Ein Diener Gottes« - Religion

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»Ein Diener Gottes«
Von einer bitteren Anklage der christlichen Religion hin zu einer neuen spirituellen Sicht: Das
Gottesbild des Psychoanalytikers hat sich gewandelt
VON HEDWIG GAFGA
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"Wenn ich Patienten helfen kann, bin ich ein Diener Gottes", sagten Sie kürzlich in einem Gespräch. Von Ihnen als
Psychoanalytiker und Autor des autobiographischen Werkes "Gottesvergiftung" hätte man eine solche Selbstbezeichnung
zuallerletzt erwartet. Was meinen Sie damit?
Tilmann Moser: Ich bilde mir nicht ein, meine Möglichkeit, Heilsames zu tun, hinge nur mit meiner
persönlichen Kraft zusammen. Hilfreiches tun zu können erlebe ich als Geschenk. Dahinter steckt bei
mir kein persönlicher Gottesbegriff. Ich könnte auch von der Kraft der Natur, einer kosmischen oder
spirituellen Kraft sprechen.
Gleichwohl stellen Sie Ihr Wirken in einen religiösen Sinnzusammenhang.
Moser: Ich würde es lieber "spirituell" nennen, was mit meiner Geschichte zusammenhängt. Mit etwa
20 Jahren versuchte ich verzweifelt, einen Anschluß an meine religiös geprägten Vorstellungen aus der
Kindheit zu finden, an das, was mir gezeigt, gepredigt, indoktriniert worden ist. Aber es gelang mir
nicht. Nur die Sehnsucht ist geblieben nach dem, was an Geborgenheit versprochen worden war. Wenn
ich Kirchen besuchte, kamen die Enttäuschung und der Schmerz wieder hoch.
Was hat Sie enttäuscht und verletzt?
Moser: Ich sah, daß der Glaube für die anderen gültig blieb, und fühlte mich draußen. So lange hatte ich
vergeblich gebetet, gesungen - in der Hoffnung, daß etwas zustande kommt, was mich trägt, oder daß
ich von dem Gefühl der Sündenverstrickung entlastet würde. Doch die Hoffnung erfüllte sich nicht.
Dennoch scheinen Sie die religiösen Erfahrungen bereichert zu haben. Anderenfalls würden Sie in
Ihrer Arbeit nicht auf religiöse Vorstellungen zurückgreifen.
Moser: Natürlich ist durch die christliche Erziehung mit meinen seelischen Kräften etwas passiert. Ich
habe Andacht erlebt, Frömmigkeit, Bewunderung, Sehnsucht nach Geborgenheit. Beim Singen in der
Gemeinde konnte ich mich durchaus geborgen fühlen. Aber manchmal war das Singen ein Zustand, der
einen tieferen Mangel verdeckte, bis dahin, daß ich dies alles wie ein Gift erlebte, als Opium, wie Marx
es bezeichnet hat.
Ihre Wut richtete sich damals direkt gegen Gott. Sie klagten ihn an und sprachen ihn schuldig.
Moser: Er wurde grausamer und strenger, als ihn mir Eltern und Diakon vermittelt hatten. Ich hatte
meine eigene Giftküche, die genährt war aus Wut und Verzweiflung. In diesem inneren,
abgeschlossenen Raum, an den ich niemanden mehr heranließ, verschärfte sich das Bild vom
Richtergott.
Wenn Sie sich heute als Diener Gottes bezeichnen, muß sich Ihr Bild in der Zwischenzeit fundamental
gewandelt haben.
Moser: Mein Bild von Gott hat sich geweitet und ist zugleich diffuser geworden. Wenn ich mich einen
Diener Gottes nenne, so dient das zum einen dem Zweck, eine Solidarität zu erleben, die nicht auf die
Polarität Patient-Therapeut beschränkt ist. Wir sind eingebettet in etwas Drittes. Der Bezug auf Gott
wirkt außerdem wie ein Gegengift gegen Hochmut. In der "Gottesvergiftung" komme ich mir heute ein
Stückchen hochmütig vor. Ich tat so, als wäre mein menschlicher Verstand ausreichend, Gott in dieser
Schärfe anzugreifen.
Der Begründer der Psychoanalyse, Sigmund Freud, sah in der Religion eine Zwangsneurose. Heute
betrachten manche Therapeuten Religion positiv. Sie selbst ziehen Verbindungslinien zwischen Glaube
und Psychotherapie.
Moser: Ich bin nicht mehr wütend, nicht mehr so hochmütig und vielleicht auch nicht mehr so
verzweifelt an Gott, so daß ich gelassener argumentieren kann und offen bin für Kräfte, die über mich
hinausgehen. Allerdings: Das damalige Christliche ist für mich so verdorben, daß ich in diesen
Kategorien nicht gerne denke. Das hat sich verstärkt, seit ich mit Patienten arbeitete, die sich ein Leben
lang unter Sünden- und Schuldvorwürfen gewunden haben, die glaubten, niemals tauglich, verworfen zu
sein, die sich nicht nur von den Eltern, sondern von der Natur, vom Kosmos abgelehnt fühlten.
In Fallanalysen - etwa im Buch über die Tochter eines SS-Mannes - beschreiben Sie, wie Sie
Gottesbilder in die Therapie einbeziehen. Kann der Bezug auf Gott Patienten helfen, gesund zu werden?
Moser: Als Therapeut versuche ich, mich in die Situation der Patientin hineinzuversetzen: Diese Frau
hat einen starken Glauben und eine starke Gottesbeziehung. Ich sagte ihr, daß sie diesen Vater, der
schuldig geworden ist, Gott überlassen kann.
Sie haben die Beziehung der Frau zu Gott nicht in Frage gestellt, sondern sie für die Therapie zu
nutzen versucht.
Moser: Ich sage sogar ausdrücklich: Sie hatten Glück, daß Sie einen solchen Gott haben. Das ist, wie
wenn einer ein sehr schönes Haus geerbt hat und ein anderer in einer düsteren Mietswohnung wohnt.
Entscheidend ist, daß ein Mensch für seine Seele eine Umgebung hat, die nährt.
In Therapien lassen Sie Menschen mit Gott sprechen. Diese Inszenierungen haben das Ziel, daß sich
das Gottesbild ihres Gegenübers verändert. Wie kann man sich so etwas vorstellen?
Moser: Als besonders fruchtbar hat sich erwiesen, den Patienten zu fragen, ob er sich auf den Platz von
Gott begeben kann. Damit habe ich längere Zeit gezögert, weiß aber, daß andere Therapeuten das auch
machen. Wenn der Patient in Gottes Rolle schlüpft, genießt er entweder seinen Sadismus, oder er
erkennt, wie unwahrscheinlich es ist, daß Gott ein solcher Tyrann ist. Dann kann ein Therapeut fragen,
was für Motive Gott hätte, grausam zu handeln? Bei solchen Rollenwechseln kommt ein innerer Dialog
zustande.
Was bleibt nach einer solchen Therapie für die Patienten vom jüdisch-christlichen Gott?
»Wenn ein Patient seine liebevollen Züge Gott leiht, ist das für mich ein ergreifender
Moment«
Moser: Wenn das Bild sehr negativ war, kann sich ein Mensch von dem trennen, was Pfarrer oder die
Großeltern einmal über Gott gesagt haben. An die Stelle des alten Bildes tritt etwas Neues, noch Vages.
Wenn ein Patient die Gottesrolle übernimmt und überlegt, was für eine Antwort er sich von Gott
wünschen würde, und wenn er auf einmal Gott seine eigenen liebevollen Züge leiht, ist das für mich ein
ergreifender Moment.
Sie halten heute die Fähigkeit zur Andacht für wichtig, damit sich seelische Heilungsprozesse
vollziehen können. Gerade Andachten waren ihnen in der Zeit der "Gottesvergiftung" verhaßt.
Moser: Man kann die Andacht aus dem unmittelbar religiösen Kontext ablösen. Wenn man einer Mutter
mit ihrem Säugling zusieht, entdeckt man Blicke, Haltungen, Stimmungen, die für mich die Basis von
Andacht bilden. Seit ich mich mit Säuglingsforschung beschäftigt habe, er kenne ich dort die Quellen
und betrachte die Theologie partiell als eine Ausformung dessen, was in sehr frühen Phasen passiert eine Auseinandersetzung mit Ohnmacht, Geborgenheit, Gesehenwerden. Es ist furchtbar, wenn diese im
Menschen angelegte Andacht mißbraucht wird - etwa indem eine schreckliche Ideologie darüber
gestülpt wird.
Worauf kommt es an, damit Menschen Andacht positiv erleben?
Moser: Glücklich sind Menschen dran, wenn die guten Eigenschaften Gottes sich mit guten
Erfahrungen mit Menschen verbinden. Das Gefäß, das für Andacht und Glauben im Menschen angelegt
ist, sollte sich nicht nur mit Inhalten füllen, die aus einem theologischen Jenseits kommen. Wenn es auf
der menschlichen Ebene zu viele Leerstellen gibt - etwa mangelnder Körperkontakt zwischen Eltern und
Kind, Blicklosigkeit, Nichtakzeptieren, Mißtrauen gegen menschliche Eigenschaften -, kann es
geschehen, daß der Trost der Gebete, Choräle, Psalmen als Ausgleich herhalten muß. Ich bin froh, daß
ich die Andacht, die mir unter falschen Vorzeichen begegnet ist, inzwischen als ein positives
anthropologisches Ereignis sehen kann.
Eine religiöse Handlung kann ermutigend oder bedrohlich wirken. Das Segenswort "Er lasse sein
Angesicht leuchten über dir" vermittelt das Gefühl von Aufgehobensein - oder von Kontrolle.
Moser: Es scheint ein tiefes menschliches Bedürfnis zu sein, gesegnet zu werden. Rembrandt hat dies in
seinem Bild vom sterbenden Abraham, der die Nachfahren segnet, ausgedrückt. Manchmal möchte ein
Patient, wenn er sich an meinen Sessel anlehnt, daß ich die Hand auf seinen Kopf lege. Die Geste
vermittelt Geborgenheit, und der eine oder andere sagt: Es ist, als ob Sie mich segnen würden. Dabei
spüre ich, daß der Patient mir in dem Ritual eine höhere Kraft zuweist, als sie mir als Person zukommt.
Als Segnender gebe ich etwas weiter, was nicht in meinem Besitz steht, sondern uns beiden geschenkt
ist.
Sie borgen sich die Rituale der jüdisch-christlichen Tradition für den therapeutischen Prozeß - obgleich
Sie damit selbst schlechte Erfahrungen gemacht haben.
Moser: Es gibt nicht nur religiöses, sondern zum Beispiel auch ärztliches Handauflegen. Eltern tun es
intuitiv. Als Körpertherapeut benutze ich nicht religiöse Rituale, sondern schöpfe aus dem Fundus von
archetypischen Gesten, wie sie alle Religionen kennen. Die Seele wird durchaus durch die Religion
bereichert, weil Menschen in ihrem Ausgeliefertsein an die Natur gar nicht anders konnten, als Seele
und schauenden Gott zu verknüpfen. Insofern verdanke ich meinem Durchgehen durch diese strenge
Religion einen Teil der Architektur meiner Seele. Aber es war ein Gebäude in Schwarz.
Die "Gottesvergiftung" hat Eltern verunsichert. Manche fragen sich, ob sie mit einer christlichen
Erziehung Schlimmes anrichten könnten. Würden Sie heute zu einer religiösen Erziehung raten?
Moser: Da kann ich nicht Stellung nehmen. Das empfände ich als anmaßend.
Wie nehmen Sie die Kirche wahr?
Moser: Kirche ist für mich der Verein, der am tiefsten mit Ritualen an wichtigen Lebensabschnitten
umzugehen weiß. Positiv finde ich auch, daß sich die Kirche in gesellschaftliche Debatten einmischt,
etwa bei der neuen Armut. Da spüre ich manchmal eine Zugewandtheit zu den Menschen, die nicht vom
Kapitalverwertungsinteresse gelenkt ist, sondern fragt, was mit den Menschen passiert. Die Kirche ist
der Verein, der am engsten mit den Nöten der Menschen in Beziehung steht. Zu antiklerikalen Aktionen
tauge ich überhaupt nicht.
Welche Elemente der christlichen Tradition sind für Sie wichtig?
Moser: Gemälde mit religiösem Bezug rufen bei mir oft Staunen hervor. Ich erkenne, wieviel Schulung
der menschlichen Seele und der Ausdruckskraft mit diesen Themen verbunden ist. Inzwischen schaue
ich auch gerne Kirchen an, vielleicht um im Raumgefühl etwas von Inspiration zu spüren.
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