Systemische Notizen 01/05 Seelenspiegel DR. IRIS SEIDLER EIN GÄRTCHEN EDEN... In Vorfreude auf den Frühling ein paar Gedanken zu Methapher, Bedeutung und Funktion des Gartens... Garten als Methapher Die Metaphorik von allem, was mit Pflanzen, Garten und Grün zusammenhängt, ist seit alters her in der Gedankenwelt des Menschen und damit auch in der Literatur verankert. Die Pflanze als Metapher, der man sich nicht entziehen kann, geht aber spätestens seit dem in den letzten Jahren einsetzenden Garten-Boom in eine gesellschaftlich anerkannte, individuell ganz handfeste Form der Gestaltungsrealität über. “Ein Kind wächst und gedeiht ...”, “ein junges Mädchen blüht wie eine Rose ...”, “ein alter Mensch verdorrt wie eine Pflanze in der Wüste …” Den früher so geläufigen Zitaten und Witzen, in denen Mensch und Haustier, vor allem der Hund, einander ähneln bzw. im Laufe der Zeit immer ähnlicher werden (wobei in Frage steht, wer wem als Vorbild dienen durfte ...), läuft nach und nach das Thema Mensch-Garten den Rang ab. Man sieht in Werbespots für Gartenläden Menschen mit ihren Gummibäumen kommunizieren, und die Botschaft dazu lautet: Hast du ein Pflänzchen zu Hause, bist du nicht mehr einsam! Nun ist es aber keinesfalls gleichgültig, für welche Art von Grün wir uns entscheiden, denn nicht nur, mit welchen Menschen wir uns umgeben und was für ein Haustier wir bevorzugen sagt etwas über unsere Persönlichkeit aus, sondern seit Neuestem (trendgemäß) auch die Auswahl unserer grünen Freunde. Zeige mir deinen Garten und ich sage dir, wer du bist...! Garten, der Spiegel der Seele...? Die Idee, der Mensch zeigt “sich selber” - was immer das auch bedeuten mag - in der Auswahl und Gestaltung seines Gartens, wird immer moderner und daher denkbarer. Die logische Konsequenz daraus ist nun natürlich, dass wir immer intensiver überlegen müssen, ob wir Kakteen oder Heckenrosen, einen Wassergarten mit Springbrunnen oder einen englischen Rasen mit Gartenzwergen präsentieren wollen - was soll sich schließlich der Nachbar denken? Nichts wird mehr dem Zufall überlassen - spätestens seit wir von Seiten der Psychologie her auf allfällige Symboliken hingewiesen worden sind. Hat unser Nachbar Alfred Adler gelesen wird er “wissen”, warum wir Riesenkakteen züchten, hat er Sigmund Freud gelesen sowieso, hat er jedoch Paul Watzlawick gelesen wird er gar nichts wissen - wozu dann also der Aufwand? Nur zu unserem eigenem Vergnügen? Langweilig...?! Spiegelt unser Gärtchen daher vielleicht gar nicht so sehr “unser Inneres” wider (wie das vielleicht noch vor Eindringen der Psychoanalyse und ihrer Folgeerscheinungen in das kollektive Bewusstsein der Fall war?), sondern vielmehr “unsere Überlegungen darüber, wie wir unser Inneres am besten widerspiegeln sollten”? Systemische Notizen 01/05 Seelenspiegel Zumindest “Die Leute sollen sehen, was ich für ein netter Mensch bin!” muss sich dann doch wenigstens der Phlox-Pflanzer gedacht haben oder “Mit mir ist nicht zu spaßen!” der Kakteenfreund. Und was sollen wir (von persönlichem Geschmacksempfinden und ökologischen Überlegungen einmal abgesehen...) überhaupt von jemandem denken, der sein Fleckchen Grün mit einer Thujenhecke begrenzt? Wenigstens können wir nachher nicht behaupten, die Psychologen hätten uns nicht gewarnt! Letztlich stellt sich aber hier die Frage: Kommt es wirklich darauf an, was jemand ausdrückt, oder ist vielmehr die Tatsache, dass sich jemand ausdrückt, von Bedeutung? Garten: Funktion fürs Leben Bei der Funktion des Gartens für das Leben kann unterschieden werden zwischen dem Innenleben, dem Zusammenleben und dem Überleben. Funktion für das Innenleben: Etwas initiieren, etwas “wachsen lassen”, für etwas sorgen, verantwortlich sein, gehört zu den Grundbedürfnissen des Menschen. Für etwas sorgen bedeutet letztlich um dessen Bedürfnisse zu wissen, zu verstehen, was ihm gut tut, was er zum Überleben braucht. Am Beispiel der Pflanze heißt das kundig zu sein, wie viel Wasser, welchen Standort hinsichtlich Sonneneinstrahlung, welche Erdzusammensetzung sie benötigt, um im Mindestfall nicht einzugehen, im besten Fall aber zu wachsen und zu blühen. Da es inzwischen bereits im psychologischen Allgemeindenken verankert ist, dass es für den Menschen gut sei, für etwas zu sorgen, Verantwortung zu übernehmen, findet Kind heute schon als Beilage in diversen altersgemäßen Printmedien (in meiner Kindheit war das etwa das “Ybbsheftl”) Samen für diverse, leicht zu züchtende Pflänzchen (Schnittlauch, Sonnenblumen und dergleichen). Für Eltern, die sich anzunehmender Weise an den Hobbys ihrer Sprösslinge beteiligen, wenn sie sie nicht gar initiiert haben, wird in diesem Sinne gleich mitgesorgt und glückliche Gesichter, familiär vereint rund um das wachsende Stämmchen, sind gesichert. Eine Pflanze bietet ja auch den Vor-(oder Nach-)teil, dass sie unmittelbar über Erfolg oder Misserfolg der ihr von uns zugedachten Maßnahmen berichtet: zuviel/zuwenig gegossen, lässt sie das Köpfchen hängen; richtig behandelt belohnt sie uns im besten Fall mit Wachstum, Blüte und Duft. Bo Djü-i, ein chinesischer Lyriker des 8. Jahrhunderts, schreibt dazu: “Anlässlich der Pfirsichblüte in einem Dorfe Schensis” Im Süddorf brach heut grenzenlos die Pfirsichblüte auf: ich war davon so sehr gerührt weil sie von selber kam. Die Sonne sinkt, der Nachtwind bläst und die Röte füllt den Grund: doch niemand löst das Rätsel mir, für wen sie so geblüht. (Bo Djü-i, 727-846) Systemische Notizen 01/05 Seelenspiegel Dieses Rätsel, das den chinesischen Lyriker vor 1200 Jahren beschäftigt hat, kann jeder Gartenbauer befriedigt zumindest dann beantworten, wenn er selbst erfolgreich einen Baum oder eine Blume gepflanzt hat und nun den Lohn dafür erhält: Sie blüht einzig und allein für mich! Die andere Funktion für unser Innenleben betrifft die Bedeutung, die wir der Pflanze bzw. dem Garten selbst geben, und diese wiederum ist eng verknüpft mit der Bedeutung, von der wir erwarten, dass andere sie geben... Daher stellt sich nochmals die Frage: Spiegeln wir uns in der Gestaltung des Gartens wider oder allein in der Tatsache, dass wir uns einen Garten anlegen? “Macht” oder “Ästhetik”? Ein Unterschied? Ein anderer Aspekt, eng mit dem der Verantwortung verknüpft, ist der der Machtausübung. Indem wir etwa einen Bonsai beschneiden, ihn künstlich klein halten, wie es die Tradition verlangt - befriedigen wir da unser Bedürfnis, Macht und Kontrolle auszuüben oder eher unseren Wunsch nach Schönheit, Wohlgestalt, Vollendung? Wenn es zwischen diesen beiden Aspekten einen Unterschied gäbe, wie wäre er dann zu fassen? Eine schon fast zu oft diskutierte Frage: Was hat Prof. Higgins dazu veranlasst, das Blumen(!)mädchen Eliza zu “erziehen”? Wollte er Macht über sie gewinnen, weil es in seinem Leben hier ein Defizit gab, oder wollte er uneigennützig der Welt ein Stück perfekte “Schönheit” offerieren? Beides gleichzeitig oder keines von beiden? Oder etwas ganz anderes? Funktion für das Zusammenleben: Spätestens bei der Betrachtung des Gartens als kulturelles und/oder künstlerisches Phänomen geht seine Bedeutung über die des Einzelnen hinaus. Zen-Gärten in Japan etwa, die seinem Erschaffer, dem Künstler, höchste Ehren bringen oder Barockgärten als Repräsentationsobjekte geben uns Zeugnis über Bedeutung und Bewertung des Gartens in seinen jeweiligen (ganz unterschiedlichen!) zeitlichen und regionalen Zusammenhängen. Funktion für das Überleben: Abgesehen vom ganz wörtlich gemeinten “Überleben”, das ein gut durchdachtes Fleckchen Erde dem Gärtner in ökonomisch schlechten Zeiten sichert (meine Urgrossmutter sorgte etwa nach dem 2. Weltkrieg in Graz in ihrem Hinterhof auf diese Weise für die Vitaminversorgung ihrer Familie) kommt dem “Überleben” auch noch eine weitere Bedeutung zu: Das Sprichwort “Ein Mensch sollte in seinem Leben ein Haus bauen, ein Kind zeugen und einen Baum pflanzen” erzählt in dieser Weise von unserem Bedürfnis zu überleben, zu überdauern. Ein von uns gepflanzter Baum überlebt uns, wenn es gut geht, um Generationen. “Setzen wir uns unter den Willi in den Schatten!” hat es in einer befreundeten Familie im Sommer oft geheißen, und für Nicht-Eingeweihte könnte man das auch übersetzen mit: ”Setzen wir uns unter den Kirschbaum, den der selige Onkel Willi gepflanzt hat!” Ob der gute Willi das wohl damit bezweckt hatte? Wir wissen es nicht, wir können ihn zu diesem und anderen Themen auch nicht mehr befragen, denn er weilt seit 1957 nicht mehr unter uns. Auf jeden Fall wird er immer wieder zitiert, die eine oder andere Geschichte von ihm wird erzählt - was von ihm bleibt und weiterlebt, ist ein Baum... Systemische Notizen 01/05 Seelenspiegel Der Garten Eden als Lebensraum wurde uns Menschen ja schon vor langem verwehrt, Adam und Eva haben sich bekanntlich als keine guten Verwalter erwiesen. Bedauerlich - so bleibt uns letztlich nur ein überschaubares Stückchen Grün, das wir aber andererseits selbstverantwortlich, nach unserem eigenen Gutdünk(g)en anlegen, hegen und pflegen können, um uns als Vorschau aufs Paradies zumindest ein Stückchen davon jetzt schon zu sichern, sei es als Rosenzucht im Luxusgarten, als Erdbeerbeet im Hinterhof oder auch nur als Schnittlauchtopf auf unserem Fensterbankerl: ein “Gärtchen Eden” eben.