II Zum Missionsbegriff - 29. Deutscher Evangelischer Kirchentag 2001

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Dokument:
Sperrfrist:
Donnerstag, 14. Juni 2001; 11:00 Uhr
Programmbereich:
Themenbereich 1: In Vielfalt glauben
Veranstaltung:
Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen
Referent/in:
Dr. Hans Christian Knuth; Bischof, Schleswig
Ort:
Marriott-Hotel, Westendhalle, Hamburger Allee 2–10
1/056 PF
Einleitung
Meine sehr geehrten Damen und Herren, liebe Schwestern und Brüder!
Ich bin kein Experte des christlich-jüdischen Dialogs, wie viele andere hier im Raum.
Während Sie sich in der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen
Evangelischen Kirchentag seit vielen Jahren in äußerst intensiver und verbindlicher Weise
miteinander um den Dialog und eben auch um die Frage der Judenmission bemühen und
hierzu ja vor zwei Jahren auch eine heftig umstrittene Position formuliert haben, bin ich in
diesem Dialog ein Quereinsteiger. Und ich gestehe, dass ich mit einigem Herzklopfen hier in
diese eingeschworene Gemeinschaft gekommen bin. Denn ich komme aus Ihrer Sicht als
Abweichler. Ich komme als Vertreter der Position, die in der Gemeinschaft der Vereinigten
Ev. Luth. Kirche und der EKD nach wie vor als die offizielle gesehen werden muß. Wenn
auch einzelne Landeskirchen zu der Resolution „Nein zur Judenmission“ Stellung beziehen
oder sich mit ihr beschäftigen, ist mir doch kein Beschluß bekannt, der sich zu der hier
eingeschlagenen Richtung finden könnte – mit Ausnahme der Württembergischen Synode
2000, die mit einer hauchdünnen Mehrheit und dem anders lautenden Votum einer
entsprechend großen Minderheit formulierte: „Mission unter Juden lehnen wir ab“.
Der große Mehrheitsstrom redet anders. Wenn ich versuche, zu verstehen, warum ich zu
dem Auftrag gekommen bin, hier zu referieren, dann ist es wohl genau dies: so ärgerlich es
für viele der hier Engagierten sein mag, dass die offiziellen Kirchenvertreter nicht den Weg
der Arbeitsgemeinschaft mitgehen, so sehr müssen wir sehen, dass wir unterschiedliche
Positionen haben und dürfen uns darin nicht gegenseitig allein lassen. Die Leidenschaft, mit
der z.B. auch in Nordelbien im Prozess der Vorbereitung der entsprechenden
Themensynode das Verhältnis von Christen und Juden als Identitätsfrage bedacht wird, teile
ich insofern, als ich beim Thema Mission allerdings das Wesen der Kirche berührt sehe. So
brauchen die Kirchen die Arbeit, die unter anderem hier geleistet wird, ebenso, wie sie die
Schrittmacher des Dialogs nicht alleine lassen dürfen.
Wenn ich mir also diesen Auftrag nicht gesucht habe, sondern dazu aufgefordert worden bin,
so kann ich dabei doch dankbar anknüpfen an eine intensive Dialogerfahrung, die noch nicht
lange zurück liegt. Mit Ihnen, Herr Professor Brumlik, hatte ich die Ehre, Ende 99 im damals
noch existierenden Sonntagsblatt einen öffentlichen Briefwechsel führen zu dürfen. Sie
hatten zu der Diskussion um die „Gemeinsame Erklärung zur Rechtfertigungslehre“
zwischen der Römisch-Katholischen Kirche und dem Lutherischen Weltbund Stellung
genommen und dabei die Rechtfertigungslehre innerhalb christlicher Theologie und
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Frömmigkeit als Ausdruck christlichen Antijudaismus identifiziert. Ich habe versucht zu
erklären, warum gerade die Rechtfertigungslehre als Herzstück christlicher Theologie und
christlichen Glaubens jedem christlichen Triumphalismus entgegensteht und von mancher
unheilvollen antijudaistischen Auslegungstradition unterschieden werden muß. Dabei waren
schnell auch über die Rechtfertigungslehre hinaus Fragen der Christologie und der
Trinitätslehre grundlegend wichtig.
Der Diskurs war nach meinem Empfinden sehr lebhaft, vor allem aber, bei aller Kontroverse,
von gegenseitiger Hochschätzung geprägt. Dafür bin ich dankbar, und ich will auch heute
alles daran setzen, dass das so bleibt. Denn nur so sind nach meinem Erleben Verletzungen
aushaltbar, die nicht vermeidbar zu sein scheinen angesichts der furchtbaren Geschichte
christlichen Antijudaismus und der Mißverständnisse, die dieser Geschichte zu Grunde
liegen, sowie angesichts einer Missionsgeschichte der Kirchen, die im Blick auf manche
Abschnitte und Konzepte zu Scham und Schuldeingeständnis nötigt.
Sie, Herr Professor Brumlik, äußerten die Hoffnung, „dass unser Dialog nicht abbrechen
möge“. Diese Hoffnung teile ich, und so bin ich bei aller Grösse der Aufgabe dankbar,
hierher eingeladen worden zu sein.
Der Auftrag hat darüber hinaus sicher noch einen weiteren Aspekt. Sie alle wissen ja, dass
die Resolution „Nein zur Judenmission“ dieser Arbeitsgemeinschaft nicht die einzige
während des Kirchentages in Stuttgart zum Thema war. Sie wurde beantwortet durch eine
Resolution der „Werkstatt des württembergischen Pietismus“, die im wesentlichen von
Bischof i.R. Theo Sorg formuliert war und aufgrund der neutestamentlichen Grundlinie der
Mission lediglich besondere Fragestellungen bezüglich des Christuszeugnisses von
Deutschen zu Lebzeiten der Holocaustgeneration zulassen wollte, nicht aber einen
grundsätzlichen Verzicht auf die Universalität des Christusereignisses im Blick auf Israel.
Es wäre schön, wenn wir hier einen Schritt weiterkämen. Dazu will ich einen Beitrag zu
leisten versuchen.
I. Der Kontext
Der Horizont, in dem wir uns bewegen, ist der der schon erwähnten Resolutionen von 1999.
Die der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen hatte das programmatische „Nein zur
Judenmission“ schon im Titel. Vorgeschaltet war eine Formulierung, die das besondere
Verhältnis von Juden und Christen irgendwo zwischen Ökumene und interreligiösem Dialog
als „innerbiblischen Dialog“ kennzeichnete unter Bezug auf die tatsächlich singuläre
Verbindung zwischen uns, nämlich die Heilige Schrift der Juden, die unser Altes Testament
ist.
Das „Nein zur Judenmission“ war begründet durch die theologische Grundüberzeugung von
der Treue Gottes zum Volk Israel, von der abgeleitet wurde, das Christusereignis habe keine
Heilsbedeutung für die Juden. Teilt man diese Überzeugung, ergibt sich als Konsequenz
logisch der Widerspruch gegen alle Missionsbemühungen von Christen gegenüber Juden.
Der Missionsbefehl weise Christen demnach an alle Völker der Welt mit Ausnahme der
Juden. Der breite Traditionsstrom christlichen Antijudaismus bis hin zu Pogromen mache die
Verkündigung der Kirche für viele Menschen unglaubwürdig (dies übrigens als ein Satz, der
ja weit über die Frage der Judenmission hinaus Bedeutung hat). Schließlich wird Bezug
genommen auf die Empfindlichkeit des jüdisch-christlichen Dialogs, der durch als Bedrohung
empfundene Judenmission nicht gefährdet werden dürfe.
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Die Resolution der „Werkstatt des württembergischen Pietismus“ antwortet mit Verweis auf
die Israel – Bezogenheit des Christusgeschehens nach neutestamentlichem Befund und
widerspricht damit der ersten These der Resolution der Arbeitsgruppe von der
Bedeutungslosigkeit Christi für die Juden. Zwar wird auch hier auf das besondere Verhältnis
von Juden und Christen rekurriert und gefolgert, „dass das Christuszeugnis in Israel eine
andere Qualität hat als die Mission unter Heiden“. Und auch die sich aus der deutschen
Geschichte ergebenden besonderen Schwierigkeiten eines deutschen „christlichen
Zeugnisses an Israel“ werden benannt. Festgehalten wird aber, „dass Jesus, der Sohn
Gottes, zuerst für Israel gekommen“ sei, „dass er auch für Israel am Kreuz gestorben und am
dritten Tag wieder auferstanden“ sei. So sei Jesus „der Heiland der Völker und der Messias
Israels“.
Als weiteren Text aus der Fülle der Verlautbarungen, den wir mindestens berücksichtigen
müssen (und damit komme ich von den Expertenvoten zu den kirchlichen Stellungnahmen),
nenne ich die Studie der EKD „Christen und Juden III“, die ein eigenes ausführliches Kapitel
der Frage der Judenmission widmet. Ausgangspunkt ist hier die biblische Erkenntnis:
„Christlicher Glaube ist seinem Wesen nach missionarisch. (...) Verzicht auf öffentliches
Zeugnis wäre gleichbedeutend mit einer Zurücknahme der universalen Dimension
christlichen Glaubens.“ (S. 49). Aus der weitgehenden Vergeblichkeit der Judenmission zu
biblischer Zeit und deren Interpretation durch Paulus als Teil des Heilsplanes Gottes für alle
Völker sowie dem Respekt gegenüber dem so erkannten Gotteswillen, den wir neu von den
frühen Zeugen zu lernen hätten, wird dann allerdings geschlossen, dass die Rettung Israels
und der Christenheit am Ende nicht unbedingt als Krönung der christlichen
Missionsbemühungen zu betrachten seien. Vielmehr wird hier auf die neu entdeckte
Gewißheit von der bleibenden Erwählung Israels verwiesen und gefolgert: „Unbeschadet der
grundsätzlichen Universalität des christlichen Zeugnisses ist die Notwendigkeit besonderer
christlicher missionarischer Zuwendung zu den Juden heute kritisch in Frage zu stellen.“ (S.
55).
Die Studie hält also fest, dass das christliche Zeugnis allen Menschen gilt. Sie hält
besondere Bemühungen unter Juden mit dem Ziel der Konversion zum Christentum nicht für
die Aufgabe der Kirche und stellt fest, dass es sie in den Mitgliedskirchen der EKD nicht gibt.
Dies allerdings wird, anders als in der Resolution der Arbeitsgemeinschaft, nicht damit
begründet, dass das Evangelium die Juden prinzipiell nichts angehe, sondern damit, dass
das christliche Zeugnis heute aufgrund historischer (also nicht theologischer) Argumente in
Form der geschwisterlichen Begegnung zu erfolgen habe.
II Zum Missionsbegriff
Damit sind wir bei einer entscheidenden Weichenstellung: beim Missionsbegriff. Denn
einerseits ist organisierte Judenmission im Rahmen der EKD allenfalls eine
Randerscheinung, jedenfalls kein Thema landeskirchlicher Missionswerke. Andererseits
scheint mir das in der Diskussion kritisierte Missionsverständnis ganz von den Aktivitäten
eben dieser Randgruppen geprägt zu sein. Deren Missionsverständnis muss aber als ein in
der missionstheologischen Entwicklung der letzten Jahrzehnte längst überwundenes
betrachtet werden, und zwar nicht nur im Blick auf die Judenmission, sondern im Blick auf
die Mission der Kirche ganz allgemein.
Die Missionsvorstellungen des 19. Jahrhunderts, an die nach der Katastrophe des 2.
Weltkrieges in Auseinandersetzung und Abgrenzung noch einmal angeknüpft werden
musste, waren geprägt von der Idee der Mission als Ausdehnung der christlich-westlichen
Welt mit ihren Werten, Lebensformen und religiösen Vorstellungen. Der Vorrang und die
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Überlegenheit der abendländischen Zivilisation gegenüber anderen Kulturen waren fraglos.
Das Fremde sollte durch die Mission zu seinem eigenen Wohl auf das Eigene hin assimiliert
werden.
Der Neuansatz der 60er Jahre läßt sich nur im Zusammenhang der Krise verstehen, in die
dieses Verständnis durch vielerlei Umbrüche geraten ist: das Ende der kolonial geprägten
westlich-abendländischen Missionsbewegung zusammen mit der Vorstellung einer
Stufenfolge höherer und niedriger Kulturen, die Verselbständigung der „jungen Kirchen“ in
der Phase der Entkolonialisierung und deren Forderung nach Anerkennung kultureller
Eigenständigkeit nicht-westlicher Völker, das Wachsen des Zerstörunspotentials globaler,
technischer Zivilisation als erschreckend dominantem „Kulturexport“ der einst so
hochgeschätzten westlichen Welt. Das bedeutete die Trennung der christlichen
abendländischen Synthese zwischen Mission und Zivilisation. Es war eine
Glaubwürdigkeitskrise als Folge der verheerenden Wirkungen des 2. Weltkrieges und des
wachsenden Zweifels an der Überlegenheit und moralischen Integrität des westlichen
Christentums.
In dieser Situation kam es zu einer christologisch – universalen Ausrichtung der Mission und
zu ihrer Verankerung in der Lehre von der Sendung Gottes („Missio Dei“) statt in der Mission
der Kirche. In diesem Konzept des christologischen Universalismus ist es Gott, der Mission
betreibt, nicht in erster Linie der Mensch. Der legt Zeugnis ab im Dialog mit anderen, läßt sie
an seiner Glaubenserfahrung teilhaben, wird so Werkzeug der Mission Gottes und überläßt
aber die Wirkungen als Zielbestimmung seines Handelns dem Heiligen Geist. Nicht von der
Missionstätigkeit der Christen wird Bekehrung erwartet, sondern vom Wirken des Heiligen
Geistes. Damit entfiel das Ziel einer (Rück-) Eroberung der säkularen Welt oder des
Rückzugs aus der Welt, sondern „Solidarität mit der Welt sollte die Grundform
missionarischer Präsenz werden“ (Werner S. 146). Nicht die Rettung einzelner Seelen vor
der Verdammnis war Grundziel, sondern Gottes Frieden für die Welt. In dem Begriff der
„säkularen Welt“ lag jedoch auch ein Problem: wieder waren westliche Vorstellungen
maßgeblich für die globale Missionstheologie.
Die Konfrontation des Südens mit der Industrialisierung und den dadurch augelösten
sozialen Problemen machte die Missionsbewegung der 70er Jahre zum Sprachrohr der
Opfer dieser Phänomene. Dies war die Stunde der Befreiungstheologie. Die Qualifikation der
Armen als Subjekte und primäre Adressaten der Missio Dei, die „Option für die Armen“,
sozialethische und politische Formen der Befreiung waren Dreh- und Angelpunkt des
Missionsauftrages. Die Bedeutung der Armen wurde christologisch mit der bei ihnen zu
erfahrenden Gottespräsenz gedeutet, da Gott als Leidender bei den Leidenden zu finden sei.
Der Widerspruch zwischen den westlichen Werten und dem Evangelium stand im
Vordergrund. Auch ein kirchenkritisches Element enthält das Konzept der „Missio Dei“: Als
Instrument der Mission Gottes wird die Kirche auf ein funktionalistisches Verständnis
reduziert und gilt selbst nicht als Bezugsgröße missionarischen Handelns. Die Kontextualität
der Kirche, also die radikale Bezogenheit auf das Umfeld der Mission statt auf die Institution,
war das Programm. (Das hat sich in den 70er Jahren noch einmal verändert. Es stellte sich
heraus, dass die Sendung an die Welt nicht gänzlich auf Kosten der Sammlung gedacht
werden kann. Gerade um der Sendungsfähigkeit willen braucht die missionarische Kirche
nach innen den Ort der Vergewisserung und neuen Ausrichtung.)
Als in den 80er Jahren Mission und westliche Kultur immer weiter auseinandertraten,
wechselte die Perspektive. Der Gott an der Seite der Armen wurde zum Ausgangspunkt der
Kritik westlicher Missionskonzeptionen. Dies markiert den Übergang vom modernen zum
postmodernen Horizont missionstheologischen Nachdenkens. Und angesichts der
bleibenden Präsenz anderer Religionen und ihrer wachsenden Bedeutung für das
Zusammenleben in den bisher christlichen Kulturen und der kleiner werdenden globalisierten
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Welt gerät die Frage nach dem Wahrheits- und Offenbarungsgehalt anderer Religionen ins
Blickfeld. Mission wird verstanden als „Einladung zur Konvivenz“ (Sundermeier).
Evangelische Identität wird beschrieben als exzentrisch, weil sie ihren Grund nicht in sich
selbst, sondern außer ihr selbst hat, als relational, weil sie ihre Eigentlichkeit durch den
anderen in der Begegnung gewinnt, indem sie ganz beim anderen ist, sowie als
eschatologisch, denn sie ist auf das Reich Gottes orientiert und im Werden. Mission im
multikulturellen Kontext bedeutet dann, sich vom Heiligen Geist in die Vielfalt hineinnehmen
zu lassen, so wie Gott zu Pfingsten half, die vielen Sprachen zu verstehen. Dies erfordert
Konvivenz. Und im Zusammenleben laden wir dann ein, so wie wir eingeladen werden.
Es würde den Rahmen dieses Vortrags sprengen, hier nun differenziert auswerten zu wollen
und Stellung zu beziehen im Sinne einer „Theologie der Religionen“. Wenn heute über
Judenmission gesprochen wird, soviel ist ja doch deutlich geworden, kann es jedenfalls nicht
mehr um die Muster von damals gehen.
Natürlich ist trotz allem im Blick auf die Mission ein Unterschied zu machen zwischen Israel
und den (anderen) Völkern. Da hat die rheinische Synode 1980 schon zu Recht formuliert,
„dass die Kirche ihr Zeugnis dem jüdischen Volk gegenüber nicht wie ihre Mission an die
Völkerwelt wahrnehmen kann.“
III. Judenmission?
Dennoch lautet meine Grundthese: niemandem auf der Welt dürfen wir Christen das
Christuszeugnis verweigern. Das wäre eine neue Form der Ausgrenzung und widerspricht
allem, was die Bekenntnissynode in Barmen erkannt und bekannt hat. Die Universalität der
Heilsbotschaft, die im grundlegenden Osterzeugnis enthalten ist, gilt im gesamten Neuen
Testament uneingeschränkt und schließt vielfach ausdrücklich das Volk Jesu Christi, das
Bundesvolk Gottes, die Juden, ein. Ja, mehr noch, sie haben eine heilsgeschichtlich
begründete Sonderstellung als diejenigen, denen dieses eben als Bundesvolk zuerst und vor
allen anderen von Gott offenbart wurde (z.B. für viele andere Stellen Rö 1,16).
Die historische Tatsache, dass das überwältigende Mehrheitsjudentum diese Offenbarung
nicht als solche rezipiert hat, schlägt sich als tiefe Krise der ersten Christen freilich schon im
Neuen Testament nieder. Am prominentesten diskutiert Paulus dieses Phänomen in den
Kapiteln 9-11 des Römerbriefes, ein Text, der hier in der Arbeitsgemeinschaft ja schon
vielfach interpretiert worden ist. Ich muß hier für mich zumindest zwei Eckpunkte der
Interpretation festhalten, mit denen ich mich, das weiß ich, von manchen Schrittmachern der
Resolution des letzten Kirchentages unterscheide: zum einen hebt die Entscheidung zur und
die heilsgeschichtliche Motivierung der vorrangigen Heidenmission des Paulus dieses Prae
Israels im Blick auf die Christusoffenbarung gerade nicht auf. Es ist stattdessen die
grundlegende Figur, die die Hereinnahme der Heiden in das Heil in Christus zeitlich vor den
Juden (Rö 11, 11f) überhaupt denkbar macht. Zweitens besingt Paulus die Frage des
endzeitlichen Heils Israels zumindest als Geheimnis Gottes (Rö 11,33ff) und legt also keinen
Verzicht auf das Christuszeugnis gegenüber Juden auch nur nahe (vgl. stattdessen
Rö 11,13f). Er würde stattdessen sogar nach Rö 9,3ff Fluch und Trennung von Christus in
Kauf nehmen, wenn er dadurch für Israel den Weg zu Christus öffnen könnte. Sehr wohl
begründet das Prae Israels Paulus’ Aufruf zu Bescheidenheit, Achtung, ja Ehrfurcht vor den
Juden (Ölbaumgleichnis).
Die Treue Gottes zu seinem Volk, die bleibende Gültigkeit der Verheißungen, die
Gnadengaben Gottes stelle ich damit nicht in Frage. Allerdings bin ich aufgrund der
Universalität des Christusereignisses der Meinung, dass auch sie durch dieses
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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Christusereignis erfüllt werden (bitte: nicht im Sinne einer Erledigung!). Deswegen schrieb
ich im Sonntagsblatt, dass Gott nach Ostern nicht mehr der sei, der er vorher war. Denn
Ostern ist die Selbstoffenbarung Gottes, des Gottes, der der Vater Jesu Christi ist, des
Gottes Abrahams, Isaaks und Jakobs, des Gottes des Bundes.
Dies alles nun im Sinne des oben skizzierten postmodernen Missionsverständnisses ins
Gespräch mit Juden einzubringen, hat besondere Probleme, vor denen niemand die Augen
verschließen kann. Aber ich möchte hier unterscheiden zwischen historischen Aspekten und
theologischen. Zu den historischen gehört zweifellos die Tatsache, dass die jüngere
deutsche Geschichte der Verbrechen an den Juden jede Verständigung über christliche
Glaubensinhalte schier unmöglich macht. Wie soll aus dem Mund eines Deutschen von
Liebe, Vergebung, Rechtfertigung aus Glauben, Gemeinschaft in Christus, Parteilichkeit für
das Leben usw. die Rede sein gegenüber einem Juden, von dem nicht erwartet werden
kann, das Geschehene nicht in Verbindung zu bringen mit dem Gesagten. Und angesichts
des breiten und langen Traditionsstroms christlichen Antijudaismus ist das Zeugnis eines
Deutschen auch ein Problem des Zeugnisses eines Christen. Denn das Kreuz, das zentrale
Symbol unseres Glaubens, ist den Juden das Zeichen intoleranter, arroganter und oft genug
auch mörderischer Verfolgung geworden.
Als Leitender Bischof der VELKD und dem lutherischen Erbe zutiefst verpflichtet ist es mir
hier auch ein besonderes Anliegen, mit allem Nachdruck die entsetzlichen judenfeindlichen
Ausfälle des alten Luther zurückweisen. Ich möchte vielmehr an die Tradition der liebevollen
Zuwendung und Wertschätzung in der Schrift des jungen Luthers „Dass Jesus Christus ein
geborener Jude sei“ anknüpfen (WA 53).
(Die bisher genannten historischen Aspekte haben eine theologische Implikation insofern, als
durch die theologische Figur der Kirche als des „Leibes Christi“, des „Christus praesens“,
Christus selbst korrumpiert erscheint durch die Taten der Christen. Ich persönlich wollte die
Verirrungen der Kirche am ehesten als Wunden am Leib Christi interpretieren. Die
theologische Brisanz des Zusammenhangs ist jedoch deutlich.)
Ein weiterer historischer Aspekt ist die Tatsache, das Konvivenz in Deutschland unter Juden
und Christen ein zartes und hochempfindliches Pflänzchen ist. Wieder durch den deutschen
Vernichtungsversuch ist es ja garnicht einfach und schon überhaupt nicht selbstverständlich,
als Christ in diesem Land mit Juden im Gespräch sein zu können. Dies unter anderem macht
den ungeheuren Wert dieser Arbeitsgemeinschaft beim DEKT aus, und hier und darüber
hinaus bin ich allen Juden zutiefst dankbar, die sich über alle Gräben hinweg auf das
Gespräch einlassen. Vor der Grösse, die hieraus spricht, verneige ich mich. In diesem
Zusammenhang ist mir wichtig zu sagen, dass ich mich in aller Form von den Methoden
distanziere, mit denen einige Christen versuchen, vor allem osteuropäische Juden
abzuwerben ohne Rücksicht, ja unter Ausnutzung ihrer schwierigen Lage und häufigen
religiösen Unsicherheit. Dass dies bei unseren jüdischen Mitbürgern und in den Gemeinden
als massive Bedrohung wahrgenommen wird, kann niemanden verwundern.
Es wären mehr historische Aspekte anzufügen. Sie rechtfertigen ein Moratorium, zumindest
deutscher Bemühungen unter Juden. Hier über Zeiträume zu reden wäre schamlos – von
Gott erhoffen wir uns Versöhnung und Wege zueinander, in seine Geduld demütig sich
einzuüben ist das Gebot der Stunde.
Aus theologischer Sicht und grundsätzlich kann man die Einladung aus der Konvivenz
heraus nicht verabschieden. (Vielleicht ist die ausdrückliche verbindliche
Gesprächsgemeinschaft wie hier in der Arbeitsgemeinschaft, ja gar nicht der geeignete Ort,
sich innerchristlich über die Frage der Mission zu vergewissern. Denn, in zugegeben
schwieriger Verallgemeinerung: von welcher von uns unterschiedenen Religion erwarten wir
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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uns eigentlich Zustimmung in der Frage christlicher Mission?) In diesem wertschätzenden
und dialogoffenen postmodernen Missionsverständnis der „Missio Dei“ ist die Wahrheit
angemessen eine Frage göttlicher Selbstoffenbarung, was alle Gesprächspartner bei aller
Leidenschaft hindert, sich übereinander zu erheben. Aber die gemeinsame Entzifferung der
Welt unter Einbringung dessen, was Christen als Gottesoffenbarung glauben, ist Auftrag
unseres Gottes. Zumal man auch in Erinnerung rufen muss, dass eine andere
missiontheologische Entdeckung des 19. Jahrhunderts sehr wohl bis heute Gültigkeit hat:
nämlich die Mission als „innere Mission“ mit der Zielrichtung auf uns selbst und ohne allen
Dünkel kultureller Überlegenheit.
Hier kann ich zurückkehren zum Anfang und noch einmal an den Briefwechsel mit Professor
Brumlik erinnern. Zu dem, was dort stattfand, stehe ich. Ich bin dankbar, dass der schriftliche
Dialog hier nun mündlich fortgesetzt wird.
Literaturhinweise:
„Ja zur Partnerschaft und zum innerbiblischen Dialog. Nein zur Judenmission“, Resolution
der Arbeitsgemeinschaft Juden und Christen beim Deutschen Evangelischen Kirchentag, in:
DEKT 1999 Dokumente, Konrad v. Bonin und Anne Gidion (Hgg), Gütersloh 1999, S. 539f.
Resolution der Werkstatt des württembergischen Pietismus, in: DEKT 1999 Dokumente, s.o.,
S. 540f.
Christen und Juden III, Schritte der Erneuerung im Verhältnis zum Judentum, Eine Studie
der EKD, im Auftrag des Rates der EKD herausgeg. vom Kirchenamt der EKD, Gütersloh
2000.
Werner, Dietrich: „Mission für das Leben – Mission im Kontext, Ernst Lange Institut für
ökumenische Studien, Rothenburg 1993, Ss. 144-151.
Text wie von Autor/in bereitgestellt.
Es gilt das gesprochene Wort.
Veröffentlichung nur mit Genehmigung der Verfasserin/des Verfassers.
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