Nutzen statt besitzen Es gibt einen neuen Trend. Dieser Trend heißt: Tauschen und Teilen. Oder mit anderen Worten: Mieten statt kaufen, reparieren statt wegwerfen. Dabei geht es darum, Ressourcen zu sparen und die Warenströme nicht weiter anwachsen zu lassen. Denn wenn wir Dinge gemeinsam nutzen oder lange verwenden, tragen wir dazu bei, die Umwelt zu entlasten. Tauschen und Teilen liegt also im Trend – und wird unterstützt von den neuen Möglichkeiten der digitalen Welt. Die Idee, etwas gemeinsam zu nutzen, ist nicht neu. Dieser Idee verdanken wir verschiedene Vorteile. Eine lange Tradition haben Wohngemeinschaften (2) und Büchereien (2), Waschsalons (2) und Fahrradverleihe (2). Jünger ist die Idee des Carsharings (2), das in den Städten heute auf starke Nachfrage stößt. Doch nicht nur Autos werden geteilt: Der Markt der gemeinschaftlichen Güter wird immer größer, und das vor allem wegen des Internets. Ein Beispiel von vielen: Unter „Couchsurfing.org“ (2) bieten Menschen in über 100 000 Städten und allen Ländern der Welt ihr Heim kostenlos für begrenzte Zeit zum Mitwohnen an. Immer mehr Menschen nutzen ganz selbstverständlich die unendlichen Möglichkeiten der digitalen Welt. Das hat auch den Handel mit gebrauchten Dingen revolutioniert. Zwar haben traditionelle Flohmärkte weiter viel Zulauf. Doch der Vergleich mit Verkaufsbörsen wie „ebay“ zeigt: Der Handel mit Secondhand-Gütern (3) von privat an privat hat online ganz andere Dimensionen bekommen. Dies auch, weil über soziale Medien wie Facebook oder Twitter (3) neue Seiten und lohnende Angebote sehr schnell weitergereicht (3), ausgetauscht (3) und empfohlen (3) werden. Viele Menschen stellen sich inzwischen die Frage: Warum ständig Neues kaufen, das wir – wenn überhaupt – nur selten brauchen? Warum sich mit dem Besitz von so vielen Dingen belasten? Mit einem eigenen Auto zum Beispiel, dessen Kosten oft in keinem Verhältnis zu seinem Nutzen stehen? Oder mit Bergen von Büchern, die wir doch nur einmal lesen? Eigentum kann aber auch Nachteile haben, denn Eigentum verpflichtet auch (3). Unsere Besitztümer beanspruchen Raum (3) und Zeit (3), wollen sauber (3) und in Ordnung (3) gehalten werden. Und alle Dinge müssen wieder mit, wenn wir an einen neuen Ort ziehen (4). Eigentum kann also auch belasten und unbeweglich machen. Wer wüsste nicht, wie wohl es tut, von Zeit zu Zeit auszuräumen? Die Suche nach Interessenten für das, was wir nicht mehr benötigen, ist mit Hilfe des Internets leichter geworden. Ob alte Möbel oder selten Getragenes aus dem Kleiderschrank – was noch brauchbar ist, findet vor allem in digitalen Netzwerken rasch Interessenten. Es muss ja nicht immer Neuware sein, gebrauchte Dinge tun es oft ebenso. Weil sie sich schon zuverlässig (3) und haltbar (3) gezeigt haben. Oder weil sie einfach origineller (3) sind als die Massenware, die jeder hat. Gebrauchte Dinge weiterzuverwenden liegt besonders nahe, wenn sie sich schon in unserem Besitz befinden. Es ist einfach, wenn man sie nur reparieren muss, um sie wieder funktionstüchtig zu machen. Was man aber nicht selbst reparieren kann, muss man reparieren lassen. Und da wird es schwierig. Inzwischen wird die Zahl sachkundiger Reparateure immer kleiner. Heutzutage kann man sich glücklich schätzen, wenn man eine gute Fahrrad- oder Autowerkstatt in der Nähe hat. Teilen und tauschen, Gebrauchtes kaufen oder reparieren, all das spart Ressourcen und außerdem Geld, denn Preisvorteile sind ein wesentlicher Anreiz, nach Alternativen zum Neukauf zu suchen. Wird der Markt jedoch mit Billigprodukten überschwemmt, erschwert dies alle Alternativen zu unserer Kultur des Wegwerfens. Denn der Griff zum Billigangebot ist schneller getan als die Suche nach einem Verleih oder Secondhandladen. Die Billigware verhindert jeden Versuch, die Verschwendung unserer Ressourcen zu reduzieren. Und sie vergrößert die Verschwendung (3) noch, indem sie uns dazu bringt, Dinge in kurzem Abstand nachzukaufen (3), weil diese bald kaputtgehen (3) und eine Reparatur sich nicht lohnt (3). Noch etwas schränkt viele Versuche ein, den persönlichen Ressourcenverbrauch zu senken, nämlich das Kriterium der räumlichen Nähe. Dinge zu leihen oder in Reparatur zu geben, ist nur praktisch, wenn es Angebote vor Ort gibt. So sollte die Änderungsschneiderei für das alte Kleid in der Nähe liegen, und auch der Werkzeugverleih sollte nicht eine halbe Autostunde entfernt sein. Und wer sich spontan ein Fahrrad ausleihen will, muss die nächste Station zu Fuß erreichen können. Darüber hinaus kann die Alternative „Nutzen statt besitzen“ auch die Umwelt entlasten. Die Bedingung ist: Je kürzer der Transportweg (3) und geringer die dabei anfallenden Energiekosten (3), desto besser für die Umwelt (3). Ein aufwendiger Transport kann mehr Ressourcen verschlingen (3), als die gemeinschaftliche Nutzung einspart (3). Der Nutzen für die Umwelt hängt allerdings davon ab, wie ein Gegenstand den Nutzer wechselt. Holen wir die geliehene Bohrmaschine mit dem Auto vom weit entfernten Baumarkt oder vom Nachbarn nebenan? Ins Gewicht fällt damit auch, wie häufig wir ein Produkt ausleihen. Sinnvoll ist es also, die Skier, die ich nur zwei Tage im Jahr fahre, zu leihen; und den Rasenmäher, den ich im Sommer jeden Monat nutze, selbst anzuschaffen – außer mein Nachbar leiht ihn mir. Der Transportweg ist auch für die Ökobilanz von Secondhand-Ware bedeutsam: Wird der in Süddeutschland online ersteigerte Kinderwagen aus Norddeutschland angeliefert? Und muss er für den Transport aufwändig verpackt werden? Von großer Bedeutung beim Onlinehandel ist auch der riesige Energieverbrauch der Server für den weltumspannenden Datenverkehr: und der Strom für die Recherche zuhause am Computer, bevor wir uns zum Kauf entschieden haben. Aber auch hier gilt das Gebot des Maßhaltens: Denn wer große Mengen von gebrauchten und geteilten Dingen anschafft (4), verschwendet damit Ressourcen(4). Generell gilt aber: Je mehr die Herstellung eines Produktes die Umwelt belastet hat, desto sinnvoller ist es, dieses zu leihen oder zu teilen. Nach: Severin Zillich, Nutzen statt besitzen, BUND Magazin, 4/2013, 5848 Zeichen