Depression und Schwangerschaft Dr. Johanna Kunze 01/09/2013 Eine psychische Erkrankung kann jeden treffen! Prävention Unter Prävention versteht man alle medizinischen und sozialen Anstrengungen, die Gesundheit zu fördern (health promotion) und Krankheit und Unfälle sowie deren Folgen zu verhüten. Primär: Sekundär: Tertiär: Krankheitsverhütung, Gesundheitsförderung Krankheitsfrüherkennung, Erkennen von Risiken Verhütung der Krankheitsverschlechterung ("Commission on Chronic Illness“, 1955) Was sind psychische Störungen? Schwere seelische Erkrankung Störung: Stimmung/Handeln/Denken Gefürchtet (seelich/körperlich) Gefährlich (Selbsttötungsneigung) Kondome statt Medikamente? Wie häufig treten psychische Störungen auf? Depression in der Schwangerschaft: 7-15 % (Evans et al. 2001. BMJ 323:257-60) Postpartale Depression: 10-15 % (Riecher-Rössler 1997. Fortschr Neurol Psychiat 65:97-107) Postpartale Psychose: 0,1-0,2 % (Kendell et al. 1987. Br J Psychiatry 150: 662-673) Symptome einer postpartalen Depression Schuldgefühle (mangelnde Mutter-Kind-Gefühle) Minderwertigkeitsgefühle („Versagen als Mutter“) Zwangsgedanken, Zwangsimpulse („obsession of infanticide“) Suizidalität Schlafstörungen Depression – Klassifikation und Pathophysiologie Psychopathologischer Befund Äußeres Erscheinen/Verhalten Bewusstsein Orientierung Gedächtnis Konzentration Stimmung und Affekt Antrieb, Psychomotorik Formales/inhaltliches Denken Wahrnehmung Ich-Störung Ängste und Zwänge Suizidalität Risikofaktoren 1. Depression in der Schwangerschaft (0´Keane and Marsh 2007.BMJ 334: 1003-5) Armut, geringer Bildungsstand Häusliche Gewalt Geringe Unterstützung Ungeplante Schwangerschaft „teen pregnancy“ Depression in Anamnese: Erkrankungsrisiko 50 % (Cohen et al. 2000. JAMA 295: 499-507) 2. Depression postpartal (Evans et al. 2001. BMJ 323: 257-60) 50 % der postpartalen Depressionen beginnen vor der Geburt Folgen einer Depression in Schwangerschaft Erhöhte Rate von Spontanaborten Erhöhter Alkohol- und Nikotinkonsum Hypertonus Präeklampsie Geburtskomplikationen Erhöhte Zahl von Frühgeburten Niedriges Geburtsgewicht Wachstumsverzögerungen im ersten Lebensjahr Verhaltensauffälligkeiten des Kindes Postpartale Depression Suizid ist nach Geburt häufigste Todesursache Infantizid in der Postpartalzeit (bedeutet die Tötung des Kindes im 1. Lj.) tritt bei 4 % der postpartalen Depressionen auf keine klaren Prädiktoren Mehrfache Stressoren, unzureichende Unterstützung Warnsignale: affektiv erkrankte Mütter äußern Sorge Cave: Mütter mit psychotischen Symptomen handeln impulsiv Trautmann-V: 2007 Wohin kann unbehandelte depressive Symptomatik führen? Depressive Spirale Suizidalität (cave: erweiterter Suizid) Störung der Mutter-Kind-Bindung Chronifizierung der Erkrankung Circulus vitiosus psychischer Störungen in Schwangerschaft und Wochenbett Angst, Depression und Stress in der Schwangerschaft Postpartale Depression Erschöpfung, Insuffizienzerleben der Mutter Störungen der Mutter-Kind-Bindung Regulationsstörungen beim Kind Weidner 2008 Behandlungsstrategien Puzzleteile der Therapie Medikamentöse Behandlung Multiprofessionelle Unterstützung Psychotherapie Angehörige/Partner Warum sollten Patienten mit psychischen Erkrankungen medikamentös behandelt werden? Das Leiden einer jungen Mutter Bei einem Familiendrama in Pforzheim sind am Mittwochmorgen zwei Menschen ums Leben gekommen. Eine Mutter hatte ihre zwei Monate alte Tochter und ihren vier Jahre alten Sohn vom Balkon im vierten Stock geworfen, bevor sie selbst in die Tiefe sprang. Das Baby war sofort tot, die 27-jährige Frau starb später in der Klinik an ihren schweren Verletzungen. Der vierjährige Junge wurde lebensgefährlich verletzt. Laut Oberstaatsanwalt Christoph Reichert besteht eine Chance, dass das Kind den Sturz überlebt. Man habe nichts gefunden, was auf einen Abschiedsbrief hindeuten würde. Mehrfach in psychiatrischer Behandlung Allerdings gab es Indizien, die bereits am Tag der Tat als Gerücht die Runde machten: dass Yasemine K. (Name geändert) psychisch krank gewesen sein könnte. Das wurde im Lauf des Tages zur Gewissheit: Es gibt die Diagnose, dass K. seit 2005 an paranoider Schizophrenie litt, also Bewusstseinsspaltung und Verfolgungswahn. Sie war mehrfach in psychiatrischer Behandlung, bekam Medikamente, die sie aber nicht regelmäßig nahm – angeblich wegen des Stillens. Am Dienstag schließlich, so die Ermittlungsbehörden, habe sich die Frau geweigert, ein jüngst vom Arzt verschriebenes Medikament einzunehmen. Hinweise auf das Krankheitsbild hatten Polizei und Staatsanwaltschaft bereits in der Wohnung gefunden: Yasemine K. hatte neben Gebetstexten eine Art handschriftlichen Lebenslauf hinterlassen, der durch Notizen zu bestimmten psychischen Krankheitsbildern ergänzt wurde – unter anderem zur paranoiden Schizophrenie. Quelle: Pforzheimer Zeitung Psychopharmaka in der Schwangerschaft Welche Medikamente können unter Berücksichtigung der Teratogenität eingesetzt werden? Antidepressiva Neuroleptika Mood stabilizer Tranquilizer S3- Leitlinie/Nationale Versorgungsleitlinie „Sichere Nachweise zur Überlegenheit eines Wirkstoffes oder einer Wirkstoffgruppe im ambulanten Bereich können jedoch aus den zahlreichen Vergleichsstudien zwischen Prüf- und Standardsubstanz, die meist nur die Nichtunterlegenheit prüfen, kaum abgeleitet werden.“ Alle zugelassenen Antidepressiva sind wirksam! Ursachen angeborener Entwicklungsstörungen 65 % unbekannte Ursachen (z.B. spontan, polygenetisch) 20 % genetische Erkrankungen 5 % chromosomale Anomalien 4 % mütterliche Erkrankungen (z.B. Epilepsie, Diabetes mellitus) 4 % chemische/physikalische Ursachen Antidepressiva bei einigen Substanzen ist leicht erhöhtes Fehlbildungsrisiko des Herzens/Gefäße bekannt, z.B. Paroxetin, Fluoxetin „Goldstandard“: Sertralin, Citalopram (Bergemann 2007) Absetzphänomene bedenken Übergang im Muttermilch neonatales Anpassungssyndrom tritt bei ca. 30 % der intrauterin SSRI-exponierten Säuglinge auf (Moses-Kalko et al., 2005) Neuroleptika größter Erfahrungsschatz: Haloperidol mehrere hundert Fallberichte: Quetiapin und Olanzapin (keine Fehlbildungen bekannt) Cave: EPMS beim Neugeborenen Einsatz von Clozapin diskutieren (Agranulozytose-Risiko) Mood stabilizer Folsäureprophylaxe Monotherapie, möglichst erst ab 2. Trimenon (bei Kombination von Carbamazepin und Valproinsäure steigt Risiko von Fehlbildungen an) kleinste effektive Dosis Einsatz von Valproinsäure obsolet Einsatz von Lithium, Lamotrigin und Carbamazepin möglich Empfehlung Medikation in Schwangerschaft Schwangerschaft planen, eventuell kritisch abwägen individuelle Rezidivgefahr abschätzen (bisheriger Krankheitsverlauf) Medikation: immer Einzelfallentscheidung (persönliche Beratung) Medikation bei bestehender Schwangerschaft nicht abrupt absetzen (erhöhte Rezidivgefahr!) interdisziplinäre Betreuung inkl. Pränataldiagnostik Vorbereitung Postpartalzeit inkl. „Notfallplan“ ACOG Practice Bulletin 2008; Sasse J. et al., 2009 Empfehlung Medikation in Postpartal- und Stillzeit Problem: Psychopharmaka treten in Muttermilch über, unreife Blut-Hirn-Schranke und z.T. unreife Leberfunktion des Neugeborenen Stillen nur möglich, wenn psychotrope Substanz schon in Schwangerschaft verordnet wurde Drug monitoring bei Mutter und Kind? Medikation bei bestehender Schwangerschaft nicht abrupt absetzen (erhöhte Rezidivgefahr!) interdisziplinäre Betreuung inkl. Pränataldiagnostik Vorbereitung Postpartalzeit inkl. „Notfallplan“ Sasse J. et al., 2009 „Nutzen-Risiko-Abwägung“ Schutz vor: Vermeidung von: Gefährdung der Mutter/ Schädigung des Föten durch die Depression Schädigung des Föten durch Medikamente FAZIT Empfehlungen zur Gesundheitsförderung Enttabuisierung, Entstigmatisierung Früherfassung und Frühintervention Stressmanagement, „Life-work-balance“ Allgemein: Entspannung-Ernährung-Bewegung!