Predigt über Apostelgeschichte 2,42 18. Juli Leutkirch 7.n.Tr. 2010 Liebe Kinderfest-Gottesdienstgemeinde! Bevor ich den Predigttext zum heutigen Gottesdienst lese, möchte ich zwei Wörter nennen: ein häufig verwendetes und eines, das ein bisschen abgehoben klingt. Das eine Wort ist das Wort „wichtig“, das andere Wort ist das Wort „wesentlich“. Zunächst „wichtig“. Was ist mir wichtig? Was hat Bedeutung für mich oder – anders gesehen: auf was kann ich gut und gern verzichten? Wichtig ist mir z.B. die Gesundheit, dass es meinen Lieben und mir gut geht ... Wichtig ist z.B., dass ich das Auskommen habe und nicht auf Freundlichkeit und Almosen anderer angewiesen bin ... Wichtig ist z.B., dass ich mein Leben so gestalten kann, wie ich es möchte, mehr von mir bestimmt als von anderen ... Wichtig ist z.B., dass ich abgesichert bin dadurch, dass ich in einer Gemeinschaft lebe, die mir Sicherheit gibt und ich nicht ganz allein auf mich und meine eigenen Möglichkeiten angewiesen sein muss ... usw. ... Noch vieles können wir nennen, was uns wichtig ist. Nun das andere Wort: „Wesentlich“. Kein häufig verwendetes Wort; vielleicht in Festansprachen, bei Predigten, bei irgendwelchen klugen Vorträgen – aber sicher kein Wort im Wortschatz Jugendlicher heute; sicher auch kein Wort in den Massenmedien; kein Wort der BILD-Zeitung. „Wesentlich“ ... Soll das Wort also abgeschnitten werden, wie ein alter Zopf, der nicht mehr in unsere Zeit passt? Ich meine, wir sollten das Wort nicht aufgeben, weil das Wort „wesentlich“ das nennt, was mehr ist als das viele, was für wichtig gilt. Zu meiner Zeit – damals, in den 70er Jahren, war der Ravensburger Ev. Kirchenbezirk sehr stark geprägt durch die persönliche Autorität des damaligen Dekans. Für uns Kolleginnen und Kollegen war es immer wieder Grund zum Staunen, wie dieser Mann es fertig brachte, eines der ganz großen Dekanate – flächenmäßig das größte der ganzen Landeskirche - zu leiten mit einer unübersehbaren Fülle von Aufgaben und Problemen – und dabei doch immer die Ruhe selbst zu sein. Ein Dekan, der Zeit hatte, der nie getrieben wirkte. Ich erkläre mir das Geheimnis seiner Person nicht nur mit seinem theologischen und praktischen Sachverstand sondern vor allem mit der Fähigkeit, sich nur um das zu kümmern, was ... ist. Jetzt mit welchem Wort muss ich es sagen? Eben nicht das, was wichtig ist. Wichtig möchte nämlich alles sein; wichtig nehmen tun sich alle, die vom dem Dekan etwas wollen, vom Landesbischof, dem OKR, den Pfarrern, den kirchlichen Mitarbeitern, Bürgermeistern, Politikern, Zeitungsleuten, Vereinsmeiern und Aktivisten bis hin zu den schlichten Normalverbrauchern ... Gutmeinende und Querulanten, Hilfsbereite und Schnorrer ... alle meinen, sie und das, was sie wollen, sei das Wichtigste für den Dekan. Wie gut, dass dieser Dekan die Gottesgabe hatte, unterscheiden zu können zwischen dem Wichtigen und dem Wesentlichen. Das Wichtige, das kann gern zum andern Ohr wieder hinaus oder im Papierkorb landen – und wenn es etwas ist von der obersten Kirchenleitung; das Wesentliche aber, das muss mit höchster Sorgfalt beachtet werden ... und wenn es das Anliegen eines ganz unscheinbaren Menschen ist. Das war jetzt ein langer Vorspann zu unserem heutigen Bibeltext. Worüber wir heute nachdenken sollen, ist der eine Satz, mit dem im ersten Buch über die Geschichte der christlichen Kirche die neu entstandene Christengemeinde beschrieben wird: Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Wesentliches, Grundsätzliches ... nicht nur Wichtiges! Liebe Festgemeinde! Muss das sein – jetzt, in einem festlichen Gottesdienst zu einem fröhlichen Kinderfest? Sollte da die Predigt nicht von anderem bestimmt sein. Kind ... oder Kinder ... das wäre doch z.B. ein schönes Thema ... oder Sommer und Sonne, wenn’s sein soll auch „Schule-Ferien-Urlaub“ oder Heimat und Tradition, alter Brauch und schönes Spiel? Nun – ich will versuchen, von diesem einen wesentlichen Satz aus der Apostelgeschichte die Linien auszuziehen – auch zu dem Wichtigen und Schönen heute – dem Leutkircher Kinderfest, nein – anders herum: ich will von dem was beim Leutkircher Kinderfest wichtig ist, zu dem kommen, was für alle christlichen Gemeinden wesentlich ist. Leutkircher Kinderfest – Ich habe im Internet nachgesehen. Damit hat es begonnen ... Hier die Vergrößerung aus dem Protokoll. Und es blieb nicht bei ein paar Malen danach, nein, zwei Jahrhunderte wurde die Tradition fortgeführt. Traditionen können eine Idee, einen Gedanken lebendig halten; aber es gibt da immer einen Anfang. Auch bei den christlichen Gemeinden hat ihre nun bald 2000 jährigen Tradition einen Anfang; sie sind nicht „irgendwie“ da ... Dies hier ist die Gründungsurkunde aller Kirchengemeinden weltweit, der hintere Teil der Seiten unserer Altarbibel. Die Tradition unseres christlichen Glaubens ist in dem begründet, was damals Menschen von diesem Jesus aus Nazareth und mit diesem Jesus aus Nazareth erfahren haben. Man hat also nicht irgendwie weitergelebt sondern in immer neuem Rückbezug auf den Ursprung. Dieser Rückbezug ist für die Kirche nicht nur wichtig – er ist wesentlich. Wenn das, was damals an Ostern und Pfingsten geschah nicht mehr wahrgenommen wird, wenn irgendwelche anderen Geschichten und Erfahrungen diese Ursprungsgeschichte vergessen lassen, dann ist es nur noch leere Tradition. Festhalten an der Apostel Lehre – durch alle Zeiten hindurch; nicht sich festhalten an dem, was geschichtlich dazwischen hineingekommen ist. Und bis zum heutigen Tag soll an dem vor allem andern festgehalten werden, was den Anstoß zu allem gab. Die Lehre der Apostel – besser, unmissverständlicher, ausgedrückt müsste es heißen: das, was die Apostel bezeugen. Denn es geht ja nicht um irgendwelche klugen menschlichen und damit auch zeitbedingten Lehrsätze sondern um Erfahrungen, die mit Worten gar nicht wiederzugeben sind. Heißt das, dass Christen grundsätzlich konservativ sind? Leider kommt es immer wieder zu diesem Missverständnis. Nein, es ist für uns nicht wesentlich, was in den Jahrhunderten zwischen dem ersten Pfingsten und heute geschah, sondern das, was mit Ostern und Pfingsten geschah. Und wem das wesentlich ist, der kann ein Freigeist sein, ja, ein Revolutionär ersten Ranges. Ein Franz von Assisi, ein Martin Luther, ein Christoph Blumhardt, ein Dietrich Bonhoeffer ... Welche Sprengkraft gegenüber unmenschlichen Strukturen, toten Traditionen, bedrückenden Normen liegt in dem, was die Apostel uns bezeugen. Diese „Vergangenheit“ ist und bleibt wesentlich. Und dann hat es im Internet eine Bildergalerie vom Kinderfest Viele Bilder .... aus den früheren Jahren bis hin zum letztjährigen, ziemlich kühlen und verregneten. Alle bilden machen etwas ganz Wesentliches deutlich: die Gemeinschaft, jung und alt, groß und klein, einheimisch und rei’gschmeckt, alte Festhasen und zaghafte Neulinge, Feriengäste von irgendwoher und Kinderfeststammgäste .. ein miteinander auf der Wilhelmshöhe, rund um den Kletterbaum und die Schlange fröhlich vereint. ... Diese Festgemeinschaft ist ein gutes Bild für das, was zum Wesen der Kirche gehört: Gemeinschaft. Nur in gewisser Weise ist christlicher Glaube Privatsache. Wenn er ganz Privatsache bleibt und sich nicht auswirkt in der Gemeinschaft, wenn er das Miteinander nicht prägt, dann fehlt etwas ganz Wesentliches. Gemeinschaft – nicht nur Gemeinschaft der einzelnen Individuen, sondern auch Gemeinschaft der einzelnen Gruppen und Cliquen, Parteien und Kreise, Clubs und Klüngel, Traditionen und Interessen. Nicht für sich bleiben – sondern sich als Gemeinschaft verstehen – ohne Eingrenzung und damit der Bitte Jesu nachkommen, seinem Gebet zu Gott: Ach, dass sie doch alle ein seien als eine große Lebens-Festgemeinschaft. Die Gemeinschaft der Kirche soll nicht weniger sein als die Kinderfestgemeinschaft, nein, sie soll noch mehr sein. Wunderbar mehr – so, wie es damals an Pfingsten wirklich wurde. ... Und nun zeige ich nochmals ein Kinderfestgemeinschaftsbild: Ein schwarz-weiß Bild aus alter Zeit. Sie werden es auf die Ferne nicht erkennen; es zeigt eine der damaligen Kinderschwestern mit Kindern auf dem Weg von oder zur Wilhelmshöhe. Die Schwester lebt nicht mehr und viele der damaligen Kinder sind nun auch nicht mehr am Leben. So ein Bild stimmt wehmütig; es macht uns bewusst, dass die Zeit vergeht, dass das Leben vergeht, dass unsere Gemeinschaft hier nicht auf Dauer sein kann. Diesem Bild vergangener, in den Tod gegangener Lebensgemeinschaft möchte ich das entgegenstellen, was hier auf dem Altar steht. Die berühmte Leutkircher Abendmahlskanne von Johann Furtenbach aus dem Anfang des 18. Jahrhunderts, lange vor der Kinderfesttradition und die Hostiendose aus dem Jahr 1700. Diese beiden Abendmahlsgeräte sollen uns auf eine Gemeinschaft hinweisen, die über unsern Lebenshorizont und über unsere Verstandesdimension hinausgeht. Die Gemeinschaft im Brotbrechen ist das dritte wesentliche Merkmal unseres Christseins. Immer neu darf ich im Abendmahl erleben, dass die tödliche Grenze überwunden ist. Was vergangen ist, ist nicht im Tode. Der längst gestorbene Jesus zeigt sich in lebendiger Gegenwart und damit feiern wir im Abendmahl, beim Brotbrechen eine Lebensgemeinschaft, die die einschließt, die nicht mehr mit uns leben. Für viele, gerade die Älteren von Ihnen, wird das Kinderfest ein Fest der eigen Kindheitserinnerung sein und damit auch ein Gedenktag an die Menschen, die damals mit Ihnen waren. Damit wir da nicht in einen Wehmutssog kommen, hat das Abendmahl eine wesentliche Bedeutung, denn es nimmt alle Toten, alle Traurigkeiten, alles, was war und nicht wiederkehrt, hinein in unsere Gegenwart jetzt. So ist das Abendmahl jeweils ein Fest, ein Fest ohne alle Nostalgie, ein Fest unbegrenzter Lebensfreude. Und dann noch das Vierte: Nach dem Fest – und auch dies Kinderfest wird zuende gehen – nach dem Fest ist ... vor dem Fest! Wenn die jüdischen Wallfahrer vom Tempelberg wieder zurückwanderten, hin zu ihren Häusern und Wohnungen, so war der Rückweg bereits bestimmt von der Freude, der Vorfreude aufs Wiederkommen. Mögen viele sich ab nächster Woche schon wieder auf das Kinderfest 2011 freuen. Dass sie in Vorfreude lebt, das ist das vierte wesentliche Element der Gemeinde Jesu, der Kirche. Diese Vorfreude auf das Kommende ist bei ihr auf eine ganz bestimmte Person bezogen. Also nicht: Es wird alles gut werden ... oder es kommt mal eine bessere Zeit, sondern: Der Herr kommt. Maranatha! „Komm, Herr Jesus!“ Das war – neben dem Vaterunser mit seiner Bitte: „Dein Reich komme“ – das wesentliche Grundgebet der frühen Christen. Dies war Ausdruck ihrer ganzen Lebenshaltung. Wir leben nicht in Resignation, wir leben nicht im Bejammern unserer Lebensumstände, wir leben nicht ohne Perspektive – wir leben auf den zu, der zu uns kommt. Ja, komm, Herr Jesu! In diesem ganz kurzen Gebetssatz können alle unsere Anliegen, Ängste, Sorgen, Enttäuschungen, Schwierigkeiten hineingenommen und aufgehoben werden. Unser Herr, komm ... - Wer in dieser Erwartungshaltung lebt, der kann relativieren. Nicht, dass er selber dann über den Dingen steht, aber er weiß: In ihm, diesem Herrn, wird es gut sein. Und so brauche nicht ich alles gut zu machen, zu bewerten, zu gutem Ende bringen. Ich kann mit meinen Unzulänglichkeiten und meiner Kurzsichtigkeit leben. Ja, komm Herr Jesus – so traue ich Gott in Jesus meine Zukunft zu. Sie blieben aber beständig in der Lehre der Apostel und in der Gemeinschaft und im Brotbrechen und im Gebet. Ja, das schenke Gott uns durch seinen guten Geist, dass auch für uns bleiben: Tradition, gute Erfahrung Gemeinschaft – in unseren Dimensionen Gemeinschaft – über unsere Dimensionen hinaus Erwartung, fröhliche Zuversicht ... dass sie was für uns bleiben? Wesentlich! Amen. (anschl. Gemeindelied EG264 – Die Kirche steht gegründet allein auf Jesus Christ )