Fastnacht und christliche Kirche Gedanken Für die Zukunft der Fastnacht ist es wichtig zu verstehen, dass sie nur von der nachfolgenden Fastenzeit her zu begreifen sei und erhalte nur von ihr aus die innere Berechtigung. Die Fastnacht und die Kirche bilden dadurch eine feste Einheit, die es immer wieder beidseitig zu bekräftigen gilt. Warum? Deutschland ist eines der wenigen Länder, in dem die Gesellschaft akzeptiert, dass wir uns öffentlich gegen unseren abendländischen Glauben aussprechen. Es ist „modern“ sich mit der Kirche nicht mehr zu identifizieren. Es sei dahingestellt, ob die Kirche selbst immer den richtigen Weg in Sachen Glaube und Mensch eingeschlagen hat, jedoch geht es hier, und das in erster Linie, um den persönlichen Glauben. Jeder kann in dem System Kirche seinen eigenen Weg suchen und auch finden. Es geht hier nicht um die Gebrauchsanweisung von außen, sondern um den persönlichen Gebrauch von innen. Auch die Kirche muss erkennen, dass es verschiedene Wege gibt, die allesamt zum gleichen Ziel führen. Tatsache ist, dass wir nach festen Wertfundamenten suchen, uns jedoch nicht an den vorhandenen festhalten, beziehungsweise zu ihnen bekennen wollen. Buddhisten und Muslime würden nie auf die Idee kommen, sich den Werten ihres Glaubens nicht zu bekennen. Fragen wir heute 100 Schulkinder, was ihnen zu Halloween und Allerheiligen einfällt, dann würde das Ergebnis die gesamte Schieflage überdeutlich aufzeigen. Das gleiche Ergebnis würde zustande kommen, wenn man sie fragen würde, ob Fastnacht ein Comedyevent oder ein kirchliches Schwellenfest ist. Fastnacht, ein Teil der kirchlichen Festkultur In einer Gesellschaft, in der der Umgangston untereinander, zunehmend distanzierter und anonymer wird, muss sich die Kirche wie auch die Fastnacht an das Vorhandene anpassen. Die Kirche ist ein großer Teil unserer Kultur. Die Fastnacht ist zwar kein kirchliches Fest im engeren Sinne, aber doch nicht ohne den Festkalender der Kirche denkbar. Im sogenannten Kirchenjahr werden die christlichen Zeiten festgelegt. Als unbewegliches Fest gilt zum Beispiel der Weihnachtsfeiertag, der immer an dem 25 Dezember gehalten wird. Im Gegensatz dazu ist der Osterfestkreis eine bewegliche Zeit. Der Ostersonntag wurde - auf dem Konzil von Nicäa im Jahre 325 – auf den ersten Sonntag nach Frühlingsvollmond festgesetzt, kann also von Jahr zu Jahr um zwei bis drei Wochen variieren. Die Fastnacht richtet sich nach der Fasten- und Osterzeit und ist deshalb auch ein beweglicher Termin. 35 verschiedne Fastnachtstermine sind dadurch möglich. Das Ende der Fastnacht wird durch den Beginn der Fastenzeit bestimmt, die Grenze zwischen diesen beiden Zeitabschnitten verläuft relativ scharf. Der Mensch weiß und bedarf um den Rhythmus der Zeit, in dem alles seinen Platz hat, das Sinnliche wie das Geistige. Die Fastnacht, als menschliche- und die Kirche als geistige Festform. Darüber hinaus beinhalten die Fastnachtsbräuche und Kostüme eine tiefe christliche Bedeutung. Psalm 53 Aus dem 12. Jahrhundert stammen Psalterillustrationen (Psalter/Buch der Psalmen), die bei Psalm 53 (nach der früheren griechischen und lateinischen Zählung: Psalm 52) meist eine Figur zeigen, die einem König gegenübersteht. Diese Figur ist oft nackt, schwingt eine Keule oder isst ein Brot. Im weiteren Verlauf des Mittelalters verändert sich diese Figur: Sie trug ein meist farbiges Kleid, oft ein Mi-Parti, das mit Schellen behängt war. Die Keule hatte sich zur Marotte oder zum Spiegel weiterentwickelt, ein Zeichen, dass der Narr in sich selbst verliebt war und Gott nicht erkannte. Oftmals wird die Figur mit einer Gugel, einer zipfligen Mütze oder Kappe dargestellt, die ebenso mit Schellen behangen ist. Diese Figur soll einen Narren, einen Unweisen (lat. insipiens) darstellen, der den weisen König David verhöhnt, der für Glauben steht als Vorläufer Christi gilt. Der Anfang des Psalm lautet: „Dixit insipiens in corde suo: Non est Deus“ („Es spricht der Narr in seinem Herzen: Es gibt keinen Gott“). Der Narr war also keineswegs eine Figur, die nur Späße machte, sondern eine negative Gestalt. Da der Gottesleugner ebenso nicht dem Ebenbild Gottes entsprechen konnte, da er nicht an Gott glaubt, wurde er als „künstlicher“ Narr bezeichnet, da er äußerlich der Norm entsprach, ihr aber im Denken widersprach. Als „natürliche“ Narren galten die geistig und körperlich Behinderten. Die Trennung von „Völlerei“ vor der Fastenzeit und „Enthaltsamkeit“ in der Fastenzeit war wohl der Ausschlag, dass Fastnacht und Fastenzeit als zwei Welten betrachtet wurden und mit der bereits bestehenden „Zweistaatenlehre“ des Augustinus somit in Verbindung gebracht worden ist. Somit wurde die Fastnachtszeit mit dem „Leben in der Welt“ und damit mit Sünde, Unglaube, dem „Reich des Teufels“ (civitas diaboli) verglichen. Die Fastenzeit hingegen wurde der Gottesherrschaft (civitas Die), dem Leben unter der Herrschaft Gottes, Glaube und Keuschheit zugeordnet. Die Schnittstelle dazu bildete der Aschermittwoch als Tag der Umkehr (Metanoia). So wurde in einem mit reicher Symbolik vollzogenen Spiel die Vergänglichkeit und die Sündhaftigkeit der menschlichen Kreatur in das Bewusstsein gerufen, aber auch die Möglichkeit zu Umkehr und Busse. 1 Kor 13,1 Ein weiteres Schlüsselelement empfing die Fastnacht aus der Liturgie. Nach dem Episteltext (1 Kor 13,1): „Wenn ich in den Sprachen der Menschen und Engel redete, hätte aber die Liebe nicht, wäre ich dröhnendes Erz oder eine lärmende Pauke“ galt der Narr als einer ohne (Gottes- und Nächsten-) Liebe, dem kein Sein und Haben über dieses Defizit hinweghelfen kann. Wer ohne Nächstenliebe ist, der ist und bleibt ein Narr. Folgenreicher war das mit dieser Narrendefinition verbundene Bild vom „dröhnendes Erz“ und der „lärmenden Pauke“. Seit dem Mittelalter definiert sich der Narr wie bereits erwähnt als Gottesleugner in seiner Erscheinung mit Schelle und Pauke: viel Lärm um nichts. Die Schelle wurde zum Erkennungszeichen des Narren. Diese Interpretation von Fastnacht und Fastenzeit trennt menschliche und göttliche Welt. In einer neuzeitlichen Theologie ist dies so nicht mehr vertretbar. Göttliche und menschliche Welt sind so miteinander verknüpft, dass sie sich nicht einfach auseinanderdividieren lassen. Somit ergibt sich eine neue Sicht der Fastnacht, die aber bereits in früherer Zeit immer wieder von kirchlicher Seite mitbedacht worden war. Äußerungen von Kardinälen und Päpsten lassen durchblicken, dass die Fastnacht nicht aus dem kirchlichen Kalender wegzudenken ist. So hatte auch der Professor am bischöflichen Priesterseminar zu Mainz und spätere Bischof Paul Leopold Haffner (1829-1899) in einem als Zeitungsartikel gedruckten Brief im Jahre 1863 klar ausgeführt: „Ich halte den Karneval für eine höchst christliche und wahrhaft katholische Institution und würde fast eine Ketzerei darin sehen, wenn man ihn abschaffen wollte.“ Im Jahre 1248 hatte kein Geringerer als Papst Martin IV. den Gläubigen empfohlen, „etliche Tage Fastnacht zu halten und fröhlich zu sein.“ Wenn man sich von dieser Aussage inspirieren lassen will, dann ergibt sich die Tatsache, dass Gott sich auch mit den Fröhlichen freut. Wenn wir Gott nur als „Notarzt“ behandeln und ihn nur einlassen wenn es uns nicht gut geht, oder ihn als einen ansehen, der nur mit unserem Leben etwas zu tun hat, wenn wir ihn um etwas bitten, dann ist dies eher eine verkümmerte Gottesbeziehung. Gott will auch da eingelassen werden, wo der Mensch das Leben feiert, wo er die Fülle des Lebens genießt, wo er sich freut, wo er glücklich ist. Dieses Leben in Fülle zu feiern und zu genießen, aber dann auch wieder einzutauchen in eine bedächtigere, stille Zeit der „Einkehr“ und „Umkehr“, könnte die „zwei Welten“ zusammen bringen; bei einem Gott des Lebens, der um das leibliche wie seelische Wohl von uns Menschen bemüht ist. Der in der Fastnachtszeit die Trennung einer menschlichen und göttlichen Welt bevorzugt und wer dabei über die eigene Freude hinaus Anstand, Achtung vor den Mitmenschen, Achtung vor den Grenzen und der Gesundheit des eigenen Körpers geringschätzt und missachtet, ist nicht nur in der Fastnachtszeit, sondern in sich und das ganze Jahr im wahrsten Sinne des Wortes ein „Narr“ oder eine „Närrin“. Die pädagogische Spielregel Es ist Tradition, dass jedes Narrenfest in Verbindung mit einem Gottesdienst gefeiert wird. Waren das vor Jahren noch recht steife Angelegenheiten, so wird man heute immer mehr überrascht wie fröhlich ein Gottesdienst an Fastnacht durchaus sein kann. Laut und schrill, gleichzeitig aber auch still und nachdenklich. Eine emotionale Gefühlsreise durch Kirchenund Fastnachtsgeschichte. Was ich in diesem Zusammenhang großartig finde, ist die ideenreiche Begleitung des Gottesdienstes durch den Bischoff, Pfarrer oder Kaplan. Teilweise selbst maskiert, mit launigen aber tiefgreifenden gereimten Predigten zeigen sie sich hier von der menschlichen wie auch von der geistlichen Seite. Allerdings nie ohne auf die pädagogische Spielregel hinzuweisen: Erfahre an Dir selbst, wie falsch närrisches Verhalten ist, kehre um, alter Mensch, und werde zu einem neuen Menschen, einem Christennachfolger! Während der Narr in und für diese Welt lebt, soll der Christ zwar in der Welt, aber nicht für diese Welt leben. Das Zusammenspiel fördern Dürfen wir nur an Gott herantreten, wenn wir Sorgen und Ängste haben? Der Gelehrte Aurelius Augustinus sagte, „Mensch lerne tanzen, sonst wissen die Engel im Himmel nichts mit Dir anzufangen!“ Der legendäre Papst Johannes XX11 (1881-1963) lachte herzlich gerne – sogar über sich selbst. Er meinte bei einem diplomatischen Empfang im Vatikan: „Die Genüsse des leben seien nicht nur für die Sünder gedacht“! Treffend finde ich folgendes Zitat: Wenn Gott nicht gewollt hätte, dass wir fröhlich sind, so hätte uns das lachen nicht geschenkt! Die Kirche muss sich noch mehr zur Fröhlichkeit und dem Lachen bekennen, die Fastnacht zur Kirche. Auf den ersten Blick wird dieser Schulterschluss der Öffentlichkeit, und auch manchen Würdenträgern beider Seiten „spanisch“ vorkommen, doch genau diese Verwunderung müssen „beide“ als Plattform nutzen. Die Kirche, um zu zeigen, dass nicht nur der Tod und das Leben danach das Maß aller Dinge ist, sondern, auch und gerade das Leben. Die Fastnacht, dass sie kein oberflächliches Comedyevent ist, sondern ein fröhliches, geistiges, zeitlich begrenztes Fest. Um diese Zusammenarbeit zu bekräftigen bedarf es neue Wege gemeinsam zu begehen. Das schwierige an neuen Wegen ist, dass sie eben neu sind, und Mut erfordern sie zu begehen. Wie diese Wege aussehen können, müssen die Resultate von vielen Begegnungen und Gesprächen sein. Wo kämen wir denn da hin! Wenn alle sagen würden, wo kämen wir denn da hin? Und keiner ginge um nachzusehen, wohin man käme, wenn man (gemeinsam) ginge. 03.März 2010 Ortenauer Narrenbund Rainer Domfeld Präsident