Ausarbeitung: zur Diskussion in der

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UND DEREN STELLENWERT FÜR DIE
HÖRGESCHÄDIGTENPÄDAGOGIK
Ausarbeitung:
zur Diskussion in der „Sternchengruppe“
Seminar:
Erziehung zur Dialogfähigkeit
Dozentin:
Prof. Dr. U. Horsch
Zeit:
November 2003 im WS 2003/ 04
Gruppenleitung:
Kirsten Rohde, 7. Semester
(Hörgeschädigtenpäd. und Pädagogik der Lernförderung),
Ruth Böhringer, 7. Semester
(Hörgeschädigten- und Sprachbehindertenpädagogik)
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Inhalt
Einleitung ........................................................................................ S. 3
1. Ich-Es-, Ich-Du-Beziehung - was ist darunter zu verstehen ....... S. 4
2. Verschiedene Formen dialogischer Beziehungen ....................... S. 4
3. Elemente der Beziehung nach Buber und Rogers ....................... S. 5
4. Erforderliche Haltung nach Buber um erzieherisch wirksam zu
werden ........................................................................................ S. 7
5. In der Erziehung sind die Potenziale des Kindes zu achten und zu
fördern (Konkretisierung an Beispielen) .................................... S. 7
6. Wie ich als Lehrer personhafte Verantwortung leben kann ........ S. 8
7. Eigene Erfahrungen die ich damit verbinde ................................ S. 9
8. Reflexion ..................................................................................... S. 9
9. Literaturangaben ....................................................................... S. 10
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Einleitung
In der Hörgeschädigtenpädagogik begegnet sie uns immer und immer wieder: die Frage nach
der richtigen Spracherziehung hörgeschädigter Kinder und Jugendlicher. Natürlich muss diese
Frage einen hohen Stellenwert haben. Doch sehr häufig wird dabei ganz der Blick auf das
Kind selbst, unabhängig von seinem Hörschaden, verloren.
Deshalb sollte es unser Anliegen in der „Sternchen-Gruppe“ sein, uns einmal ganz bewusst
Gedanken zu machen über die Ansichten Martin Bubers (1878 – 1965) zur Erziehung von
Kindern und seine bedenkenswerten Sichtweisen über Beziehungsverhältnisse, um diese
anschließend auf das Gebiet der Hörgeschädigtenpädagogik zu übertragen.
Dieser Ausarbeitung legen wir vor allem den Artikel von Frau Prof. Dr. Horsch: „Liebe ist
Verantwortung eines Ich für ein Du“ (1998) zugrunde. Alle weiteren Quellen sind dem
Literaturverzeichnis am Ende der Arbeit zu entnehmen.
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1. Ich-Es-, Ich-Du-Beziehung - was ist darunter zu verstehen
„Beziehung (...) ist der zentrale Begriff in Bubers Dialogik“1. Buber ist der Auffassung, dass
es ein Ich nie ohne ein Es oder ein Du geben kann. Eine Ich-Du-Beziehung ist gekennzeichnet
durch die Gegenseitigkeit, durch die „menschliche Erfassung der vollen menschlichen
Dimension des anderen“. Es gehört zum Wesen eines Menschen, Ich-Du-Beziehungen zu
schließen/ zu führen. Ich-Du, das ist das Verhältnis zweier Subjekte zueinander; Ich-Du, das
ist die Welt der Beziehung.
Dagegen ist die Beziehung eines Ich mit einem Du wie eine Subjekt-Objekt-Beziehung. Die
Objekte können laut Buber sowohl Menschen als auch Tiere oder Gegenstände sein, die das
Ich gebraucht bzw. benutzt. In der Ich-Es-Beziehung geht es um die Welt des Wissens und
der Erfahrung.
Jeder Mensch führt unterschiedlich viele Ich-Es uns Ich-Du-Beziehungen. Ich-EsBeziehungen können zu Ich-Du-Beziehungen werden und der umgekehrte Weg ist genauso
möglich.
Für viele Teilnehmer der Gruppe war dieses Denken in Ich-Es und Ich-Du-Beziehungen sehr
oder gar zu abstrakt. Erst als wir Beispiele anführten (z.B.: Ich-Es = Verhältnis zum
Fahrkartenverkäufer), wurde klarer, was Buber beschrieb. Allerdings brachte das ganz viele
neue Überlegungen hervor wie z.B. ob eine innige Beziehung zu seinem Auto nicht auch IchDu-Beziehung sein könne oder ab wann genau aus einer Ich-Es-Beziehung eine Ich-DuBeziehung wird und umgekehrt etc..
2. Verschiedene Formen dialogischer Beziehungen
Buber spricht von sogenannten „Umfassungserfahrungen“, die ein Mensch innerhalb einer
Ich-Du-Beziehung macht. Dabei ist für ihn „Umfassung“ die bipolare Erfahrung der anderen
Seite ohne das Verlassen des eigenen Grundes. Wer umfasst, egal in welcher Form, der
braucht dazu die absichtliche Begegnung mit einem Du.
Die drei Formen von Umfassungserfahrungen nach Buber:
1
Horsch, U.: Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du. 1998
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1. Die abstrakte (geistige), gegenseitige Umfassung meint ursprünglich das MenschGott-Verhältnis. Laut Horsch ist darunter auch der „kritische Diskurs als geistige
Form der Begegnung zwischen Kollegen“ denkbar.
2. Die konkrete, gegenseitige Umfassung ist die wahrhaftige Umfassungserfahrung von
Menschen, die in Liebes- und Freundschaftsverhältnissen zum Ausdruck kommt.
3. Von einer konkreten, einseitigen Umfassung ist vor allem im erzieherischen
Verhältnis zu sprechen. Einseitig ist sie deshalb, weil es darum geht, dass das Kind
vom Erziehenden erzogen wird und nicht umgekehrt. Der Erzieher soll dem Kind zu
jeder Zeit zur Verfügung stehen, wenn es ihn braucht.
In unserer Gruppendiskussion kamen auch hierzu einige interessante Fragen auf. Z.B. war
nicht ganz klar, inwieweit bei der abstrakten gegenseitigen Umfassung das Verhältnis
Mensch-Gott mit einem kritischen Diskurs unter Kollegen zu vergleichen wäre, da doch die
Mensch-Gott-Beziehung oft eine persönliche sei, und der kritische Diskurs zwischen
Kollegen mehr eine nüchterne, ohne persönliche Inhalte.
Wir überlegten außerdem, in welche Rubrik Buber das Eltern-Kind-Verhältnis und das
zwischen Professoren und Studierenden einordnen würde und ob es auch gemischte
Umfassungserfahrungen geben könne. Das hielten wir für sehr wahrscheinlich.
3. Elemente der Beziehung nach Buber und Rogers
Übersicht:
Rogers
Buber




Liebe
Bestätigung
Umfassung
Kongruenz




Liebe (‚agape’)
Akzeptanz
Empathie
Kongruenz
Darin sind sich Buber und Rogers einig: Liebe als Element des pädagogischen Tuns hat nichts
mit romantischer, besitzergreifender (Rogers) Liebe zu tun.
Jemand der liebt vermag es, laut Buber, „den Menschen in seiner Einzigartigkeit und
Ausschließlichkeit erst wahrzunehmen“ (s. Horsch, 1998, S. 13), unabhängig davon wie
dieser Mensch ist. Was „Ich liebe dich“ wirklich bedeutet wird deutlich, wenn wir von der
Negation sprechen: „Ich liebe dich nicht“. Auch als Erzieher sind wir herausgefordert, diesen
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Satz bzgl. unserer Schüler zu überdenken, d.h. zu überlegen, was es für uns heißt, sie zu
lieben oder eben nicht!
Uneinigkeit gibt es zwischen ihnen bzgl. der Begriffspaare Bestätigung und Akzeptanz sowie
Umfassung und Empathie.
Rogers meint mit Akzeptanz die uneingeschränkte Bejahung einer Person, das Akzeptieren
und Respektieren der momentanen Haltung dieser Person, egal wie diese ist. Friedman 2 greift
Rogers auf, indem er schreibt: „Jemand ist in der Lage, andere zu akzeptieren, wenn er sich
selbst akzeptiert“. Für Rogers waren die Bedeutung von Akzeptanz und von Bestätigung
nahezu identisch.
Buber geht der Begriff Akzeptanz nicht weit genug. Er fordert das Bestätigen des Dus durch
die Akzeptanz all seiner Potentialität, durch das bestätigen dessen, was er werden kann, was
auch bedeutet, ihn in manchem nicht zu bestätigen.
Die Begriffe Empathie und Umfassung sind sich wesentlich sehr ähnlich. Der Unterschied
zwischen beiden besteht maßgeblich darin, dass Empathie bedeutet, sich so sehr in sein
Gegenüber einzufühlen, dass man sich selbst in seiner Konkretheit zeitweise völlig aufgibt.
Bei der Umfassung findet ein Sich-Eindenken und -Einfühlen in das Gegenüber statt, jedoch
ohne das Verlassen seiner eigenen Person.
Kongruenz ist ein Wort, über das Buber und Rogers einen gleichen Begriff haben.
Es bedeutet jedenfalls nicht, die Beziehung mit anderen als Mittel zur Selbstrealisierung zu
missbrauchen. Statt dessen sagt es aus, dass ich als Erziehende/r immer ich selbst sein soll
und mich nicht verleugne. Ich muss um die Einzigartigkeit von mir und meinem Gegenüber
wissen. Am Kind kann ich sehen, ob und wie mein Verhalten angenommen wird.
Im Gruppengespräch wurde vor allem in Frage gestellt, ob Buber in Rogers bzgl. des Begriffs
„Akzeptanz“ nicht Dinge hineinlegt, die dieser gar nicht so gemeint hat. So kam es uns so vor,
als ob Rogers die zukünftige Akzeptanz des Gegenübers durchaus mit einschloss, was ihm
Buber abzusprechen schien.
4. Erforderliche Haltung nach Buber um erzieherisch
wirksam zu werden
2
Buber, M., Friedman, N.: The knowledge of men. Dialogue between Buber and Rogers. 1989, S. 10
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Wenn wir nun die Ich-Du-Beziehung im erzieherischen Kontext näher betrachten wollen,
müssen wir zunächst reflektieren, welche Haltung des Erziehers erforderlich ist, um
erzieherisch wirksam zu werden.
Erziehung kann nach Buber nur im Rahmen einer Ich-Du-Beziehung erfolgen. Da es sich bei
der Beziehung zum Schüler um eine einseitige Umfassungserfahrung handelt, muss die
Beziehung anfangs vom Erzieher ausgehen, er muss den Dialog zum Kind suchen und diesen
auch wollen. Einseitig ist sie deshalb, weil der Erzieher das Kind erzieht und nicht umgekehrt.
Es kann sein, dass wir im Erziehungsprozess auch vom Kind lernen, aber das ist es nicht, was
wir anstreben.
Ziel der Erziehung ist, dass sich der Schüler in der Begegnung mit mir zu der Person
entwickelt, die er werden kann. Der Schüler soll an meinem Du zum Ich werden, d.h. dass er
ein starkes und selbstbewusstes Ich ausbildet, das schließlich selbst umfassungs- und
beziehungsfähig wird (vgl. Horsch, 1998, S.18)
In der Hörgeschädigtenpädagogik bedeutet dies, dass im Zentrum meines Interesses nicht die
Hörschädigung des Kindes steht, sondern das Kind selbst mit seinen Potentialitäten und
Weltbezügen. Die daraus folgende Aufgabe des Erziehers besteht darin, diese Potentialitäten
zu entdecken und ihnen Entwicklungschancen zu bieten.
5. In der Erziehung sind die Potenziale des Kindes zu
achten und zu fördern (Konkretisierung an Beispielen)
In der Diskussion haben wir überlegt, welche Potenziale in Kindern stecken können und wie
eine Förderung dieser aussehen könnte.
Zum einen können in dem Kind künstlerische Begabungen stecken, die der Erzieher
entdecken soll und denen er Aus- und Aufführungschancen zu bieten hat. Konkret könnte dies
eine musikalische Begabung sein, die zunächst der Erzieher im Umgang mit dem Kind
entdeckt und denen er Entwicklungschancen bieten möchte. Dies könnte geschehen, indem
man dem Kind ermöglicht ein Instrument zu erlernen und es in diesem Lernprozess bestätigt.
Zum anderen sind uns soziale Potentiale eingefallen, die in dem Kind stecken können. Es
kann sein, dass man im Unterricht bemerkt, dass ein Kind Hilfsbereitschaft zeigt, wenn ein
anderes etwas nicht versteht. So ist es dann die Aufgabe des Erziehers, die gezeigte
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Hilfsbereitschaft des Kindes zu bestätigen und es zu ermuntern diese auch in Zukunft wieder
einzusetzen.
Als drittes Beispiel fiel uns ein, dass der Lehrer bei Kindern auch bestimmte Lernbegabungen,
z.B. sprachliche, mathematische, naturwissenschaftliche oder technische Fähigkeiten,
entdecken kann und diese weiter fördert, indem er das Kind z.B. ermuntert an einer TechnikAG teilzunehmen.
6. Wie ich als Lehrer personhafte Verantwortung leben
kann
Wenn ich eine Ich-Du-Beziehung zu einem Schüler aufbaue und diese pflege, muss ich in der
Konsequenz personhafte Verantwortung für das Kind übernehmen. Das bedeutet, dass ich
mich als Lehrer anbiete, mich und damit meinen Ausschnitt von Welt (vgl. Horsch 1998,
S.18). Wenn ich Fragen des Kindes beantworte, muss ich immer überlegen, ob ich diese auch
vor mir verantworten kann, vor meinem Ich und Du. Ich muss mich immer wieder
selbstkritisch betrachten und meine Kongruenz prüfen. Umfassungserfahrungen können
allerdings nur dann gemacht werden, wenn der Erzieher wirklich präsent ist und das Kind das
Gefühl hat, dass es dem Erzieher alles erzählen kann und dass er da ist, wenn es ihn braucht.
Es muss das Gefühl haben, dass der Erzieher es annimmt wie es ist, mit all seinen Seiten.
Jedoch muss ich als Erzieher deshalb nicht alles bejahen. „Ja“ zu dem Kind zu sagen bedeutet
nicht grundsätzlich allem zuzustimmen, was von dem Kind kommt. Es kann auch sein, dass
ich „Nein“ zu bestimmten Dingen sagen muss und dann nach Alternativen suche. Diese
personhafte Verantwortung führt zu der Forderung, „das Kind und seine Weltbezüge als das
Regulativ gleichberechtigt in meine Entscheidungen hineinzunehmen“ (Horsch, 1998, S.19).
Ich darf die Norm in jeder Ich-Du-Beziehung neu auslegen, ich kann der Freiheit folgen, „zu
sagen, das bin ich und das ist der Weg den Du und ich gemeinsam gehen könnten und über
den wir miteinander verhandeln werden“ (Horsch, 1998, S.20).
7. Eigene Erfahrungen die ich damit verbinde
Wir haben uns in der Gruppenarbeit überlegt, wo wir personhafte Verantwortung übernehmen
und tragen. Wir haben vielfältige Bereiche gefunden, wo dies der Fall ist.
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Zunächst tragen wir alle im Rahmen unserer Praktika Verantwortung für die Kinder unserer
Klasse. Es steht zwar noch der Ausbildungslehrer im Hintergrund, aber trotzdem müssen wir
immer wieder Entscheidungen treffen, die wir verantworten müssen.
Ebenso trage ich als BetreuerIn auf Freizeiten personhafte Verantwortung. Die Kinder sind
mir für diesen Zeitraum anvertraut und ich muss immer wieder Entscheidungen treffen.
Als Elternteil trage ich Verantwortung für mein Kind, aber auch beim Babysitten, in der
Betreuung von Menschen, im Nachhilfeunterricht oder als Patentante und -onkel. In all diesen
Fällen muss ich Entscheidungen treffen, hinsichtlich derer ich mich selbstkritisch befragen
und um richtige Antworten ringen muss.
8. Reflexion
Wir haben es als eine Bereicherung empfunden, uns mit der Beziehungstheorie von Buber zu
beschäftigen und diese zu diskutieren. Auch wenn es uns zunächst schwer fiel uns einzulesen,
so haben wir in der Folge viel über unseren erzieherischen Auftrag als zukünftige Lehrerinnen
und die darin liegende Verantwortung nachgedacht. Die Unterteilung in Ich-Es und Ich-Du
erscheint uns abstrakt und in der Diskussion war es für uns immer wieder schwierig
abzugrenzen, wann eine Beziehung noch als Ich-Es-Beziehung gilt und ab wann als Ich-DuBeziehung. Die Grenzen gehen für uns oft fließend ineinander über.
Wir denken, Buber setzt einen sehr großen Anspruch an den Erzieher: er wird nie aus der
Verantwortung genommen, muss stets für das Kind da sein und alle Entscheidung
selbstkritisch reflektieren.
Allerdings sehen wir darin auch die Chance, dass Erziehung nicht willkürlich ausgeführt wird,
sondern sich tatsächlich am Kind orientiert; am Kind, das zwar einen Hörschaden hat, der
jedoch nicht allein Ausgangs- und Mittelpunkt all meines pädagogischen Denkens und
Handelns ist.
9. Literaturangaben

Horsch, U. (1998): Liebe ist Verantwortung eines Ich für ein Du. In: HÖRPÄD 1, 3-22

Blum, J. (2001): Grundlagentext für das Seminar Buber (im Internet)
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
Buber, M.; Friedman, N. (1989): The knowledge of Men. Dialogue between Buber and
Rogers. Baltimore (übersetzte Version)

Buber, M. (1964): Über das Erzieherische. Reden über Erziehung. Gerlingen
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