Westfälische Wilhelms-Universität Münster Institut für Soziologie Sommersemester 1997 Orientierungskurs Leiter: Dr. Bernd Hülsmann Tutorin: Annette Pietsch Hausarbeit: Die Merkmale einer Religion Probleme und Schwierigkeiten am Beispiel der Scientology Kirche vorgelegt von: Hilko Röttgers 1. Fachsemester [email protected] Inhaltsverzeichnis 2 Die Merkmale einer Religion - Schwierigkeiten und Probleme am Beispiel der Scientology Kirche ....... Seite 03 1 Definition von Religion bei Emile Durkheim ................ Seite 05 1.1 Auszuschließende Vorurteile.......................................... Seite 05 1.2 Merkmale einer Religion ................................................ Seite 06 2 Die Merkmale einer Religion bei Scientology ............... Seite 08 3 Scientology - Einige kritische Anmerkungen ................ Seite 11 3 Die Merkmale einer Religion - Schwierigkeiten und Probleme am Beispiel der Scientology Kirche Der Begriff Religion birgt auf den ersten Blick keine sichtlichen Gefahren. Es scheint jedem klar zu sein, was eine Religion ist, und was unter dem Begriff Religion zu verstehen sei. Jedermann weiß, ob er einer bestimmten Religion angehört. Außerdem weiß jedermann, daß es viele verschiede Religionen gibt, die sich alle irgendwie unterscheiden. Genaueres weiß man selten. Hier beginnen die Schwierigkeiten: Wie unterscheidet sich der Begriff Religion vom allgemeineren Begriff Weltanschauung? Worin besteht der Unterschied zwischen Religionen auf der einen, und Sekten und PsychoOrganisationen und anderen „Glaubensgemeinschaften“ auf der anderen Seite? Welche Kriterien muß eine Religion erfüllen, um eben als eine solche zu gelten? Wie wird das, was im Allgemeinen unter Religion verstanden wird, definiert? Die vorliegende Semesterarbeit will der Frage nach den Merkmalen einer Religion nachgehen. Dazu wird im ersten Abschnitt die Definition von Religion Emile Durkheims vorgestellt. Die in ihr enthaltenen Merkmale werden ausführlich hergeleitet. Im zweiten Abschnitt soll geprüft werden, ob es sich bei der Scientology Kirche um eine Religion handelt. Um diese Frage klären zu können, muß überprüft werden, ob die Merkmale einer Religion, wie Durkheim und andere sie beschreiben, auf die Scientology Kirche zutreffen. Im letzten Abschnitt dieser Arbeit soll das Blickfeld ein wenig erweitert werden. Hier stellt sich die Frage nach der Religiosität von Scientology nicht mehr nur aus religions-soziologischer Perspektive. Es soll geprüft werden, ob die angeführten Definitionen von Religion nicht zu kurz greifen, um das „Gebilde Scientology“ angemessen erfassen zu können. In diesem Abschnitt geht es also um die Frage, was Scientology neben oder an Stelle einer Religion sein könnte. Ziel dieser Arbeit kann es jedoch lediglich sein, die unterschiedlichen Definitionen von Religion kurz vorzustellen und die Probleme und Schwierigkeiten aufzuzeigen, die sich ergeben, wenn diese Definitionen in der Praxis auf ein Gebilde wie die Scientology Kirche angewendet werden. Es ist nicht das Ziel dieser Arbeit, eine komplette Abhandlung darzustellen über die 4 Frage, ob man bei Scientology berechtigterweise von einer Religion sprechen kann. Eine solche Analyse müßte in einem viel größeren Umfang durchgeführt werden und würden den hier zur Verfügung stehenden Rahmen erheblich sprengen. Erschwerend für diese Arbeit ist auch die Tatsache, daß das Thema Scientology zur Zeit in der Öffentlichkeit stark und durchaus kontrovers diskutiert wird. Beinahe täglich ist Scientology ein Teil der Medienagenda1. Der aktuelle Forschungsstand über Scientology ist mehr als uneinheitlich. Ständig werden Wertungen und Neubewertungen über Scientology veröffentlicht, sowohl in den Massenmedien als auch in der Fachliteratur. Um der Masse dieser Veröffentlichungen gerecht werden zu können, müßte diese Arbeit in einem sehr viel größeren Rahmen angelegt werden, als das hier der Fall sein kann. Aus diesem Grunde kann nur ein kurzer Einblick in die Diskussion um die Scientology Kirche gegeben werden. Für einen detaillierteren Einblick sei an dieser Stelle auf die angegebenen Schriften im Literaturverzeichnis am Ende dieser Arbeit hingewiesen2. 1 Als ein Beispiel sei an dieser Stelle nur die Berichterstattung über das Urteil des Bonner Landgerichts erwähnt, das besagt, daß politische Parteien in Deutschland Angehörige der Scientology Kirche aus ihren Reihen ausschließen dürfen, da diese sich nicht mit den wesentlichen Zielen der Partei identifizieren (vgl. u. a.: „Parteien dürfen Scientologen ausschließen“, in: Süddeutsche Zeitung vom 10. 07. 1997, Seite 1). 2 Besonders zu beachten ist hier sicherlich das Gutachten des Bonner Politikwissenschaftlers Dr. Hans-Gerd Jaschke, welches dem Überblick über Literatur- und Forschungsstand ein eigenes Kapitel widmet (vgl. Jaschke 1995: 14-28). 5 1 Definition von Religion bei Emile Durkheim Der französische Philosoph und Soziologe Emile Durkheim war einer der bedeutendsten Wissenschaftler, der sich in seinem Werk „Die elementaren Formen des religiösen Lebens“ daran machte, eine exakte Definition dessen zu geben, was allgemein als Religion bezeichnet wird. Durkheim gab als Ziel dieses Werkes an, „die primitivste und einfachste Religion zu studieren, die bis jetzt bekannt ist, sie zu analysieren und eine Erklärung zu versuchen“ (Durkheim 3 1984: 17). 1.1 Auszuschließende Vorurteile Um herauszufinden, was unter dieser primitivsten Religion zu verstehen sei, erachtet es Durkheim für unerläßlich, diese Religion neu zu definieren. Die Elemente einer neuen Religion müssen jedoch objektiv gefunden werden. Sie dürfen nicht durch die Vorurteile oder Gewohnheiten der Menschen beeinflußt werden. Als Beispiel für ein solches Vorurteil, welches die Menschen im Bezug auf die Religion haben, nennt Durkheim das Übernatürliche, das Mysterium. Für viele Menschen ist alles, was ihr Verständnis übersteigt ein unbedingter Teil der Religion. Der Begriff des „Übernatürlichen“ setzt jedoch die Kenntnis um eine natürliche Ordnung der Dinge zwingend voraus: solange man nicht weiß, wie diese natürliche Ordnung der Dinge aussieht, gibt es nichts, was einem übernatürlich erscheinen könnte. Der Begriff des Übernatürlichen ist ein relativ junger Begriff, der erst im Zuge der wissenschaftlichen Aufklärung entstanden ist. Erst als die Menschen nach und nach die natürliche Ordnung der Dinge entdeckten, stießen sie auch auf Phänomene, die sie (wissenschaftlich) nicht erklären konnten. Diese Phänomene fielen dann in den Bereich des Übernatürlichen. Primitiven Kulturen ist dieser Bereich des Übernatürlichen unbekannt, da ihnen auch eine wissenschaftlich entdeckte natürliche Ordnung der Dinge unbekannt ist. Weil aber auch primitive Kulturen durchaus eine Religion ausgeübt 6 haben3, weil die Idee der Religion schon viel länger existiert als die Vorstellung von etwas Übernatürlichem, ist eben diese Idee des Übernatürlichen, des Mysteriums aus der Definition von Religion auszuschließen (vgl. Durkheim 3 1984: 47-52). Ein weiteres Merkmal, das als charakteristisch für die Religion betrachtet wird, ist die Idee der Göttlichkeit4. Auch diese Vorstellung enttarnt Durkheim als Vorurteil und will sie aus seiner Definition von Religion ausschließen. Durkheim zufolge gibt es durchaus Bereiche, die der Religion zuzurechnen sind, welche jedoch ohne die Idee der Göttlichkeit auskommen. Als Beispiel dafür führt Durkheim unter anderem den Buddhismus an. Der Buddhismus ist eine Religion, die völlig ohne einen Gott auskommt. Kern der buddhistischen Lehren sind die Vier Wahrheiten: Die erste beschreibt das Leiden als Teil des ewigen Flusses der Dinge; die zweite nennt als Grund des Leidens den Wunsch; die dritte beschreibt die Unterdrückung des Wunsches als den einzigen Weg zur Überwindung des Leidens; die vierte nennt die drei Stufen, die zur Überwindung des Leidens führen: die Rechtschaffenheit, die Meditation und die Weisheit. Erst, wenn der Gläubige diese drei Stufe durchlaufen hat, gelangt er ans Ziel, ins Nirvâna. Keine der Vier Wahrheiten spricht von einem Gott. Somit kann die Idee der Göttlichkeit nicht als Merkmal einer Religion gelten und muß aus der Definition von Religion ausgeschlossen werden (vgl. Durkheim 31984: 52-60). 1.2 Merkmale einer Religion Nach Durkheim kann man die religiösen Phänomene in zwei Kategorien einteilen. Auf der einen Seite stehen die Glaubensüberzeugungen, auf der anderen die Riten. Glaubensüberzeugungen sind Meinungen oder Vorstellungen über den 3 Gerade in primitiven Kulturen ersetzte die Religion oft das Wissen um die natürliche Ordnung der Dinge; Götter wurden benutzt, um zum Beispiel die Jahreszeiten oder den Verlauf der Gestirne zu erklären. 4 Um den erfaßten Bereich zu erweitern, spricht Durkheim nicht von Göttern, sondern von „geistigen Wesen“ (Durkheim 31984: 53). Diese sind Wesen, die mit höheren Kräften ausgestattet sind. Dazu gehören Gottheiten ebenso wie Schutzgeister oder die Seelen der Toten. Um Komplexität zu reduzieren wird im weiteren Verlauf dieser Arbeit allerdings nur von Göttern, bzw. Gottheiten gesprochen. 7 religiösen Bereich; Riten sind Handlungsweisen, die sich auf die Glaubensüberzeugungen beziehen. Durkheim zufolge nehmen alle religiösen Überzeugungen eine Einteilung der Welt in zwei Bereiche vor. Es wird unterschieden zwischen einem Bereich, der alles Heilige umfaßt, und einem anderen Bereich, der alles Profane umfaßt. Der Bereich der heiligen Dinge ist von Religion zu Religion verschieden. Ihm können Gottheiten zugeordnet werden, aber auch Personen, Gegenstände, Handlungen oder Aussprüche. Wichtig ist in diesem Zusammenhang weniger die genaue Bestimmung des heiligen Bereichs, sondern vielmehr die Tatsache, daß auch die heiligen Dinge in ihrem Bereich Zu- und Unterordnungen zueinander haben. Wenn das der Fall ist, und die heiligen Dinge „ein System von gewisser Einheit bilden, das aber selbst in keinem anderen System derselben Art einbezogen ist, dann bildet die Summe der Überzeugungen und der entsprechenden Riten eine Religion.“ (Durkheim 31984: 67). Hierbei handelt es sich laut Durkheim aber erst um eine vorläufige Definition, die neben der Religion ein weiteres Phänomen erfaßt: die Magie. Auch in der Magie gibt es Überzeugungen und Riten, die sich auf diese Überzeugungen beziehen. Durkheim ist jedoch der Überzeugung, daß Magie und Religion unbedingt voneinander zu trennen seien, denn es bestehe „ein deutlicher Widerwille der Religion gegen die Magie und, umgekehrt, die Feindschaft der Magie gegenüber der Religion“ (Durkheim 31984: 70). Als unterscheidendes Merkmal zwischen Religion und Magie nennt Durkheim die Tatsache, daß religiöse Überzeugungen einer bekennenden Gemeinschaft zu eigen sind, während die Magie eben nicht diese Fähigkeit besitzt, ihre Anhänger zu einer Gemeinschaft zusammenzuschließen. Diese religiöse Gemeinschaft, die Durkheim Kirche nennt, ist das notwendige zweite Merkmal seiner Definition von Religion, die wie folgt lautet: „Eine Religion ist ein solidarisches System von Überzeugungen und Praktiken, die sich auf heilige, d. h. abgesonderte und verbotene Dinge, Überzeugungen und Praktiken beziehen, die in einer und derselben moralischen Gemeinschaft, die man Kirche nennt, alle vereinen, die ihr angehören. (Durkheim: 31984: 75) Mit dieser Definition ist ein erster Anhaltspunkt darüber gegeben, was unter einer Religion zu verstehen ist. Im folgenden Abschnitt sollen die Merkmaler dieser und anderer Definitionen von Religion auf die Scientology Kirche angewendet werden. 8 2 Die Merkmale einer Religion bei Scientology Um die Frage, ob es sich bei Scientology um eine Religion handelt oder nicht, beantworten zu können, soll im folgenden überprüft werden, ob Scientology einerseits die Merkmale der oben beschriebenen Definition von Religion Durkheims aufweist, und andererseits, ob Scientology darüber hinaus auch den Definitionen von Religion modernerer Wissenschaftler entspricht. Wie oben bereits gezeigt wurde, muß eine Religion nach Durkheims Verständnis im Wesentlichen zwei Merkmale aufweisen, um als Religion angesehen werden zu können: Sie muß aus einem System von Glaubensüberzeugungen und darauf bezogenen Handlungen sein, und sie muß ihre Anhänger zu einer solidarischen Glaubensgemeinschaft vereinigen können. Beide Merkmale scheinen von der Scientology Kirche erfüllt zu werden. Auf der einen Seite „besitzt Scientology ein unverwechselbares Gebäude religiöser Glaubensvorstellungen“ (Kliever 1994: 6). Der Glauben der Scientologen beruht auf den Schriften des Scientology-Gründers Lafayette Ronald Hubbard; seine Schriften allein sind die maßgebliche Quelle für die religiösen Glaubensvorstellungen der Scientology. Darüber hinaus gibt es eine Vielzahl religiöser Bräuche und Riten, die sich auf die scientologischen Glaubensvorstellungen beziehen (vgl. Kliever 1994: 6). Die zentrale Praktik der Scientology ist die des Auditings. Durch das Auditing, einem Gespräch zwischen dem Auditor und einem Preclear, soll letzterer den Zustand Clear erreichen, indem ihm sein Unterbewußtsein bewußt gemacht wird und alle negativen Erinnerungen, die dort „gespeichert“ waren, ausgeräumt, d.h. geklärt, werden. Durch diese Praktik sollen alle psychosomatischen Krankheiten geheilt werden können; der Geklärte ist völlig frei von Komplexen und fast allen Krankheiten (vgl. Reller/Kießig/Tschoerner 4 1993: 862). Neben dem Auditing gibt es in der Scientology aber auch andere Bräuche und Riten, wie zum Beispiel die Hochzeit, die Namensgebung und die Bestattung. Diese Riten werden gemäß der Zeremonie der Scientology Kirche durchgeführt (vgl. Kliever 1994: 6). 9 Auf der anderen Seite ist die Scientology offenbar in der Lage, ihre Anhänger zu einer bekennenden Gemeinschaft in der Scientology Kirche zu vereinen. Weltweit unterhält die Scientology Kirche 2475 Kirchen, Mission und Organisationen in 107 Ländern. In der Bundesrepublik Deutschland besitzt sie nach eigenen Angaben 30000 Mitglieder (vgl. Jaschke 1995: 7). So sind beide Merkmale der Definition von Religion Durkheims erfüllt. Aber auch andere Definitionen von Religion bestätigen den Anspruch der Scientology, eine Religion zu sein, so zum Beispiel das Gutachten des australischen Soziologie-Professors Alan W. Black. Black stützt sich in seinem Gutachten auf die Definition von Religion von Ninian Smart5. Smart schreibt, daß eine Religion typischerweise sieben Aspekte oder Dimensionen aufweise, welche mehr oder weniger stark ausgeprägt sein können. Diese Dimensionen sind: die doktrinäre und philosophische Dimension, die erzählerische oder mythische Dimension, die praktische oder rituelle Dimension, die Dimension der Erfahrung, die ethische Dimension, die soziale und institutionelle Dimension, sowie die materielle Dimension. Black weist in seinem Gutachten nach, daß die Scientology entsprechend Smarts Definition eine Religion ist, da sie alle sieben Dimensionen der Religion enthält. Dieser Nachweis soll im Folgenden kurz zusammengefaßt werden: 1. Die doktrinäre und philosophische Dimension: Diese Dimension besagt, daß es in einer Religion ein System von Glaubensüberzeugungen oder Doktrinen geben muß oder eine verbindliche Lehre für die Anhänger dieser Religion. In der Scientology ist diese Dimension erfüllt. Wie oben bereits festgestellt wurde, sind die Schriften L. Ron Hubbards die verbindliche Lehre für die Scientologen. 2. Die erzählerische oder mythische Dimension: Diese Dimension weist auf überlieferte Erzählungen oder Mythen hin, wie es sie in vielen Religionen gibt. Diese können von Göttern oder geistigen Wesen handeln, aber auch vom Leben des religiösen Führers. Bei Scientology ist diese Dimension ebenfalls durch die Schriften Hubbards abgedeckt. 3. Die praktische und rituelle Dimension: 5 Vgl. dazu: Ninian Smart (31984): The Religious Experience of Mankind. Vgl. auch: Ninian Smart (1989): The World’s Religions: Old Traditions and Modern Transformations. 10 Unter diese Dimension fallen die Riten oder Bräuche, die in einer Religion ausgeübt werden. n Scientology ist diese Dimension ebenfalls vorhanden, wie am Beispiel des Auditings, welches eine zentrale Rolle spielt, bereits gezeigt wurde. 4. Die Dimension der Erfahrung Diese Dimension bezeichnet die religiösen Erfahrungen, die Anhänger einer Religion machen können. Dazu gehören zum Beispiel göttliche Eingebung oder Erleuchtung, oder die Gewißheit einer Erlösung. Bei der Scientology sind die Beschreibungen von Scientologen, die nach abgeschlossenem Auditing den Zustand Clear erreicht haben, ebenso enthusiastisch wie die Schilderungen religiöser Erfahrungen aus anderen Religionen, so daß auch diese Dimension als erfüllt betrachtet werden muß. 5. Die ethische Dimension Diese Dimension beschreibt die Tatsache, daß es in Religionen auch immer einen Ethik-Kodex gibt, wie zum Beispiel die Zehn Gebote des Christentums oder der Ausspruch Jesu Christi: „Liebe Deinen Nächsten wie Dich selbst!“. Auch die Scientology besitzt einen solchen Ethik-Kodex, der im Wesentlichen zurückgeht auf die Schriften Hubbards, wie zum Beispiel sein Buch: Einführung in die Ethik der Scientology. 6. Die soziale und institutionelle Dimension Unter dieser Dimension ist zu verstehen, daß eine Religion nicht eine Angelegenheit des Einzelnen ist, sondern vielmehr in einer Gemeinschaft ausgeübt wird. Daß diese Dimension von der Scientology Kirche erfüllt wird, wurde oben schon festgestellt, da dieser Punkt auch ein Merkmal der Definition Durkheims ist. 7. Die materielle Dimension Mit dieser Dimension soll der Tatsache Rechnung getragen werden, daß es in Religionen häufig religiöse Artefakte, Orte oder Gebäude, oder Embleme gibt, daß die Religion also eine materielle Seite aufweist. Auch diese Dimension läßt sich für die Scientology Kirche nachweisen, denn sie verfügt über Kirchen- und Missionsgebäude ebenso wie über religiöse Embleme, wie zum Beispiel das Sonnenkreuz, das dem Kreuz des Christentums ähnlich ist, aber zusätzlich noch vier weitere Spitzen aufweist, die aus dem Zentrum des Kreuzes entspringen (vgl. Black 1996: 3-15). 11 Nachdem Black diese Dimensionen ausführlich diskutiert hat, kommt er abschließend zu folgendem Ergebnis: „Die obige Analyse zeigt, daß die sieben Dimensionen der Religion [...] alle in der Scientology vorhanden sind. Sie zeigt auch, daß viele ihrer Glaubensgrundsätze und Praktiken den Bräuchen die in einer oder mehreren anderer anerkannter Religionen gefunden werden, ähnlich sind oder entsprechen, wenn auch Scientology ihre eigenen Charakteristiken aufweist. [...] Aufgrund der vorstehenden Analyse komme ich zu dem Schluß, daß Scientology zu Recht als Religion anerkannt wird.“ (Black 1996: 16) Zum gleichen Ergebnis kommt auch der amerikanische Religionswissenschaftler Frank K. Flinn: „Aufgrund [...] meiner Forschungsarbeiten über die Scientology Kirche kann ich ohne Zögern bestätigen, daß die Scientology Kirche eine bona fide Religion darstellt.“ (Flinn 1994: 3). Auf die einzelnen Schritte seiner Argumentation soll an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden. Zusammenfassend läßt sich also feststellen, daß die Scientology Kirche sowohl die Merkmale der Definition von Religion Emile Durkheims enthält, als auch den Definitionen von Religion der zeitgenössischen Wissenschaftler Kliever, Black und Flinn entspricht. Offenbar handelt es sich bei Scientology um eine Religion. Daß man die Scientology Kirche jedoch auch anders beurteilen kann, als das bisher geschehen ist, soll der folgende Abschnitt verdeutlichen. 3 Scientology - Einige kritische Anmerkungen Wie bereits in der Einleitung zu dieser Semesterarbeit erwähnt wurde, wird die Frage nach der Religiosität von Scientology zum gegenwärtigen Zeitpunkt recht intensiv diskutiert; zahlreiche Veröffentlichungen beschäftigen sich mit diesem Thema. Auch die Scientology Kirche selbst hat aktiv in diese Diskussion eingegriffen, zum Beispiel indem sie Gutachten unabhängiger Wissenschaftler zu eben dieser Frage in Auftrag gegeben hat. Diese Gutachten wurden dann im Scientology-Verlag Freedom Publishing veröffentlicht. Zu eben diesen Gutachten gehören auch die im vorherigen Abschnitt vorgestellten Analysen der Wissenschaftler Kliever, Black und Flinn. Alle drei sind im Scientology-Verlag Freedom Publishing erschienen, was ein Fragezeichen auf ihre Glaubwürdigkeit wirft: 12 „Publikationen wie [...] die über den SC-Verlag [SC steht hier als Abkürzung für Scientology, Anm. H.R.] Freedom Publishing vertriebenen acht Gutachten ‘unabhängiger Wissenschaftler’ aus sieben Ländern zur Frage, ob SC eine Religionsgemeinschaft sei, [...] vermitteln den Eindruck einer gezielten Strategie, SC als verfolgte religiöse Minderheit in der Öffentlichkeit erscheinen zu lassen.“ (Innenministerium NRW 1997: 39-40). Darüber hinaus wird die Scientology im „Handbuch religiöse Gemeinschaften“ gar nicht als Religion eingestuft. Sie ist vielmehr unter der Rubrik „Psycho-Organisationen“ zu finden. Diese sind „Organisationen und Bewegungen, die Psycho-Techniken unterschiedlicher Herkunft gebrauchen, um das Leben und Verhalten ihrer Mitglieder zu verändern und zu regulieren.“ (Reller/Kießig/Tschoerner 4 1993: 859). Dieser Eingriff in das Leben der Scientology-Mitglieder geschieht über die Praxis des Auditings, wodurch die Scientology-Mitglieder gefügig und abhängig gemacht werden (vgl. Jaschke 1995: 12). Ein vom nordrhein-westfälischen Innenministerium in Auftrag gegebenes Gutachten zur Frage einer eventuellen Verfassungsfeindlichkeit der Scientology bezeichnet die Scientology Kirche als „eine Organisation [...], die unter dem Deckmantel einer Religionsgemeinschaft Elemente der Wirtschafts-Kriminalität und des Psychoterrors gegenüber ihren Mitgliedern mit wirtschaftlichen Betätigungen und sektiererischen Einschlägen vereint. Der Schwerpunkt ihrer Aktivität scheint im Bereich der Wirtschaftskriminalität zu liegen.“ (Innenminister Alwin Ziel, Brandenburg, nach: Jaschke 1995: 8). Angesichts dieser Aussage erscheint es zweifelhaft, die Scientology bloß als Religion darzustellen. Selbst, wenn man die zweifelhafte Glaubwürdigkeit der oben angeführten Untersuchungen der Wissenschaftler Kliever, Black und Flinn einmal außer Acht läßt, greifen die auf die Scientology angewandten Merkmale zu kurz, um das „Gebilde Scientology“ in seiner Vollständigkeit zu erfassen. Es mag sein, daß die Scientology auch eine Religion ist; wahrscheinlich ist das nicht. Darüber hinaus ist sie jedoch noch viel mehr, und das hat mit Religion nicht viel zu tun: Neben den wirtschaftlichen und politischen Verflechtungen, auf die hier nur in aller Kürze hingewiesen werden konnte, ist die Scientology „eine späte modernistische Weltanschauung mit (Reller/Kießig/Tschoerner 41993: 882). geringen religiösen Elementen.“ 13 Literaturverzeichnis Black, Alan W. (1994): Ist Scientology eine Religion?, Los Angeles: Freedom Publishing Durkheim, Emile (31984): Die elementaren Formen des religiösen Lebens, Frankfurt/Main: Suhrkamp Verlag Flinn, Frank K. (1994): Scientology. Die Kennzeichen einer Religion, Los Angeles: Freedom Publishing Hubbard, L. Ron (1978): Dianetik. Die moderne Wissenschaft der geistigen Gesundheit, Genf: Ariston Verlag Innenministerium NRW (Hrsg.) (1997): Verfassungsschutzbericht des Landes Nordrhein-Westfalen über das Jahr 1996, Köln: Moeker Merkur Druck GmbH Jaschke, Hans-Gerd (1995): Auswirkungen der Anwendung scientologischen Gedankenguts auf eine pluralistische Gesellschaft oder Teile von ihr in einem freiheitlich demokratisch verfaßten Rechtsstaat, in: Innenminiserium NRW (Hrsg.) (1996): Scientology - eine Gefahr für die Demokratie. Eine Aufgabe für den Verfassungsschutz?, Köln: Moeker Merkur Druck GmbH. 5-66 Kliever, Lonnie D. (1994): Scientology. Eine religiöse Gemeinschaft, Los Angeles: Freedom Publishing Reller, Horst / Manfred Kießig / Helmut Tschoerner (Hrsg.) (41993): Handbuch religiöse Gemeinschaften. Freikirchen, Sondergemeinschaften, Sekten, Weltanschauungen, missionierende Religionen des Osten, Neureligionen, Psycho-Organisationen, Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 859-886