Mein Gott und Walter – Episode 4: Offenbarung und Bibel II Mein Gott und Walter Episode 4: Offenbarung und Bibel II Heilige Schrift Neh 8,7-12; Mal 2; Lk 22, 31-32; Lk 24,15-32; Joh 21,15-17; Apg 8,27-35; 2 Petr 1,20 (biblische Begründung der Aufgabe des Lehramts) Katechismus der katholischen Kirche 101-141 Katechismus der katholischen Kirche - Kompendium 18-24 Youcat 14-18 Die Evangelien und die apokryphen Schriften Die Bibel ist nicht vom Himmel gefallen. Das gilt natürlich auch für das Neue Testament, das uns von Christus berichtet. Es ist jener geschriebene Teil der Offenbarung Jesu, den die Christen als authentisch anerkannt, gesammelt und überliefert haben. Doch gibt es nicht noch ganz andere Schriften, von denen immer wieder gemunkelt wird? Ein Petrusevangelium? Ein Judasevangelium? Sie kommen in Dan Brown’s Bestsellern vor; in den alljährlichen weihnachtlichen und österlichen Enthüllungs-Dokus über den „wahren Jesus“ – die sogenannten geheimen Evangelien. Warum sind diese Texte nicht in der Bibel? Auf welcher Grundlage wurden sie ignoriert oder ausgeschlossen? Die Antwort darauf ist keine spannende Enthüllungsgeschichte über ein Komplott im Vatikan. Die Wahrheit ist wie so oft etwas trockener und auch ein Stück langweiliger. Eine Übersicht zur Entstehung der neutestamentlichen Schriften kann uns den ersten Hinweis geben: Wenn wir auf die Zeitleiste blicken, dann entspricht dieser markierte Zeitraum, jenem, in dem Christus auf Erden gelebt hat. Es handelt sich um eine Annäherung, da die biblischen Quellen keine ganz genaue Bestimmung zulassen. Fest steht, dass Jesus die drei letzten Jahre seines Lebens öffentlich gepredigt und gewirkt hat. Wohl schon in dieser Zeit wurden erste schriftliche Aufzeichnungen seiner Gleichnisse, Reden und Taten gemacht und diese Textsammlungen weiter gegeben. Daneben war die mündliche Überlieferung durch seine Jünger das wichtigste Zeugnis. So entstand nach und nach eine Vielzahl von Jüngergemeinden, in denen die Botschaft Jesu lebendig erhalten wurde. Der immer weiteren Ausbreitung des christlichen Glaubens im römischen Reich verdanken wir dann die ältesten uns in ihrer Ursprungsform erhaltenen Texte. Es war der Völkerapostel Paulus, der bei seinen langen Missionsreisen im Mittelmeerraum durch einen regen Briefwechsel den Kontakt mit den Gemeinden aufrecht hielt. Die Gemeinden bewahrten die kostbaren Lehren des Apostels auf und man kopierte sie für andere Gemeinden in der Nähe. Auch Briefe anderer Apostel sind uns erhalten geblieben. Die zentrale Überlieferung betraf jedoch stets das Leben und Leiden des Messias. Neben den schon erwähnten Jesusworten und Gleichnissammlungen, die schriftlich im Umlauf waren, wurden in diesem Zeitraum auch die vier Evangelien verfasst - chronologische Berichte des Lebens Jesu, welche noch heute den Kern der christlichen Bibel ausmachen. 1 Mein Gott und Walter – Episode 4: Offenbarung und Bibel II Alle Texte des Neuen Testaments, so wie sie uns heute überliefert sind, wurden ab der Mitte des 1. Jahrhunderts bis zu dessen Ende abgefasst. Die im 19. Jahrhundert oft aus ideologischen Gründen versuchte Spätdatierung der Evangelien wurde von fast allen Forschern wieder aufgegeben. In der Tat gibt es heute einige Exegeten, die immer neue Hinweise für eine sehr frühe Datierung beanspruchen. Das frühe Christentum in der Auseinandersetzung mit dem Gnostizismus Das Christentum entstand nicht in einem religiösen Vakuum: Es gab viele Religionen und religiöse Strömungen. Gerade in den Gebieten des ehemaligen hellenistischen Großreichs gab es nicht nur eine Mischkultur, sondern auch viele Mischreligionen. In diesem Klima wurde zwischen dem zweiten und vierten Jahrhundert eine Reihe von weiteren Texten verfasst. Einige davon stammen von christlichen Splittergruppen, aber die meisten davon sind außerhalb des eigentlichen Christentums entstanden. Sie verbanden christliche Traditionen und Lehren mit der eigenen Vorstellungswelt. „Darauf geklebt“ wurde dann noch ein Etikett mit dem Namen des Apostels für ein bisschen Extraautorität – und fertig war so eine Schrift. Manchmal fanden diese Texte auch den Weg in christliche Gemeinden. So ist uns die Warnung des Patriarchen von Antiochia erhalten, der eine kleine Gemeinde in seinem Gebiet darauf hinweist, dass das Petrusevangelium, das dort manchmal im Gottesdienst verlesen werde, nicht authentisch sei. Das Petrusevangelium vertrat die Lehre des Doketismus. Diese leibfeindliche Anschauung verbreitete die Ansicht, dass Christus zwar Sohn Gottes, aber gar nicht wirklich ein leiblicher Mensch gewesen sei. Das Körperliche sei schlecht und Gottes unwürdig. Die gewiss größte Zahl dieser Texte ist unter dem Einfluss des Gnostizismus entstanden. Der Gnostizismus ist weniger eine Religion, als eine religiöse Strömung. Der Name leitet sich vom griechischen Wort für „Erkenntnis“ (gnosis) ab. In diese „Erkenntnis“ wurde man meistens stufenweise eingeführt. Man musste also Eingeweihter sein. Da gab es Passwörter, um nach dem Tod die einzelnen himmlischen Sphären aufschließen zu können usw.. Von dieser Tatsache lässt sich nach einer Ansicht auch der Name „Apokryphen“ - für die Gesamtheit dieser Texte herleiten. „Apokryph“ kommt aus dem Griechischen und bedeutet „verborgen“. Der Ursprung des Gnostizismus liegt im syrisch-persischen Raum im 6. Jahrhundert v.Chr.. Durch den Einfluss des Hellenismus wurde er zu einer dynamischen Mischreligion aus griechischer Philosophie und Religion, Seelenwanderungslehre, Zoroastrismus mit babylonischen und ägyptischen Religionselementen. Die Grundthemen beschreiben einen Kampf zwischen einem guten und einem bösen Gott. Dabei gilt alle Materie als schlecht. In einem mythischen Drama kämpft der Mensch um seine Befreiung aus dem Irdischen. In ihm lebt ein göttlicher Funke, der gefangen ist in Leib und Materie. Die Kanonisierung der biblischen Schriften Im römischen Reich verbreitete sich das gnostische Gedankengut von Osten her und traf ab dem 2. Jahrhundert verstärkt auf das Christentum. Eine Reihe gnostischer Sekten griff christliche Elemente auf und verfasste den Großteil der sogenannten Pseudoevangelien. Durch die Flut an neuen, aber nicht authentischen Texten überlegte die Kirche einen Schriftenkanon festzulegen, d.h. alle maßgeblichen und echten christlichen Schriften zu sammeln und klar von den neuen Texten abzugrenzen. Zwei Kriterien dienten dabei zur Festlegung: Der Text musste eine apostolische Überlieferung sein, d.h. auf die Urheberschaft eines Apostels zurückgehen. Und die Texte mussten eine lange und weit verbreitete gottesdienstliche Tradition vorweisen. Beide Kriterien mussten erfüllt werden. 2 Mein Gott und Walter – Episode 4: Offenbarung und Bibel II So schieden selbst viele gute frühchristliche Texte wie der „Hirt des Hermas“ oder der „Brief des Barnabas“ aus. Sie konnten eben nicht einen Apostel als Urheber aufweisen. Solche Schriften wurden nicht vergessen und auch weiter verbreitet, aber in den biblischen Kanon wurden sie aus dem genannten Grund nicht aufgenommen. Andere Texte wiederum waren eine Zeit umstritten, weil sie nur in einer Region eine Tradition im Gottesdienst hatten. In Bezug auf die Apokryphen wurde nicht alles schlichtweg abgelehnt. Schließlich mischten sie echte Traditionen mit ihrer eigenen Vorstellungswelt. So haben manche Erzählungen des Thomasevangeliums v.a. in die kirchliche Kunst des Ostens Eingang gefunden. Aber auch im Westen sind uns heute die Namen der Eltern Mariens - Joachim und Anna - schriftlich nur mehr aus der Bezeugung durch apokryphe Texte bekannt. Mit der Formung eines Kanons verbindlicher Schriften wurde das wichtigste Ziel in der Auseinandersetzung zwischen Christentum und Gnostizismus erreicht: Durch die Festlegungen konnte man die christlichen Gemeinden fortan besser gegen die eindringenden Lehren wappnen. Und es war der Grundstein für das Neue Testament und damit ein Schritt zur christlichen Bibel, wie wir sie heute in Händen halten. Auseinandersetzung mit Vorwürfen Dan Browns Nur schon dieser kurze geschichtliche Abriss zeigt, wie die Behauptungen eines Dan Brown gezielt in die Irre führen. „Sakrileg“ und „Der Da Vinci Code“ sind zwar nur Romane, aber die Einleitung behauptet, sich für die Geschichte auf Fakten zu stützen. Brown stellt folgende Unwahrheiten in den Raum: „Die Kirche und ihre Bibel verschweigen und verschleiern den echten Jesus.“ Dazu ist zu sagen, dass es - gerade umgekehrt - die im 2. bis 4. Jahrhundert entstandenen gnostischen Texte sind, die den „echten“ Jesus verschleiern. Diese Texte sind alle nach den biblischen Texten entstanden und historisch nicht zuverlässig. Zweitens wirft Brown der Kirche vor, die anderen Evangelien geheim gehalten zu haben. In Wahrheit ist jedoch ein Teil der gnostischen Texte überhaupt nur durch Zitate ihrer christlichen Gegner erhalten. Irenäus von Lyon war ein solcher Sammler der Irrlehren, um gegen sie zu argumentieren. Er zitiert und widerlegt sie in einem eigenen Werk. Nur durch ihn wusste man von einem gnostischen Judasevangelium, bevor man es vor einigen Jahrzehnten in der Wüste Ägyptens wieder fand. Dass die Christen ganz grundsätzlich nicht die Schriften ihrer Gegner sorgfältig weitergaben, kann ihnen ja kaum zum Vorwurf gemacht werden. Neben diesen haltlosen Behauptungen gibt es auch fantasievolle Erfindungen: So lässt Brown eine Figur in seinem Roman sagen: „Das Evangelium des Philippus ist eines der frühesten christlichen Dokumente.“ Dann wird der Text zitiert: „Und die Gefährtin des Erlösers ist Maria Magdalena. Christus liebte sie mehr als alle Jünger und küsste sie oft auf den Mund. Wie jeder Aramäisch-Professor bestätigen wird, konnte Gefährtin nur Ehefrau bedeuten.“ Soweit die Fiktion. Tatsächlich wurde das Philippusevangelium rund 150-200 Jahre nach den anderen Evangelien verfasst. Es ist nicht einer der ältesten christlichen Texte, sondern noch nicht einmal ein besonders alter gnostischer Text. Damit verliert es schon an historischem Wert, aber auch das angebliche Zitat steht nicht wirklich so im Text - es ist nur in Fragmenten erhalten – übrigens auch nicht auf Aramäisch, wie Brown meint, sondern auf koptisch. Die Geschichten eines Dan Browns, die sensationellen Enthüllungen und die fragwürdig einseitigen Dokumentationen zur Bibel und dem historischen Jesus werden uns weiter begleiten. Und solange die Zuseher noch ahnungsloser sind als die Produzenten, wird dies auch sehr erfolgreich geschehen. Denn nichts scheint den Menschen so sehr zu faszinieren wie eine gute, dunkle Verschwörungstheorie. Und wenn der Vatikan seine Finger im Spiel haben soll, dann um so besser. 3