PREDIGT HILDESHEIM, 4.ADVENT, 22.12.2013, Jes.52,7-10 7 Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, die Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: Dein Gott ist König! 8 Deine Wächter rufen mit lauter Stimme und rühmen miteinander; denn alle Augen werden es sehen, wenn der Herr nach Zion zurückkehrt. 9 Seid fröhlich und rühmt miteinander, ihr Trümmer Jerusalems; denn der Herr hat sein Volk getröstet und Jerusalem erlöst. 10 Der Herr hat offenbart seinen heiligen Arm vor den Augen aller Völker, daß aller Welt Enden sehen das Heil unseres Gottes. Liebe Schwestern und Brüder, die Botschaft ist schon da, auch wenn eigentlich nichts passiert ist und alles in Trümmern liegt. Und weil sie da ist, beginn der lange und fröhliche Weg in eine neue Welt, in eine bessere Zukunft. Das ist der Kern des ganzen zweiten Teils des großen Jesajabuchs. Euer Gott kommt, er kommt wieder und wird alles wieder neu errichten, was kaputtgegangen und zerschlagen worden ist. Dieser mächtige Klang ist in Israel angeschlagen worden rund 400 Jahre vor Christus, nachdem sprichwörtlich in Jerusalem kein Stein mehr auf dem anderen gelegen hat und nichts mehr übrig war von dem kleinen, aber feinen Königreich am Rande des östlichen Mittelmeers. Dieser mächtige Klang einer frohen Botschaft ist zweieinhalbtausend Jahre alt, und sein Ton ist bis heute nicht erloschen. Warum eigentlich nicht? Denn Jerusalem hat zwischendurch immer wieder einmal in Trümmern gelegen. Und heute? Die Situation im gelobten Land ist seit bald hundert Jahren ein notorischer und eher unangenehmer Dauerläufer in den aktuellen Nachrichten des Tages. Aber über all diesem Auf und Ab der Weltgeschichte stehen die Worte des Propheten Jesaja wie in den Himmel gemeißelt: „Wie lieblich sind auf den Bergen die Füße der Freudenboten, die da Frieden verkündigen, Gutes predigen, Heil verkündigen, die da sagen zu Zion: dein Gott ist König.“ Warum also? Weil wir Menschen so sehr darauf angewiesen sind, Frieden verkündigt zu bekommen, Gutes zu hören und die Ankunft Gottes in Aussicht zu nehmen. Anders gesprochen, weil die Trümmer des Lebens so oft die realistische Ausgangslage der Dinge darstellen und nicht die funktionierenden Tempel, die geputzten Flächen gediegener Säle oder die intakten Systeme funktionierender Gesellschaften. Weil es Staaten wie Syrien gibt oder den Südsudan. Weil es Menschenhandel in Europa gibt und Versklavung von Menschen wegen billiger wirtschaftlicher Interessen. Weil es so etwas wie Sotschi gibt oder wie Katar. Daß Ungerechtigkeit aufhören möge und das Recht seinen guten Platz erhalte – diese Sehnsucht hat nicht nachgelassen in den Jahrtausenden zivilisatorischer Entwicklung. Darum wollen wir so gerne hören, daß das ein Ende haben soll. Daß einfach nur menschliches Leben so gestaltet wird, daß es ein menschliches Leben genannt werden kann. Und nicht nur für die Auserwählten, nicht nur für die auf der Sonnenseite des Lebens und nicht nur für die, denen die Natur ausreichende Fähigkeiten verliehen hat, sondern für alle. Einfach alle. Darum sehnen wir uns nach Menschen, die uns Gutes verkündigen, Frieden ansagen und Gerechtigkeit verheißen. Außerdem deswegen, weil diese Boten endlich einmal nicht von sich reden. Sich nicht selbst verkaufen. Die Worte des Jesaja sind deswegen so bedeutsam und nachhaltig wirksam, weil diese frohe Botschaft nicht irgendwelche neuen Erlöser meint, die uns wieder einmal beglücken wollen, sondern sich auf Gott richtet. Es ist eine Hoffnung, die sich nicht an die menschlichen Möglichkeiten richtet, von deren begrenzter Tragweite wir alle Nase lang neu heimgesucht werden. Die Freudenboten reden ja nicht von sich und ihren Weltanschauungen, nicht von den politischen oder wirtschaftlichen Kunstfertigkeiten ihrer Herren oder gar ihrer selbst, sondern von Gott. Von der Kraft, die sich nicht aus unserem Vermögen herleitet, sondern das Geheimnis der Welt selber ist. Die Worte des Propheten sind so unvergänglich, weil sie daran festhalten, daß Frieden und Recht keine Produkte menschlicher Kunst sind, sondern Geschenke des Himmels, Hervorbringungen der Ewigkeit, Güter, die auf uns zukommen, nicht aus uns heraus produziert werden. Sie haben weder einen ökonomischen Hintersinn noch sind sie Platzhalter für fremde Interessen. Das macht die Botschaft der Freudenboten allererst glaubwürdig. Bei denen, die auf ihre eigenen Kompetenzen und Potenzen verweisen, ihre Erfolgsgeschichten hervorkehren oder ihre mächtigen Netzwerke bemühen, kann man getrost davonausgehen, daß sich hier klassische Verläufe wiederholen. Auch hier wird Erfolg in Tyrannei umschlagen, Macht als Interessenverstärkung ausgenutzt werden und Ambitioniertheit im Überheblichkeit verwandelt – die Dinge werden nicht besser, nur anders problematisch. Nein, lieblich sind die Freudenboten auf den Bergen wegen ihres Verweischarakters: sie reden nicht von sich selbst, sondern von Gott. Aber damit ist es noch nicht ausgesagt. An der Botschaft des Jesaja kann man eine eigenartige menschliche Disposition ablesen. Die Worte des Propheten werden in eine Situation hineingesprochen, in der die Dinge sprichwörtlich am Boden liegen. Es liegen die Trümmer Jerusalems herum, die zerstörte Stadt, die zerborstenen Symbole staatlicher und religiöser Macht. Also nirgendwo ein Anzeichen von Aufstieg und Genesung der Verhältnisse. Die Stimmung und gesellschaftliche Mentalität sehen entsprechend aus. Die Kräfte, sich selbst mit neuer Leidenschaft in Schwung zu bringen, sind erlahmt. In diese Situation hinein erfolgt nun die Ansage des Jesaja. Das Erstaunliche ist nun: Allein schon die Botschaft von der sich nahenden Veränderung der Verhältnisse bringt einen Wandel. Bis heute ist das so: allein das Vorlesen und Hinhören verändert in unserer Seele etwas, bringt in uns etwas zum Klingen. Die Freudenboten haben ja noch gar nichts ausgerichtet – sie haben nur davon gesprochen. Es ist noch nichts neu geworden – es ist nur davon die Rede, daß es geschehen soll. Also: Nicht der Wandel der Verhältnisse bringt Dynamik in das Leben, sondern die Aussicht auf den Wandel der Verhältnisse. Das hört sich sehr abstrakt an, ist aber ein Vorgang, den wir bis in die Niederungen unseres Alltags nur zu genau kennen. Wenn wir in einer schwierigen oder gar aussichtslosen Situation sitzen, dann benötigen wir nichts so sehr wie Menschen, die uns davon Kenntnis geben, daß es ein Leben jenseits dieser Situation gibt. Wir brauchen Hoffnungsträger, Freudenboten, nur die Botschaft, daß das, was jetzt ist, nicht das Ende darstellt. Was uns hilft, ist weder Geld noch Besitz noch Intelligenz, sondern ein Traum, der uns beseelt, eine Hoffnung, die uns Sinn gibt, ein Wort, das unser Herz erfüllt. Eben keine Entwicklungshilfe, sondern eine Botschaft, die nicht uns wiederholt, sondern eine andere Welt vor Augen stellt. Aber es geht nun noch weiter. Dieser Traum, der uns beseelt, die Hoffnung, die uns Sinn gibt, das Wort, das unser Her erfüllt, sind nicht einfach irgendwann realisiert. Wir kennen das doch aus tausend Gelegenheiten: jeder Traum, der realisiert wird, wird schal. Gelegentlich sogar zum Alptraum. Es geht am Ende gar nicht um die Errichtung eines politischen Ziels oder um die Herstellung einer idealen Gesellschaft. Es geht nicht darum, die ganze Welt zu Christen zu machen und der Kirche eine endgültig makellose Gestalt zu geben. Noch nicht einmal die Ausrottung aller moralischen Fehlleistungen ist ein wirklich erstrebenswerter Traum – was wäre das für eine langweilige Welt, wenn alle immer nur gut, immer nur freundlich, immer nur einwandfreien Charakters wären! Noch einmal, jeder Traum, der sich erfüllt, läßt die Kraft, die sich aus der Sehnsucht speist, klein werden und verkümmern. Die frohe Botschaft des Jesaja richtet sich deswegen, so merkwürdig es klingt, auf ein unerreichbares Ziel, auf einen Endzustand, der im Grunde kein Teil der Geschichte mehr ist, auf eine zeitlose Gestalt. Gott soll nämlich auf der ganzen Erde herrschen, nicht mehr ein Mensch oder eine menschliche Organisation mit dem ganzen politischen Apparat, der dazugehört, nicht mehr ein gerechtes Regime, nicht mehr eine unanfechtbare Weltgemeinschaft, es sollen sozusagen himmlische Verhältnisse anbrechen. Und alle Völker sollen sehen das Heil des Gottes Israels. Alle, nicht nur die Nachbarn und die üblichen kulturell Verdächtigen, nicht nur die Erste oder Zweite Welt, sondern alle. Nicht nur die modernen und aufgeschlossenen Gesellschaften, nein, alle wie sie da sind. Auch wir Christen sind nicht die Erfüllung dieses Traums. In den weniger guten Stunden der Kirchengeschichte hat man das allen Ernstes so verstehen wollen, und das Ergebnis sah dann entsprechend fürchterlich aus. Weder die Kirche noch die Christenheit sind das, was Jesaja gesehen hat. Sie sind nicht die Umsetzung dieser Botschaft. Auch wir, die wir an den Gott Israels, den Gott Abrahams, Isaaks und Jakobs glauben, sind solche, die auf die Erlösung warten, die sich der Sehnsucht anschließen, die wir in diese wunderbaren Prophetenverse gehüllt sehen und hören. Kurz vor Weihnachten können wir aber sagen: wenn dieses Reich kommt, wenn diese neue Welt ersteht, wenn es einmal Gerechtigkeit für alle gibt, dann wird es mit dem Kind zu tun haben, dessen Geburt wir übermorgen feiern. Wenn es einen Weg aus den Trümmern heraus gibt, beginnt er im Stall zu Betlehem. Dort entsteht Frieden. Dort nimmt das Gute seinen Lauf. Dort werden die Seelen gesund. Dort offenbart sich der heilige Arm Gottes. Dort hören sich die Worte des Propheten schon so an, als wären sie erfüllt. Amen.