Inhaltsverzeichnis Grußwort an die Mitglieder 2 Nachruf auf Kirchenmusikdirektor Klaus Meinzolt 5 Protokoll der Mitgliederversammlung am 2. Juli 1999 7 Der christlich-jüdische Dialog und unser Gottesdienst (Gabriele Gräter) 8 Konsequenzen aus dem jüdisch-christlichen Dialog für den Gottesdienst (Hans-Jürgen Müller) 22 Mitteilungsblatt 1999 / II 1 Grußwort von Dekan Christian Schmidt Liebe Mitglieder und Freunde der Lutherischen Liturgischen Konferenz in Bayern, herzlich darf ich Sie zum Beginn des neuen Kirchenjahres grüßen. Während die Welt ins Millenniums-Fieber verfällt, bereiten wir uns in Ruhe und Dankbarkeit auf das große Geburtstagsfest Christi am 25. Dezember 2000 vor. In allem Millenniumsrummel können wir ganz gelassen sein, denn immer noch gilt: „Jesus Christus, gestern und heute, und derselbe auch in Ewigkeit.“ Meine Kinder haben mir zum Geburtstag einen schönen selbstgebastelten Kalender geschenkt, in dem sich auf der Januar-Seite das folgende Ringelnatz-Gedicht befindet. Es hat mir so gut gefallen, dass ich es gerne an Sie weitergebe: Was würden Sie tun, wenn Sie das neue Jahr regieren könnten? Ich würde vor Aufregung wahrscheinlich Die ersten Nächte schlaflos verbringen Und darauf tagelang ängstlich und kleinlich Ganz dumme, selbstsüchtige Pläne schwingen. Dann – hoffentlich – aber laut lachen Und endlich den lieben Gott abends leise Bitten, doch wieder nach seiner Weise Das neue Jahr göttlich selber zu machen. Dankbar schauen wir auf das vergangene Jahr und die Arbeit 2 unserer LLKB zurück. Zwei gut besuchte Tagungen halfen, das liturgische Anliegen wachzuhalten: • Unsere Jahrestagung Anfang Juli in Heilsbronn • und die Herbsttagung zum Thema „Sonntagsbegrüßung“, die wir in Zusammenarbeit mit der Communität Casteller Ring auf dem Schwanberg veranstalteten. Bei der Heilsbronner Tagung mit dem Thema „Hat der jüdisch-christliche Dialog Auswirkungen auf unseren Gottesdienst?“ machte Professor von der Osten-Sacken aus Berlin deutlich, wie sehr der christliche Gottesdienst vom Gedanken der feiernden Vergegenwärtigung, die den jüdischen Gottesdienst bestimmt, geprägt wurde. Wir hoffen, den Vortrag von Professor von der Osten-Sacken in unseren nächsten Mitteilungsblättern veröffentlichen zu können. In diesem Heft bringen wir die wichtigen Beiträge von Pfarrerin Gabriele Gräter und Pfarrer Hans-Jürgen Müller. Viele Jahre hat Kirchenmusikdirektor Klaus Meinzolt im erweiterten Ausschuß der LLKB mitgearbeitet. Nun ist er Anfang Oktober völlig unerwartet in Nördlingen verstorben. Pfarrer Herr würdigt sein Wirken für die LLKB auf S. 5. Wir denken an ihn in großer Dankbarkeit und bitten, dass er nun einstimmen darf in den himmlischen Lobgesang. Herr Stefan Frewer arbeitet seit dem 1. August fünf Stunden in der Woche als theologischer Mitarbeiter für unsere LLKB. Der Vortrag, den er im Rahmen der Tagung auf dem Schwanberg über das 3. Gebot hielt, soll im Mitteilungsblatt 2000/I veröffentlicht werden. Erfreulich ist, dass wir die 1. Folge von „Liturgischen Entwürfen für das Kirchenjahr“ veröffentlichen konnten. Hier gilt der „Materialstelle für Gottesdienst“ ein ganz herzlicher Dank. Sie besorgte die Drucklegung, sie übernimmt den Ver- 3 trieb. Auch die weiteren drei Folgen der „Liturgischen Entwürfe“ werden wir in Zusammenarbeit mit ihr herausgeben. Die „Entwürfe“ bringen Texte, zu denen es wenig agendarische Vorlagen gibt, wie Begrüßungen, Sündenbekenntnisse und Gnadenzusagen, Fürbitten– und Schlußgebete. Für das Kirchenjahr 2000 / 2001 planen wir, einen Liturgischen Kalender herauszugeben, der auch Arbeitshilfen zu besonderen Tagen enthält; Herr Frewer ist hier an der Arbeit. Zum Schluß zwei Bitten. Unser Geld wird knapper, da die Landeskirche ihre Zuschüsse – wie auch auf anderen Feldern – reduzieren muß. Falls Sie noch nicht dazugekommen sein sollten, Ihren Jahresbeitrag 1999 zu überweisen, wären wir Ihnen sehr dankbar, wenn Sie das noch tun könnten. Wenn Sie als Pfarrerin oder Pfarrer die Möglichkeit haben, uns eine Kollekte oder einen Betrag aus der Gabenkasse zukommen zu lassen, wäre das sehr schön (Konto-Nr. 281 78 10 bei der Raiffeisenbank Holzkirchen [BLZ; 701 694 10] ). Mit einem herzlichen Vergelts-Gott für Ihre Treue zu unserem Verein und für alle bisherige Unterstützung und mit herzlichen Segenswünschen Ihr Dekan Christian Schmidt, 1. Vorsitzender 4 Nachruf für KMD Klaus Meinzolt Kirchenmusikdirektor Klaus M e i n z o l t ist heimgerufen worden. Große Lücken, die er hinterläßt, werden uns bewußt; auch in der Lutherischen Liturgischen Konferenz in Bayern und ihrem Vorstand, dem er seit langem angehört hat. Er fehlte nur in den Sitzungen, wenn ihn Verpflichtungen in Nördlingen abhielten, die für ihn immer an erster Stelle standen. Immer hatte er aus seiner Arbeit mit den Chören, der Gemeinde und den Kindern engagiert, interessant und humorvoll zu berichten gewußt. Klaus Meinzolt war mit Leib und Seele Kirchenmusiker; er konnte heftig und scharf werden, wenn er „seine Musik“ oder „seine Kirche“ in Gefahr sah und er holte uns bei unseren manchmal allzu theoretischen Erörterungen auf den Boden der gemeindlichen Tatsachen zurück. Liturgik und Kirchenmusik hatten der Gemeinde zu dienen! Das geschah mit so viel Humor, der tief aus seiner Gottes– und Menschenliebe kam, daß niemand ihm böse sein konnte und alle ihm dankbar waren. – Ohne dass er selbstbewußt oder gar selbstherrlich davon gesprochen hätte, merkte jeder, 5 wie sehr er vom Dienst und zum Dienst Gottes lebte. Er wollte mit seinen großen Gaben nur dies eine in seinem Musikerleben: der Gemeinde Jesu und damit vor allem ihrem Herrn Christus dienen! Diesem Ziel widmete er seine ganze Kraft: er organisierte Konzerte, dirigierte Chöre, begleitete die Gemeinde und führte sie und komponierte Oratorien um Gottes und Seiner Kirche willen. Demütig und hingebungsvoll wollte er seiner Sache dienen. Daß er am „Tage des offenen Denkmals“ bei einer Führung auf dem Dachstuhl seiner Kirche St. Georg in Nördlingen heimgerufen wurde, mutet uns wie ein Symbol seines Lebens an, als wollte er uns zurufen: „Halleluja! Lobet Gott in seinem Heiligtum, lobet ihn in der Feste seiner Macht! Alles was Odem hat, lobe den HERRN! Halleluja!“ (Ps.150) 6 Protokoll der Mitgliederversammlung am 2.7.99 in Heilsbronn TOP 1: Das Protokoll der Jahresversammlung vom 5. Juli 1998 wird ohne Einwand genehmigt. TOP 2: Bericht des 1. Vorsitzenden Christian Schmidt in Stichworten: Im Berichtsjahr 3 Vorstandssitzungen; Verhandlungsgegenstände waren: Vorbereitung der Jahrestagung / Papier: „Traubensaft oder Wein beim Abendmahl“ / Ordnungen der Mette und Vesper als Sonderdruck / Liturgische Texte zu den Sonntagsproprien / Versand des Mitteilungsblattes durch die Materialstelle für Gottesdienst / Teilnahme des 1. Vorsitzenden am Liturgischen Ausschuß der VELKD / zusammen mit Frau Lübke und Herrn Müller Teilnahme am Seminar „Liturgische Präsenz“. TOP 3: Bericht des Kassiers TOP 4: Gespräch über die Berichte TOP 5: Bericht des Kassenprüfers Hans Braun TOP 6: Entlastung des Vorstands und des Kassiers (ohne Gegenstimme) TOP 7: Neuwahl des Vorstands Die Wahl des 1. und 2. Vorstands erfolgt schriftlich. 1. Vorsitzender: Christian Schmidt (ohne Gegenstimme, eine Enthaltung). 2. Vorsitzender: Werner Krahnert (ohne Gegenstimme, zwei Enthaltungen). Kassier Theo Scheckel und Geschäftsführer Konrad Müller werden in offener Wahl bestimmt: Keine Gegenstimmen. Ferner werden in den Vorstand gewählt: Thomas Beltinger, Dr. Ruth Engelhardt, Otto 7 Kietzig. TOP 7: Sonstiges Protokoll Thomas Beltinger 8 Der christlich-jüdische Dialog und unser Gottesdienst GABRIELE GRÄTER Im Zusammenhang mit dem Vorentwurf zur Erneuerten Agende (VEA) wurden von einigen Vertretern des christlich-jüdischen Dialogs verschiedene Vorschläge für einen evangelischen Gottesdienst, der diesen Dialog berücksichtigt, vorgelegt. Ich beziehe mich hier besonders auf das sog. KLAK-II-Votum (Konferenz Landeskirchlicher Arbeitskreise Christen und Juden), das uns in der Arbeitshilfe 'Lobe mit Abrahams Samen. Israel im evangelischen Gottesdienst' vorliegt, greife aber auch Äußerungen anderer Autoren auf. Für meine eigene Meinungsfindung habe ich mich auch an der Stellungnahme der Theologischen Ausschüsse von EKU und VELKD zu diesem Thema orientiert (Texte aus der VELKD Nr. 68), die sich mit dem KLAK II - Papier auseinandersetzt. Ich gehe dabei nur auf den evangelischen Gottesdienst ein, nicht auf gemeinsame christlich-jüdische Gottesdienste, für welche andere Kriterien zu diskutieren wären. (siehe dazu Heft Nr. 12 vom KLAK-Arbeitskreis in Heppenheim.) Ein Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs ist es ja nun, darauf aufmerksam zu machen, wo und wie in un- 9 seren Gottesdiensten Antijudaismus in Liedern, Liturgie und Predigt vorkommen kann. Dieses Anliegen ist berechtigt, doch muß zunächst geklärt werden, wie Antijudaismus genau verstanden wird (Wolfgang Kraus): Versteht man darunter alles, was jüdische Menschen, ihren Glauben, ihre Geschichte oder Lebensart herabsetzt, so ist es für Christen selbstverständlich, dass sie, für die der Jude Jesus gestorben und auferstanden ist, solche Diskriminierungen zu vermeiden suchen. Das heißt dann, dass wir z.B. bei der Rede von Pharisäern, von Gesetz, Werkgerechtigkeit u.a. Begriffen genau überlegen, wie wir den gemeinten theologischen Sachverhalt formulieren, ohne den jüdischen Glauben zu verunglimpfen. Versteht man unter Antijudaismus allerdings alles, was uns vom jüdischen Glauben unterscheidet, so ist der Begriff nicht mehr sinnvoll, denn Antijudaismus ließe sich dann nur vermeiden, wenn man das christliche Proprium aufgibt. Einige Vertreter des Dialogs - auch die genannte Arbeitshilfe - scheinen in diese Richtung zu tendieren. Ich persönlich kann hier nicht folgen und möchte dies im folgenden aufzeigen: 1. Evangelischer Gottesdienst in Israels Gegenwart Die Formulierung 'in Israels Gegenwart' ist in die Diskussion eingeführt worden. Mir ist dabei nicht klar, wie das verstanden werden soll: Ist damit gemeint, dass ein 10 christlicher Gottesdienst in allen Stücken so gestaltet ist, dass ein anwesender jüdischer Besucher nicht verletzt oder diskriminiert wird, so kann das nur befürwortet werden. Nach aller Vorarbeit im christlich-jüdischen Dialog ist es, wie gesagt, eine Selbstverständlichkeit. Oder ist gemeint, dass 'Israel' als theologische Größe, gleichsam als Norm, fungiert, und die Kriterien zur Beurteilung des evangelischen Gottesdienstes daraus abgeleitet werden? Der christliche Gottesdienst an 'Israel' gemessen wird? Hier stellt sich dann die Frage, ob diese 'Norm' für uns Christen möglich ist: Welche Gegenwart konstituiert unsern Gottesdienst? Der christliche Gottesdienst findet statt in der Gegenwart Jesu als des gekreuzigten und auferstandenen Herrn, der versprochen hat, unter uns zu sein, wo zwei oder drei in seinem Namen versammelt sind (Mt 18, 20). Er findet außerdem statt in der Gegenwart der versammelten Gemeinde Jesu und im Namen des Dreieinigen Gottes. Das ist für mich die 'Gegenwart', welche die theologischen Kriterien setzt, an denen ein Gottesdienst als christlicher Gottesdienst zu erkennen ist. Insofern der Dreieinige Gott immer auch der Gott Israels ist, kommt 'Israel' als Wurzelgrund und auch 'Gesprächspartner' vor, es ist ein wichtiges Kriterium, aber es ist nicht das einzige Kriterium zur Beurteilung liturgischer Texte. In der genannten Arbeitshilfe wird zudem empfohlen, das Bekenntnis zu Jesus sei so zu sprechen oder zu leben, dass es von Juden als Bekenntnis zum Gott des Sinai ernstgenommen werden kann. Dies ist richtig, aber 11 für mich nicht ausreichend: Das christliche Bekenntnis geht über die Offenbarung Gottes am Sinai hinaus, weil die Christen in Jesus Gott ganz neu und anders erfahren haben: Im Juden Jesus ist Gott Mensch geworden. Und auf Golgatha ist der Gott Israels in Christus gegenwärtig und geht am Kreuz den Weg ins Leiden und in den Tod und erschließt durch den Tod hindurch das neue Leben der Auferstehung. Nach Rm 3, 21ff offenbart sich am Kreuz Jesu die 'alte' Bundestreue Gottes vom Sinai, die schon im Alten Testament inhaltlich mit der Gerechtigkeit Gottes gleichgesetzt wird; sie offenbart sich in Person, denn Christus ist die Gerechtigkeit Gottes, 1.Kor 1,30. In der Selbstoffenbarung Gottes in Kreuz und Auferstehung weitet sich die Erfahrung mit dem Gott Israels zur Erfahrung Gottes im Angesicht Christi - als seinem Ebenbild - zur Erfahrung des Dreieinigen Gottes. Deshalb sind für den christlichen Gottesdienst auch die über die Sinaierfahrung hinausgehenden Erfahrungen grundlegend, die schließlich im biblischen Zeugnis des Neuen Testamentes wie im christlichen Bekenntnis zur Sprache gebracht wurden. Sie sind das Kriterium für die Beurteilung des christlichen Gottesdienstes. Ich meine damit das christliche Bekenntnis in seinen verschiedenen Ausdrucksformen (von den altkirchlichen Bekenntnissen über die der Reformation bis zur Barmer Theologische Erklärung). Es berücksichtigt das Bekenntnis des jüdischen Glaubens, führt aber darüber hinaus. 12 Dabei ist ein Bekenntnis für mich kein toter Besitzstand, sondern Inhalt meines persönlichen Glaubens, wie ich gleich zeigen werde 2. Die Bedeutung der Christologie im christlichen Gottesdienst Es gibt verschiedene Vorschläge zum Umgang mit christologischen Formulierungen im Gottesdienst. Sie versuchen, es jüdischen Zuhörern leicht zu machen, aber sie setzen m.E. eine andere Christologie voraus, eine, die sich einer adoptianischen (oder modernarianischen?), unitarischen Vorstellung annähert. Dies wird deutlich, wenn man z.B. das Gloria Patri in Frage stellt, ebenso das 'Dir sei Ehre in Ewigkeit' gegenüber Christus, oder das gottesdienstliche Gebet zu Christus ablehnt. a. zum Gloria Patri: Es wird vorgeschlagen, die Formulierung "Ehre sei dem Vater durch den Sohn im Hl. Geist" häufiger zu verwenden, bzw den bisherigen Text sogar dadurch zu ersetzen (so der Kölner Ökumenische Studienkreis). Dies heißt für mich, dass die drei Personen der Trinität nicht mehr gleichwertig gesehen werden. Ähnlich empfinde ich, wenn die Ehrbezeigung gegenüber Christus eingeschränkt werden soll. Soll Christus nicht mehr die gleiche Ehre zukommen wie dem Vater? Ab und zu ist eine andere Formulierung natürlich bereichernd und sinnvoll. Aber eine grundsätzliche Infragestellung des Gloria Patri kann ich nicht verantworten. Denn ich habe den Eindruck, hier kippt etwas um, hier 13 wendet sich das berechtigte Anliegen des Dialogs (vielleicht unbeabsichtigt) gegen die Bedeutung der 2. Person der Trinität. Mit dem Beten und Singen des Gloria Patri halte ich aber mein ganzes Leben in den Raum des Dreieinigen Gottes, der mich gleichermaßen geschaffen, erlöst und im Glauben bis hierher erhalten hat. (Im vierten Jahrhundert hatte das Gloria Patri - nach Otto Dietz - während der christologischen Streitigkeiten Bekenntnischarakter). Mir scheint, die 'Wesenseinheit' des Sohnes mit dem Vater, wie immer man das auch heute verstehen kann, wird bei dieser Diskussion grundsätzlich in Frage gestellt. Für mich werden damit auch wichtige Grundaussagen unseres Glaubens, nämlich das nicänokonstantinopolitanische Bekenntnis oder die Auslegung Martin Luthers zum 2. Artikel angerührt, samt den dahinterstehenden biblischen Zeugnissen wie z.B. Phil 2, 5 -11, 2.Kor 5, 19; 1.Joh 5, 20, die ja auf diese ‘Wesenseinheit’ hindeuten. Da stellt sich die Frage: Will man hier über die Liturgie die Christologie ändern? Dann muß man wissen was man tut! Ähnlich sehe ich es, wenn in einem als israelfreundlich bezeichneten Credo (aus der EKHN) die göttliche Natur Christi oder die Gottessohnschaft ganz fehlen; wird der erste Glaubensartikel gegen den zweiten verschoben? Ich persönlich könnte einer Änderung der christologischen Bekenntnisaussagen in der Liturgie nicht zustimmen. 14 Noch einmal: Bekenntnis verstehe ich nicht als unveräußerlichen Besitzstand, sondern als Ausdruck des Glaubens. Für mich persönlich sind gerade die altkirchlichen Bekenntnisse sehr wichtig, weil sie dem Ausdruck geben, was für meinen Glauben an Jesus Christus in der Mitte steht: Dass Christus als wahrer Mensch und wahrer Gott, in Wesenseinheit mit dem Vater, für mich gestorben und auferstanden ist. Denn nur in dem, was hier als 'Wesenseinheit' beschrieben wird, ist sein Werk wirklich für mich und alle Menschen zum Heil geschehen, ist er wirklich der, der mich 'erlöst hat, erworben, gewonnen von allen Sünden, vom Tod und von der Gewalt des Teufels'. (Dogmatisch gesprochen: Die Werke der Trinität nach außen sind ungeteilt.) Etwas einfacher gesagt: Nur wenn ich glauben darf, dass in dem, der am Kreuz gestorben ist und durch den Todesweg hindurchging und auferstanden ist, auch Gott anwesend war, trägt mich das soweit, dass ich auch glauben kann, dass Tod und Hölle wirklich besiegt sind. Dies möchte ich an zwei persönlichen Beispielen aufzeigen: Unser zweites Kind wurde mit einem schweren Herzfehler geboren. Im Alter von 6 Wochen wurde es in der Kinderklinik in Erlangen zu einem schwierigen Eingriff, von dem man nicht wußte, wie er ausgehen würde, geholt und nach unten ins Erdgeschoß gefahren (die Herzstation ist oben im 3ten Stock). Da ging mir immer der eine Satz aus dem Apostolicum ‘hinabgestiegen in das Reich des Todes’ durch den Kopf. Er hat mich getröstet. 15 Ich wußte: Mein Kind ist nicht allein. Christus ist bei ihm, und mit Christus ist Gott selbst “da unten”, auch wenn das “Unten” den Tod bedeuten würde. Als ich dann selber schwer krank wurde mit einem akuten Schub MS, da hatte ich vorübergehend eine spastische Lähmung im rechten Arm - ich lag einige Nächte da wie festgenagelt. Und ich fand wieder Trost nur darin, dass im leidenden, ans Kreuz genagelten Christus mir Gott selbst begegnet, nahe ist - gleichzeitig als Gekreuzigter und Auferstandener. Ich denke an die Anastasis - Ikone der Ostkirche: Da ist Christus, der die Macht hat, den Tod niederzutreten. Von ihm heißt es in der Osterliturgie der Ostkirche: “Christus ist auferstanden von den Toten und hat zertreten im Tod den Tod ...” und in einem Abendmahlsgebet der Chrysostomusliturgie: “ ..im Grabe warst du mit dem Fleische, im Totenreich warst du mit der Seele als Gott...”. Jürgen Moltmann spricht in seinem für mich immer noch wichtigen Buch vom “Gekreuzigten Gott.” Bilder, Sprachversuche, die ausdrücken wollen, wie Christus durch die Anwesenheit Gottes in seinem Sterben für uns 'der einzige Trost im Leben und im Sterben' ist. Deshalb ist für mich das Nizänum eines der großartigsten Aussagen der Christenheit: “Gott von Gott, Licht vom Licht, wahrer Gott vom wahren Gott, eines Wesens mit dem Vater...und ist Mensch geworden ...” Da ist die Trinitätslehre für mich keine bloße trockene Dogmatik, 16 sondern wirklicher Trost im Leiden bis in den Tod hinein. Wer hier die Grundlagen ändert, reduziert Christus, nimmt ihm seine Bedeutung, nimmt uns (so empfinde ich es) diesen Trost, dass in ihm Gott selbst Tod und Hölle besiegt hat. Ich möchte dies abschließen mit einem Hymnus, mit dem die Christen der Ostkirche bei jeder Eucharistie die Dreieinigkeit loben: “Gesehen haben wir das wahre Licht, empfangen den himmlischen Geist, gefunden haben wir den wahren Glauben in der Anbetung der unteilbaren Dreiheit, denn sie hat uns errettet.” b. die Bedeutung Christi scheint mir nun auch eingeschränkt, wenn das Agnus Dei ('der du trägst die Sünd der Welt') zum Problem wird. (Quelle: R. Morath, Vortrag zur Eröffnung des Jahresthemas “Christen und Juden” im Herbst 97; bei Gesprächen mit der KLAK wurde ihm die Kritik am Agnus Dei vorgetragen.) Das Agnus Dei wird problematisiert, weil es die Erlösung durch Christus für die ganze Welt, also auch für Menschen jüdischen Glaubens, ausspricht. Hier geht es ebenfalls um entscheidende Grundlagen unseres Glaubens: Ist Christus für alle Menschen gestorben und auferstanden, oder nur für einen Teil? Nur für den nicht-jüdischen Teil? Hat er für Menschen jüdischer Abstammung oder jüdischen Glaubens keine Heilsbedeutung, sind für sie Tod und Hölle nicht besiegt - “Tod, wo 17 ist dein Stachel, Hölle, wo ist dein Sieg?”. Sind dann auch die Einsetzungsworte betroffen, wo das “für euch gegeben” sich ja an seine jüdischen Jünger richtet, ebenso die Rede vom “Blut des neuen Bundes ”? Können wir dann den Abschnitt im Nicänum noch beten, wo es heißt: “Für uns Menschen und zu unserem Heil ist er vom Himmel gekommen ... Er wurde für uns gekreuzigt ...” Hier kann ich ein großes theologisches Problem jetzt nur andeuten, denn das wäre ein eigenes Tagungsthema: Gilt das Heil in Christus allen Menschen, oder ist es abhängig von der Abstammung bzw der Zugehörigkeit zu einer Glaubensgemeinschaft? Ist es abhängig von einem menschlichen Faktum, also der Zugehörigkeit zum Nichtjudentum? Ist Christus wirklich nur für Nichtjuden gestorben und auferstanden? Wird das Heil aber abhängig gemacht von einer menschlichen Voraussetzung, • so ist erstens unsere Heilsgewißheit dahin (denn wer weiß genau um seine Abstammung?) • und zweitens wird die Bedeutung Christi unklar, wenn nicht überhaupt in Frage gestellt. Wieso mußte er dann für Nichtjuden sterben und für Juden nicht? Können wir Christen uns auf die sog. 2 Wege - Lehre von Franz Rosenzweig (das jüdische Volk kommt ohne Christus zum Vater, ist schon bei ihm; die Nichtjuden 18 kommen nur durch Christus zu ihm) einlassen? Ich sehe hier Probleme, wenn man sie als christliche Sichtweise aufnehmen will. Als Überlegung aus jüdischer Sicht kann ich sie stehen lassen. Bei der Frage nach dem Agnus Dei geht es also um die Grundfragen des Heils und der Rechtfertigung, die Paulus und Luther so umgetrieben haben. 3. Das Gebet zu Christus Hier stoßen wir auf ein emotional schwieriges Thema: Für mich ist die persönliche Christusbeziehung betroffen, wenn z.B. das Gebet zu Christus in direkter Anrede im öffentlichen Gottesdienst unterlassen werden soll, wie es in der genannten Arbeitshilfe, aber auch von anderen evangelischen Kollegen empfohlen wird. Ich empfinde das als Infragestellung meines persönlichen Glaubens, und auch des Glaubens der Christenheit von Anfang an: Wo Menschen die Nähe des Auferstandenen erfuhren, antworteten sie mit Anrufung und Anbetung zu ihm hin, schon im Neuen Testament: z.B. Thomas, Joh 20, 28; die Jünger alle, Lk 24,52; Stephanus, Apg 7,59f; und Paulus, 2.Kor.12,8f, und die Ältesten in Offb 5. Natürlich entwickelt sich dies erst nach der Auferstehung, als Antwort gewissermaßen. Und Jesus sagt nach Johannes: “Damit sie alle den Sohn ehren, wie sie den Vater ehren. Wer den Sohn nicht ehrt, ehrt den Vater nicht, der ihn gesandt hat” (Joh 5, 23). 19 Wir finden die gottesdienstliche Anbetung Christi im Lauf der Geschichte deutlich bezeugt: • in den Christus-Hymnen des Mittelalters, z.B. im Morgengebet: “Du Gott des Lichts, dem Vater gleich ...” und z.B. im Hymnus des Herman von Reichenau, "Christus Vita Mea ... " - • in den Liedern Paul Gerhardts: O Haupt voll Blut und Wunden ..., Ich steh an deiner Krippen hier ..., O Welt, sieh hier dein Leben ... Ein Lämmlein geht... • z.B. bei G.Tersteegen, Für dich sei ganz mein Herz und Leben ... • und in vielen andern Liedern: Mein schönste Zier, O Christe Morgensterne, Ehre sei Dir Christe, Jesu meine Freude ... - Wir haben hier eine ganz tiefe Tradition der Anbetung Christi, z.B. auch in der katholischen Kirche im Christus -Rosenkranz (Romano Guardini), und im Herzensgebet der Ostkirche. In der ostkirchlichen Liturgie hat die Anbetung und Anrufung Christi einen besonderen Stellenwert: "Ehre sei dir, Christus, Gott, unsere Hoffnung, Ehre sei dir...Du unser wahrer Gott " heißt es in immer wiederkehrenden Gebetsrufen. Wer hier aussteigt, verläßt auch den Strom ökumenischen Betens, in dem der Sohn mit dem Vater im Heiligen Geist geehrt wird. Ich kann es nicht. 20 Für meinen Glauben kann ich mit Joh 20,28, dem Thomasbekenntnis, zu Christus sagen: "Mein Herr und mein Gott" : Thomas sagt es zu dem gekreuzigten Auferstandenen. Es ist eine Grundaussage auch meines persönlichen Glaubens: “Mein” - das berührt die persönliche Beziehung zu Christus: Ich höre die Frage an Petrus: Hast du mich lieb? Dabei ist die innere Beziehung zu Christus ein Weg, sie ist mal mehr, mal weniger deutlich, aber sie ist für mich das entscheidende Element meines Glaubens. “mein Herr”: Der Herrentitel ist der Titel der Befreiung (schon im AT), der Auferstehung, ein Hoheitstitel für den, der Krankheit und Tod besiegt hat, sogar meine Schuld: Es ist ein Trost, dass Er der Herr ist, und sonst keiner! Und weil es der Titel auch des Gottes Israels ist, wird hier am Ende des Johannesevangeliums für mich schon das Bekenntnis zur Dreieinigkeit spürbar. Ähnliches gilt für den Philipperhymnus: Mit der Auferstehung (und Himmelfahrt) wird die Gottesanrede an den Vater auch auf den Sohn übertragen, weil in Ihm die Herrlichkeit, die Kabod des Vaters, sichtbar wurde. (Wilckens im neuen Johannes-Kommentar setzt Joh 20, 28 zu Dtn 6, 4 in Beziehung). “und mein Gott”: Es geht nicht nur um die Beziehung von mir zu Ihm, sondern auch um "mein Gott" als die vertraute Anrede der Psalmen. Das bedeutet, Er, Christus, ist der "Gott für mich". ‘Mein’ drückt hier das 'pro nobis' aus. 21 Ja, und so ist in Joh 20, 28 für mich der Anfang christologischen Bekennens sichtbar, der Anbetung Christi und gleichzeitig der Anbetung des Vaters im Sohn. Christus, mein Herr und mein Gott - darin liegt für mich der Halt im Leben. Zum Abschluß möchte ich noch einmal betonen, dass ich keineswegs die Bedeutung des christlich-jüdischen Dialogs schmälern will. Er ist wichtig und soll weiter der Versöhnung zwischen Juden und Christen dienen und unsere Aufmerksamkeit schärfen für angemessene Rede im Gottesdienst. Mir geht es um eines bzw um den Einen: Dass Jesus Christus nicht in seiner Bedeutung reduziert und der Glaube an Ihn nicht verkürzt werden darf. Er ist die Mitte kirchlichen Redens und liturgischen Handelns, bitten wir darum, dass wir Ihn weiterhin als diese Mitte bezeugen können. Anmerkung: Das Manuskript stimmt nicht ganz mit dem Vortrag überein, da dieser am 2.7.99 relativ frei gehalten wurde. 22 Literaturhinweise • "Lobe mit Abrahams Samen". Israel im evangelischen Gottesdienst. Eine Arbeitshilfe, Mai 1995, zu beziehen über den Verein 'Begegnung von Christen und Juden' (BCJ) in Neuendettelsau. • Arbeitshilfen zum Israelsonntag 1996, 97 und 98, erhältlich ebenfalls beim Verein BCJ. • Texte aus der VELKD Nr. 68/ 1996, Das Anliegen des christlich-jüdischen Dialogs und der christliche Gottesdienst, (Stellungnahme der Theologischen Ausschüsse von EKU und VELKD), zu beziehen beim Lutherischen Kirchenamt der VELKD in Hannover. • Die Arbeitsmappe zum Schwerpunktjahr der Bayerischen Landeskirche 'Christen und Juden', zu beziehen z.B. beim Dekanat Nürnberg. • Eine Materialsammlung aus dem Bereich der Reformierten Kirche (Informationen dazu bei Pfr. D. Krabbe, Nürnberg - St. Martha). • Christen und Juden, Perspektiven einer Annäherung, ed. Wolfgang Kraus, Kaiser Vlg. Gütersloh 1997 23 Konsequenzen aus dem jüdisch-christlichen Dialog für den Gottesdienst HANS-JÜRGEN MÜLLER I. Einleitung Wenn der jüdisch-christliche Dialog eine von den Kirchen ernst gemeinte Sache sein soll und den hehren Erklärungen (Landeskirchen und EKD-Studien) zu dem Thema auch Taten folgen sollen, dann bedarf es auch ernster Konsequenzen auf den Praxisfeldern kirchlichen Handelns, sprich: insbesondere auf den Gebieten Unterricht und Gottesdienst. Wichtige Voraussetzung für eine Umkehrbewegung innerhalb der Kirchen ist m. E. zu begreifen, was Heinz Kremers bereits Anfang der 60er Jahre nicht müde wurde zu betonen: beim Thema Christen und Juden, bei der Aufarbeitung des jahrhundertealten Antijudaismus geht es nicht allein um eine Rehabilitation Israels - um das natürlich auch -, sondern vor allem um eine Rehabilitation der eigenen christlichen Theologie. Dort, wo antijüdisch geredet wird, werden nicht nur Juden diskriminiert, sondern letztlich fällt der Apfel nicht weit vom Baum, letztlich befleckt sich das Christentum selbst. Antijüdische Rede schmälert den, den wir als unseren Herrn bezeugen und der eben als Jude gelebt und gehandelt hat und als solcher gestorben ist. Deshalb 24 ist nur zu begrüßen, dass die Präambel der Erklärung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern darauf abhebt, dass das Thema Juden und Christen in die Mitte des christlichen Glaubens führt. II. Gottesdienst in Israels Gegenwart Ich möchte dieses Stichwort zunächst aufgreifen und verdeutlichen, um was es hierbei geht. Grundlage für das Kurzreferat ist die von der Konferenz der landeskirchlichen Arbeitskreise Kirche und Judentum in Zusammenarbeit mit dem Evangelisch-lutherischen Zentralverein für Dienst und Zeugnis unter Juden und Christen herausgegebene Broschüre ‘Lobe mit Abrahams Samen’. Ich möchte das Anliegen dieser Broschüre anhand der drei Hauptwörter ‘Gottesdienst, Israel und Gegenwart’ erläutern. In einem zweiten Schritt gehe ich zwei theologischen Leitlinien dieser Broschüre etwas genauer nach. Für das Thema alttestamentliche Texte im christlichen Gottesdienst verweise ich auf das Referat von Prof. von der Osten-Sacken. Kurz streife ich abschließend das Problem der Aufnahme von jüdischen Gebeten im christlichen Gottesdienst. • Gottesdienst Es geht um den christlichen Gottesdienst. Im Zentrum des christlichen Gottesdienstes geht es um das Bekenntnis zu dem Dreieinigen Gott, entfaltet in Lob, Gebet, Predigt. “Dabei dienen ... (die) trinitarischen Formen der Entfaltung von Bekenntnis und Lobpreis des Einen Gottes, der als Schöpfer, Offenbarer und Erlöser zugleich der Gott Israels und der Vater Jesu Christi ist.” (siehe auch Abschnitt: Der eine Gott) Gottesdienst in Israels 25 Gegenwart will also nicht christlichen Gottesdienst seines Zentrums und Propriums berauben. Im Gegenteil: der jahrhundertelange Antijudaismus hat auch christliches Selbstverständnis verdunkelt und es gilt nun dieses so auszudrücken, dass das gegenwärtige Judentum nicht abgewertet oder verzeichnet wird. Das heißt nicht, dass die Unterschiede zwischen Juden/Jüdinnen und Christen/Christinnen aufgehoben werden sollen, aufgehoben werden sollen Diskriminierungen des Anderen. Hierzu braucht es aber die Bereitschaft auf christlicher Seite, auch Gewohntes auf den Prüfstand zu stellen. • Christlicher Glaube steht immer in Beziehung zum Judentum (Stichwort: Israel) Von daher haben diejenigen, die sich mit dem Dialog befassen, verstärkt darauf gedrungen, die impliziten Antijudaismen zu bearbeiten. Es geht also nicht darum, zu den verschiedenen Themen, mit denen Gemeindepfarrer und Religionslehrer konfrontiert werden, ein weiteres hinzuzufügen, sondern bei allem Reden und Denken über den eigenen Glauben sich klar darüber zu sein und zu werden, dass wir unseren christlichen Glauben nur in Beziehung zum Judentum ausdrücken können. Von daher ist nicht die Frage, ob wir dieses Thema berücksichtigen, sondern nur die Frage nach dem Wie. • Judentum als gegenwärtiges Judentum Wenn ich hier von Judentum spreche und von ‘Gottesdienst in Israels Gegenwart’, dann heißt das natürlich auch, dass Judentum als eine Größe verstanden wird, die sich bis in unsere Tage fortentwickelt hat und in unseren Tagen eine lebendige vom Christentum unterschiedene 26 Religion ist. Christentum hat das Judentum nicht abgelöst, sondern beide, Judentum und Christentum haben sich sozusagen aus dem antiken Judentum heraus entwickelt. Das Schlagwort ‘Gottesdienst in Israels Gegenwart’ will also auch betonen, dass wir es hier nicht mit einer musealen Größe zu tun haben, sondern mit einer höchst lebendigen, in sich auch wiederum höchst unterschiedlichen Größe. III. Theologische Leitlinien DIE BLEIBENDE ERWÄHLUNG ISRAELS Als Konsens in den verschiedenen Erklärungen nach dem zweiten Vaticanum wird in der EKD-Studie ‘Christen und Juden II’ die Rede von der bleibenden Erwählung Israels genannt. Auch die Erklärung der evangelisch-lutherischen Kirche in Bayern hat diese theologische Sicht zum Inhalt: “Nach gesamtbiblischem Zeugnis hat Gott das jüdische Volk bleibend zu sich in Beziehung gesetzt.” Was das bedeutet, charakterisiert Rolf Rendtorff zutreffend: “Es geht nicht mehr darum, von der christlichen Theologie aus Israel zu definieren und damit einen Platz für Israel im christlichen Denkgebäude zu finden, sondern vielmehr darum, angesichts des Weiterbestehens des biblischen Israel die Kirche zu definieren, ohne dabei mit den biblisch unverändert gültigen Aussagen über Israel in Konflikt zu kommen.” Das hat für unsere Gottesdienstgestaltung Folgen. a) Kirche ist nicht Israel - Eigenständige Fortexistenz Israels Wir können nicht von der Kirche als dem wahren Israel sprechen. Die Kirche löst Israel nicht ab, ebenso ersetzt 27 die Kirche nicht Israel. Israel als Volk der Juden existiert hingegen bis heute weiter, und zwar als eine eigenständige Religion mit dem Selbstanspruch, nicht defizitär zu sein. Ich tue mir daher schwer, wenn biblische Aussagen, die an Israel gerichtet sind, bruchlos auf die Kirche übertragen werden, ohne dessen eingedenk zu sein, dass hier das jüdische Volk zuerst gemeint ist. Von Bedeutung ist dies zum Beispiel in Abendmahlsgebeten. In den Gebeten ist der Raum gegeben, die Geschichte Gottes von den Anfängen mit aufzunehmen. Dieses m.E. sehr positive Moment verkehrt sich dann aber flugs in problematische Aussagen, wenn die Geschichte Israels bestenfalls die Vorhalle für das angeblich Eigentliche sei (z.B., wenn auf die Größen Israel und Christus das Schema Verheißung und Erfüllung angewendet wird). Wie es anders gehen kann, will ich an folgenden zwei Beispielen zeige. Das erste Beispiel ist einer ganz und gar unverdächtigen Quelle entnommen, nämlich der Ordnungen der Gottesdienste an Sonn- und Feiertagen, die jeder Pfarrer und jede Pfarrerin in Bayern von der Landeskirche erhalten hat. In der Präfation wird sehr schön aufgenommen, dass Jesus Christus zum einen die Verheißungen an Israel bestätigt hat (vgl. Röm 15,8) und dass er desweiteren die Menschen aus den Völkern zu seiner Gemeinde gerufen hat. Sehr gelungen ist in diesem Gebet auch, dass der Begriff Volk für Israel bleibt und für die Kirche der Begriff Gemeinde gewählt wird. “Wahrhaft würdig ist es und recht, dass wir dich, heiliger Herr, allmächtiger Vater, ewiger Gott, zu allen Zeiten und an allen Orten loben und dir danken durch Jesus Christus, deinen Knecht und un- 28 sern Herrn.” “In ihm hast du die Verheißung bestätigt, die du Israel, deinem Volk gegeben hast. Durch ihn hast du Menschen aus allen Völkern zu deiner Gemeinde gerufen, damit sie dir zu Ehren leben und deinen Ruhm auf Erden verkündigen.” “Darum loben die Engel deine Herrlichkeit, beten dich an die Mächte und fürchten dich alle Gewalten. Dich preisen die Kräfte des Himmels mit einhelligem Jubel. Mit ihnen vereinen auch wir unsere Stimmen und lobsingen ohne Ende: Heilig.....” Das zweite Beispiel nimmt ein Gebet aus dem römischen Meßkanon auf. Dieses Gebet wird an zwei Stellen leicht bearbeitet, so dass nicht mit dem heilsgeschichtlichen Lobpreis zugleich der Ausschluss des jüdischen Volkes behauptet wird. Wahrhaft heilig bist du, o Gott, Quelle allen Lebens. Du bringst Licht aus der Finsternis, Leben aus dem Tod hervor, Wort aus dem Schweigen. Wir danken dir für unser Leben und für die Welt, die du uns gegeben hast. Wir danken dir für die Welt, die kommt, und für die Liebe, die alles durchdringen wird. Wir preisen dich für die Gnade, die du Israel erwiesen hast, deinem erwählten Volk, und nun wird hinzugefügt: und für die Treue, in der du es bewahrst: 29 [für die Errettung aus Ägypten, für die Gabe des verheißenen Landes, für die Heimkehr aus der Gefangenschaft und für die Worte der Propheten, die nicht verloren sind]. Diese Sätze klammert der Entwurf zur Erneuerten Agende interessanterweise ein und setzt dann nach der Reminiszenz an die ehedem erwiesene Gnade an Israel so fort: “Wir preisen dich für deinen eingeborenen Sohn, der alle deine Verheißungen erfüllt hat und erfüllen wird. ” Für Israel bleibt nahezu kein Raum mehr, so wie auch ich selbst versuche noch nach Luft zu schnappen. Wenn doch schon alles erfüllt ist, wo haben dann noch meine Zweifel, meine Klage und mein Seufzen an der Schöpfung ihren Platz? Ein kleines Türchen der Hoffnung liegt darin begründet, dass er, Christus, noch alles erfüllt wird. Was deutlich wird: Wo Israel keinen Raum hat, hat auch die Schöpfung mit ihrem Leiden nur wenig Raum. Mit kleinen Veränderungen, wie sie in dem Heft “Lobe mit Abrahams Samen” vorgenommen ist, lässt sich solches Reden vermeiden. “Wir preisen dich durch Jesus Christus, durch den du uns berufen hast aus allen Völkern zu Miterben deiner Verheißungen. ... Durch ihn und mit ihm und in ihm ist dir, Gott, allmächtiger Vater, in der Einheit des Heiligen Geistes alle Herrlichkeit und Ehre in Ewigkeit. Amen. ” b) Volk Gottes Bei einem Begriff wie Volk Gottes müssen wir uns im 30 Klaren darüber sein, dass das auch eine Selbstbezeichnung des Volkes Israel ist. Kirche kann diesen Begriff nicht unhinterfragt ausschließlich für sich beanspruchen, ebenso ist die Rede von zwei unterschiedlichen Gottesvölkern wenig tauglich. Die Bezeichnung ‘Volk Gottes’ stellt vielleicht am deutlichsten das Dilemma heraus, eine korrekte Verhältnisbestimmung zwischen beiden, Judentum und Christentum, auszudrücken. Zugleich ist daran zu erinnern, dass die Bezeichnung ‘Volk Gottes’ wichtige Neuansätze in der Kirche ermöglicht hat (Aufwertung des Kirchenvolkes gegenüber der Hierarchie; Befreiungstheologien, die mit der Vokabel vom Volk Gottes die Exodustradition aufnehmen). Wenn Christen diesen Begriff für sich reklamieren, dann darf nicht der Eindruck entstehen, als ob sie mit diesem Begriff Israel wiederum enterben. Als Beispiel siehe obigen Gebrauch. c) Keine Bekehrungsversuche gegenüber Israel Bleibende Erwählung Israels bedeutet nicht zuletzt eine Absage an alle Versuche, den jüdischen Glaubens- und Lebensweg infragezustellen, also an alle Versuche, unter Missachtung des jüdischen Glaubens- und Lebensweges, Juden zu Christen machen zu wollen (Erklärung des Evang.-Luth. Zentralvereins). Das stellt alle Gebete infrage, die auf eine Bekehrung Israels ausgerichtet sind. An die Stelle des Gebets um Umkehr und Bekehrung Israels tritt das Bekenntnis der Schuld der Christenheit gegenüber dem jüdischen Volk, der Dank für die Vertiefung des eigenen Glaubens in der Begegnung mit dem Judentum, die Fürbitte für das jüdische Volk in Israel und in der Diaspora. In dem Entwurf zur Erneuerten 31 Agende finden sich hierzu taugliche wie auch m.E. untaugliche Versuche. (vgl. S. 279 Nr. 165 und S. 429 Nr. 299) d) Absage an alle Antijudaismen Bleibende Erwählung Israels bedeutet eine Absage an alle Diffamierungen, Diskriminierungen und Abwertungen des Judentums. Hierzu seien nur zwei Stichworte gesagt: Noch immer wird das Judentum allzu gern als gesetzlich und hartherzig gegenüber einem liebevollen Christentum bezeichnet. Solche Bezeichnung geht am Selbstverständnis Israels vorbei. Die Tora ist hingegen vereinfacht gesagt - die gute Weisung Gottes für sein Volk (gerecht, gut und heilig), deren Ausführungen das Leben im Alltag nach dem Willen Gottes gestalten helfen sollen. Ebenso finden sich in Predigten immer wieder die Gegenüberstellung und Aufteilung eines Gottes des Gerichtes, der Rache und Vergeltung als Charakterisierung des Gottes des Alten Testamentes und eines Gottes der Liebe und der Barmherzigkeit als Charakterisierung des Gottes des Nenen Testamentes. Welche Schriften hier gelesen werden, ist mir unklar und wie das zu der Überzeugung des einen Gottes passen soll, ist mir unverständlich. Damit komme ich zu der zweiten wichtigen Leitlinie. DER EINE GOTT Der christliche Gottesdienst geschieht im Namen des Dreieinigen Gottes. Der Dialog mit Juden und Jüdinnen hat den christlichen Dialogpartnern wieder stärker ins Bewusstsein gerückt, dass die trinitarischen Formen der Entfaltung von Bekenntnis und Lobpreis des Einen Got- 32 tes dienen sollen, also des einen Gottes, der als Schöpfer, Offenbarer und Erlöser zugleich der Gott Israels und der Vater Jesu Christi ist. Die Betonung der Einzigkeit und Unvergleichlichkeit Gottes erscheint mir in unseren Tagen dringender geboten als vielleicht noch zu früheren Zeiten. Zum einen aufgrund der oben genannten Aufteilung Gottes in einen Rachegott und in einen barmherzigen Gott - dieses Bild von letztlich zwei Göttern hat sehr viel mehr Verbreitung als wir uns vorstellen können, zu denken ist an das populärwissenschaftliche Buch von Franz Alt ‘Jesus der erste neue Mann’ - zum anderen aber auch wegen nicht mehr trinitarisch eingebetteter Formeln wie Jesus ist Gott. Dies finde ich bereits im Kindergarten von seiten der Erzieherinnen ebenso wie in manchen christlichen Kreisen, in denen die Verehrung Jesu den verdrängt oder zumindest verdunkelt, der ihn gesandt hat. Entfaltet heißt das, dass Jesus und Gott nicht einfach gleichgesetzt werden können, sondern dass das trinitarische Reden wohl doch meint, hier in dieser Person Jesus begegnet uns wahrhaft Gott. Gott ist das Subjekt. Zu erinnern ist in diesem Zusammenhang auch, dass Jesus selbst die Einzigkeit Gottes bezeugt, dem allein Anbetung, Liebe und Dienen gelten sollen (vgl. Mk 12, 28-34) Folgerungen Für den christlichen Gottesdienst bedeutet dies: a) Betonung der Einzigkeit Gottes eine verstärkte Betonung des Subjekts, des einen Gottes, um die Dreieinigkeit zu betonen. Dies kann zum Beispiel am Anfang des Gottesdienstes geschehen: 33 Im Namen des einen Gottes, des Vaters und des Sohnes und des Heiligen Geistes. Vater, Sohn und Heiliger Geist können, wenn das gewünscht wird, noch weiter entfaltet werden, also z.B.: Im Namen des einen Gottes, im Namen des Vaters, der Himmel und Erde geschaffen hat und Israel zu seinem Volk gemacht hat im Namen des Sohnes, Erstgeborener aus den Toten, der uns herbeigeführt hat aus der Fremde, im Namen des Heiligen Geistes, der uns hilft, zu glauben, zu hoffen und zu lieben. Ebenso kann dies dann und wann beim Gloria patri betont werden: Ehre sei dem Vater und dem Sohn und dem Heiligen Geist: dem einen Gott in Ewigkeit. Christlicher Gottesdienst im Horizont des jüdischchristlichen Gesprächs könnte die Richtung unseres Lobpreises verdeutlichen helfen: nämlich zur Ehre Gottes. b) Fragen zum Gebet zu Jesus In diesem Zusammenhang angesprochen werden müssen die Gebete, die sich in ihrer Anrede allein an Jesus wenden. “Die isolierten Christusgebete tendieren dazu, Jesus ohne trinitarische Einbettung als Gott zu bezeichnen und nicht als Sohn Gottes oder Gott der Sohn.” Es soll hier im strengen Sinn um das Gemeindegebet gehen, nicht um Anrufungen Jesu Christi wie sie im Rahmen des Kyrie oder des Agnus Dei geschehen oder auch im privaten 34 Gebet. Bei den im öffentlichen Gottesdienst vorgetragenen Gebeten wäre es wünschenswert, die neutestamentlich-altkirchliche Tradition aufrechtzuerhalten: Das Gemeindegebet an Gott den Vater richten durch Jesus Christus im Heiligen Geist. “Als Gebet im Heiligen Geist durch Jesus Christus zu Gott dem Vater ist es die dem Handeln Gottes spiegelbildlich korrespondierende Antwort der Gemeinde, ein Akt der Hingabe, in dem sich die Gemeinde jener Dynamik der Sendung gemäß zurückholen lässt: im Heiligen Geist durch Jesus Christus zu Gott.” (Gott handelt duch den Sohn im Heiligen Geist, und die Bewegung dieser Sendung zielt auf eine bleibende Zuwendung). ALTTESTAMENTLICHE TEXTE IM CHRISTLICHEN GOTTESDIENST Altes Testament sollte in seinem Eigenwert stärkere Beachtung finden, verstärkt sollten Predigttexte aus dem Alten Testament herangezogen werden und zwar auch Texte, die Israels Selbstverständnis berühren. Bei Lesungen aus dem Alten Testament könnte der Vorschlag von Prof. von der Osten-Sacken aufgenommen werden, indem diese eingeleitet werden mit einem Satz wie diesem: “Wir hören aus dem Teil der Schrift, den Juden und Christen miteinander teilen.” Wünschenswert wäre, wenn die alttestamentliche Lesung wieder ihren festen Platz im Gottesdienst einnehmen würde, insbesondere in den beiden Jahren, in denen unsere Perikopenordnung keine alttestamentlichen Predigttexte vorsieht (Reihe I und II). Alles weitere hierzu 35 siehe das Referat von Prof. von der Osten-Sacken (Anm. der Red.: Das Referat soll im nächsten Mitteilungsblatt abgedruckt werden.) JÜDISCHE GEBETE IM CHRISTLICHEN GOTTESDIENST Von jüdischen Gebeten können wir gewiss viel lernen. Am stärksten atmen unsere Abendmahlsgebete noch die Atmosphäre jüdischer Gebete; zu lernen ist hier die Vielfalt, mit der Gott im Gebet gut genannt wird und welchen breiten Raum die Schöpfung einnimmt. Aber: Vorsicht. Wenn jüdische Gebete verwendet werden, dann sollten sie auch als solche gekennzeichnet werden, andernfalls droht durch Vereinnahmung erneute Enterbung Israels (hierzu auch sehr hilfreich die Arbeitshilfe ‘Gemeinsame christlich-jüdische Gottesdienste?’, hg. von Arnulf H. Baumann u. Ulrich Schwemer) 36 Fragen für die Arbeitsgruppen Leitendes Motiv für eine Erneuerung des Verhältnisses von Christentum und Judentum wurde die Formel von der bleibenden Erwählung Israels. Welche Assoziationen verbinde ich damit? Was bedeutet mir diese veränderte theologische Sicht? Wo kann ich mir vorstellen, Konsequenzen für meine Praxis zu ziehen? Die Betonung des einen und einzigen Gottes durch diejenigen, die im jüdisch-christlichen Dialog engagiert sind, hat u.a. seine tiefere Ursache darin, dass im Verlauf der Kirchengeschichte es immer wieder die Gefahr gegeben hat, dies nicht aufrechtzuerhalten (Z. B. Marcion). Was bedeutet mir die Rede von dem einzigen Gott? Wie bekomme ich die Rede von dem einen Gott und der christlichen Lehre der Dreieinigkeit überein? Gibt es in diesem Zusammenhang offene Fragen für mich? Welche Rolle spielt für mich die Gebetsanrede? Wie gehe ich mit dem Alten Testament um? Wie oft lasse ich aus dem Alten Testament im Gottesdienst lesen? Warum? Sind mir jüdische Gebete bekannt? Wenn ja, was spricht mich an, was nicht? Habe ich jüdische Gebete im Gottesdienst verwendet? Wenn ja, wie erscheint mir das angemessen? 37