Friedrich W

Werbung
Friedrich W. Stallberg
Gesund fühlen in ungesunder Gesellschaft– analytische Einblicke und
Empfehlungen für die individuelle Praxis
Inhalt
Vorbemerkung
I.
II.
Begriffliche Festlegungen
Das Gefühls-Gesundheits-Verhältnis
1. Formaler Zusammenhang: Emotionen als substantieller Teil des
Gesundseins
2. Gute Gefühle für umfassende Gesundheit: Kohärenzgefühl –
Emotionale Intelligenz – Glücksfaktor
2.1. Gesundheit als Vertrauensresultat
2.2. Mit Gefühl zu mehr Erfolg – Emotionale Intelligenz
2.3. If you want to be happy for he rest of your life – Gesundheit
durch Glück
2.4. Der Selbstzwang zu guten Gefühlen
3. Der negative Blick – Gefühle und Gefühlsarbeit als
Gesundheitsschädigung
3.1. Die Negativität der Gefühle
3.2. Gesundheitsbedrohung durch überfordernde Gefühlsarbeit
III.
Kritik und Empfehlungen
1
Vorbemerkung
Mein Ziel mit diesem Text ist, etwas Gehaltvolles, Anregendes und
am besten Bleibendes über den Zusammenhang von Gefühl und
Gesundheit mitzuteilen. Während meiner zunächst noch zaghaften
Annäherung an die Thematik, hat sich diese bald als ausgesprochen
aktuelle erwiesen. Die mit hoher Bestsellerchance verfassten
literarischen Aufforderungen, von der Medizin Emotion endlich
bedenkenlos Gebrauch zu machen, sich der Bewegung zu selbsttätiger
Glücksproduktion anzuschließen, immer nur gesundheitsbewusst und
gesundheitskonform zu fühlen, zeigen, dass das Gesundheits-GefühlsVerhältnis nicht nur auf theoretischer Ebene interessant ist. Es gibt
eine starke gesellschaftliche Erkenntnis, dass der Weg des
lernwilligen Gegenwartsmenschen zu dauerhafter Gesundheit über die
Emotionen und deren Design führen muss. Gelehrt wird uns, dass
Emotionen mit all dem sonst gut zu tun Gebotenen – Bewegung,
Ernährung, Reisen – verschränkt sind und womöglich sogar im
System des individuellen Gesundheitsmanagements den Spitzenplatz
einnehmen. Denn, wenn wir uns von den unpassenden Gefühlen –
Angst, Niedergeschlagenheit, Einsamkeit, Ärger – plagen lassen, wird
all das andere, was unserer Gesundheit förderlich ist, nicht so recht
anschlagen.
Für meine Erkundungen gehe ich gemäß meiner persönlichen
Denkweise den Weg über das einschlägige wissenschaftliche Wissen:
ich prüfe nach und versuche herauszuarbeiten, wie und wo sich die
analytischen Kategorien Gesundheit und Gefühl begegnen und wie
diese Begegnung organisiert ist. Ich glaube zeigen zu können, dass
sich ein vielfältiges und widersprüchliches Feld mit interessanten
begrifflichen Ideen und hochaktuellen Trends auftut. Auch auf einige
internationale und nationale Größen der menschenwissenschaftlichen
Debatte – Z. Baumann, A. Antonovsky, A. Hochschild, D. Goleman,
B. Badura, S. Neckel – werden wir dabei stoßen.
Ich werde die angebotenen Einsichten zum Gefühl -GesundheitVerhältnis nun aber nicht theoretisch und methodologisch diskutieren,
sondern sie in ihren Unterschieden einfach unintegriert stehen lassen.
Mein zweites Interesse ist nämlich zu ihrer Bedeutung und ihrem
2
kritischen Potential für unsere Lebenspraxis Stellung zu nehmen. Was
heißt es, in einer einerseits von Gesundheitsidealen und –imperativen
dominierten, andererseits aber vielfach pathologischen Gesellschaft
emotional gesund sein zu wollen? Und welcher der möglichen Wege
zu emotionaler Gesundheit oder gesunder Emotionalität ist der
wissenschaftlich und praktisch Ratsame?
I)
Begriffliche Festlegungen
Gesundheit liegt im sozialwissenschaftlichen Sinn vor, „wenn eine
Person konstruktive Sozialbeziehungen aufbauen kann, sozial
integriert ist, die eigene Lebensgestaltung an die wechselhaften
Belastungen des Lebensumfeldes anpassen kann, dabei individuelle
Selbstbestimmung sichern und den Einklang mit den biogenetischen,
physiologischen und körperlichen Möglichkeiten herstellen kann“
(Hurrelmann 1997, 17) Gesundheitspolitische Experten der BRD
(Sachverständigenrat Gesundheitswesen 1994) definieren „Gesundheit
ist die Freiheit des Menschen von der Bedrohung der Gesundheit
durch Krankheit, der Bedrohung der Funktionalität…und Leid (z.B.
Schmerzen, Depression)“
Es wird deutlich, Gesundheit ist eine sehr anspruchsvoll verstandene
Kategorie. Seit ihrem Aufstieg zum politischen Leitkonzept nach dem
2. Weltkrieg mit der Gründung der WHO ist sie durch eine große
Reichweite, eine normative Akzentuierung und eine erkennbar
instrumentelle Funktion gekennzeichnet. Der Begriff Gesundheit
formuliert neue Werte, denen menschliches Befinden genügen sollte,
eröffnet neue, dem traditionellen medizinisch-pharmakologischen
System mindestens zur Seite gestellte Aktivitäten, Legitimationen und
Handlungsfelder (Gesundheitswissenschaft, -förderung, -lernen,erziehung).
Gesundheit markiert die positive, auf Selbstbestimmung verweisende
Kraft gegenüber abhängig machender, schicksalhafter Krankheit. Sie
stattet den Gegenwartsmenschen zumindest der westlichen Welt mit
dem Anspruch auf totales Wohlbefinden aus, fordert ihn aber auch zu
fortlaufenden Bemühungen um dessen Gewinn und Erhalt aus. Sie
verweist auf die Paradoxie eines hohen Maßes individueller
3
Lebenschancen, auf die Normalität von Vorsorge-, Fitness- und
Wellnesskarrieren in einer Welt voller Zivilisations- und
Modernitätsleiden wie Abhängigkeit, Depression, Demenz,
Behinderung, Essstörungen, Über- und Untergewicht. Auch
Gesundheit bleibt freilich von den alten und neuen Ungleichheiten der
gespaltenen Gesellschaft nicht verschont, ihr Besitz und das Niveau
der organisierten Sorge um sie trennen Privilegierte und
Benachteiligte zusätzlich, wenn auch etwas anders.
Gefühle oder Emotionen, wie sie hier verstanden werden, sind
individuelle Lagebeurteilungen, die sich mit körperlicher Erregung
und Handlungsimpulsen verbinden, willkürlich und von kurzer Dauer
sind und spontan zum Ausdruck gebracht werden. In einem weiteren
Sinn können Gefühle auch nicht-affektiv und etwas anderes als
Emotionen sein oder, sofern affektiv bedingt, Empfindungen,
Stimmungen und emotionale Haltungen bis hin zum Lebensgefühl
umfassen.
Gefühle sind eine Erlebnisweise, die zur menschlichen Existenz
konstitutiv gehört und sich unserem Wünschen und Wollen entzieht.
Auch wenn wir also unser Fühlen nur sehr begrenzt steuern können,
haben wir eine Menge von ihm, weil es uns darüber informiert, was
das, was gerade geschieht, für uns bedeutet. Gefühle haben immer
auch eine soziale Dimension, weil sie etwa in Qualität und Ausmaß
abhängig vom Zustand der Gesellschaft sind, kulturell bewertet und in
sozialen Prozessen entwickelt werden. Allerdings sind sie mit sozialen
Beziehungen und Situationen unterschiedlich stark vermittelt; Freude,
Neugier, Langeweile eher weniger, erotische Leidenschaft, Wut,
Angst, Schadenfreude, Neid besonders deutlich.
Im Hinblick auf den Zusammenhang mit Gesundheit wird sich die
Unterscheidung von Gefühlen in eher positive und negative
bemerkbar machen. Sie ist aber ausgesprochen kritikbedürftig und
sollte eher durch eine differenzierte Betrachtung des Fühlens auf
problematische Effekte hin ersetzt werden. Gefühle sind 1) subjektiv
immer sinnvoll und 2) niemals ausschließlich gut oder schlecht, wenn
wir nur ihren Entstehungs-, Erlebens- und Wirkungskontext weit
genug würdigen. Sofern sie etwa eher negativ als positiv sind, sind sie
4
doch nicht schon destruktiv oder abweichend, sondern vielleicht
gleich wieder aus der Welt verschwunden.
II. Das Gefühls-Gesundheits-Verhältnis
1. Formaler Zusammenhang: Emotionen als substantieller Teil des
Gesundseins
Die Individualisierung der Gesundheit im Sinn der eigenen
Verantwortlichkeit, Kompetenz und Freiheit für ihre lebenslange
Förderung und auch die perspektivische Ausweitung des
Gesundheitsverständnisses auf Wohlbefinden schlechthin lassen die
Emotionen und ihre Qualität sozusagen zu einer festen Teildimension
von Gesundsein oder zu einem Indikator für die subjektive Position
auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum werden, Gesundheit
kann offenbar gar nicht hinreichend ohne den Bezug auf Gefühlslagen
bestimmt werden. In Modellen des physischen und psychischen
Wohlbefindens sind positive Gefühle, Haltungen und Stimmungen
eine zentrale Größe; auch die empirische Erhebung subjektiven
Wohlbefindens arbeitet zumeist mit den Faktoren Freude (kurzfristige
situationsspezifische positive Empfindungen) und Glück (eher
umfassendes und langfristiges Wohlbefindensgefühl) neben der
Freiheit von subjektiver Belastung und Zufriedenheit als positiver
kognitiver Einschätzung des eigenen Lebens.
5
Während Gefühle hier also im Gesundheitskonzept aufgehen, können
sie auch getrennt auf das Vorliegen von Gesundheit (emotionale
Gesundheit) hin betrachtet werden. Darüber hinaus treten sie
zuverlässig in Erklärungen von Gesundheit oder Erkrankung oder in
Konzepten der Gesundheitsförderung oder Krankheitsprävention als
Schutz- oder Risikofaktor auf (Folie).
Hier wird auch deutlich, was uns gleich noch beschäftigen wird:
Gefühle können sich positiv wie negativ auf den individuellen
Gesundheitszustand auswirken, lassen sich in dieser Hinsicht als gut
oder schlecht klassifizieren. Die förderliche Wirkungsweise allein ist
bevorzugtes Thema des modernen ressourcen - und
potentialorientierten Paradigmas, welches derzeit nicht nur in den
Gesundheitswissenschaften, sondern in allen praxisorientierten
Handlungswissenschaften in schon erdrückender Form den Ton
angibt.
2. Gute Gefühle für umfassende Gesundheit : Kohärenzgefühl –
emotionale Intelligenz – Glücksfaktor
Gute Gefühle, ob nun als situationsadäquat, subjektiv gewünscht oder
an den segensreichen Folgen bestimmt, werden in unterschiedlicher
Weise und mit unterschiedlichem Erkenntnisanspruch als eine
Erfolgsbedingung für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von
Gesundheit thematisiert. Ich beziehe mich an dieser Stelle auf drei
einflussreiche Zugänge: A. Antonovskys Konzept der Salutogenese
mit speziell der Kategorie des Kohärenzgefühls, D. Golemans
Entdeckung der emotionalen Intelligenz und schließlich die aktuelle,
stark populärwissenschaftlich angelegte Glücksforschung, die
Glücksfaktor oder Glücksformel als Treibstoff unseres
Gesundheitsstrebens oder gar Garant von Gesundheit kommerziell
überzeugend ins Gespräch gebracht hat.
2.1. Gesundheit als Vertrauensresultat
6
Der Begriff des Kohärenzgefühls ist ein wichtiger Baustein in Aaron
Antonovskys Modell der Salutogenese. Dieser erstmals 1979
umfassend vorgelegte Forschungsansatz mit großem
gesundheitswissenschaftlichem Einfluss interessiert sich für die
Bedingungen von subjektiver Gesundheit und die Faktoren, welche
diese wirksam schützen können. Dabei gilt Gesundheit nicht als
normaler und passiver Zustand, sondern als ein labiles, sich ständig
veränderndes und von Leistungen der Betroffenen abhängiges
Geschehen.
Die als Kohärenzgefühl beschriebene emotionale Realität ist neben
Spannungsquellen, Stressoren und den bei jeder Person vorhandenen
allgemeinen Widerstandsressourcen maßgeblich für den aktuellen
Gesundheitszustand. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl ist, über
welches wir verfügen, desto gesünder sollten wir sein und desto
rascher sollten wir, falls nötig, wieder gesund werden.
Was ist nun genau mit diesem so erstrebenswerten Gut gemeint?
Kohärenzgefühle sind definiert „als eine globale Orientierung, die das
Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein alles durchdringendes,
überdauerndes und dennoch dynamische Gefühl der Zuversicht hat,
dass erstens die Anforderungen aus der inneren oder äußeren
Erfahrenswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und
erklärbar sind, zweitens die notwendigen Ressourcen verfügbar sind,
um den Anforderungen gerecht zu werden, und drittens schließlich,
dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und
Engagement verdienen“ ( Bengel/Strittmatter/Willmann 2001, 29 ). Es
geht also nicht um eine flüchtige Gefühlsregung, sondern um eine
emotionale, mit Selbst-, Fremd- und Weltvertrauen verbundene
Orientierung zum Leben insgesamt. Sie differenziert sich in ein
Gefühl von Verstehbarkeit, ein Gefühl von Handhabbarkeit
(instrumentelles Vertrauen, Glaube) und schließlich ein Gefühl von
Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit, welches das wichtigste ist. „Ein
Mensch ohne Erleben von Sinnhaftigkeit wird das Leben in allen
Bereichen nur als Last empfinden…“ ( Bengel/Strittmatter/Willmann
38)
Folie
7
Kohärenzgefühle bilden sich Antonovsky zufolge in den ersten
Lebensjahrzehnten aus und sind danach nur noch durch grundlegende
Veränderungen der Lebensbedingungen und Wertorientierungen zu
modifizieren (Antonovsky 1997).
Auf die subjektive Gesundheit wirken sie sich in mehrfacher Weise
aus: sie beeinflussen den Organismus direkt, indem sie etwa darüber
entscheiden, ob wir Situationen für willkommen oder gefährlich
halten; sie mobilisieren vorhandene Ressourcen zur Stressbewältigung
oder auch nicht, und sie steuern unser Gesundheitsverhalten, indem
wir uns gesund oder weniger gesund ernähren, Vorsorgeleistungen in
Anspruch nehmen und Gesundheit schädigendes unterlassen oder im
Gegenteil tun.
Das vorgestellte Konzept rät uns also (und darauf will ich hinaus):
Habe gute Überzeugungen, sei zuversichtlich und du wirst oder bleibst
gesund. Es ist in der wissenschaftlichen Diskussion des öfteren als
von ähnlichen Konzepten nicht abgrenzbar, empirisch nicht
überprüfbar oder, wenn doch, dann eher nicht bestätigt kritisiert
worden. Gemessen an anderen „positiven“ Problemzugängen
erscheint es aber als ausgesprochen komplex.
2.2. Mit Gefühl zu mehr Erfolg – Emotionale Intelligenz
Ein weniger im Gesundheitssystem als in der Welt von
Unternehmensführung und Coaching etabliertes und auf
organisatorisches Handeln abzielendes Konzept ist das der
emotionalen Intelligenz. Mit dem Begriff des Kohärenzgefühls
gemeinsam hat es die Annahme, dass es für gutes Befinden darauf
ankommt, positive Gefühle zu haben. Jedoch gelten diese als durch
individuelle Lernprozesse erzeugbar, was für die Ideeurheber
erfreuliche praktische Konsequenzen hat.
Emotionale Intelligenz stellt das wahrscheinlich wichtigste
Schlagwort für eine neue Bewegung zu emotionalem
Selbstmanagement dar, deren Programm vor allem auf der Annahme
beruht, Gefühle selbst wählen und, was genauso zählt, auch die
Gefühle anderer kontrollieren zu können. Die Verfechter des Konzepts
interpretieren insbesondere Ergebnisse der neueren Gehirnforschung
8
im Sinne der Umdeutbarkeit negativer Empfindungen und stellen sich
Probleme des Fühlens als ausschließlich oder vorwiegend emotional
bedingt vor, losgelöst von den Kontexten und Situationen ihrer
Entstehung. (vgl. Neckel 2005)
Daniel Goleman, in dessen Version emotionale Intelligenz zum
Welterfolg geworden ist, definiert diese als „die Fähigkeit, unsere
eigenen Gefühle und die anderer zu erkennen, uns selbst zu
motivieren und gut mit Emotionen in uns selbst und in unseren
Beziehungen umzugehen (Goleman 1996, 387). Ihre Komponenten
sind Selbstbewusstheit – Erkennen und Verstehen der eigenen
Gefühle, Motive, Bedürfnisse,
Selbststeuerung – die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Stimmungen
durch einen inneren Dialog zu beeinflussen,
Selbstmotivation – Leistungsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit
aus sich selbst entwickeln zu können,
Soziale Kompetenz – Fähigkeit des Aufbaus und des Erhalts sozialer
Beziehungen
Empathie – sich in die Gefühle und Sichtweisen anderer
hineinversetzen und darauf angemessen reagieren
Kommunikationsfähigkeit – zuhören, verstehen, sich klar und
verständlich ausdrücken können.
Der emotionale Intelligente verfügt also über eine differenzierte
Selbstwahrnehmung, nimmt fortwährend Einfluss auf sein Fühlen und
tritt so negativen Empfindungen entgegen, fühlt sich erfolgreich ein
und gestaltet klug seine Beziehungen. Gefühl und Vernunft sollen
aneinander angeglichen werden. Dass ein professionell aufgeklärter
Umgang mit Gefühlen als Nebenfolge auch die eigene Gesundheit
positiv berührt, darf angenommen werden.
2.3. If you want to be happy fort he rest of your life – Gesundheit
durch Glück
Dass bei guter Gesundheit zu sein, große Zufriedenheit bis hin zu
Glücksgefühlen hervorrufen kann, gilt schon lange als Binsenweisheit,
wenngleich die richtig tiefen Empfindungen dieser Gefühlsart eher
durch schöpferische Kraft, Öffnung der Sinne, intensives erotisches
9
Erleben, Ekstase, Trance und Transzendenz erlebt werden. Jedoch:
Gesundheit ist für alles das die Vorbedingung.
Unter dem Einfluss der in den letzten Jahren modisch gewordenen
Glückswissenschaft und Glücksforschung hat sich der Zusammenhang
nun verändert. Geraten wird, das subjektive Glück direkt durch allerlei
Techniken emotionalen Managements anzustreben, womit Gesundheit
zwar nicht schon garantiert, aber doch gefördert wäre. Während sich
die empirische Glücksforschung noch darauf beschränkt,
gesellschaftliche und individuelle Bedingungen dahin zu analysieren,
was Glück fördert oder hemmt, formuliert die gängige
Gebrauchsliteratur – inzwischen in Tausenden von Varianten greifbar
– alltagsnahe Glücksrezepte im Sinn einer vereinfachten positiven
Psychologie. Wir alle können danach das Geheimnis der
Glücksformel ergründen, unser Glück leben, die Tretmühlen des
Glücks unbeschadet überstehen. Glück wird zu etwas von jedermann
Herstellbarem erklärt, nachvollziehbar als Zustand der Gehirnchemie
beschrieben, von den sozialen und ökonomischen
Rahmenbedingungen abgekoppelt(Typisch dafür Klein 2002, Layard
2005, Spitzbart 2005, Strunz 2005).
Da man den inneren Prozess der Glücksentstehung in Form von
Endorphin- und Dopaminausschüttung so genau zu kennen glaubt,
liegt es nahe, dass die neue Glückskunde auch pharmakologische
Unterstützung speziell durch verschiedene life-style-Präparate und
Nahrungsergänzungsmittel vorschlägt. Entwickelt werden aber
vornehmlich unkomplizierte Mentalprogramme, mit denen sich der
Konsument auf der Befindlichkeitsskala spürbar verbessern soll. Das
einschlägige Glücksarchiv (http://www.gluecksarchiv 26.6.2007)
empfiehlt derzeit die Glückstherapie nach Fordyce mit z.B. den
Grundsätzen: Werde aktiv und halte Dich beschäftigt; Höre auf, Dir
Sorgen zu machen; Entwickle ein positives, optimistisches Denken;
Sei Du selbst; Eliminiere negative Gefühle und Probleme
und ein kognitives Glückstraining von Lichte, Hay und Kammann, in
dem angestrebt wird, Glück behindernde Überzeugungen durch Glück
fordernde zu ersetzen. Als offenbar integrierte Glücksrezepte werden
verbreitet: „Genieße den Augenblick. Beziehungen zu anderen
Menschen haben oberste Priorität. Konzentriere Dich auf das
10
Wesentliche. Fordere Dich in Arbeit und Freizeit. Tu so, als ob Du
glücklich wärst, und Du wirst es sein. Übe Dich in Gelassenheit“
Unschwer lassen sich hier ältere Einsichten aus der
nordamerikanischen Trivialpsychologie im Stil Carnegies oder der
New Age-Bewegung der 1970er Jahre erkennen, die aber jetzt in
einem neuen Arrangement von kombinierter Glücks- und
Gesundheitssuche wieder Kraft gewinnen.
2.4. Der Selbstzwang zu guten Gefühlen – Zygmunt Baumann
Wir haben nun mit unterschiedlich gehaltvollen Begründungen gehört,
was die meisten wohl schon immer für wahr hielten: Gute Gefühle
und, wenn sie nicht schon vorhanden sind, ihre Konstruktion
korrelieren mit Wohlbefinden, beruflichem Erfolg und somit auch
guter Gesundheit. Es ist also kein Wunder, dass, ähnlich wie dies mit
Gesundheit geschieht, auch für den Fühlenden ein leistungsorientiertes
individuelles Management gefordert wird. Auch für dieses wird
souverän davon abgesehen, dass krankmachende Verhältnisse im
weitesten Sinn auch das Zusammenleben in der
Gesundheitsgesellschaft bestimmen, die klassischen Probleme der
Menschen wie Tod und Sterben, Armut, Gewalt, Diskriminierung,
Sucht unverkennbar fortbestehen und neue dazu getreten sind.
So ist es gut, zumindest auf eine kritische (Kurz-)Betrachtung der
positiven Gefühls-Gesundheits-Welt zu stoßen. Sie stammt von
Zygmunt Baumann, einem der weltweit derzeit prominentesten
Soziologen. Als Interpret der Postmoderne immer äußerst
erfindungsreich, formuliert Baumann für den Niederschlag des
radikalen kulturellen und ökonomischen Wandels auf der
Subjektebene die Tendenz „vom Güterlieferanten zum
Gefühlssammler“ (Baumann 1997, 180). Ausgesagt wird damit, dass
in der Gegenwartsgesellschaft die Probleme von Ordnung,
Konformität und Integration nicht mehr durch Reglementierung und
Bestrafung gelöst werden, das Individuum sich selbst formen und
behaupten muss. Die Aufseher, Vorarbeiter und Lehrer haben die
Macht über uns und die Verantwortung für uns abgegeben, anstrengen
müssen wir uns nur für uns selbst und dies mit permanenter Angst vor
Unzulänglichkeit. Für sei neues Leben als Konsument von
11
Empfindungen und Erfahrungen wird das Individuum nun von
perfekter Gesundheit abhängig: es benötigt einen Körper in ständiger
Aufnahme- und Reizbereitschaft, einen Körper, dessen Wert nicht im
Leisten selbst, sondern den dabei auftretenden Gefühlen besteht.
Dabei ist das Dilemma, dass die Gefühle als ja ausschließlich
subjektiv beurteilbar immer noch intensiver und tiefer sein könnten
und gleichzeitig durch drohende Unfitness beeinträchtigt werden.
Die These Baumanns ist also: das von Produktionsarbeit freigestellte
Individuum lebt heute vorrangig der Erzeugung und Steigerung guter
Gefühle und ist dafür auf einen in wirklich guter Verfassung
befindlichen Organismus angewiesen. Ob dieser aber tatsächlich den
aktuellen Fitnessstandards entspricht und darüber hinaus von all den
Bemühungen ums Empfinden profitiert, ist mehr als fraglich.
3. Der negative Blick – Gefühle und Gefühlsarbeit als
Gesundheitsschädigung
3.1. Die Negativität der Gefühle
Das neue positive Denken über menschliche Ressourcen und
Handlungsmöglichkeiten, das auch die Gefühle und ihre
Gesundheitsfunktion erreicht hat, beruht noch weitgehend auf seiner
Plausibilität und Alltagsnähe: Gutes Fühlen muss einfach Gutes
zeitigen. Sehr viel besser empirisch abgesichert ist dagegen die lange
Zeit dominierende, jetzt aber attackierte und in den ungeliebten
Krankheitsbereich abgedrängte negative Perspektive.
In ihr gilt das Interesse dem Nachweis, dass emotionale Prozesse die
individuelle Gesundheit unter bestimmten Bedingungen und in
verschiedener Hinsicht beeinträchtigen können.
Das potentiell Schädliche des Fühlens ist besonders gut da erkennbar,
wo das emotionale Verhalten selbst zur Krankheit aufsteigen kann,
Dies geschieht, wenn sich eine emotionale Reaktion, losgelöst vom
ursprünglichen Entstehungsgrund, generalisiert, verselbständigt,
chronifiziert und zu problematischen Ausdrucksformen findet. Das
12
beste Beispiel für diesen Gesundheitsverlust sind die diversen, in
großer Häufigkeit auftretenden Angststörungen von der Phobie zur
Panik, des weiteren in Depression einmündende Verlustgefühle.
Unterhalb dieser Ebene medizinisch-psychotherapeutisch anerkannter
Erkrankungen wird aber wissenschaftlich an eigentlich allen negativen
Gefühlen eine pathologische Seite gesehen – man spricht etwa von
toxischer Scham, krankhafter Eifersucht, ungesunder Schuld, Jähzorn
– und vermag diese Art des Fühlens auch recht genau abzugrenzen.
Darüber hinaus lassen sich verschiedene psychische
Störungen/Problematiken – etwa das Borderline-Syndrom. Süchte,
Suizidalität, Selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen – sehr gut mit
den Wirkungen verdrängter oder unkontrollierbarer Gefühle in
Verbindung bringen. Zumindest auf der Ebene der Fallbeschreibung
oder des Betroffeneninterviews zeigen sich die verursachenden,
verstärkenden oder nur begleitenden Einflüsse emotionaler Probleme
überaus deutlich.
Einen wieder anderen Weg beschreiten Autoren oder spezielle
Gruppen wie die Emotions Anonymous, die das Gemeinsame
emotionaler Beeinträchtigungen betonen und von einer einzigen
Emotionskrankheit ausgehen. („wir wollen Freude, fühlen aber
Schmerz“).
Bis jetzt bin ich von der gefährdeten oder geschädigten Gesundheit
ausgegangen mit Emotionen als nachweisbarem Gegenstand, als
Ursache oder Bestandteil oder auch, bislang noch nicht angesprochen,
als Folgeproblem Die negative Verbindung zwischen Gefühl und
Gesundheit wird nun noch breiter und vielfältiger, wenn wir einfach
kursorisch prüfen, was kurzzeitige oder länger anhaltende emotionale
Belastungen anzurichten vermögen. Sie können a) in Form von
irrationalem Verhalten, etwa der wütende Tritt vor ein Hindernis,
Gesundheit direkt beeinträchtigen, b) in Form der chronischen
Unterdrückung von Ärger oder der durch soziale Angst geschaffenen
Gehemmtheit muskuläre Verspanntheit, etwa hartnäckige Kopf- und
Rückenschmerzen hervorrufen, c) die Beziehungen zu anderen
gefährden, wenn etwa Neid, Eifersucht, Trennungsangst
Grenzüberschreitungen und Verletzungen bis hin etwa zum Einsatz
illegitimer Stalking-Praktiken auslösen, d) die rechtzeitige Nutzung
13
des Gesundheitswesens verhindern, etwa durch unmäßigen Geiz oder
fortgeschrittene Einsamkeit, e) uns lange vor dem Verlust von
Gesundheit zu risikoreichen Aktivitäten veranlassen, f) uns zu
unangemessenen Krankheitsdiagnosen selbst gelangen oder diese
herbeiführen lassen – und damit ist der Zusammenhang sicher noch
nicht abgearbeitet.
3.2. Gesundheitsschädigung durch überfordernde Gefühlsarbeit
Nicht nur Gefühle selbst können für den Organismus, den Akteur, die
Interaktion und die Gesellschaft negative Wirkungen haben, gleiches
kann von der Gefühlsarbeit gesagt werden. Gemeint ist mit diesem
Begriff nicht das alltägliche Bewältigungsverhalten von Personen, das
natürlich in Form von etwa Alkohol- und Medikamentenkonsum,
Gewaltanwendung, unmäßigem Essen, Schamlosigkeit höchst
problematisch sein kann, auch nicht das individuelle
Emotionsmanagement selbst gewählter Veränderungen wegen.
Gefühlsarbeit, wie sie erstmals in den frühen 1980er Jahren von Arlie
Hochschild (1990, zuerst 1983) und Anselm Strauss (1980)
beschrieben und untersucht worden ist, ist so zu verstehen, dass
Personen vor allem in Berufsrollen im Dienstleistungsbereich
auferlegt wird, in einer fremdbestimmten und überprüfbaren Art
Gefühle zu zeigen. Hier wird ein Maß von Freundlichkeit, Mitgefühl,
Zuwendung oder auch Aggressivität abverlangt, welches von den
tatsächlichen Empfindungen erheblich abweicht. Die in der Mehrzahl
weiblichen Akteure sind sowohl zur Selbstbeherrschung, d.h.
Vernachlässigung oder Unterdrückung eigener negativer Gefühle
gegenüber ihrer Umwelt als auch zur Rücksichtnahme auf die Gefühle
anderer bis hin zum Ausdruck positiver Gefühle gezwungen.
Auf diesen Interaktionsstress wird nun mit verschiedene Methoden
der Gefühlsregulierung reagiert und zwar mit Oberflächenhandeln –
hier wird nur der Gefühlsausdruck den Normen angepasst – oder
Tiefenhandeln – hier werden Gefühle durch mentale Prozesse erst
erzeugt. Um dies zu erreichen, stehen betroffenen Personen vielfältige
Methoden zur Verfügung, welche entweder auf die physiologische
oder kognitive Basis der Gefühle einwirken (Badura 1990).
14
Geschehen kann dies allein durch Entspannungstechniken,
Drogengebrauch, Ablenkung, Intellektualisierung eines Problems oder
auch interaktiv durch Gespräche und Ratschläge.
Das Konzept der Gefühlsarbeit konzentriert sich nun mit kritischer
Absicht (die sich tendenziell auch auf die gesamte Gefühlskultur des
Dienstleistungskapitalismus richten könnte, zumeist aber auf der
Personenebene endet) auf die psychischen und gesundheitlichen
Kosten, welche mit der ständigen Emotionsangleichung verbunden
sind. Hochschild hat bei den von ihr untersuchten Flugbegleiterinnen
und Fahrkartenkontrolleuren Substanzenmißbrauch, Kopfschmerz,
Absentismus und sexuelle Störungen als Folge von
Gefühlsregulierung ermittelt (Hochschild 1990). In neueren
Forschungen sind deutliche Burn-Out- Effekte in Form von
emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und Gefühlen reduzierten
Leistungsvermögens und reduzierter Einfühlung nachgewiesen
worden (Zapf u.a. 2000).
IV. Kritik, Fazit und Empfehlungen
Die nun abgeschlossene Analyse hat erbracht, dass die
unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge zum GefühlsGesundheits-Verhältnis jeweils auf bestimmte Aspekte beschränkt
bleiben, zum Teil methodologische Standards deutlich verfehlen oder
auch ideologisch aufgeladen sind und dem Zeitgeist huldigen.
Ungeklärt bleiben durchweg komplexere Fragen: Etwa ob Gefühle
überhaupt vollständig gut oder schlecht sein können, ob für das
Gefühlskonto eher die mitunter ja widersprüchlichen Empfindungen
oder Mitteilungsfomen zählen (Beispiel: Schadenfreude), wie sich
gute und belastende Gefühle zueinander verhalten sollten, um dem
individuellen Gesundheitszustand zu nutzen oder in welcher
Beziehung Emotionen und Kognitionen für die gleiche Wirkung
zueinander stehen sollten. Auch der wichtige Zusammenhang
zwischen der Chance, gute Gefühle zu erleben und schädigende zu
vermeiden und gesellschaftlicher Ungleichheit findet kaum Interesse.
Schließlich scheint, wie K. Dörner in seiner „Gesundheitsfalle“ auf
allgemeiner Ebene kritisiert (Dörner 2003), ein fiktives Ideal einer nur
15
noch auf sich selbst bezogenen, unendlich steigerungsfähigen
Gesundheit die Würdigung schmerzender, störender Emotionen als
Quelle kreativer Leistungen und Signal für Gefahren und Widerstand
zu verhindern.
Festhalten lässt sich immerhin folgendes:
1) Die Art unseres Fühlens nimmt großen Einfluss auf unsere
Gesundheitsbiographie. Wahrscheinlich ist die Gefühlslage einer
Person sogar für die subjektive Bewertung und damit auch
Konstruktion von Gesundheit das Ausschlaggebende. Allerdings
muss die Variable Gefühl immer in Verbindung mit anderen
Faktoren wie Lebensbedingungen, Lebensstil,
Handlungschancen und auch Schicksalsschlägen gesehen
werden.
2) Es ist bestimmt günstiger, gute Gefühle zu erleben als
belastende, positive Lagebeurteilungen statt negative
vorzunehmen, die eigenen Empfindungen auch unverfälscht und
vollständig ausdrücken zu dürfen, mit einem gehobenen
Lebensgefühl durch die Welt zu gehen, nicht solche emotionalen
Haltungen in die Charakterstruktur eingebaut zu haben, die uns
und andere belasten (z. B. Neid, Ängstlichkeit, Feindseligkeit,
Geiz), sondern eher sozial gewünschte und Verbindung stiftende
wie Vertrauen, Güte, Dankbarkeit.
3) Ob aber ein Gefühl gut oder belastend ist, ist keinesfalls
eindeutig, steht vielmehr in hoher Abhängigkeit von der
Sozialisationsgeschichte des Fühlenden, ist situationsspezifisch
immer neu zu beurteilen, vom kulturellen Hintergrund aus zu
beurteilen, verändert sich auch im Zeitverlauf. Einige Beispiele
dafür: Mein Gefühl für den anderen ist mehr als gut, aber dies
belastet erst den, dann auch mich. Mein Ärger über den anderen
erscheint mir als berechtigt, fühlt sich im vielleicht sogar
verletzenden Ausdruck bestens an, erzeugt danach aber
Konflikte, Reue, Schuldgefühle. Meine Angst wird von mir als
angemessene Reaktion auf die bedrohliche Welt
wahrgenommen, mit vernünftig klingenden Argumenten
unterfüttert und tut mir zunächst ausgesprochen gut. Auf der
Grundlage fester moralischer Überzeugungen empfinden wir
16
über unser selbstgerechtes und unempathisches Tun fortlaufend
Freude, bekommen vielleicht sogar die Bestätigung durch
ähnlich Fühlende, ist das aber auch gesundes Fühlen?
Lebenspraktische Folgerungen
Sein eigenes Fühlen an gesellschaftlichen Gesundheitsnormen und informationen zu orientieren, ist mehr als problematisch.
Authentisches Fühlen und wahre Emotion gehen über emotionale und
umfassende Gesundheit.
Das fühlende Subjekt muss jenseits aller behaupteten Unterschiede
von gesundheitsförderndem und- schädigendem Empfinden selbst
herausfinden, wo und wann ihm Fühlen Schaden zufügt oder aber
Verzicht auf vermeintlich ungesundes Empfinden wichtige
Erlebensmöglichkeiten nimmt.
Es muss durch eigenes auch schmerzhaftes Erfahren und mühsames,
irrtumsanfälliges Reflektieren lernen, welche Art Fühlen ihm behagt
oder ihn leiden lässt und was dies für Gesund- oder Kranksein
bedeutet.
Es bleibt auch gegenwärtig berechtigt, sich allen Ansätzen von
Gefühlsmanagement, allen Gelegenheiten zur Glücksproduktion zu
verschließen und auf die Sinnhaftigkeit negativer, als pathologisch
gefürchteter Emotionen zu vertrauen.
Die direkte, wenngleich all der verfügbaren Methoden wegen auch
nicht einfache Suche nach der passenden Chemie im Gehirn kann
allenfalls dem seine Mitmenschlichkeit gering achtenden Subjekt ein
labiles Pseudoglück bieten.
Gesunde/gute Gefühle in einer fortgeschritten kranken Gesellschaft
erzeugen und bewahren zu wollen, stößt auf enge strukturelle
Grenzen: wie sollen wir angesichts des unfassbar hohen Niveaus von
17
Gewalttätigkeit, der Ausgrenzung und Entsorgung großer
Menschengruppen, von Armut, Abhängigkeit, Weltzerstörung nicht
auch niedergeschlagen, ängstlich, beschämt, hilflos oder wütend sein,
Gefühle haben, welche unserer Gesundheit nicht gut tun und die sich
nicht wirkungsvoll umsetzen lassen? Ganz im Gegenteil wäre es in
einem moralischen Sinn wohl ungesund, d.h. Basis für Schuldgefühl
und Selbstverachtung, unbeirrt der Verwirklichung seines emotionalen
Wohlbefindens zu folgen, obgleich es jederzeit guten Grund gäbe,
über weltgesellschaftliche Verhältnisse besorgt oder gar verzweifelt zu
sein.
Emotionale Gesundheit auch und gerade in der gesundheitsfördernden
Gesellschaft bedeutet, immer wieder an der Welt und uns selbst leiden
zu müssen. Emotional gesund zu sein, heißt, die vielfach
situationsangemessene Angst, Wut, Niedergeschlagenheit auszuhalten
und sie produktiv, das heißt mutig zu verarbeiten, keineswegs
glückstechnologisch aufzulösen, Hierzu hat Günther Anders vor
längerem schon das Richtungweisende gesagt: „habe keine Angst vor
der Angst, habe Mut zur Angst. Auch den Mut, Angst zu machen.
Ängstige deinen Nachbarn, wie dich selbst“ (Anders 1981, 98)
Woran ich glaube ist: Die riskante Gratwanderung zwischen
emotionaler Würdigung von guten und leidvollen Geschehnissen, der
Widerstand gegen unangemessene/naive/egoistische Hingabe ans
Wohlbefinden, der Mut zu sozial oder nur fallweise unpassenden
Gefühlen, die Entscheidung zu emotionaler Abweichung statt
angepassten Fühlens werden das, was Antonovsky präzise als
Kohärenzgefühl beschrieben hat – Vertrauen in uns und die Welt,
letztlich doch stärken.
Mein Vorschlag hier ist, emotionale Gesundheit sowohl differenzierter
als auch subjektiver zu formulieren und aus der wissenschaftlichen
Einengung zu lösen. Ich gehe davon aus, dass subjektive
Gesundheitsempfindung (ich fühle mich gesund), subjektiver
Gesundheitsglaube (ich halte mich für gesund) und subjektive
Gesundheitsdarstellung (ich erkläre mich für gesund) genauso
verschieden sind wie die mir zukommenden Umweltdefinitionen (man
hält mich wirklich für gesund; man schreibt mir nur aus
18
Eigeninteresse zu, gesund zu sein; man erklärt mich für gesund). Des
weiteren ist anzunehmen, dass „Gesundheiten“ in verschiedenen
Befindlichkeitsdimensionen ganz ungleich sein können, ihre
Übereinstimmung oder Integration keineswegs der Normalfall sind.
Emotional gesund zu sein, soll danach heißen: im Einklang mit sich
selbst zu fühlen, sich aller aufsteigenden Empfindungen, guter wie
schlechter, zu überlassen, sein Gefühl benennen, ausdrücken,
reflektieren, anerkennen, als Handlungsimpuls mit dem Ziel
persönlicher und auch gesellschaftlicher Veränderung zu nutzen.
Emotional gesund zu sein, ist so verstanden, in der kranken
Gesundheitsgesellschaft nur eingeschränkt und ohne amtliche
Beglaubigung möglich.
Literatur
Abele, A./Becker,P. (Hrsg.), 1991: Wohlbefinden. Theorie – Empirie
– Diagnostik, Weinheim - München: Juventa
Anders, G., 1981: Die atomare Bedrohung, München: Beck
Antonovsky, A., 1997: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der
Gesundheit, Tübingen : dgvt
Badura, B. 1990: Interaktionsstress. Zum Problem der
Gefühlsregulierung in der modernen Gesellschaft, in: Zeitschrift für
Soziologie 19, S. 317-328
Baumann, Z., 1997: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu
postmodernen Lebensformen, Hamburg: Hamburger Edition
Bengel, J./Strittmatter, R./Willmann, H., 2001: Was erhält Menschen
gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand
und Stellenwert. Köln: BZgA
Dörner, K., 2003: Die Gesundheitsfalle. Woran unsere Medizin
krankt. Zwölf Thesen zu ihrer Heilung, München: Econ
Goleman, D., 1996: Emotionale Intelligenz, München: Hanser
Hochschild, A., 1990: Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung
der Gefühle, Frankfurt/M.: Campus
19
Hurrelmann, K., 1994: Sozialisation und Gesundheit. Somatische,
psychische und soziale Risikofaktoren im Lebenslauf, WeinheimMünchen: Juventa
Klein, S.: 2002: Die Glücksformel. Oder wie die guten Gefühle
entstehen, Reinbek: Rowohlt
Layard, R., 2005: Die glückliche Gesellschaft, Frankfurt/New York:
Campus
Neckel, S., 2005: Emotion by design. Das Selbstmanagement der
Gefühle als kulturelles Programm, in: Berliner Journal für Soziologie
3, S. 419-430
Psychologie und Glück: Glückstherapien, 26.6. 2007:
http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/psychologir_glueckstherapien.htm
Strauss, A., 1980: Gefühlsarbeit, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie
und Sozialpsychologie 32, S. 629-651
Spitzbart, M., 2005: Leben Sie Ihr Glück, München: Goldmann
Strunz, U.T., 2005: Das Mentalprogramm, München:Heyne
Zapf, D. u.a., 2000: Emotionsarbeit in Organisationen und psychische
Gesundheit, in: Musahl, H.-P./Eisenhauer, T. (Hrsg.), Psychologie der
Arbeitssicherheit, Heidelberg: Asanger, S. 99-106
20
Herunterladen