Die Übung des Herzensgebetes (Buchauszug: Unterweisung im Herzensgebet) Die Frage nach der „Geistessammlung" als Grundlage für eine anhaltende Erfahrung der Nähe Gottes durchzieht die Geschichte der christlichen Frömmigkeit, gewinnt aber in unserer Zeit eine geradezu bedrängende Aktualität. Viele Menschen suchen, vom Aktionismus des Gegenwartschristentums enttäuscht, auf fernöstlichen Wegen nach einem Leben in Sammlung und Achtsamkeit. Nicht wenige haben aber auch im christlichen Osten einen solchen Weg entdeckt: den mehr als eineinhalbjahrtausend alten Erfahrungsweg des Herzensgebetes. Die Einfachheit der Übung fasziniert: Diese besteht eigentlich nur in der möglichst ununterbrochenen Anrufung: „Herr Jesus Christus, erbarme Dich meiner!" Auch faszinieren die spirituellen Erfahrungen mittels dieses Gebetes: „Wenn ich mit dem Herzen zu beten begann, so stellte sich mir die ganze Umgebung in entzückender Gestalt dar: die Bäume, die Gräser, die Häuser, die Erde, die Luft, das Licht, alles schien gleichsam zu mir zu sprechen, dass es für den Menschen da wäre, die Liebe Gottes bezeuge, und alles betete, alles war voller Lobpreisungen Gottes. Und ich verstand, was in der, Tugendliebe’ mit den Worten gemeint ist:, die Sprache der Kreatur verstehen'." (Jungclaussen, E., Aufrichtige Erzählungen eines russischen Pilgers, Herder / Spectrum 4156, Freiburg). 1. Wer den Weg des Jesusgebetes gehen will, muss sich als erstes seiner Motive klar werden. Der Pilger ging ihn im Gehorsam gegenüber dem Wort der Bibel: „Betet ohne Unterlass". So darf auch ich letztlich das Jesusgebet nur üben aus dem Verlangen heraus, Christus zu gehorchen, um - durch die innere Umwandlung mittels dieses Gebetes - Ihm ganz zu gehören, und nicht etwa, um in erster Linie etwas für mich zu haben, mit dem geheimen Wunsch, dadurch vielleicht der Probleme des Alltags enthoben zu sein. 2. Dies setzt voraus, dass ich anfange auf Christus zu hören, und daher ver-suche, durch die regelmäßige Lesung des Neuen Testamentes mich mit Seinem Wort und Seiner Person immer mehr vertraut zu machen. Auf diese Lesung sollte ich mindestens genau so viel Zeit verwenden wie auf die Übung des Jesusgebetes. 3. Was nun die Übung selbst betrifft, so geht es dabei um einen sehr behut-samen Anfang, indem ich zunächst ein- oder zweimal täglich etwa 7-10-15 Minuten dafür verwende. Von diesen Zeiten wird sich dann das Jesusgebet ganz allmählich wie von selbst über den Tag hin ausbreiten. Auf keinen Fall aber sollte man es zu erzwingen suchen! Es wird bald ohnehin genügend Situationen in meinen Leben geben, in denen sich mir das Jesus-gebet geradezu aufdrängt. 4. Die körperliche Haltung sei aufrecht sitzend, gesammelt, aber nicht ver-krampft (Stuhl, Boden, Kirchenbank). Wichtig ist, dass ich die körperliche Haltung als Gebetshaltung bewusst und ehrfurchtsvoll einnehme im Gedanken daran, dass Christus mir dabei innerlich näher ist als ich mir selbst. So lausche ich auf meinen Atem und lasse in einem beständigen Fließen rein innerlich ruhig und sanft die Worte kommen: „Herr Jesus Christus erbarme Dich meiner", wobei die Worte sich bald von selbst auf das Ein- und Ausatmen verteilen. 5. Für die Übung ist dabei notwendig: das wachsende Vertrauen, aus dem heraus ich Christus um Sein Erbarmen bitte; d.h. um Seine bedingungslose Zuwendung und einigende Liebe mir gegenüber. So wird die Bitte um das Erbarmen des Herrn meinerseits zum Weg einer bedingungslosen Hingabe; denn Er allein weiß, wessen ich bedarf, um Ihm ganz zu gehören. Sein Er-barmen kann daher unter Umständen einen äußerst schmerzlichen Umwandlungsprozess mit sich bringen: „Nimm mich, wie ich bin, und mach mich so, wie Du mich haben willst." 6. Wenn ich das Erbarmen des Herrn wirklich an mir selbst erfahren habe, kann auch ich letztlich nur Erbarmen üben, indem ich versuche, mich durch tätiges Mitgefühl als Nächster dessen zu erweisen, der meiner bedarf, wie der barmherzige Samariter (Lk 10). Reflektion: Wir nehmen unseren Körper wahr, nehmen Kontakt zur Erde auf, Spüren nach, in den Beinen, im Becken, der Wirbelsäule, der Schultern, der Stirn und dem Scheitel. Wir spüren unseren Atem. Wir nehmen uns zurück und nehmen die Stille in uns wahr, die Stille, die hinter der Stille liegt, die Liebe, das Reich Gottes, von dem Jesus sagt: „Es ist mitten unter Euch.“ Lu 17,20-21 Dies ist der Ursprung, die Gottheit, von der Meister Eckard, der Seelengrund von Tauler, dem Nada von Johannes von Kreuz. „Herr, Jesus Christus erbarme Dich meiner.“