- Conviviality Was wir brauchen sind gesellige Institutionen Ein Potpourri von Textauszügen aus: Illich, Ivan: Entschulung der Gesellschaft. Eine Streitschrift, Kösel: München 1972, S.81-96 (Das Spektrum der Institutionen) Dieser Text soll einige der Grundaussagen des Kapitels „Das Spektrum der Institutionen“ Ivan Illichs Streitschrift „Entschulung der Gesellschaft“ wiedergeben und zum weiterdenken inspirieren. Bewusst verzichte ich hierbei auf einen Anspruch auf Vollständigkeit, neugierig gestimmte sei Illichs Originalschrift ans Herz gelegt. Wie Illich glaube auch ich, „ dass eine erstrebenswerte Zukunft davon abhängt, dass wir im Leben ganz bewusst dem Tun vor dem Verbrauchen den Vorzug geben.“ Doch wie schaffen wir dies? Welche strukturellen Veränderungen sind hierfür notwendig? Illich lenkt den Blick zunächst auf die Institutionen unserer Gesellschaft und weist diesen Plätze auf einer Skala zu: „Die Analyse der Institutionen nach ihrem derzeitigen Standort auf einer von links nach rechts verlaufenden Skala ermöglichet es mir, meine Überzeugung zu erläutern, dass eine grundlegende Veränderung der Gesellschaft mit einem veränderten Bewusstsein gegenüber Institutionen beginnen muss.“ Am rechten äußeren Ende des Spektrums befinden sich die Einrichtungen, die sich auf die Manipulierung ihrer Klienten spezialisieren, deren Existenz sich nur einer eigens geschaffenen Nachfrage nach diesen Institutionen verdankt. Sie verlangen zunächst ungewollte Teilhabe und Konsum, durch geschickte Strategie und Vermarktung glauben die Konsumenten schließlich an die Notwendigkeit solcher Institutionen. Auf der anderen, linken Seite stehen in erster Linie Institutionen, die sich durch ihre spontane Benutzbarkeit auszeichnen: die „geselligen“ Institutionen, die nicht erst auf Kundenfang gehen müssen, um genutzt zu werden. Hierzu gehören etwa Einrichtungen wie öffentliche Verkehrsmittel, Parks, Bürgersteige, öffentliche Märkte und Warenbörsen, deren Nützlichkeit ihren Benutzern nicht erst nahe gelegt werden muss. Wir Leben in einer Welt voller Überfluss an Angeboten, zumeist Angebote der Institutionen der manipulativen Seite. Wir haben nun die Wahl zwischen verschiedenen „Stilarten des Lebens“ und ihren entsprechenden Produktionskonzepten. „Der Mensch muss sich entscheiden, ob er reich an Dingen oder reich an Freiheit sein will, die Dinge zu benutzen.“ Zur Verdeutlichung: „Schon Aristoteles hatte entdeckt, dass „Machen und Tun“ etwas Verschiedenes sind, sogar so verschieden, dass das eine niemals das andere einschließt; „[…] Machen hat immer einen Zweck außerhalb seiner selbst. Tun aber nicht; denn rechtes Tun ist selbst ein Endziel. Vollkommenheit im Machen ist eine Kunst, Vollkommenheit im Handeln ist eine Tugend.“ (Nikomachische Ethik, 1140)“ Angewandt auf unser Spektrum bedeutet dies, dass Institutionen auf der rechten Seite mehr „machen“ können, Institutionen auf der linken Seite hingegen ermöglichen mehr eigenes „Tun“ oder „Praxis“. Durch moderne Technik wird dem Menschen vermehrt ermöglicht, das „Machen“ von Lebensnotwendigen Dingen Maschinen zu überlassen, was er dadurch potentiell gewinnt ist mehr Zeit zum „Tun“. Zum Beispiel, um eigenständig zu handeln und das eigene Leben sowie das anderer Menschen zu bereichern. Was passiert jedoch? „Das Ergebnis dieser Modernisierung ist Arbeitslosigkeit: es ist die Untätigkeit eines Menschen, für den es nichts mehr zu „machen“ gibt und der nicht weiß, was er „tun“, d.h. wie er „handeln“ soll. Arbeitslosigkeit ist die deprimierende Untätigkeit eines Menschen, der im Gegensatz zu Aristoteles glaubt, dass das Machen von Dingen oder Arbeiten tugendhaft sei, Untätigkeit hingegen schlecht. […] Die Technik stellt dem Menschen Zeit zur Verfügung, die er entweder mit Machen oder mit Tun ausfüllen kann. Die gesamte Zivilisation hat jetzt die freie Wahl zwischen trübseliger Arbeitslosigkeit oder fröhlicher Muße. Es kommt darauf an, für welchen institutionellen Stil sich die Zivilisation entscheidet.“ Wie viele Arbeitslose leben in diesem Land, die ein karges Leben, pendelnd zwischen Arbeitsamt und Sozialwohnung, führen? Denen auf der anderen Seite doch so viel Kraft zum Gestalten ihrer Umwelt innewohnt, entkämen sie nur aus der Gefangenschaft des Produktionswahns, der sie auf das Abstellgleis des „Machens“ aussondierte. Es gilt den Wert reinen „Tuns“ wieder zu entdecken. Wir haben mehrere Möglichkeiten, die uns verfügbare Zeit auszufüllen, eine besteht darin, dass man „die Nachfrage nach Verbrauchsgütern und zugleich nach der Produktion von Dienstleistungen kräftig anheizt. Ersteres setzt eine Wirtschaft voraus, die ein ständig wachsendes Angebot von immer neueren Dingen liefert, die gemacht, verbraucht, weggeworfen und wieder recycelt werden können. Letzteres bedeutet den vergeblichen Versuch, aufrechtes Handeln zum Produkt von Dienstleistungseinrichtungen zu „machen“. Das führt dazu, dass man Schulbesuch mit Bildung, Gesundheitsdienst mit Gesundheit, Programmbenutzung mit Unterhaltung und Geschwindigkeit mit nützlicher Fortbewegung gleichsetzt. […] Die radikal andere Methode, verfügbare Zeit auszufüllen, besteht in einem begrenzten Angebot von haltbaren Waren und darin, dass man Institutionen zugänglich macht, die der Möglichkeit und Wünschbarkeit menschlichen Zusammenwirkens mehr Raum gewähren. Eine Wirtschaft für haltbare Waren ist genau das Gegenteil von einer Wirtschaft, die das Veralten der Waren einplant [man denke an das postmoderne Phänomen des Regenschirms, der hergestellt wird, um nach spätestens zwei Wochen kaputt zu gehen]. Eine Wirtschaft für haltbare Waren bedeutet eine Einschränkung des Warenangebotes. Die Waren müssten so beschaffen sein, dass sie größtmögliche Gelegenheit bieten, etwas mit ihnen zu „tun“: Gegenstände, die man selbst zusammensetzen, mit denen man sich helfen, die man wieder verwenden und reparieren kann. Die Ergänzung zu einem Angebot von haltbaren Waren, die man instand setzen und wieder verwenden kann, ist […] ein institutioneller Rahmen, der beständig zum Handeln, zur Teilnahme und Selbsthilfe erzieht. Der Übergang unserer Gesellschaft aus der Gegenwart […] in eine Zukunft der nachindustriellen Geselligkeit - in der die Intensität des Handelns über die Produktion triumphieren würde – muss mit einer Erneuerung des Stils der Dienstleistungseinrichtungen beginnen – und, vor allem anderen, mit einer Erneuerung des Bildungswesens. Eine Zukunft, die erstrebenswert und möglich ist, hängt von unserer Bereitschaft ab, unser technisches Know-how in die Ausbildung geselliger Institutionen zu investieren.“ Viele Schlüsse lassen sich aus diesem Aufsatz ziehen, viele Brücken schlagen. Deine eigenen Schöpferischen Kräfte befähigen Dich, etwas zu tun, ohne daraus zwangsläufig etwas machen zu müssen, heißt eben die wunderbare Tat einem bestimmten Zweck unterwerfen zu müssen. Nutze Zeit um wirklich bewusst zu handeln und erfreue Dich an eben diesem Handeln. Wozu singen und tanzen wir? Um zu singen und zu tanzen. Von Patrick B.