Grün ist die Hoffnung Ein seltsames Thema, könnte man meinen, schließlich ist das ja nur ein Sprichwort. Der Naturwissenschaftler würde sagen: Gefühle haben keine Farbe, weil sie kein Licht reflektieren. Aber immerhin: „Gelb vor Neid“, „rot vor Wut“, „weiß vor Schreck“, „blau“ nach einer Feier... – menschliche Zustände, die fern der kontrollierten Vernunft liegen, werden offenbar gerne mit intensiven Farbvergleichen belegt. Insbesondere sehr emotionale oder phantasiebestimmte Zustände sind hier zu nennen. Und die reine Vernunft? Viele identifizieren sie mit “Grau“, dem farblosesten optischen Eindruck, den es gibt. Beispiele, die übrigens völlig ungerechtfertigt sind: Mathematiker, Physiker, Philosophen, Schachspieler... Bei dieser Zuordnung wird der Fehler gemacht, anzunehmen, dass die so kontrolliert „vor sich hindenkenden Koryphäen“ dabei gefühllos seien. Ein gewaltiger Irrtum, den die folgende Anekdote schön illustriert: Ein berühmter Mathematiker wird gefragt: „Wo ist eigentlich Ihr Assistent vom vorigen Jahr geblieben?“ Antwort: „Er treibt sich irgendwo als Dichter herum, für die Mathematik hatte er viel zu wenig Phantasie.“ Übrigens die Phantasie: Sie wird gewöhnlich mit „Bunt“ identifiziert, was wieder ziemlich farbhaltig klingt. Also ist es wohl auch mit den zuvor erwähnten Denkern nicht so grau bestellt, wie allgemein angenommen. Zunächst lässt sich also zusammenfassen: Alle Situationen des Menschen, die intensives Lebensgefühl enthalten, werden sprichwörtlich mit kräftigen Farben bezeichnet. Daraus ergibt sich fast nebenbei der einzige wirklich berechtigte Anwendungsbereich der Farbe „Grau“: Die Sphäre der sogenannten bürgerlichen Langeweile und Ödnis. Sie kann mit Worten wie „Couch-Potatoe“, „Werbefernsehen“, „GZSZ“, „Vernunftehe“, „Alltagsleben“, „Abhängen“, „Playstation“, „Egoshooter“ etc. näher charakterisiert werden. Der Oberbegriff dafür ist „Zeit totschlagen“, was ausdrückt, dass in diesen Zeiten kein Leben stattfindet. Dagegen zählt die Hoffnung unstreitig zu den „bunten“ menschlichen Empfindungsformen. Selbst jene, die ein „graues“ Leben führen, hoffen doch, dass es anders wird – bei zu vielen ist das leider der einzige Farbtupfer im Dasein. An dieser Stelle kann man auch den ersten intuitiven Ansatz finden, warum die Hoffnung gerade als grün empfunden wird. Der Übergang vom Winter zum Frühjahr, den die Menschen besonders früher herbeigesehnt haben, ist in der Natur der Farbübergang von grau nach grün. Genau dieser Übergang von der depressiven Winterzeit zum hoffnungsvollen Frühling lässt sich mit den Farben grau und grün vortrefflich illustrieren. Ob die Partei der „Grünen“ als weiteres Beispiel für eine Connection von Hoffnung und Grün verwendbar ist, kann man sich auch fragen. Zweifel scheinen heute aber angebracht. Es kommt nun noch ein weiterer Aspekt hinzu: Der Mensch empfängt ca. 80% seiner Sinneseindrücke über die Augen. Er ist also ein „optisches Wesen“. Dass er seine Empfindungen im weitesten Sinne mit Farben assoziiert, ist deshalb schon fast selbstverständlich. Hunde oder Schlangen werden da vielleicht eher „Geruchswelten“ haben, wer weiß... Von der Natur oder von der Evolution oder von Gott wurde übrigens dafür gesorgt, dass das menschliche Auge im grünen Spektralbereich seine maximale Empfindlichkeit hat. Das heißt, die Menschen (und sicher auch viele Säugetiere) streben sehr stark zum Grünen hin, da hier Nahrung und gegebenenfalls auch Wasser zu erwarten sind. Wer also Hunger oder Durst leidet, erhofft das Grüne. Grün ist die Hoffnung also, weil sie das Gefühl ist, dass das Leben oder die Lebensbedingungen besser werden, wenn Grünes in Sicht kommt. Man kann sich durchaus auf den Standpunkt stellen, dass nur dieser biologische Hintergrund zu den vorhin besprochenen Verknüpfungen der Gefühle mit Farben führt. Die Evolutionsbiologen denken wohl so ähnlich. Interessanterweise fällt es nicht leicht, ein anderes mit einer Farbe assoziiertes Gefühl zu finden, das so positiv und so beständig ist, wie die grüne Hoffnung, die ja bekanntlich zuletzt stirbt. Beispiele: Rot - die Liebe, sehr positiv, aber häufig unbeständig und riskant, Rot – die Wut, klar negativ, Gelb – der Neid, klar negativ, Blau, weiß – steht gewöhnlich für Kälte und Starre, Braun – steht für die Produkte von Verwesung und Zerfall, Ekel, Grau – Langeweile, wie vorhin erklärt, Schwarz, weiß – Farben des Todes, je nach Kulturkreis,. Es sieht folglich danach aus, als ob tief im Stammbaum des Menschen eine starke Identifizierung der Farbe Grün mit einem vorwärtsgewandten Lebensgefühl (der Hoffnung also) erfolgt ist und dass es dafür gute evolutionäre Gründe gegeben hat. Abschließend möchte ich jedoch sagen, dass die hier vorgetragenen Überlegungen nicht den Anspruch gesicherter wissenschaftlicher Erkenntnisse haben. Ich wollte lediglich versuchen, einige Anstöße zu geben für Gedanken, die aus der grauen Alltagswelt hinausführen in etwas buntere, grünere Gebiete. Sollte mir das gelungen sein, wäre ich froh. Danke für Ihre Aufmerksamkeit.