wo ganze Predigten aus der Hauspostille gelesen
wurden. Auch die Gebete, besonders die persönlichen Morgengebete und Anbendgebete
und die Seefahrtsgebete der Mannschaft auf den Ruderbooten.
Es ist auch von großem Interesse zu sehen, wie gut Begriffe wie Schönheit und
Mitleid zu diesem Gedanken passen. Solche Begriffe sind Hinweise in zwei Richtungen:
auf eine primäre und sekundäre Religionserfahrung. Ihre Wurzel sind nicht ausschließlich
innerhalb der christlichen Lehre zu finden, sondern auch im Leben des Menschen der
sich einer sekundären Religionserfahrung nicht bewusst ist.
Die Elemente der
primären Religionserfahrung sind in allen Religionen
wiederzufinden.xxxiii Hier geht es nicht um eine Entwicklung von einer primitiven zu einer
höheren Stufe sondern „verändert sich die Religionserfahrung mit der Welterfahrung so,
dass sich das Neue immer wieder in die primäre Erfahrung integriert und an ihr
ausrichtet“. xxxiv
Das Differenzieren zwischen den zwei Typen von religiöser Erfahrung kann eine
gewisse Spannung mit sich bringen. Die Spannung wird in den Amtshandlungen der
Pfarrer sehr deutlich.xxxv Teilweise gründet die Spannung einerseits in der Subjektivität
der religiösen Erfahrung und andererseits in der kirchlichen, d.h. gemeinsamen
Erfahrung, die auf Inhalt und Wahrheit der religiösen Gemeinschaft beruht und deren
Vertreter (auch) der Pfarrer ist. Der Pfarrer muss beides im Sinn haben, die primäre und
die sekundäre Erfahrung. Grundlegend für die Primärreligiosität sind Motive des
Schützes und des Segens.xxxvi Das passt für die verschiedenen Rituale, die ihre Wurzel in
der primären religiösen Erfahrung haben.
Gewiss ist es eine Frage, die Theologen beantworten müssen, wie diese beiden
Elemente der Rituale, besonders der Amtshandlungen, zusammenspielen in einem
gegebenen Ritual. Im Grunde sind es keine neue Vorstellungen, die alten Mystiker haben
den Satz cognitio Dei experimentalis: Die Erkenntnis Gottes durch die Erfahrung, hoch
16
geschrieben.xxxvii Meiner Meinung nach ist das auch heute ein sehr bedeutender
Gesichtspunkt.
IV: Schlussworte
Zum Schluss: In der isländischen Theologie hat die Erfahrung des Menschen in der
Natur wenig aufmerksam gehabt. Allerding geht es hier um eine grundlegende Erfahrung,
die Angst und Gelassenheit erweckt. Der entscheidende Unterschied, der traditionell
zwischen menschlicher Erfahrung und religiöser Erfahrung im engeren Sinne gemacht
worden ist, hat hat meiner Meinung nach dazu beigetragen dass die menschliche
Erfahrung des Unbedingten, des ultimate concern, seit Mitte des zwanzigsten
Jahrhunderts keine angemessene Aufmerksamkeit innerhalb von Theologie und Kirche
gefunden aufgrund der Wende in der isländischen Theologie hin zu einer antiliberalneukonservativen Ausrichtung. Hier muss man einen neuen Anfang machen, der einerseits
auf der Grundlage der beiden Religionsbegriffe Sundermeiers gebaut ist – aber
andererseits auch auf den praktisch-theologischen Ansätzen von Professor Wilfried
Engemann und Professor Wilhelm Gräb. Ihrer beiden Werke, die jetzt in isländischer
Übersetzung vorliegen, sind gut aufgenommen worden. Beide haben das Thema „Als
Mensch zum Vorschein kommen“. Darin kann man gute Perspektiven der Glaubenskultur
des Christentums erkennen.
17
Literaturverzeichnis
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18
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SCHLEIERMACHER, FRIEDRICH, Über die Religion. Reden an die Gebildeten unter ihren
Verächtern. Philipp Reclam jun., Stuttgart, 1969. Die Seitenangabe erfolgt ohne weitere
Kennzeichnung im Text und zwar nach der in dieser Ausgabe am Rande mitgeteilten
Originalpagerung. Isländische Ausgabe, Um trúarbrögðin, þýðing: Jón Árni Jónasson, Hið
íslenska bókmenntafélag, Reykjavík 2007.
SUNDERMEIER, THEO: Religion. Was ist das? Religionswissenschaft im theologischen
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19
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TÓMAS SÆMUNDSSON: Ferðabók, Hið íslenska bókmenntafélag, Reykjavík 1947.
ÞORKELL BJARNASON: „Trúrækni og kirkjulíf fyr meir“, Kirkjublaðið, Reykjavík 1891, s. 5152.
20
Anmerkungen
i
Sjóferðabæn sr. Odds V. Gíslasonar: Í nafni Guðs föður, sonar og heilags anda. / Almáttugi Guð, ég
þakka þér að þú hefur gefið mér líf / og heilsu svo ég geti unnið mín störf í sveita míns andlits. / Drottinn minn
og Guð minn. Þegar ég nú ræ til fiskveiða / og finn vanmátt minn og veikleika bátsins / gegn huldum kröftum
lofts og lagar, / þá lyfti ég upp til þín augum trúar og vonar / og bið þig í Jesú nafni að leiða oss á djúpið, /
blessa oss að vorum veiðum og vernda oss, / að vér aftur farsællega heim til vor náum með þá björg / sem þér
þóknast að gefa oss. / Blessa þú ástvini vora, og leyf oss að fagna aftur samfundum / svo vér fyrir heilags anda
náð samhuga / flytjum þér lof og þakkargjörð. / Ó, Drottinn, gef oss öllum góðar stundir, / skipi og mönnum í
Jesú nafni. Amen.
ii
Wichtig für meine theologische Sicht ist auch Engemanns anthropologisch/theologische Thema der
Predigtlehre, sein Vorschlag für den Titel für die Ausgabe seiner 13 Vorträge über die Predigt in isländischer
Übersetzung war „Als Mensch zum Vorschein kommen“.
iii
Die Passionspsalmen des isländischen Dichters Hallgrímur Pétursson 1614-1674. Unter
Beibehaltung der Dichtungsform des Originals. In deutscher Sprache wiedergegeben von Wilhelm Klose.
Reykjavík 1974.
iv
http://de.wikipedia.org/wiki/Theo_Sundermeier (10.4.2014). Sundermeier, Theo, Religion. Was ist
das? Religionswissenschaft im theologischen Kontext. Ein Studienbuch. Frankfurt am Main, Verlag Otto
Lembeck, 2007. 2. erweiterte Neuauflage von „Was ist Religion. Religionswissenschaft im theologischen
Kontext“, Gütersloh 1999.
v
Geybels, Hans: Cognitio Dei experimentalis. A Theological Genealogy of Christian Religious
Experience (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium), Leuven 2007, S. 4: „Etymologiscally
there are two possible aspects and approaches, an active and a passive. The Greek peirasþai (substansive: peira;
Latin: esperiri/experientia, experimentum) as an active verb means the crossing of land or sea in order to
explore and get to know them (compare the etymology of the German erfahren or the contemporary use of
experiment). Metaphoricalli it means entering into an experience and taking the risk og being changed by it.
Here lies the link to the passive meaning of the concept. Passively, experiencing means „being moved, sensing,
enduring“.
vi
WA.TR. 46.
vii
“Absolutely. And when you say: emotional and affective, we can only understand that by returning to the
animal world and by feeling waht we have adopted from the animals. All great feelings are shared with animals.“
Von: E. Drewermann, Greeft religie nog zin? Zin vinden in tijden von zucht naar macht en geld, Averbode, 2002,
pp. 87-88, hier nach Geybels, Hans: Cognitio Dei experimentalis. A Theological Genealogy of Christian Religious
Experience (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium), Leuven 2007, S. 1-2.
viii
Geybels, Hans: Cognitio Dei experimentalis. A Theological Genealogy of Christian Religious
Experience (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium), Leuven 2007, S. 446: „Thus
Schleiermacher breaks with the medieval and Lutheran belief that religion and experience are not identical. He
reinstates the immediate relationship with God of the medieval mystival authors, but in a context in which the
subject is now autunomous.“
ix
Geybels, Hans: Cognitio Dei experimentalis. A Theological Genealogy of Christian Religious
Experience (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium), Leuven 2007, S. 446: „[R]eligion must
touch man existentially. Schleiermacher locates this feeling in the innermost reaches of the soul.“
x
Hier kann man daran denken dass der „Tag der isländischen Sprache“ am 16. November, am Jónas
Hallgrímssons Geburtstag, gefeiert wird.
xi
Nicht ungewöhnlich in Island sind Sätze wie: „Ich brauche nicht in die Kirche zu gehen um meinen
Schöpfer zu finden, mein Gottesdienst findet statt in der Natur.“ In solchen Äusserungen begegnet uns die
religiöse Erfahrung der Romantik. Vgl. Gunnar Kristjánsson: „Mynstershugleiðingar“, S. 33-37, in: Þórunn
Valdimarsdóttir und Pétur Pétursson (Red.): Til móts við nútímann. Kristni á Íslandi, IV. bindi, ritstjóri Hjalti
Hugason, Reykjavík 2000. Bd. IV. s. 280-281
xii
Martin Schwarz Lausten, Danmarks kirkehistorie, Gyldendal, Kopenhagen, 2. Ausgabe, 2. Auflage,
1987, S. 233- 235.
21
xiii
Betragtninger over de christelige Troslærdomme I-II, Kopenhagen 1833 (deutsch 1840 [2.
Auflage]). Die Übersetzung wurde von den Fjölnismännern gemacht, von Jónas Hallgrímsson, Konráð Gíslason
og dem Verleger Þorgeir Guðmundsson (1794-1871), später Pfarrer in Gloslunde, Lolland, Dänemark.
xiv
Hugtök og heiti í bókmenntafræði, Reykjavík 1983, S. 224.
xv
„Vel líkar mér uppátæki ykkar með að útleggja Mynsters „Betragtninger“; ... bókin gengur óhult út
með tímanum, ef ekki strax.“ Bréf Tómasar Sæmundssonar. Gefin út á hundrað ára afmæli hans 7. júní 1907.
Búið hefur til prentunar Jón Helgason, Reykjavík 1907, S. 246.
xvi
Hermann Fischer, Friedrich Schleiermacher, München 2001, S. 99f, 106f 119.
xvii
Tómas Sæmundsson, Ferðabók, Reykjavík 1947, S. 142.
xviii
Tómas Sæmundsson, Ferðabók, Reykjavík 1947, S. 143.
xix
Tómas Sæmundsson, Ferðabók, Reykjavík 1947, s. 144.
xx
Paul Tillich, Perspectives on 19th and 20th Century Protestant Theology, Norwich 1967, S. 77.
xxi
Halldór Laxness, Sein eigener Herr, aus dem Isländischen von Bruno Kress. Steidl Verlag,
Göttingen 1992,1998. 1. Auflage 1998. S. 302.
xxii Halldór Laxness, Weltlicht, aus dem Isländischen übersetzt von Ernst Harthern. Aufbau-Verlag,
Berlin, 1956. Bd. I, S. 16.
xxiii
Laxness, Sein eigener Herr, aus dem Isländischen von Bruno Kress. Steidl Verlag, Göttingen
1992,1998. 1. Auflage 1998. s. 424.
xxiv
Laxness, Sein eigener Herr, aus dem Isländischen von Bruno Kress. Steidl Verlag, Göttingen
1992,1998. 1. Auflage 1998. S. 425. Das isländische Wort für Mitleid, samlíðun, ist – gemäss dem Wörterbuch
der Universität Islands – erst im 17. Jahr., in einem Buch vom Pfarrer Páll Björnsson in Selárdalur, zu finden.
xxv
Tillich hat „eine ausgesprochene Anknüpfungstheologie ertwickelt“. xxv Das Konzept der „ultimate
concern“ ist in der Hinsicht von grundlegender Bedeutung.xxv
xxvi
Hjalti Hugaon, „Kristnir trúarhættir“. 1988. Íslensk þjóðmenning 5. Bd., ritstj. Frosti F.
Jóhannsson: Þjóðsaga, Reykjavík, 1987-1990. S. 75-339. Lúðvík Kristjánsson, Íslenzkir sjávarhættir bd IV. :
Menningarsjóður, Reykjavík 1985.
xxvii
Christian Grethlein, Grundinformation Kasualien, S. 42 ff. Theo Sundermeier, „Primäre und
Sekundäre Religionserfahrung“ in: Sundermeier, Was ist Religion? Religionswissenschaft im theologischen
Kontext, S. 34-42. Theo Sundermeier, Religion. Was ist das? Religionswissenschaft im theologischen Kontext.
Ein Studienbuch. Frankfurt am Main, Verlag Otto Lembeck, 2007. 2. erweiterte Neuauflage von „Was ist
Religion. Religionswissenschaft im theologischen Kontext“, Gütersloh 1999.
xxviii
G.W.F.Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke, hg. von E. Moldenhauer /
K.M. Michel, Bd. 12, Frankfurt a.M. 1970, 494. Nach Ulrich Barth, Aufgeklärter Protestantismus, Mohr
Siebeck, Tübingen 2004. S. 27.
xxix
G.W.F.Hegel: Vorlesungen über die Philosophie der Geschichte, Werke, hg. von E. Moldenhauer /
K.M. Michel, Bd. 12, Frankfurt a.M. 1970, 494. Nach Ulrich Barth, Aufgeklärter Protestantismus, Mohr
Siebeck, Tübingen 2004. S. 29.
xxx
Jakob Peter Mynster, Hugleiðingar um höfuðatriði kristinnar trúar, Kaupmannahöfn 1839, S. III:
(Meine Übersetzung aus dem Isländischen): Önd mín er þreytt – hvar má hún finnar hvíld? Ætti ég að lýsa
ástandi hennar yrði ég að segja, hún væri einsog fuglinn, sem ofviðrið hrekur út á hið auða hafi: hann stefnir til
himins, en vængir hans þreytast ...“
xxxi
A.a.O. Trú. Kristindómur.
xxxii
Friedrich Wilhelm Graf, „Einleitung“ in: Friedrich Wilhelm Graf und Heinrich Meier (Hg.);
Politik und Religion. Zur Diagnose der Gegenwart, Verlag C.H.Beck, München 2013. S. 9.
xxxiii
Theo Sundermeier, „Primäre und Sekundäre Religionserfahrung“ in: Sundermeier, Was ist
Religion? Religionswissenschaft im theologischen Kontext, S. 40.
xxxiv
Theo Sundermeier, „Primäre und Sekundäre Religionserfahrung“ in: Sundermeier, Was ist
Religion? Religionswissenschaft im theologischen Kontext, S. 40.
xxxv
Christian Grethlein, Grundinformation Kasualien, S. 52. Theo Sundermeier, „Primäre und
Sekundäre Religionserfahrung“ in: Sundermeier, Was ist Religion? Religionswissenschaft im theologischen
Kontext, S. 34-42.
xxxvi
Christian Grethlein, Grundinformation Kasualien, S. 49.
22
xxxvii
Hans Geybels, Cognitio Dei experimentalis: A Theological Genealogy of Christian Religious
Experience (Bibliotheca Ephemeridum Theologicarum Lovaniensium), Leuven 2007.
23
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