Der Princeps „Verzeih die Störung, Herr“, flüstert der Haushofmeister, „Eilpost ist aus Apulien eingetroffen.“ Er überreicht die verschnürten Wachstafeln und verschwindet so lautlos, wie er eintrat. Sein Herr, der Imperator Caesar Augustus, richtet sich von seiner Liege auf und öffnet die Schnüre. Beim Lesen der Tafeln verdüstert sich sein Gesicht. „Verfluchte Sklavenbrut“, grollt er, denn die Nachricht enthält nichts Gutes: Durch Apulien streift eine Sklavenbande. Sie überfällt Landgüter, raubt sie aus, ermordet Sklavenhalter und Aufseher. Den Senator Titus Aemilius Longos haben sie sogar gekreuzigt! Augustus schleudert die Tafel zu Boden und springt auf. Erregt geht er im Raume auf und ab. Bald zwingt er sich jedoch zur Ruhe; denn der Zorn ist ein schlechter Ratgeber, und Augustus braucht einen klaren Kopf. Spätestens morgen wird ganz Rom wissen, was in Apulien geschehen ist. Und dann wird es losgehen. Alle, die eine Senatsregierung wie in früheren Zeiten wünschen, werden gegen ihn die Zunge wetzen und auf ihn einhacken: „Warum hältst du die Sklaven nicht besser im Zaum, Augustus? Wozu sonst hat der Senat dich erhöht über alle anderen Römer und dich zum Princeps, zum Ersten Bürger Roms, erklärt? Wozu sonst hast du die obersten Staatsämter und das Kommando über die Legionen in deiner Hand vereinigt? Der Sklave soll zittern vor seinem Herrn! Nicht umgekehrt wie gegenwärtig in Apulien!“ So werden viele reiche Sklavenhalter reden. Augustus zweifelt nicht daran. Grimmig denkt er einige Jahre zurück. Damals ging der Bürgerkrieg zu Ende. Alle jubelten ihm zu, vor allem die Senatoren sowie die Besitzer großer Landgüter und großer Werkstätten; denn er ließ Zehntausende Sklaven, die während der inneren Wirren und Kämpfe ihren Herren weggelaufen waren und sich den kämpfenden Parteien angeschlossen hatten, ergreifen und gab sie ihren früheren Besitzern zurück. Und als er einige tausend widerspenstige Sklavenkerle ans Kreuz schlagen ließ, da lobten ihn alle: „Augustus greift durch! Augustus schafft wieder Zucht und Ordnung!“ Doch nun? „Verfluchte Sklaven“, stößt Augustus drohend heraus, „ihr sollt mir nicht noch einmal Schwierigkeiten machen!“ Er wirft sich auf die Liege, starrt die Wand an, brütet Hassgedanken. Wozu hat Rom seine Polizeisoldaten? Sie sollen die Sklavenbande in Apulien jagen. Ans Kreuz mit den Banditen! Mit allen ans Kreuz, die ihnen geholfen haben! Aber geht es nicht um mehr, als nur um diese Sklaven, die sich in Apulien zusammengerottet haben? Augustus flüstert böse: „Die ganze Sklavenbrut, ich will sie endlich und für immer zum Gehorsam zwingen. Zittern sollen sie, wenn sie nur an uns denken!“ Er überlegt: Gab es nicht Gesetze: alte, gute römische Gesetze - trefflich geeignet, um jedem Sklaven das Blut in den Adern erstarren zu lassen, wenn er von ihnen hörte? Augustus erinnert sich. „Wurde ein Herr ermordet“, so bestimmt ein solches Gesetz, „sind alle Sklaven zu foltern und hinzurichten, die zur Mordzeit in Ruf nähe waren und nicht beweisen können, dass sie ihrem Herrn zu Hilfe eilten.“ Augustus lächelt hämisch. Ich will dieses Gesetz in Erinnerung bringen, nimmt er sich vor. Man soll danach handeln! Und allen Sklaven soll man es verkünden, damit sie uns fürchten. Der Princeps 1 Um die Gunst der Massen „Gebt Raum dem Imperator Caesar Augustus“, rufen die Liktoren, die mit Beil und Rutenbündel (Zeichen der Gerichtsbarkeit) der Sänfte vorausgehen. „Platz für den Ersten Bürger Roms!“ Bereitwillig weicht die Menschenmenge zurück. Hochrufe werden laut: „Lang lebe Augustus i Hoch unser Ernährer!“ Der Princeps ist wahrhaftig ihr Ernährer. Mehr als 300 000 besitzlose Römer erhalten durch seine Proviantmeister allmonatlich kostenlos Brotgetreide. Alle Römer wissen es genau: 560 Millionen Scheffel Korn hat der Princeps einlagern lassen in die staatlichen Speicher - Vorrat für Jahre! „Lang lebe Augustus, unser Ernährer!“ Das Marsfeld ist erreicht. Augustus lässt die Sänftenträger vor den neuen, prachtvollen Thermen halten. Und wenig später tummelt er sich, von zwei Leibwächtern begleitet, unter den Badegästen: unerkannt und unbeachtet von den meisten. Am Warmwasserbecken, in dem sich die Badenden vom Schweiß und Schmutz säubern, bleibt Augustus stehen. Ein Mann mit zahlreichen Narben auf der Brust und an den Armen ist ihm aufgefallen. Er wäscht sich den Rücken. Wo er nicht hinreicht mit den Händen, scheuert er ihn, indem er den Rücken gegen eine Säule reibt. Augustus spricht ihn an: „Kriegsveteran?“ Die Antwort klingt stolz: „Siehst du meine Narben nicht?“ Und wo gekämpft?“ „Unter Augustus! Ha, das waren Zeiten!“ Der Veteran beginnt ruhmredig Feldzüge und Schlachten aufzuzählen. Augustus unterbricht ihn: „Hast du denn keinen Sklaven, der dich wäscht?“ „Was, einen Sklaven für das Bad?“ Der Veteran schüttelt heftig den Kopf. „So reich sind Veteranen nicht!“ Und er reibt sich den Rücken eifrig an der Säule. Augustus winkt einem der Leibwächter und flüstert ihm etwas zu. Und während er den Veteranen ausfragt nach seinen Kriegserlebnissen, eilt der Wächter davon, um bald darauf mit einem Beutel zurückzukehren. „Nimm, Veteran“, sagt Augustus huldvoll. „Kauf einen Sklaven, dass er dich bedient und pflegt! Du hast es um das Vaterland verdient.“ Und der Leibwächter raunt dem Verwunderten zu: „Das Geld schenkt dir der Imperator Caesar Augustus!“ Er sagt es laut genug, dass alle Umstehenden es hören. Längst hat Augustus die Thermen auf dem Marsfeld wieder verlassen, aber die Badegäste rühmen und preisen noch immer seine Freundlichkeit und Güte. Und bezahlte Lobredner verbreiten sie in allen Gassen und Schenken Roms. AUSWERTUNGSMÖGLICHKEITEN 1. Wodurch unterschied sich die Regierung des Kaisers Augustus von der früheren Senatsregierung? 2. Was waren die Gründe für die Errichtung des Prinzipats gewesen? Der Princeps 2 3. Wodurch will Augustus die Sklaven „für immer" zum Gehorsam Zwingen? 4. Ob er das erreichen wird? 5. Warum mischte sich Augustus unter das Volk und beschenkte den armen Veteranen? 6. Weshalb ließ er an besitzlose Römer kostenlos Brotgetreide austeilen? 7. Wie beurteilst du sein Handeln? Begründe deine Meinung! Der Princeps 3