1.3 Dogma und Dogmatik

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Christoph Schwöbel, Dogmatik im Grundriss
Sommersemester 2006
1.3
Dogma und Dogmatik
Dogma bezeichnet die Grundaussagen des christlichen Glaubens über Grund, Sinn und Ziel der Wirklichkeit, so
wie sie von Gott dem Schöpfer gesetzt, in Christus erschlossen und durch den Heiligen Geist zur Gewissheit
gebracht wird, die kraft ihres Wahrheitsgehalts und ihrer Orientierungsleistung in der christlichen Kirche
verbindlich sind. Dogmatik ist die Explikation des Dogmas als begründete Darstellung und Entfaltung des in der
Wahrheitsgewissheit des christlichen Glaubens gegebenen Wirklichkeitsverständnisses.
1. Christliche Umprägungen des bildungssprachlichen Begriffs des Dogmas
Als vorchristliche Bedeutung von Dogma lassen sich „Meinung“, „Beschluss“, göttliches oder menschliches
„Dekret“ sowie die verbindliche Lehre in der Medizin oder der Philosophie oder dem Recht feststellen.
Terminologische Bedeutung erhält der Begriff in der Stoa: als universale Aussage über das Wesen der Wirklichkeit,
die aus der Vernunft stammt und nicht aus der sinnlichen Erfahrung gewonnen ist und wegen ihres Ursprungs in der
Vernunft unbezweifelbare Geltung hat. In diesem Sinne wird der Begriff vom Christentum übernommen, wobei die
Offenbarung und die Vernunft als Ursprung und Geltungsgrund des Dogmas reklamiert wird. Mit Beendigung der
Lehrstreitigkeiten auf den ökumenischen Konzilien des 4. Jahrhunderts kommt das Bestimmungselement der
verbindlichen Gültigkeit hinzu. Dogma ist „die durch förmliche Entscheidung außer Streit gestellt kirchl[iche] Lehre
über die aus der Christusoffenbarung stammende Gewissheit von Ursprung und Bestimmung des Daseins in Gott
mit lebensorientierender Kraft.“ (E.Herms, Art. Dogma, RGG 4 Bd. II (1999), Sp. 895-899, 895).
2. Römisch-katholische Neuakzentuierung des Begriffs nach Reformation und
Aufklärung
Dogma ist im neuzeitlichen römisch-katholische Verständnis alles, „was im geschriebenen oder überlieferten Wort
Gottes enthalten ist und von der Kirche – sei es in feierlichen Entscheidungen oder kraft ihres gewöhnlichen
allgemeinen Lehramtes – als von Gott offenbart zu glauben vorgelegt wird“ (DH 1501). Feierliche Lehrdefinitionen
durch das außerordentliche Lehramt sind irreformabel auf Grund des der Kirche verheißenen Bleibens in der
Wahrheit (Indefektibilität). Basis dieser Auffassung ist im II. Vatikanum entfaltete Überzeugung, dass die
Traditionstätigkeit der Bischöfe kraft der Einsetzung der Apostel durch Christus zum Geschehen der Offenbarung
hinzugehört (Dei Verbum 7). Die pfingstliche Geistgabe bewirkt die innere Bereitschaft, die Vorlage des Lehramtes
als innerlich bindend im Glaubensgehorsam anzunehmen. Damit ist die Berufung auf die Vergegenwärtigung der
Wahrheit Gottes selbst außerhalb und gegen das Lehramt der Kirche ausgeschlossen.
3. Dogma im evangelischen Verständnis
Die Reformation nahm den vom Humanismus neu belebten antiken Begriff des Dogmas auf. Die altkirchlichen
Bekenntnisse wurden rezipiert, aber als „Schriftauslegung“ der Autorität der Schrift untergeordnet. Die
reformatorischen Bekenntnisschriften ordnen sich der Schrift unter, formulieren aber Regeln zum Gebrauch der
Schrift in der Kirche. Die im Dogma angelegte Ausrichtung auf die kirchliche Verbindlichkeit der Glaubenslehre
wird von der Schrift und der Gewissheit schaffenden Selbstvergegenwärtigung Gottes im Heiligen Geist
unterschieden und auf sie bezogen. Sie hat in der Ordinationsverpflichtung als Verpflichtung zur Wahrnehmung der
Lehrtätigkeit im Rahmen der nach der Kirchenordnung verbindlichen Lehre ihren Platz.
4. Dogmatik
Karl Barth, KD I,1 §1: „Dogmatik ist die theologische Disziplin der wissenschaftlichen Selbstprüfung der
christlichen Kirche hinsichtlich des Inhalts der ihr eigentümlichen Rede von Gott.“ (1)
5. Dogmatik und Ethik
Dogmatik ist die Selbstexplikation des Wirklichkeitsverständnisses des christlichen Glaubens im Blick auf seine
Wahrheitsgewissheit. Christliche Ethik ist die Entfaltung der im Wirklichkeitsverständnis des Glaubens enthaltenen
Perspektiven der Handlungsorientierung des christlichen Ethos im Blick auf die Subjekte des sittlichen Handelns
(Tugendlehre), die im christlichen Glauben angenommenen und im christlichen Ethos angeeigneten
Handlungsmöglichkeiten und Handlungsziele (Güterlehre) und die dabei leitenden Handlungsnormen
(Pflichtenlehre). Jede dogmatische Aussage hat eine ethische Pointe; jede ethische Aussage setzt das christliche Ethos
als die Lebensform des christlichen Glaubens einschließlich seines in der Dogmatik explizierten
Wirklichkeitsverständnisses voraus.
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