Theater mit Spiegelwänden Gerhard Richter mit "Acht Grau" in der Deutschen Guggenheim Berlin Quelle: http://www.fr-aktuell.de/archiv/fr30t/h120021121101.htm Von Ulrich Clewing Ist das alles, fragt die Tochter (ungefähr neunzehn)? Der Vater (ungefähr fünfzig) schmunzelt und sitzt in Gedanken wohl schon im Museumscafé. Stimmt ja auch, irgendwie, das wär's erstmal: acht große Glasscheiben, von vorne spiegelnd, auf ihrer Rückseite mit grauer Farbe beschichtet, die etwa zwei Meter breit sind, eine Armlänge vor der Wand hängen und vom Boden bis fast unter die Decke reichen. Davon abgesehen ist der Raum leer, obwohl er voller Bilder ist. Aber um das zu merken, braucht es eine Weile. Gerhard Richter hat das Deutsche Guggenheim Berlin in ein Theater verwandelt. Es treten auf: die Besucher, die Aufseher, das Licht, der Schatten, die Fenster zur Straße hin, das, was sich draußen tut. Auf dieser Bühne spielt jeder mit, sogar auf das Zischen der Kaffeemaschine achtet man auf einmal ganz genau. Denn so funktioniert Minimalismus im besten Fall: Die Wahrnehmung wird geschärft, bis die letzte Nebensache Aufmerksamkeit erregt. Und am Ende steht man in dieser fast nicht vorhandenen Ausstellung und wundert sich über den Reichtum der Eindrücke, die gerade über einen gekommen sind. Dabei ist Gerhard Richter keiner, der es seinem Publikum besonders leicht macht. Seit Beginn seiner Karriere hat sich der Maler mit Vorliebe antizyklisch verhalten. Moden, Tendenzen, die Erwartungen anderer haben ihn noch nie interessiert. Und so werden eilige Betrachter auch im aktuellen Beispiel schnell enttäuscht. Die acht grauen Bilder, die Richter als Auftragsarbeit für das Deutsche Guggenheim hergestellt hat, gehören zu jenem Werkkomplex, zu dem auch seine HinterglasDeutschlandfahne im Berliner Reichstagsgebäude zählt, eine Arbeit, die dem Künstler Antje Vollmers Verdikt des "Scharlatans" einbrachte (was mehr über Antje Vollmer sagt als über Gerhard Richter). Andererseits macht es Gerhard Richter einem bei Acht Grau, so der Titel der Ausstellung, auch nicht sonderlich schwer. Man muss nur die Geduld aufbringen und ein bisschen warten, obwohl man glaubt, bereits alles begriffen zu haben. Dann registriert man, wie die Farben je nach Lichteinfall von einem nahezu reinen Weiß bis Dunkelgrau changieren. Wie die Beleuchtung auf den Glasflächen Reflexe ergibt. Wie sich in der Ausstellungshalle, die zum ersten Mal seit ihrer Eröffnung vor fünf Jahren von allen Einbauten und Stellwänden befreit ist, eine Ruhe ausbreitet, die ihrerseits wiederum eine seltsame allgemeine Verlangsamung bewirkt. Wer sich hier etwas länger aufhält, der läuft bald nicht mehr quer durch den Raum, sondern bewegt sich immer bedächtiger, beinahe vorsichtig von einem Ende zum anderen. Und noch etwas Merkwürdiges fällt auf: Das Grau in Acht Grau ist so abgemischt, dass das Glas von der Seite gesehen intensive Spiegelungen erzeugt. Stellt man sich jedoch direkt vor eines dieser monochromen Rechtecke, schluckt der Farbton plötzlich das Bild und man erkennt sich und die übrigen Besucher nur als Schemen. Wenn sich die Dinge derart reduzieren, ist die Versuchung groß, den Schlusspunkt einer Entwicklung erreicht zu sehen. Bei Acht Grau scheint das genauso zu sein, immerhin vereint dieses Ensemble eine Reihe von Stilelementen und Methoden aus Richters früherem Schaffen, als da wären: seine Monochromien der späten sechziger Jahre; die Auseinandersetzung mit alltäglicher Wahrnehmung (die Fotovorlagen); die Rauminstallationen, die Richter Anfang der Siebziger gemeinsam mit Blinky Palermo einrichtete; die Detailschau (in den wilden, stark farbigen abstrakten Gemälden aus den Achtzigern) und das Verschwimmen der Grenzen zwischen Malerei und Präsentation (sein Raum auf der Documenta 9). Also könnte man meinen, diese acht grauen Bilder seien eine Art Essenz des Werkes des mittlerweile siebzigjährigen Künstlers. Vielleicht ist es aber auch exakt anders herum: ein Anfang. Deutsche Guggenheim Berlin, bis zum 5. Januar. Copyright © Frankfurter Rundschau 2002 Dokument erstellt am 21.11.2002 um 21:29:16 Uhr Erscheinungsdatum 22.11.2002