Predigt über Jesaja 53,1

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Pastor Rudolf Blümcke,
Krasnojarsk
Karfreitag
Predigttext: Jes 53,1-5
Der Text: Aber wer glaubt dem, was uns verkündet wurde, und wem ist der Arm des Herrn
offenbart? Er schoß auf vor ihm wie ein Reis und wie eine Wurzel aus dürrem Erdreich. Er
hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die uns gefallen
hätte. Er war der Allerverachtetste und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Er war
so verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg; darum haben wir ihn für nichts
geachtet.
Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen. Wir aber hielten ihn
für den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre. Aber er ist um unserer
Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Die Strafe liegt auf ihm,
auf daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt.
Der Prophet Jesaja lebte ungefähr 700 Jahre vor unserer Zeitrechnung, 700 Jahre vor Jesu
Geburt und er ist der Prophet, von dem uns am meisten überliefert wird. Man kann sagen, daß
mit dieser Botschaft, die wir heute von Jesaja hören das Alte Testament an eine Grenze
gekommen ist. Deutlich springen die Funken zum Neuen Testament über. Wir stehen vor dem
unheimlichen Rätsel wirklicher Prophetie. Mitten in der Nacht der Welt ist der Prophet schon
wach und er reckt die Hand schon aus in der Richtung, in der die Sonne aufgehen wird. Ihm
ist das Geheimnis schon enthüllt, wo die anderen noch nichts sehen können und in der
Dunkelheit herumtappen. Ihm ist eine Predigt anvertraut, für die wirklich Glaube erforderlich
ist. Eine unglaubliche Predigt von zukünftigem Heil, von Frieden mit Gott, von
stellvertretendem Leiden und vom Sterben eines Menschen ohne Namen. Aber wer glaubt
dieser Predigt? Und wem ist der Arm Gottes in dieser Predigt offenbart? Wer wird es
glauben, daß diese Predigt von dem Leidenden, der unsere Krankheit trägt wahr ist?
Nun fällt auf, daß der Leidende, von dem Jesaja erzählt, auf den er zeigt, daß dieser Leidende
keinen Namen hat. Und es ist viel gerätselt worden, wer denn das nun ist, ist es ein einzelner
Mensch, oder ist damit vielleicht auch ein ganzes Volk gemeint, das stellvertretend für die
Welt leidet? Das Volk Israel hat sich oft so verstanden. Manche Gelehrte haben sogar gesagt:
Er ist beides zugleich, er ist der Einzelne und das Volk in einem. So wie Adam auch zugleich
einer war und das gesamte Menschengeschlecht in einem. Ist er also ein neuer Adam? Jesaja
hatte bestimmt seine Gründe, warum er den Namen dieses Leidenden nicht nennt. Er wußte
eben nur, daß er kommen würde, aber er kannte noch nicht seinen Namen. Der Name, der
über allen Namen ist, der bleibt ihm noch verborgen.
Aber Jesaja weiß genug von ihm. Er weiß, daß er das Gegenteil dessen ist, was sich die
Menschen unter dem Erwarteten vorstellen. Die Erwartungen waren damals wie heute die
gleichen. Wenn es um das zukünftige Heil, um den Frieden in der Welt geht, dann erwarten
wir Menschen einen Starken, einen König, der uns aus allem Jammer und Elend herausführt.
Wir haben sofort Bilder von Mächtigen und Herrschern im Kopf, Menschen mit Einfluß und
Ansehen. Gerade so ist er nicht, der Leidende. Er schoß auf vor Gott wie ein Reis und wie eine
Wurzel aus dürrem Erdreich. Das ist ja ein Hoffnungszeichen, da kommt ein junger Sproß aus
der vertrockneten Erde, ein neues Leben, wo alles tot zu sein schien. Aber wenn wir näher
hinsehen: Er hatte keine Gestalt und Hoheit. Wir sahen ihn, aber da war keine Gestalt, die
uns gefallen hätte. Jesaja, das kann doch nicht dein Ernst sein, so eine arme Figur, der soll die
Welt retten, der soll uns das Heil bringen, das ist ja lächerlich. Er war der Allerverachtetste
und Unwerteste, voller Schmerzen und Krankheit. Ja, ihr habt richtig gehört, diesen
Verachteten bietet Gott uns an. Und den wollen wir nicht, den können wir nicht leiden, das
muß doch nun wirklich nicht sein. Einen voller Schmerzen und Krankheit, den wollen wir
nicht sehen. Der wird besser vor den Augen der Öffentlichkeit versteckt, in einem
Krankenhaus oder in einem Behindertenheim, wo ihn keiner mehr sehen kann. Er war so
verachtet, daß man das Angesicht vor ihm verbarg. Merkt ihr, wie unheimlich diese Predigt
des Jesaja ist? Wer glaubt denn dieser Predigt?
Seid doch einmal ehrlich, was geht euch durch den Kopf, wenn ihr so einen kranken, elenden
Menschen seht? Wenn ihr den Mann seht, der betrunken im Dreck an der Bushaltestelle liegt,
wenn ihr das dunkelhäutige Kind in der Kälte auf der Straße auf einer dünnen Pappe sitzen
seht, wenn ihr den blutiggeschlagenen Mann seht, wie er versucht im Hauseingang zu
verschwinden? Haben wir nicht oft das Gefühl, daß sie selbst schuld sind an ihrem Elend?
Haben wir nicht oft das Gefühl, daß es eine Zumutung für unsere Augen ist, wenn wir diese
Menschen sehen? Wie können diese Menschen nur? Leben sie nicht in der Sünde? Hat Gott
sie nicht ihrer Sünde überlassen? Sind sie nicht von Gott gestraft? Wir aber hielten ihn für
den, der geplagt und von Gott geschlagen und gemartert wäre.
Wenn wir den Goldlack abkratzen vom Kreuz, wenn wir nicht immer gleich den strahlenden
Ostersieg vor die Grausamkeit des Kreuzes schieben, wie eine glitzernde Decke, wie eine
Krankenhausmauer, wenn wir den grausamen Tod am Kreuz betrachten, dann zählt auch
dieser Gekreuzigte zu den verachteten Menschen, denen wir täglich auf der Straße begegnen.
Ja, sein Leid und sein Tod sind noch grausamer, als das Leid, das uns umgibt, weil es so
sinnlos ist, weil wir keinen Grund sehen können für dieses Leiden. Unerträglich wird diese
Krankheit, die wir dort sehen, unerträglich werden die Schmerzen, die dort ausgehalten
werden und wir wollen sie loswerden, wir wollen es zumindest nicht mehr mitansehen
müssen, wir wollen nun endlich eine gute Nachricht, etwas was uns beruhigen kann, etwas,
was uns den bitteren Geschmack auf den Lippen wieder nimmt. Aber wir müssen uns noch
einmal anstrengen und noch genauer hinsehen. Noch näher müssen wir diesem Elend
kommen, um zu erkennen, wer da leidet und woran er leidet. Wenn wir noch näher hinsehen,
erkennen wir, was da am Kreuz hängt. Wir erkennen, die Krankheit, die den da am Kreuz
plagt. Ja, wir spüren die Schmerzen, die der da am Kreuz erträgt, weil deutlich wird: Das sind
unsere Schmerzen, die kennen wir, es sind unsere eigenen. Es ist unsere Krankheit, an der er
dort leidet, es ist unsere Krankheit an der wir leiden und es ist die Krankheit, an der wir auch
sterben werden. Fürwahr, er trug unsere Krankheit und lud auf sich unsere Schmerzen.
Könnte das der Grund sein, warum wir immer wegschauen, wenn wir den Leidenden
entdecken, warum wir es nicht ertragen, ihn anzusehen, warum wir lieber den Jesus haben, der
auf den Wolken schwebt und dem die Engel auf der Harfe vorsingen? Könnte es sein, daß wir
das Leid des Kreuzes nicht ertragen und sehen wollen, weil es unser Leid ist?
Er ist um unserer Missetat willen verwundet und um unserer Sünde willen zerschlagen. Ja,
unser Leid und unsere Krankheit sind Folgen unseres Lebens, sind Folgen davon, daß wir Gott
den Rücken gekehrt haben. Wir sind unsere eigenen Wege gegangen und wollten unser Leben
selbst in die Hand nehmen und darum sind wir krank geworden, krank am Leben. Und das
nennt die Bibel die Strafe Gottes. Die Strafe Gottes heißt so: Wer ohne Gott leben will, wer
sein eigenes Leben leben will, der muß dann auch ohne Gott leben. Ohne Gott leben heißt
abgeschnitten sein von der Quelle des Lebens, heißt getrennt sein vom Heil. Das ist die Strafe
für ein Leben, das wir selbst in die Hand nehmen, für ein Leben ohne Gott. Die Strafe für ein
Leben ohne Gott ist - ein Leben ohne Gott. Und diese Strafe macht unser Leben krank. Diese
Wahrheit wird uns deutlich, wenn wir auf den Gekreuzigten schauen, wenn wir diesen
Anblick aushalten. Aber wer glaubt denn dieser Predigt?
Wenn wir den Blick nun immer noch nicht abgewandt haben von dieser erbärmlichen Gestalt,
von diesem Leidenden, dann kann Gott uns langsam seinen Arm offenbaren, dann kann Gott
uns die Augen öffnen für das, was er dort am Kreuz für uns tut. Die Strafe liegt auf ihm, auf
daß wir Frieden hätten, und durch seine Wunden sind wir geheilt. Dieser Gekreuzigte trägt
die Strafe, die Strafe für unsere Gottlosigkeit und er schreit: Mein Gott, mein Gott, warum
hast du mich verlassen. Er trägt unsere Gottverlassenheit, damit wir Frieden finden und durch
seine Wunden geheilt werden. Können wir diese Sonne auch schon sehen? Können wir dieser
Predigt glauben? Können wir den Anblick des Kreuzes ertragen?
Wir gingen alle in die Irre wie Schafe, ein jeder sah auf seinen Weg. Aber der Herr warf alle
unsere Sünde auf ihn (53,6). Aber wer glaubt dem, was uns verkündigt wurde, und wem ist der
Arm des Herrn offenbart? Amen
Psalm: 22,2-12; Evangelium: Markus 15,20b-41; Epistel: 2.Korinther 5,14b-21
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