Themenpredigt Im Glauben reifen

Werbung
Predigt von Pfarrer Dieter Wendorff über: „Wie kann ich in
meinem Glauben reifer werden?“, gehalten am 22.4.2012 in
Birkenau
Liebe Gemeinde,
Immer mal wieder denke ich an ein Gespräch, dass ich mit
einem weisen Mann haben durfte. Darin fragte er mich, wie ich
am Ende meines Lebens sein möchte. Diese Frage hat mich
seitdem nicht mehr losgelassen. Wüssten Sie es für sich?
Mit welcher Einstellung möchten Sie am Ende Ihres Lebens
leben? Welche Einstellung soll immer mehr Platz in Ihrem
Leben bekommen? Wüssten Sie es? Das ist eine ganz
wesentliche Frage. Denn es ist wie bei einer Wanderung: Wer
kein Ziel kennt oder es aus dem Auge verliert, kann schnell in
Not geraten. Wenn ich aber mein Ziel kenne, weiß, welche
Einstellung immer mehr Raum bekommen soll in meinem
Leben, dann kann ich ganz konkret schauen, wie ich dies
unterstützen könnte.
Ich möchte Ihnen 4 Punkte nennen, die ich selbst ganz
wesentlich halte für einen reifen Glauben, und von denen ich
persönlich hoffe, dass sie noch viel mehr Platz in mir
bekommen.
1. Ein reifer Glaube sieht das Ganze
Sie wissen es vielleicht aus eigener Erfahrung: Kinder glauben
an Kurzschlüsse bei Gott: Habe ich das oder das verbockt, dann
folgt die Strafe von Gott auf dem Fuß. Oder umgekehrt: Ich
helfe heute meiner Mama beim Getränke holen, dann hat mich
Gott lieb.
Vielleicht kennen Sie solche Sätze auch nicht nur von Kindern,
vielleicht auch von sich selbst. Schließlich bleiben wir alle auch
Kinder und irgendwie ist es ja auch gut so.
Aber wenn wir so alles auf Gott übertragen, was wir in unserem
kleinen Leben erleben, dann werden wir Gott nicht gerecht. Gott
sieht das Ganze und ein reifer Glaube lernt, auch über das
Einzelne hinaus Gott im Ganzen zu vertrauen.
Ich hätte an dieser Stelle gerne Psalm 73 mit Ihnen betrachtet.
Leider führt das zu weit. Aber schauen Sie sich den Psalm
zuhause einmal an. Zuerst argumentiert der Beter dort in dieser
kleinen Logik von gut und böse, die uns von Kindertagen an
vertraut ist.
Aber dann bekommt er das Leben von seinem Ende her in den
Blick. Er sieht das Ganze. Daraufhin kommt er zu den
bekannten Versen die Sie vielleicht auch kennen:
Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst mich bei deiner
rechten Hand, du leitest mich nach deinem Rat und nimmst mich
am Ende mit Ehren an. Wenn ich nur dich habe, so frage ich
nicht nach Himmel und Erde.
Eine reife Frucht wie diese Nektarine ist am Ende auch ein Bild
für das Ganze eines Lebens. Die reife Frucht trägt die Spuren
ihres Lebens an sich, die Befruchtung, die Wetterverhältnisse
während des Wachstums, den Schorf von einer Infektion
vielleicht oder die Wunde durch ein Tier. In alledem ist sie
dennoch Frucht.
Natürlich gibt es auch in meinem Leben Dinge, die hätte ich mir
anders gewünscht. Aber ich habe viel gelernt von einer
Schriftstellerin, die Luise Rinser heißt. Ihre Biographie hat sie
„Den Wolf umarmen“ genannt. Sie erklärt das so: „Der Wolf ist
das Bild für das Schwere in meinem Leben. Diesen Wolf zu
umarmen muss man lernen. Man muss das Leben annehmen mit
allen Problemen. Mir hat mein Glaube dabei geholfen.“ Das
meint der Psalm: Dennoch bleibe ich stets an dir, denn du hältst
mich bei deiner rechten Hand. Lerne mit Gottes Hilfe, Dein
Leben anzunehmen, zu lieben. Überlegen Sie einmal einen
Augenblick: Lieben sie Ihr Leben, können Sie es mit all seinem
Schweren annehmen? An welchen Stellen fällt Ihnen das
schwer? Ich meine: Den Wolf zu umarmen? Und: Wie könnte
:
Ihnen dabei Ihr Glaube helfen? Könnten Sie sich zum Beispiel
vorstellen, darüber einmal mit Gott zu sprechen?
Damit komme ich zu der ersten Aufgabe. Denn das Leben stellt
mir Aufgaben. Und wenn ich in meinem Glauben reifer werden
will, dann muss ich mich diesen Aufgaben stellen. Die erste
Aufgabe heißt: Lerne Dein Leben zu lieben. Mit allen Stellen,
auch den faulen. Lerne Dein Leben zu lieben, auch mit den
zerbrochenen Beziehungen, mit den Krankheiten, mit den
verpassten Chancen. Sage „Ja“ zu Deinem Leben. Das ist die
erste Aufgabe.
Diese Gedanken führen zu einem Zweiten, was vom reifen
Glauben gesagt werden kann: Er kann
2. Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden
Ich nehme noch einmal diese Nektarine in die Hand. Wenn ich
sie kaufe, dann denke ich an ihr Fruchtfleisch und wie süß sie
ist. Der Pflanze selbst ist aber an der Frucht etwas ganz anderes
viel wichtiger: Der Kern innen drin. Das Fruchtfleisch und die
schöne Schale sind Zutat. Das Entscheidende ist der Same innen
im Kern, aus dem ein ganz neuer Baum entstehen kann.
Es gehört zur Reife, im Leben nicht nur die Schale, sondern den
Kern zu sehen.
Übertragen auf unser Leben könnte dies heißen:
Fragen Sie sich immer mal wieder bewusst: Was ist mir
wirklich wichtig. Da streitet sich eine ältere Mutter mit ihrer
erwachsenen Tochter, es geht um viel Geld, und ich frage
immer wieder im Gespräch beide: „Um was geht es hier
eigentlich?“ Und dann kommen wir langsam an den Kern – und
dann löst es sich. Darum: Fragen Sie sich immer mal wieder
bewusst: Um was geht es hier eigentlich?
Manchmal hilft da Humor, um etwas Abstand zu bekommen.
Dann kann man vielleicht wieder das Ganz in den Blick
bekommen. Wann haben Sie zum letzten Mal über sich selbst
gelacht?
Ich weiß noch, letztens bei einer Gottesdienstvertretung, ich
stehe am defekten Mikrofon und sage. „Da stimmt etwas nicht.“
Und die Gemeinde antwortet mechanisch: „Und mit deinem
Geist.“ Wahrscheinlich hatte sie Recht!
Wer über sich selbst lachen kann nimmt sich selbst nicht so
wichtig und erlaubt sich, unvollkommen zu sein. Und das ist
wohltuend!
Sie wissen: Gott stellt mir mit meinem Leben Aufgaben. Die
zweite Aufgabe ist: Üben Sie immer und immer wieder zu
fragen: „Um was geht es hier eigentlich?“ Üben Sie das jeden
Tag. In einem Gespräch, in einer Situation, in der Sie sich
ärgern. Immer wieder.
Also: Ein reifer Glaube
- sieht das Ganze und lernt „ja“ zu sagen zu seinem ganzen
Leben,
- kann Wichtiges von Unwichtigem unterscheiden und fragt
immer wieder: „Um was geht es hier eigentlich?“
3. Bereit loszulassen
Einen weiteren Ausdruck von Reife lerne ich von der reifen
Frucht in der Beziehung, dass sie bereit ist, loszulassen. Wenn
die Frucht reif wird, dann kann sie leicht vom Baum genommen
werden. Das war meine Erfahrung bei den Obstbäumen
zuhause. Die grünen Äpfel, denen man die Reife nicht so ansah,
konnte man daran auf Reife prüfen, ob sie sich leicht vom Baum
lösen ließen. Die reife Frucht lässt los um ihrer Bestimmung
gerecht zu werden. Sie muss sich nicht krampfhaft festhalten,
sondern sie hat Freiheit. Sie kann sich dem hingeben, was mit
ihr geschieht.
Solche Reife entdecke ich bei Hiob. Dieses Buch der Bibel ist
eine Schule des Loslassens. Hiob wird zugemutet, alles
herzugeben, was ihm wichtig war. Aber er hängt lang zu sehr
daran. Er rechtet mit Gott und seine Freunde rechnen auch auf,
wenn auch anders herum, indem sie ihn beschuldigen.
Am Ende hilft alles nichts: So klug sie auch reden, sie haben das
Schicksal nicht im Griff. Die Reife, zu der Hiob gelangt, ist
letzten Endes, dass er loslassen kann und letztendlich auch sich
selbst loslassen kann. Er erfährt, dass er sich Gott anvertrauen
muss, aber Gott auch anvertrauen kann. Ganz.
Diese Einstellung kann man ..üben. Einüben. Etwa indem man
Liedverse auswendig lernt. „Du kannst nicht tiefer fallen als nur
in Gottes Hand, die er zum Heil uns allen barmherzig
ausgespannt.“ Versuchen Sie es einmal: So ein Vertrauenslied
auswendig zu lernen – ich bin sicher, Sie werden spüren, wie
Ihre innere Sicherheit zunimmt!
Natürlich ist für mich beim Thema „Loslassen“ immer wieder
ganz entscheidend meine Einstellung zum Sterben und zum
Tod. Der Tod ist mir immer wieder fremd. Dennoch: Aber
wenn er nichts anderes wäre als eine neue Hoffnung?
Wir haben gelernt, dass wir menschliche Wesen sind, die sich
ab und zu mit Spirituellem, mit Fragen des Glaubens,
beschäftigen. Die Realität ist genau umgekehrt. Wir sind
spirituelle Wesen, die nun für eine begrenzte Zeit die Aufgabe
haben, hier auf der Erde zu leben. Aber das eigentliche
geschieht nicht hier. Allerdings haben wir Aufgaben zu
erledigen. „Es steht,“ sagt Dietrich Bonhoeffer, „eine Macht
hinter unserem Leben und unserem Sterben. Für uns Menschen
sind die Unterschiede zwischen Leben und Tod ungeheuerlich –
für Gott fallen sie in eins zusammen. Für Gott ist der Mensch
nicht mehr und nicht weniger, ob er lebt oder stirbt.“ Wenn
diese Einstellung immer mehr Platz in Ihrem Leben bekommen
würde, wäre das nicht wunderbar?
Unsere Aufgabe? Loslassen lernen. Manchmal sagen mir ältere
Menschen: „Vor kurzem konnte ich das noch.“ Loslassen
lernen. Oder jemand berichtet über eine Beziehung, die sich
auseinander gelebt hat. Loslassen lernen. Kinder gehen aus dem
Haus. Loslassen lernen. Jedes dieser Ereignisse ist eine Chance
zu üben.
Und nun die für heute letzte Aufgabe:
4. Weich werden
Die Frucht wird weich.
So muss auch der reife Mensch nicht mehr hart sein.
Zur Jugend gehört, so weiß es auch die
Entwicklungspsychologie, revolutionär zu sein, harte Maßstäbe
auszuprobieren und sie auch von andern zu verlangen, und sei
es eine harte Formulierung von Freiheit. Alten, gereiften
Menschen, wird dagegen die Eigenschaft des Ausgleichs
zugemessen. Wer das Ganze sieht, wer zwischen Außenseite
und Kern unterscheiden kann, wer loslassen kann, der kann
auch Kompromisse suchen, einmal nachgeben, zwischen
verschiedenen Positionen vermitteln. Wer wie ein Baum
verwurzelt ist, kann gelassen leben. Auch das kann man üben!
Immer wieder, wenn Sie merken: Etwas wühlt mich auf, ich
werde verkrampft – loslassen. Ganz bewusst.
Dies ist die vierte Aufgabe: Üben Sie in Ihrem Alltag immer
wieder ganz bewusst Gelassenheit. Alles, was nicht so geht, wie
Sie es sich wünschen ist eine Chance zum Üben!
Schluss
Ich nehme noch einmal die Nektarine in die Hand: Ich stelle mir
vor, dass ich am Ende meines Lebens immer mehr gelernt habe
- dass Reife ein Symbol für das Ganze ist und mich fragt: Liebst
Du Dein Leben?
- dass Reife zwischen Fassade und Kern unterscheiden kann so
dass ich mehr und mehr lerne zu fragen: Um was geht es hier
eigentlich?
- dass Reife Loslassen-Können bedeutet und ich dies immer
wieder übe,
- dass Reife weich ist und dass ich immer mehr Gelassenheit
lerne. .
Und: Dass der Glaube etwas ist, was mich innerlich ernähren
möchte, so wie..
..eine Nektarine. Guten Appetit!
Amen.
Herunterladen