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Pfr. Dr. Matthias Loerbroks
4. Advent, 23.12.07
Französische Friedrichstadtkirche
Predigt über Jesaja 52,7-10
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Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße des Frohbotschafters,
der hören lässt „Friede“, der Gutes verkündet, der hören lässt „Befreiung“,
der zu Zion spricht: Dein Gott hat die Königsherrschaft angetreten.
Stimme der Späher, sie erheben die Stimme, jubeln vereint,
denn Aug in Aug sehen sie, wie der HERR nach Zion zurückkehrt.
Jauchzt auf, jubelt vereint, ihr Trümmer Jerusalems,
denn der HERR tröstet sein Volk, löst Jerusalem aus.
Offenbart hat der HERR seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker,
dass alle Enden der Erde sehen die Befreiungstat unseres Gottes.
Das ist das Evangelium, die frohe Botschaft, im Inhalt, vor allem aber im Ton, der auch hier
die Musik macht, ein jubelnder, jauchzender Klang durchzieht unseren Abschnitt, und auch
die Szenerie, die hier skizziert wird, gehört zur frohen Botschaft, zum Evangelium.
Da kommen Freudenboten angelaufen, bringen gute Nachrichten, bringen gute neue Mär. In
der griechischen Übersetzung des Alten Testaments sind es Evangelisten, die evangelisieren –
Freudenboten, die frohe Botschaft bringen –, vielleicht stammt das Wort Evangelium, das
dann fürs Neue Testament so zentral wurde, aus diesem mittleren Teil des Jesajabuchs. Und
so haben wir hier auch den Grundriss, den Inbegriff einer evangelischen Kirche: eine evangelische Kirchengemeinde wie sie im Buche steht, im Buch des Propheten Jesaja nämlich, ist
eine Gemeinschaft, die Gutes hört und hören lässt; der eine frohe Botschaft verkündet wird
und die ihrerseits diese Botschaft weitersagt.
So wunderbar, so durch und durch erfreulich, erleichternd, beglückend ist diese Botschaft,
dass sogar die Füße derer, die sie bringen, gepriesen und bejubelt werden: wie lieblich sind
auf den Bergen die Füße der Freudenboten. Das soll nicht heißen, dass diese Boten besonders
anmutige Füße haben, sie beschwingt, beflügelt bewegen, sondern dass es einfach zum Ausrasten, zum Ausflippen schön ist, dass sie kommen, auf ihren Füßen gelaufen kommen. Und
noch etwas zeigt dieser Blick auf die Füße der Boten: wie tief unten, wie deprimiert und depressiv die sind, an die diese Botschaft gerichtet ist: sie lassen die Köpfe hängen, sehen nicht
auf, erheben nicht ihre Häupter, sehen darum einstweilen nur die Füße der Boten, haben schon
lange aufgehört, mit guter neuer Mär zu rechnen. Doch nun hören sie ganz unerhört Gutes.
Friede, das ist die erste gute Nachricht; die zweite ist: Befreiung. Und die dritte ist die Voraussetzung und Begründung für die beiden anderen: der Bote spricht zu Zion, zu Jerusalem:
dein Gott ist König geworden, hat die Königsherrschaft angetreten.
Für Menschen, die unter Unfrieden zu leiden haben, Krieg oder anderen Formen von Gewalt
und Terror, gibt es keine bessere Nachricht als: es ist Friede. Und für Menschen, die gefangen
sind, geknechtet unter einem Zwangsregime, keine glücklichere als: Befreiung. Und manchmal ist beides die Folge eines Regierungswechsels: ein neuer Herrscher ist fähig zum Frieden
und lässt diejenigen frei, die unter dem nun gestürzten Tyrannen eingesperrt waren. So etwas
schwebt auch dem Propheten vor, dem wir dieses Jubellied verdanken, das freilich auch für
ihn noch Zukunftsmusik ist.
Israel hatte eine furchtbare Niederlage erlitten. Die Großmacht Babel hatte gesiegt, hatte Jerusalem und den Tempel zerstört, hatte die oberen Zehntausend aus Israel verschleppt ins Exil,
in die babylonische Gefangenschaft. Vielleicht haben manche im Volk diese Niederlage auch
als eine ihres Gottes verstanden, der sich doch an dieses Volk und dieses Land und darin besonders an diesen Ort gebunden hatte. War auch er besiegt, zerstört, zertrümmert wie die
Stadt Jerusalem? Hat er resigniert, abgedankt? Andere aber sahen ein, wenn auch erst nach
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der Katastrophe: ach, unsere Sünden haben uns geschlagen. Wir haben nicht auf ihn gehört,
haben ihn so seines Einflusses beraubt, ihn ohnmächtig gemacht. Wer die Propheten mundtot
macht, bringt auch Gott zum Schweigen. Der Versuch, einen selbstgemachten Nichtgott als
Gott zu inthronisieren, ganz andere Mächte, Gestalten und Wahrheiten gelten und herrschen
zu lassen als den Gott Israels, rächt sich dadurch, dass er gelingt. So entstehen große Teile der
Bibel erst hier im Exil: eine durch und durch kritische Sicht der Geschichte Israels, die in die
Katastrophe geführt hat. Und gerade die Propheten, auf die zu ihren Lebzeiten kaum jemand
hörte, werden jetzt zur Heiligen Schrift.
Doch nun nimmt ein neuer Prophet die prophetische Tradition auf, besonders die des Jesaja,
verkündet aber Neues, nämlich: die Katastrophe ist vorbei. Mag ja sein, dass unser Volk in
seiner uns nun klar gewordenen Blindheit und Taubheit unseren Gott lahmgelegt, zum
Schweigen gebracht hat, aber nicht auf Dauer, nicht für immer. Er ist wieder da, meldet sich
wieder, hat die Königsherrschaft angetreten. Und zwar nicht, weil wir so vorbildlich reumütig
zu ihm umgekehrt sind. Sondern weil er es nicht lassen kann. Weil er uns nicht lassen kann.
Er, unser Gott, kehrt um, kehrt nach Zion zurück.
Was freilich erst einmal nichts daran ändert, dass Jerusalem zertrümmert ist, in Trümmern
liegt. Das weiß der Prophet auch, ja, diese Trümmer werden ihm zum Bild für die Lage des
ganzen Volkes. Das aber hindert ihn nicht daran, bereits sein Jubellied anzustimmen, das Lied
von den lieblichen Füßen des Evangelisten. Und er sieht nicht nur die mit dem gesenkten
Blick, die gerade nur bis zu den Füßen auf den Bergen aufblicken. Er sieht auf und zwischen
den Trümmern auch Späher, die eifrig die Lage ausspähen. Vielleicht wollen sie, gerade weil
alles in Trümmern liegt, auch die Mauern, neue Gefahren, weitere Katastrophen frühzeitig
erkennen und vor ihnen warnen. Vielleicht aber spähen sie auch Chancen aus, Chancen auf
eine Wende zum Besseren, ja zum Guten. Sie achten auf alles, was sich bewegt, und erkunden
in jeder Bewegung Möglichkeiten, dass Friede wird, Befreiung geschieht. Vermutlich ist der
Prophet selbst so ein Späher, denn Propheten sprechen ja nicht willenlos und bewusstlos wie
ein Automat das aus, was Gott ihnen eingibt, sondern nehmen hellwach die Realität wahr,
spitzen das, was sie als den Willen Gottes erkannt haben, auf die konkrete Situation zu. Geb´s
Gott, dass es auch in unserer Kirche, auch in unserer Gemeinde solche prophetischen Späher
gibt. Zu einer richtig evangelischen Kirche, einer Kirche, die nicht resigniert, nicht aufgehört
hat zu hoffen, gehört gewiss auch das Träumen von einer besseren Welt, das Ausmalen von
Utopien. Aber auch dieses Ausspähen gehört dazu, die genaue Wahrnehmung der Wirklichkeit im Lichte des Evangeliums, ihrer Chancen und ihrer Gefahren.
Diese Späher sehen nicht nur die Boten, schon gar nicht bloß deren Füße. Sie sehen in dem
Evangelium, das diese Boten verkünden, Gott selbst kommen, sehen ihn sogar Aug in Aug.
Und so jubeln sie nicht nur miteinander, sie rufen auch andere zum Jubeln auf: auch die
Trümmer Jerusalems sollen jubeln und jauchzen. Das Evangelium ist frohe Botschaft gerade
für Zerschlagene und Zerbrochene. Denn der HERR tröstet sein Volk – das ist das Thema, das
alle drei Teile des Jesajabuchs verbindet –, er erlöst Jerusalem, kauft es frei.
Die frohe Botschaft geht von den Boten zu den Spähern und von diesen zu den Trümmern
Jerusalems, auch den menschlichen Trümmern. Doch der Prophet sieht noch weiter, sieht einen weiteren Kreis von Empfängern des Evangeliums, nämlich – und da kommen auch wir
ins Spiel – den ganzen Erdkreis. Mit der Befreiung seines Volkes offenbart der HERR, der
Gott Israels seine Macht, legt seinen Arm bloß, krempelt sozusagen die Ärmel auf, wird
handgreiflich, und zwar vor den Augen aller Völker, dass aller Welt Enden sehen die Befreiungstat unseres Gottes. Was in diesem kleinen Volk geschieht, ist frohe Botschaft auch für
alle anderen Völker, auch für uns. Dass der Gott Israels sein Volk nicht der Katastrophe überlässt, es nicht fallen, nicht in Trümmern liegen lässt, sondern tröstet, ist tröstlich auch für uns
angesichts unserer Erfahrungen mit Katastrophen – denen der Geschichte, im aktuellen politischen und gesellschaftlichen Geschehen, aber auch denen in unserem eigenen Leben.
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Gelobt sei der HERR, der Gott Israels, denn er hat besucht und erlöst sein Volk. Das ist der
Beginn des Lobgesangs des Zacharias im ersten Kapitel des Lukasevangeliums und zugleich
die Überschrift des ganzen Evangeliums von Jesus Christus. Morgen, am Heiligen Abend,
kommen ja immer etwas mehr Menschen in die Kirchen als sonst, darunter auch viele Zerbrochene, Zerschlagene. Lasst uns hoffen und beten, dass möglichst vielen, möglichst allen und
auch uns Trümmerfrauen und Trümmermännern das Licht des Evangeliums in all unseren
Finsternissen aufleuchtet und dass wir frei und fähig dazu werden, das, was uns eingeleuchtet
hat, weiterzusagen und auszustrahlen an die, die im Finstern sind, im Schatten des Todes.
Amen.
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