Liebe Gemeinde,

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Dr. Rainer Reuter
Dozent am Theologischen Seminar der ELKRAS
14. Sonntag nach Trinitatis, 21.09.2003
Predigttext: Lk 17,11-19
Liebe Gemeinde,
„wovon das Herz voll ist, davon quillt der Mund über“ sagt ein bekanntes
deutsches Sprichwort. Es beschreibt etwas, das wir alle sehr gut kennen. Über
Erlebnisse, die eine besondere Bedeutung für unser Leben haben, über Dinge die uns
stark bewegen, müssen wir einfach mit anderen Menschen reden. Und wenn das nicht
geht, dann kommt es uns so vor, als müssten wir platzen. Ganz besonders leicht fällt
uns das Erzählen, wenn es sich um freudige Ereignisse ist.
Menschen, die frisch verliebt sind, geht das so. Ihr Leben verändert sich, sie
leben in einer völlig neuen Welt. Und natürlich wollen sie andere an ihrem Glück
teilhaben lassen. So erzählen sie schwärmerisch von diesem einzigartigen Menschen,
der jetzt an ihrer Seite ist.
Eltern können in der gleichen Weise ganz begeistert von ihren Kindern
erzählen. Andere schwärmen von großen beruflichen Erfolgen oder von hohen
sportlichen Leistungen. Manchmal erzählen wir begeistert sogar von den ganz
normalen Dingen des Alltags.
Bei alltäglichen Dingen des Lebens fällt es uns gar nicht schwer, das, was uns
bewegt, aus uns heraussprudeln zu lassen. Wie ist es aber, wenn wir etwas von Gott
zu erzählen haben?
Wenn wir über unsere Erfahrungen sprachen, über Erfolge und Misserfolge,
dann hieß es meistens: „das habe ich geschafft“ – oder auch „das ist mir nicht
gelungen“. Wenn über neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gesprochen wurde, hieß
es oft: „den habe ich entdeckt“ oder „diese Frau habe ich für unsere Gemeinde
geworben“. Dass Gott unserer Gemeinde Chancen und neue Wege schenkt, dass Gott
uns Menschen sendet, dass Gott uns das Gelingen all dessen, was wir planten und
organisierten, geschenkt hat, wurde eher selten erwähnt.
War uns Gottes Gegenwart so selbstverständlich, dass wir sie gar nicht mehr
groß erwähnen mussten? War uns Gottes Hilfe, Gottes Unterstützung, Gottes Gnade
so gewiss, dass wir einfach vergaßen darüber zu reden und ihn für all das zu loben,
was er unseren Gemeinden schenkte? Oder fehlte uns in all der kirchlichen
Betriebsamkeit einfach nur ein Moment der Ruhe, ein Moment des Innehaltens, ein
Moment, uns ihm dankend und lobend zuzuwenden? Ging es uns vielleicht wie den
neun Geheilten, von denen wir vorhin gehört haben? Wenn das so ist, dann sollten wir
auf den einen schauen, auf den, der sich Gott zuwandte.
Wie war das in dieser Geschichte?
Schon seit Wochen ist Jesus mit seinen Jüngern unterwegs. Jerusalem ist ihr
Ziel - die Stadt, in der Jesus seinen Weg beenden wird. Eine ganze Reihe von
Begegnungen und Gesprächen kennzeichnen diese Zeit. Da waren Menschen, die
etwas von Jesus wollten und wenn es auch nur die Antwort auf eine theologische
Frage war. Den Jüngern hatte er noch einiges zu sagen – Abschiedsworte, auch wenn
sie das jetzt noch nicht ahnten. Und jetzt auf halbem Weg, irgendwo im
Niemandsland zwischen Galiläa und Samaria, am Rand irgendeines unscheinbaren
und namenlosen Kuhdorfes trifft Jesus auf diese 10 Männer. Ja, eigentlich trifft nicht
er auf sie, sondern sie kommen ihm entgegen. Sie kommen ihm so entgegen, wie die
Bevölkerung einer Weltstadt ihrem Herrscher entgegenkommt, um ihn in die eigenen
Mauern hineinzugeleiten. Sie sind sozusagen das Empfangskomitee des Dorfes – aber
was für eins! Sie wissen, dass man mit ihnen keinen Staat machen kann. Sie wissen
auch, dass sie sich nur bis zu einer bestimmten Entfernung nähern dürfen. Denn
unrein sind sie, gefährlich für andere, die ihnen zu nahe kommen. Das schließt sie aus
von der Gemeinschaft mit anderen Menschen, das isoliert sie, macht sie einsam. Es ist
nicht die Lepra allein, die sie zu tragen haben, sondern das Ausgestoßensein, die
soziale Isolation kommt hinzu. Das Leben findet anderswo statt, an einem anderen
Ort. Sie sind hier für sich, abgeschoben, ausgewiesen, weggebunkert.
Einsam ist das Leben in diesem Lepradorf, doch Gefühle, Wünsche,
Hoffnungen hat ihnen die Einsamkeit nicht austreiben können. Das Ausgestoßensein
hat sie weder mürbe noch hart gemacht. Voller Achtung begegnen sie Jesus, aber sie
halten auch nicht zurück, was ihnen auf dem Herzen liegt. Das ist verständlich.
Wovon das Herz voll ist, davon fließt der Mund über.
„Jesus, lieber Meister, erbarme dich unser.“ Gerade heraus kommen sie mit
der Sprache. Da wird nicht lange herumgeredet. Anerkennung spricht aus ihren
Worten und zugleich ist es Schrei nach Hilfe. „Meister“, so erzählt es Lukas, reden
die Menschen Jesus an, die in ihm mehr sehen als einen einfachen Menschen.
„Meister“ nennen ihn die, die ihn als ihren herrn anerkennen. Simon Petrus hat Jesus
so genannt, als sie sich zum ersten Mal begegneten – und auch später nannte er ihn so.
Die Jünger haben Jesus so gerufen, als sie im Boot auf dem stürmischen See fast
untergingen. „Meister“, das ist die Anrede des Jüngers, die Anrede des Glaubenden.
Solcher Art ist also dieses eigenartige Empfangskomitee. Sie glauben, sie
vertrauen darauf, dass er helfen kann, helfen mag, helfen wird.
Die Antwort Jesu lässt nicht lange auf sich warten: „Geht hin, zeigt euch den
Priestern.“ Der Priester hat den Aussatz diagnostiziert, der Priester muss auch die
Heilung feststellen, das ist ein üblicher Vorgang, wie er im Gesetz des Mose
nachzulesen ist.
„Geht hin, zeigt euch den Priestern.“ - kein Heilungswort, keine Berührung,
kein sofortiges sichtbares Wunder. Auf bloßes Vertrauen hin, dass sein Auftrag an sie
nicht ohne Wirkung sein wird, gehen die zehn los. Allein seinem Wort trauen und
folgen sie, wie Jahrtausende vor ihnen Abraham allein auf das Wort Gottes hin
losgezogen war. Auch damit kennzeichnet Lukas diese zehn grundsätzlich als Jünger,
als Glaubende.
Unterwegs stellen sie fest, dass etwas mit ihnen geschehen ist. Verschwunden
ist die Erkrankung. Gesund ist die Haut. Erleichterung macht sich breit. „Wussten wir
es nicht, dass man ihm vertrauen kann? Wussten wir es nicht, dass Gott durch ihn
wirkt? Haben wir da nicht wirklich Erbarmung erfahren, Gnade, Gottes Güte?“ Lukas
erzählt es nicht, aber wir können uns vorstellen, wie ihnen zumute war und wie ihr
Mund überquoll vor Freude. Wir können uns vorstellen, wie ihre Schritte schneller
und schneller wurden. Sie brauchen die offizielle Erklärung der Priester, um in ein
normales Leben zurückkehren zu können, und die liegt nun dicht vor ihnen. Nur
schnell voran! Heute noch werden wir miteinander in Freiheit sein.
Doch einer der neun geht einen anderen Weg. Nicht die Freiheit ist in diesem
Moment wichtig, nicht die Erklärung des Priesters, nicht das normale Leben. Das
alles läuft nicht weg. Aber dem allen voran steht der, der diesen Weg in ein neues
Leben ermöglicht hat Allem voran steht der, der Heilung und Heil schafft. Allem
voran steht das Lob Gottes.
Mit diesem Lob ist dieser Mensch wahrlich nicht knauserig. Er spricht kein
stilles Dankgebet, das man für solche Lebenslagen im Kopf hat. Keine leise
dahingemurmelten Dankesworte, sondern lauter Lobpreis erschallt da.. „Mit lauter
Stimme pries er Gott“, teilt der Evangelist uns mit. Ja, mit lauter Stimme, denn sein
Lobpreis ist nicht allein an Gott gerichtet. Auch andere sollen es hören, was Gott an
diesen zehn Menschen Großes getan hat.
Nicht zufällig charakterisiert der Evangelist diesen Lobpreis als vorbildlich.
Wenn Gott sich uns gnädig zuwendet, dann ist das offenbar keine Privatangelegenheit
zwischen ihm und uns, für die wir ihn mit leisen Worten danken könnten, sondern
gelobt, überschwänglich gepriesen, mit begeisterten Worten bekannt gemacht soll das
werden. Was der Evangelist damit meint, wissen wir sehr gut. Wir kennen den
Lobgesang Marias am Anfang des Lukasevangeliums: „Meine Seele erhebt den Herrn
... große Dinge hat er an mir getan.“ (Lk 1,46.49). Wir kennen ebenso den Lobgesang
des Simeon bei der Geburt Johannes des Täufers: „Gelobt sei der Herr, der Gott
Israels! Denn er hat besucht und erlöst sein Volk“ (Lk 1,68).
Offenbar ist solcher Lobpreis aber nun gerade etwas, was uns nicht von allein
über die Lippen kommt, auch wenn uns das herz voll davon ist. Und wenn wir das
nicht aus eigener Erfahrung kennen, dann wird uns das jedenfalls an dieser
Geschichte deutlich. Zehn sind es, die Gottes helfendes und rettendes Handeln
erfahren haben, doch einer ist es, der zu solchem Gotteslob kommt. Wie kommt es
dazu? Was ist da mit ihm passiert?
Lukas erzählt, dass da zwischen dem Lobpreis und dem Wahrnehmen der
Heilung noch etwas geschieht. Der Evangelist benutzt dafür nur ein einziges Wort:
„er kehrte um“. Innerhalb dieser Geschichte ist damit zunächst einmal etwas sehr
Konkretes gemeint. Dieser eine Mensch geht nicht in derselben Richtung weiter wie
zuvor, sondern er wendet sich um, blickt zurück auf das, was eben noch war. Und
dem Zurückblicken folgt – nach dem Lobpreis Gottes – das zurückgehen, um jesus zu
danken.
Doch das Zurückblicken und Zurückgehen ist die äußere Seite dieses
Umkehrens. Auch in diesem Menschen geschieht etwas – etwas, das in den neun
anderen nicht – oder jedenfalls noch nicht – geschieht. Umkehr ist die Hinwendung
des ganzen Menschen zu Gott. Diese Hinwendung verändert das Leben; verändert
auch die Sichtweise auf das eigene Leben. Wer sich von Gott gehalten und getragen
weiß, wird Erlebnisse, Begegnung und Erfahrungen anders einschätzen als jemand,
der das nicht tut. Jemand, der sich in Gott geborgen weiß, wird an vielen Punkten
seines Lebens Grund und Ursache finden, Gott zu loben und zu preisen.
Können wir uns – als einzelne oder als Gemeinde in diesem lobpreisenden
Samaritaner wieder finden – zumindest gelegentlich? Erschallt Gottes Lobpreis auch
bei uns?
Wenn ich mit Amtsgeschwistern oder Mitarbeitern über unseren Dienst
spreche, drehen sich diese Gespräche meistens ziemlich bald um die Zukunft der
Kirche. Bei allen Zukunftssorgen, die dabei zur Sprache kamen, ist jedoch fast immer
sehr deutlich zu hören, dass Gott der Lutherischen Kirche in Russland einen neuen
Anfang geschenkt hat; dass Gott den Gemeinden Wege in die Zukunft gezeigt und
dass Gott Menschen in seine Kirche ruft. Liebe Schwestern, liebe Brüder, das ist
Lobpreis Gottes! Und das ist Lobpreis von Menschen, die sich von Gott gehalten
wissen
[Hier können weitere konkrete Beispiele aus der eigenen gemeinde eingefügt
werden.]
Liebe Schwestern, liebe Brüder.
Gottes Lobpreis erschallt auch bei uns. Vielleicht könnte er manchmal
kräftiger sein, vielleicht könnte er häufiger sein, vielleicht könnte er auch
zuversichtlicher sein. Aber er erschallt. Und das möge Gott uns erhalten.
Amen.
Und der Friede Gottes, der höher ist als all unsere Vernunft, bewahre unsere
Herzen und Sinne in Christus Jesus, unserem Herrn. Amen.
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