Friedrich W. Stallberg Gesund fühlen in ungesunder Gesellschaft– analytische Einblicke und Empfehlungen für die individuelle Praxis Inhalt Vorbemerkung I. II. Begriffliche Festlegungen Das Gefühls-Gesundheits-Verhältnis 1. Formaler Zusammenhang: Emotionen als substantieller Teil des Gesundseins 2. Gute Gefühle für umfassende Gesundheit: Kohärenzgefühl – Emotionale Intelligenz – Glücksfaktor 2.1. Gesundheit als Vertrauensresultat 2.2. Mit Gefühl zu mehr Erfolg – Emotionale Intelligenz 2.3. If you want to be happy for he rest of your life – Gesundheit durch Glück 2.4. Der Selbstzwang zu guten Gefühlen 3. Der negative Blick – Gefühle und Gefühlsarbeit als Gesundheitsschädigung 3.1. Die Negativität der Gefühle 3.2. Gesundheitsbedrohung durch überfordernde Gefühlsarbeit III. Kritik und Empfehlungen 1 Vorbemerkung Mein Ziel mit diesem Text ist, etwas Gehaltvolles, Anregendes und am besten Bleibendes über den Zusammenhang von Gefühl und Gesundheit mitzuteilen. Während meiner zunächst noch zaghaften Annäherung an die Thematik, hat sich diese bald als ausgesprochen aktuelle erwiesen. Die mit hoher Bestsellerchance verfassten literarischen Aufforderungen, von der Medizin Emotion endlich bedenkenlos Gebrauch zu machen, sich der Bewegung zu selbsttätiger Glücksproduktion anzuschließen, immer nur gesundheitsbewusst und gesundheitskonform zu fühlen, zeigen, dass das Gesundheits-GefühlsVerhältnis nicht nur auf theoretischer Ebene interessant ist. Es gibt eine starke gesellschaftliche Erkenntnis, dass der Weg des lernwilligen Gegenwartsmenschen zu dauerhafter Gesundheit über die Emotionen und deren Design führen muss. Gelehrt wird uns, dass Emotionen mit all dem sonst gut zu tun Gebotenen – Bewegung, Ernährung, Reisen – verschränkt sind und womöglich sogar im System des individuellen Gesundheitsmanagements den Spitzenplatz einnehmen. Denn, wenn wir uns von den unpassenden Gefühlen – Angst, Niedergeschlagenheit, Einsamkeit, Ärger – plagen lassen, wird all das andere, was unserer Gesundheit förderlich ist, nicht so recht anschlagen. Für meine Erkundungen gehe ich gemäß meiner persönlichen Denkweise den Weg über das einschlägige wissenschaftliche Wissen: ich prüfe nach und versuche herauszuarbeiten, wie und wo sich die analytischen Kategorien Gesundheit und Gefühl begegnen und wie diese Begegnung organisiert ist. Ich glaube zeigen zu können, dass sich ein vielfältiges und widersprüchliches Feld mit interessanten begrifflichen Ideen und hochaktuellen Trends auftut. Auch auf einige internationale und nationale Größen der menschenwissenschaftlichen Debatte – Z. Baumann, A. Antonovsky, A. Hochschild, D. Goleman, B. Badura, S. Neckel – werden wir dabei stoßen. Ich werde die angebotenen Einsichten zum Gefühl -GesundheitVerhältnis nun aber nicht theoretisch und methodologisch diskutieren, sondern sie in ihren Unterschieden einfach unintegriert stehen lassen. Mein zweites Interesse ist nämlich zu ihrer Bedeutung und ihrem 2 kritischen Potential für unsere Lebenspraxis Stellung zu nehmen. Was heißt es, in einer einerseits von Gesundheitsidealen und –imperativen dominierten, andererseits aber vielfach pathologischen Gesellschaft emotional gesund sein zu wollen? Und welcher der möglichen Wege zu emotionaler Gesundheit oder gesunder Emotionalität ist der wissenschaftlich und praktisch Ratsame? I) Begriffliche Festlegungen Gesundheit liegt im sozialwissenschaftlichen Sinn vor, „wenn eine Person konstruktive Sozialbeziehungen aufbauen kann, sozial integriert ist, die eigene Lebensgestaltung an die wechselhaften Belastungen des Lebensumfeldes anpassen kann, dabei individuelle Selbstbestimmung sichern und den Einklang mit den biogenetischen, physiologischen und körperlichen Möglichkeiten herstellen kann“ (Hurrelmann 1997, 17) Gesundheitspolitische Experten der BRD (Sachverständigenrat Gesundheitswesen 1994) definieren „Gesundheit ist die Freiheit des Menschen von der Bedrohung der Gesundheit durch Krankheit, der Bedrohung der Funktionalität…und Leid (z.B. Schmerzen, Depression)“ Es wird deutlich, Gesundheit ist eine sehr anspruchsvoll verstandene Kategorie. Seit ihrem Aufstieg zum politischen Leitkonzept nach dem 2. Weltkrieg mit der Gründung der WHO ist sie durch eine große Reichweite, eine normative Akzentuierung und eine erkennbar instrumentelle Funktion gekennzeichnet. Der Begriff Gesundheit formuliert neue Werte, denen menschliches Befinden genügen sollte, eröffnet neue, dem traditionellen medizinisch-pharmakologischen System mindestens zur Seite gestellte Aktivitäten, Legitimationen und Handlungsfelder (Gesundheitswissenschaft, -förderung, -lernen,erziehung). Gesundheit markiert die positive, auf Selbstbestimmung verweisende Kraft gegenüber abhängig machender, schicksalhafter Krankheit. Sie stattet den Gegenwartsmenschen zumindest der westlichen Welt mit dem Anspruch auf totales Wohlbefinden aus, fordert ihn aber auch zu fortlaufenden Bemühungen um dessen Gewinn und Erhalt aus. Sie verweist auf die Paradoxie eines hohen Maßes individueller 3 Lebenschancen, auf die Normalität von Vorsorge-, Fitness- und Wellnesskarrieren in einer Welt voller Zivilisations- und Modernitätsleiden wie Abhängigkeit, Depression, Demenz, Behinderung, Essstörungen, Über- und Untergewicht. Auch Gesundheit bleibt freilich von den alten und neuen Ungleichheiten der gespaltenen Gesellschaft nicht verschont, ihr Besitz und das Niveau der organisierten Sorge um sie trennen Privilegierte und Benachteiligte zusätzlich, wenn auch etwas anders. Gefühle oder Emotionen, wie sie hier verstanden werden, sind individuelle Lagebeurteilungen, die sich mit körperlicher Erregung und Handlungsimpulsen verbinden, willkürlich und von kurzer Dauer sind und spontan zum Ausdruck gebracht werden. In einem weiteren Sinn können Gefühle auch nicht-affektiv und etwas anderes als Emotionen sein oder, sofern affektiv bedingt, Empfindungen, Stimmungen und emotionale Haltungen bis hin zum Lebensgefühl umfassen. Gefühle sind eine Erlebnisweise, die zur menschlichen Existenz konstitutiv gehört und sich unserem Wünschen und Wollen entzieht. Auch wenn wir also unser Fühlen nur sehr begrenzt steuern können, haben wir eine Menge von ihm, weil es uns darüber informiert, was das, was gerade geschieht, für uns bedeutet. Gefühle haben immer auch eine soziale Dimension, weil sie etwa in Qualität und Ausmaß abhängig vom Zustand der Gesellschaft sind, kulturell bewertet und in sozialen Prozessen entwickelt werden. Allerdings sind sie mit sozialen Beziehungen und Situationen unterschiedlich stark vermittelt; Freude, Neugier, Langeweile eher weniger, erotische Leidenschaft, Wut, Angst, Schadenfreude, Neid besonders deutlich. Im Hinblick auf den Zusammenhang mit Gesundheit wird sich die Unterscheidung von Gefühlen in eher positive und negative bemerkbar machen. Sie ist aber ausgesprochen kritikbedürftig und sollte eher durch eine differenzierte Betrachtung des Fühlens auf problematische Effekte hin ersetzt werden. Gefühle sind 1) subjektiv immer sinnvoll und 2) niemals ausschließlich gut oder schlecht, wenn wir nur ihren Entstehungs-, Erlebens- und Wirkungskontext weit genug würdigen. Sofern sie etwa eher negativ als positiv sind, sind sie 4 doch nicht schon destruktiv oder abweichend, sondern vielleicht gleich wieder aus der Welt verschwunden. II. Das Gefühls-Gesundheits-Verhältnis 1. Formaler Zusammenhang: Emotionen als substantieller Teil des Gesundseins Die Individualisierung der Gesundheit im Sinn der eigenen Verantwortlichkeit, Kompetenz und Freiheit für ihre lebenslange Förderung und auch die perspektivische Ausweitung des Gesundheitsverständnisses auf Wohlbefinden schlechthin lassen die Emotionen und ihre Qualität sozusagen zu einer festen Teildimension von Gesundsein oder zu einem Indikator für die subjektive Position auf dem Gesundheits-Krankheits-Kontinuum werden, Gesundheit kann offenbar gar nicht hinreichend ohne den Bezug auf Gefühlslagen bestimmt werden. In Modellen des physischen und psychischen Wohlbefindens sind positive Gefühle, Haltungen und Stimmungen eine zentrale Größe; auch die empirische Erhebung subjektiven Wohlbefindens arbeitet zumeist mit den Faktoren Freude (kurzfristige situationsspezifische positive Empfindungen) und Glück (eher umfassendes und langfristiges Wohlbefindensgefühl) neben der Freiheit von subjektiver Belastung und Zufriedenheit als positiver kognitiver Einschätzung des eigenen Lebens. 5 Während Gefühle hier also im Gesundheitskonzept aufgehen, können sie auch getrennt auf das Vorliegen von Gesundheit (emotionale Gesundheit) hin betrachtet werden. Darüber hinaus treten sie zuverlässig in Erklärungen von Gesundheit oder Erkrankung oder in Konzepten der Gesundheitsförderung oder Krankheitsprävention als Schutz- oder Risikofaktor auf (Folie). Hier wird auch deutlich, was uns gleich noch beschäftigen wird: Gefühle können sich positiv wie negativ auf den individuellen Gesundheitszustand auswirken, lassen sich in dieser Hinsicht als gut oder schlecht klassifizieren. Die förderliche Wirkungsweise allein ist bevorzugtes Thema des modernen ressourcen - und potentialorientierten Paradigmas, welches derzeit nicht nur in den Gesundheitswissenschaften, sondern in allen praxisorientierten Handlungswissenschaften in schon erdrückender Form den Ton angibt. 2. Gute Gefühle für umfassende Gesundheit : Kohärenzgefühl – emotionale Intelligenz – Glücksfaktor Gute Gefühle, ob nun als situationsadäquat, subjektiv gewünscht oder an den segensreichen Folgen bestimmt, werden in unterschiedlicher Weise und mit unterschiedlichem Erkenntnisanspruch als eine Erfolgsbedingung für die Entwicklung und Aufrechterhaltung von Gesundheit thematisiert. Ich beziehe mich an dieser Stelle auf drei einflussreiche Zugänge: A. Antonovskys Konzept der Salutogenese mit speziell der Kategorie des Kohärenzgefühls, D. Golemans Entdeckung der emotionalen Intelligenz und schließlich die aktuelle, stark populärwissenschaftlich angelegte Glücksforschung, die Glücksfaktor oder Glücksformel als Treibstoff unseres Gesundheitsstrebens oder gar Garant von Gesundheit kommerziell überzeugend ins Gespräch gebracht hat. 2.1. Gesundheit als Vertrauensresultat 6 Der Begriff des Kohärenzgefühls ist ein wichtiger Baustein in Aaron Antonovskys Modell der Salutogenese. Dieser erstmals 1979 umfassend vorgelegte Forschungsansatz mit großem gesundheitswissenschaftlichem Einfluss interessiert sich für die Bedingungen von subjektiver Gesundheit und die Faktoren, welche diese wirksam schützen können. Dabei gilt Gesundheit nicht als normaler und passiver Zustand, sondern als ein labiles, sich ständig veränderndes und von Leistungen der Betroffenen abhängiges Geschehen. Die als Kohärenzgefühl beschriebene emotionale Realität ist neben Spannungsquellen, Stressoren und den bei jeder Person vorhandenen allgemeinen Widerstandsressourcen maßgeblich für den aktuellen Gesundheitszustand. Je ausgeprägter das Kohärenzgefühl ist, über welches wir verfügen, desto gesünder sollten wir sein und desto rascher sollten wir, falls nötig, wieder gesund werden. Was ist nun genau mit diesem so erstrebenswerten Gut gemeint? Kohärenzgefühle sind definiert „als eine globale Orientierung, die das Ausmaß ausdrückt, in dem jemand ein alles durchdringendes, überdauerndes und dennoch dynamische Gefühl der Zuversicht hat, dass erstens die Anforderungen aus der inneren oder äußeren Erfahrenswelt im Verlauf des Lebens strukturiert, vorhersagbar und erklärbar sind, zweitens die notwendigen Ressourcen verfügbar sind, um den Anforderungen gerecht zu werden, und drittens schließlich, dass diese Anforderungen Herausforderungen sind, die Investition und Engagement verdienen“ ( Bengel/Strittmatter/Willmann 2001, 29 ). Es geht also nicht um eine flüchtige Gefühlsregung, sondern um eine emotionale, mit Selbst-, Fremd- und Weltvertrauen verbundene Orientierung zum Leben insgesamt. Sie differenziert sich in ein Gefühl von Verstehbarkeit, ein Gefühl von Handhabbarkeit (instrumentelles Vertrauen, Glaube) und schließlich ein Gefühl von Sinnhaftigkeit bzw. Bedeutsamkeit, welches das wichtigste ist. „Ein Mensch ohne Erleben von Sinnhaftigkeit wird das Leben in allen Bereichen nur als Last empfinden…“ ( Bengel/Strittmatter/Willmann 38) Folie 7 Kohärenzgefühle bilden sich Antonovsky zufolge in den ersten Lebensjahrzehnten aus und sind danach nur noch durch grundlegende Veränderungen der Lebensbedingungen und Wertorientierungen zu modifizieren (Antonovsky 1997). Auf die subjektive Gesundheit wirken sie sich in mehrfacher Weise aus: sie beeinflussen den Organismus direkt, indem sie etwa darüber entscheiden, ob wir Situationen für willkommen oder gefährlich halten; sie mobilisieren vorhandene Ressourcen zur Stressbewältigung oder auch nicht, und sie steuern unser Gesundheitsverhalten, indem wir uns gesund oder weniger gesund ernähren, Vorsorgeleistungen in Anspruch nehmen und Gesundheit schädigendes unterlassen oder im Gegenteil tun. Das vorgestellte Konzept rät uns also (und darauf will ich hinaus): Habe gute Überzeugungen, sei zuversichtlich und du wirst oder bleibst gesund. Es ist in der wissenschaftlichen Diskussion des öfteren als von ähnlichen Konzepten nicht abgrenzbar, empirisch nicht überprüfbar oder, wenn doch, dann eher nicht bestätigt kritisiert worden. Gemessen an anderen „positiven“ Problemzugängen erscheint es aber als ausgesprochen komplex. 2.2. Mit Gefühl zu mehr Erfolg – Emotionale Intelligenz Ein weniger im Gesundheitssystem als in der Welt von Unternehmensführung und Coaching etabliertes und auf organisatorisches Handeln abzielendes Konzept ist das der emotionalen Intelligenz. Mit dem Begriff des Kohärenzgefühls gemeinsam hat es die Annahme, dass es für gutes Befinden darauf ankommt, positive Gefühle zu haben. Jedoch gelten diese als durch individuelle Lernprozesse erzeugbar, was für die Ideeurheber erfreuliche praktische Konsequenzen hat. Emotionale Intelligenz stellt das wahrscheinlich wichtigste Schlagwort für eine neue Bewegung zu emotionalem Selbstmanagement dar, deren Programm vor allem auf der Annahme beruht, Gefühle selbst wählen und, was genauso zählt, auch die Gefühle anderer kontrollieren zu können. Die Verfechter des Konzepts interpretieren insbesondere Ergebnisse der neueren Gehirnforschung 8 im Sinne der Umdeutbarkeit negativer Empfindungen und stellen sich Probleme des Fühlens als ausschließlich oder vorwiegend emotional bedingt vor, losgelöst von den Kontexten und Situationen ihrer Entstehung. (vgl. Neckel 2005) Daniel Goleman, in dessen Version emotionale Intelligenz zum Welterfolg geworden ist, definiert diese als „die Fähigkeit, unsere eigenen Gefühle und die anderer zu erkennen, uns selbst zu motivieren und gut mit Emotionen in uns selbst und in unseren Beziehungen umzugehen (Goleman 1996, 387). Ihre Komponenten sind Selbstbewusstheit – Erkennen und Verstehen der eigenen Gefühle, Motive, Bedürfnisse, Selbststeuerung – die Fähigkeit, die eigenen Gefühle und Stimmungen durch einen inneren Dialog zu beeinflussen, Selbstmotivation – Leistungsbereitschaft und Begeisterungsfähigkeit aus sich selbst entwickeln zu können, Soziale Kompetenz – Fähigkeit des Aufbaus und des Erhalts sozialer Beziehungen Empathie – sich in die Gefühle und Sichtweisen anderer hineinversetzen und darauf angemessen reagieren Kommunikationsfähigkeit – zuhören, verstehen, sich klar und verständlich ausdrücken können. Der emotionale Intelligente verfügt also über eine differenzierte Selbstwahrnehmung, nimmt fortwährend Einfluss auf sein Fühlen und tritt so negativen Empfindungen entgegen, fühlt sich erfolgreich ein und gestaltet klug seine Beziehungen. Gefühl und Vernunft sollen aneinander angeglichen werden. Dass ein professionell aufgeklärter Umgang mit Gefühlen als Nebenfolge auch die eigene Gesundheit positiv berührt, darf angenommen werden. 2.3. If you want to be happy fort he rest of your life – Gesundheit durch Glück Dass bei guter Gesundheit zu sein, große Zufriedenheit bis hin zu Glücksgefühlen hervorrufen kann, gilt schon lange als Binsenweisheit, wenngleich die richtig tiefen Empfindungen dieser Gefühlsart eher durch schöpferische Kraft, Öffnung der Sinne, intensives erotisches 9 Erleben, Ekstase, Trance und Transzendenz erlebt werden. Jedoch: Gesundheit ist für alles das die Vorbedingung. Unter dem Einfluss der in den letzten Jahren modisch gewordenen Glückswissenschaft und Glücksforschung hat sich der Zusammenhang nun verändert. Geraten wird, das subjektive Glück direkt durch allerlei Techniken emotionalen Managements anzustreben, womit Gesundheit zwar nicht schon garantiert, aber doch gefördert wäre. Während sich die empirische Glücksforschung noch darauf beschränkt, gesellschaftliche und individuelle Bedingungen dahin zu analysieren, was Glück fördert oder hemmt, formuliert die gängige Gebrauchsliteratur – inzwischen in Tausenden von Varianten greifbar – alltagsnahe Glücksrezepte im Sinn einer vereinfachten positiven Psychologie. Wir alle können danach das Geheimnis der Glücksformel ergründen, unser Glück leben, die Tretmühlen des Glücks unbeschadet überstehen. Glück wird zu etwas von jedermann Herstellbarem erklärt, nachvollziehbar als Zustand der Gehirnchemie beschrieben, von den sozialen und ökonomischen Rahmenbedingungen abgekoppelt(Typisch dafür Klein 2002, Layard 2005, Spitzbart 2005, Strunz 2005). Da man den inneren Prozess der Glücksentstehung in Form von Endorphin- und Dopaminausschüttung so genau zu kennen glaubt, liegt es nahe, dass die neue Glückskunde auch pharmakologische Unterstützung speziell durch verschiedene life-style-Präparate und Nahrungsergänzungsmittel vorschlägt. Entwickelt werden aber vornehmlich unkomplizierte Mentalprogramme, mit denen sich der Konsument auf der Befindlichkeitsskala spürbar verbessern soll. Das einschlägige Glücksarchiv (http://www.gluecksarchiv 26.6.2007) empfiehlt derzeit die Glückstherapie nach Fordyce mit z.B. den Grundsätzen: Werde aktiv und halte Dich beschäftigt; Höre auf, Dir Sorgen zu machen; Entwickle ein positives, optimistisches Denken; Sei Du selbst; Eliminiere negative Gefühle und Probleme und ein kognitives Glückstraining von Lichte, Hay und Kammann, in dem angestrebt wird, Glück behindernde Überzeugungen durch Glück fordernde zu ersetzen. Als offenbar integrierte Glücksrezepte werden verbreitet: „Genieße den Augenblick. Beziehungen zu anderen Menschen haben oberste Priorität. Konzentriere Dich auf das 10 Wesentliche. Fordere Dich in Arbeit und Freizeit. Tu so, als ob Du glücklich wärst, und Du wirst es sein. Übe Dich in Gelassenheit“ Unschwer lassen sich hier ältere Einsichten aus der nordamerikanischen Trivialpsychologie im Stil Carnegies oder der New Age-Bewegung der 1970er Jahre erkennen, die aber jetzt in einem neuen Arrangement von kombinierter Glücks- und Gesundheitssuche wieder Kraft gewinnen. 2.4. Der Selbstzwang zu guten Gefühlen – Zygmunt Baumann Wir haben nun mit unterschiedlich gehaltvollen Begründungen gehört, was die meisten wohl schon immer für wahr hielten: Gute Gefühle und, wenn sie nicht schon vorhanden sind, ihre Konstruktion korrelieren mit Wohlbefinden, beruflichem Erfolg und somit auch guter Gesundheit. Es ist also kein Wunder, dass, ähnlich wie dies mit Gesundheit geschieht, auch für den Fühlenden ein leistungsorientiertes individuelles Management gefordert wird. Auch für dieses wird souverän davon abgesehen, dass krankmachende Verhältnisse im weitesten Sinn auch das Zusammenleben in der Gesundheitsgesellschaft bestimmen, die klassischen Probleme der Menschen wie Tod und Sterben, Armut, Gewalt, Diskriminierung, Sucht unverkennbar fortbestehen und neue dazu getreten sind. So ist es gut, zumindest auf eine kritische (Kurz-)Betrachtung der positiven Gefühls-Gesundheits-Welt zu stoßen. Sie stammt von Zygmunt Baumann, einem der weltweit derzeit prominentesten Soziologen. Als Interpret der Postmoderne immer äußerst erfindungsreich, formuliert Baumann für den Niederschlag des radikalen kulturellen und ökonomischen Wandels auf der Subjektebene die Tendenz „vom Güterlieferanten zum Gefühlssammler“ (Baumann 1997, 180). Ausgesagt wird damit, dass in der Gegenwartsgesellschaft die Probleme von Ordnung, Konformität und Integration nicht mehr durch Reglementierung und Bestrafung gelöst werden, das Individuum sich selbst formen und behaupten muss. Die Aufseher, Vorarbeiter und Lehrer haben die Macht über uns und die Verantwortung für uns abgegeben, anstrengen müssen wir uns nur für uns selbst und dies mit permanenter Angst vor Unzulänglichkeit. Für sei neues Leben als Konsument von 11 Empfindungen und Erfahrungen wird das Individuum nun von perfekter Gesundheit abhängig: es benötigt einen Körper in ständiger Aufnahme- und Reizbereitschaft, einen Körper, dessen Wert nicht im Leisten selbst, sondern den dabei auftretenden Gefühlen besteht. Dabei ist das Dilemma, dass die Gefühle als ja ausschließlich subjektiv beurteilbar immer noch intensiver und tiefer sein könnten und gleichzeitig durch drohende Unfitness beeinträchtigt werden. Die These Baumanns ist also: das von Produktionsarbeit freigestellte Individuum lebt heute vorrangig der Erzeugung und Steigerung guter Gefühle und ist dafür auf einen in wirklich guter Verfassung befindlichen Organismus angewiesen. Ob dieser aber tatsächlich den aktuellen Fitnessstandards entspricht und darüber hinaus von all den Bemühungen ums Empfinden profitiert, ist mehr als fraglich. 3. Der negative Blick – Gefühle und Gefühlsarbeit als Gesundheitsschädigung 3.1. Die Negativität der Gefühle Das neue positive Denken über menschliche Ressourcen und Handlungsmöglichkeiten, das auch die Gefühle und ihre Gesundheitsfunktion erreicht hat, beruht noch weitgehend auf seiner Plausibilität und Alltagsnähe: Gutes Fühlen muss einfach Gutes zeitigen. Sehr viel besser empirisch abgesichert ist dagegen die lange Zeit dominierende, jetzt aber attackierte und in den ungeliebten Krankheitsbereich abgedrängte negative Perspektive. In ihr gilt das Interesse dem Nachweis, dass emotionale Prozesse die individuelle Gesundheit unter bestimmten Bedingungen und in verschiedener Hinsicht beeinträchtigen können. Das potentiell Schädliche des Fühlens ist besonders gut da erkennbar, wo das emotionale Verhalten selbst zur Krankheit aufsteigen kann, Dies geschieht, wenn sich eine emotionale Reaktion, losgelöst vom ursprünglichen Entstehungsgrund, generalisiert, verselbständigt, chronifiziert und zu problematischen Ausdrucksformen findet. Das 12 beste Beispiel für diesen Gesundheitsverlust sind die diversen, in großer Häufigkeit auftretenden Angststörungen von der Phobie zur Panik, des weiteren in Depression einmündende Verlustgefühle. Unterhalb dieser Ebene medizinisch-psychotherapeutisch anerkannter Erkrankungen wird aber wissenschaftlich an eigentlich allen negativen Gefühlen eine pathologische Seite gesehen – man spricht etwa von toxischer Scham, krankhafter Eifersucht, ungesunder Schuld, Jähzorn – und vermag diese Art des Fühlens auch recht genau abzugrenzen. Darüber hinaus lassen sich verschiedene psychische Störungen/Problematiken – etwa das Borderline-Syndrom. Süchte, Suizidalität, Selbstverletzendes Verhalten, Essstörungen – sehr gut mit den Wirkungen verdrängter oder unkontrollierbarer Gefühle in Verbindung bringen. Zumindest auf der Ebene der Fallbeschreibung oder des Betroffeneninterviews zeigen sich die verursachenden, verstärkenden oder nur begleitenden Einflüsse emotionaler Probleme überaus deutlich. Einen wieder anderen Weg beschreiten Autoren oder spezielle Gruppen wie die Emotions Anonymous, die das Gemeinsame emotionaler Beeinträchtigungen betonen und von einer einzigen Emotionskrankheit ausgehen. („wir wollen Freude, fühlen aber Schmerz“). Bis jetzt bin ich von der gefährdeten oder geschädigten Gesundheit ausgegangen mit Emotionen als nachweisbarem Gegenstand, als Ursache oder Bestandteil oder auch, bislang noch nicht angesprochen, als Folgeproblem Die negative Verbindung zwischen Gefühl und Gesundheit wird nun noch breiter und vielfältiger, wenn wir einfach kursorisch prüfen, was kurzzeitige oder länger anhaltende emotionale Belastungen anzurichten vermögen. Sie können a) in Form von irrationalem Verhalten, etwa der wütende Tritt vor ein Hindernis, Gesundheit direkt beeinträchtigen, b) in Form der chronischen Unterdrückung von Ärger oder der durch soziale Angst geschaffenen Gehemmtheit muskuläre Verspanntheit, etwa hartnäckige Kopf- und Rückenschmerzen hervorrufen, c) die Beziehungen zu anderen gefährden, wenn etwa Neid, Eifersucht, Trennungsangst Grenzüberschreitungen und Verletzungen bis hin etwa zum Einsatz illegitimer Stalking-Praktiken auslösen, d) die rechtzeitige Nutzung 13 des Gesundheitswesens verhindern, etwa durch unmäßigen Geiz oder fortgeschrittene Einsamkeit, e) uns lange vor dem Verlust von Gesundheit zu risikoreichen Aktivitäten veranlassen, f) uns zu unangemessenen Krankheitsdiagnosen selbst gelangen oder diese herbeiführen lassen – und damit ist der Zusammenhang sicher noch nicht abgearbeitet. 3.2. Gesundheitsschädigung durch überfordernde Gefühlsarbeit Nicht nur Gefühle selbst können für den Organismus, den Akteur, die Interaktion und die Gesellschaft negative Wirkungen haben, gleiches kann von der Gefühlsarbeit gesagt werden. Gemeint ist mit diesem Begriff nicht das alltägliche Bewältigungsverhalten von Personen, das natürlich in Form von etwa Alkohol- und Medikamentenkonsum, Gewaltanwendung, unmäßigem Essen, Schamlosigkeit höchst problematisch sein kann, auch nicht das individuelle Emotionsmanagement selbst gewählter Veränderungen wegen. Gefühlsarbeit, wie sie erstmals in den frühen 1980er Jahren von Arlie Hochschild (1990, zuerst 1983) und Anselm Strauss (1980) beschrieben und untersucht worden ist, ist so zu verstehen, dass Personen vor allem in Berufsrollen im Dienstleistungsbereich auferlegt wird, in einer fremdbestimmten und überprüfbaren Art Gefühle zu zeigen. Hier wird ein Maß von Freundlichkeit, Mitgefühl, Zuwendung oder auch Aggressivität abverlangt, welches von den tatsächlichen Empfindungen erheblich abweicht. Die in der Mehrzahl weiblichen Akteure sind sowohl zur Selbstbeherrschung, d.h. Vernachlässigung oder Unterdrückung eigener negativer Gefühle gegenüber ihrer Umwelt als auch zur Rücksichtnahme auf die Gefühle anderer bis hin zum Ausdruck positiver Gefühle gezwungen. Auf diesen Interaktionsstress wird nun mit verschiedene Methoden der Gefühlsregulierung reagiert und zwar mit Oberflächenhandeln – hier wird nur der Gefühlsausdruck den Normen angepasst – oder Tiefenhandeln – hier werden Gefühle durch mentale Prozesse erst erzeugt. Um dies zu erreichen, stehen betroffenen Personen vielfältige Methoden zur Verfügung, welche entweder auf die physiologische oder kognitive Basis der Gefühle einwirken (Badura 1990). 14 Geschehen kann dies allein durch Entspannungstechniken, Drogengebrauch, Ablenkung, Intellektualisierung eines Problems oder auch interaktiv durch Gespräche und Ratschläge. Das Konzept der Gefühlsarbeit konzentriert sich nun mit kritischer Absicht (die sich tendenziell auch auf die gesamte Gefühlskultur des Dienstleistungskapitalismus richten könnte, zumeist aber auf der Personenebene endet) auf die psychischen und gesundheitlichen Kosten, welche mit der ständigen Emotionsangleichung verbunden sind. Hochschild hat bei den von ihr untersuchten Flugbegleiterinnen und Fahrkartenkontrolleuren Substanzenmißbrauch, Kopfschmerz, Absentismus und sexuelle Störungen als Folge von Gefühlsregulierung ermittelt (Hochschild 1990). In neueren Forschungen sind deutliche Burn-Out- Effekte in Form von emotionaler Erschöpfung, Depersonalisation und Gefühlen reduzierten Leistungsvermögens und reduzierter Einfühlung nachgewiesen worden (Zapf u.a. 2000). IV. Kritik, Fazit und Empfehlungen Die nun abgeschlossene Analyse hat erbracht, dass die unterschiedlichen wissenschaftlichen Zugänge zum GefühlsGesundheits-Verhältnis jeweils auf bestimmte Aspekte beschränkt bleiben, zum Teil methodologische Standards deutlich verfehlen oder auch ideologisch aufgeladen sind und dem Zeitgeist huldigen. Ungeklärt bleiben durchweg komplexere Fragen: Etwa ob Gefühle überhaupt vollständig gut oder schlecht sein können, ob für das Gefühlskonto eher die mitunter ja widersprüchlichen Empfindungen oder Mitteilungsfomen zählen (Beispiel: Schadenfreude), wie sich gute und belastende Gefühle zueinander verhalten sollten, um dem individuellen Gesundheitszustand zu nutzen oder in welcher Beziehung Emotionen und Kognitionen für die gleiche Wirkung zueinander stehen sollten. Auch der wichtige Zusammenhang zwischen der Chance, gute Gefühle zu erleben und schädigende zu vermeiden und gesellschaftlicher Ungleichheit findet kaum Interesse. Schließlich scheint, wie K. Dörner in seiner „Gesundheitsfalle“ auf allgemeiner Ebene kritisiert (Dörner 2003), ein fiktives Ideal einer nur 15 noch auf sich selbst bezogenen, unendlich steigerungsfähigen Gesundheit die Würdigung schmerzender, störender Emotionen als Quelle kreativer Leistungen und Signal für Gefahren und Widerstand zu verhindern. Festhalten lässt sich immerhin folgendes: 1) Die Art unseres Fühlens nimmt großen Einfluss auf unsere Gesundheitsbiographie. Wahrscheinlich ist die Gefühlslage einer Person sogar für die subjektive Bewertung und damit auch Konstruktion von Gesundheit das Ausschlaggebende. Allerdings muss die Variable Gefühl immer in Verbindung mit anderen Faktoren wie Lebensbedingungen, Lebensstil, Handlungschancen und auch Schicksalsschlägen gesehen werden. 2) Es ist bestimmt günstiger, gute Gefühle zu erleben als belastende, positive Lagebeurteilungen statt negative vorzunehmen, die eigenen Empfindungen auch unverfälscht und vollständig ausdrücken zu dürfen, mit einem gehobenen Lebensgefühl durch die Welt zu gehen, nicht solche emotionalen Haltungen in die Charakterstruktur eingebaut zu haben, die uns und andere belasten (z. B. Neid, Ängstlichkeit, Feindseligkeit, Geiz), sondern eher sozial gewünschte und Verbindung stiftende wie Vertrauen, Güte, Dankbarkeit. 3) Ob aber ein Gefühl gut oder belastend ist, ist keinesfalls eindeutig, steht vielmehr in hoher Abhängigkeit von der Sozialisationsgeschichte des Fühlenden, ist situationsspezifisch immer neu zu beurteilen, vom kulturellen Hintergrund aus zu beurteilen, verändert sich auch im Zeitverlauf. Einige Beispiele dafür: Mein Gefühl für den anderen ist mehr als gut, aber dies belastet erst den, dann auch mich. Mein Ärger über den anderen erscheint mir als berechtigt, fühlt sich im vielleicht sogar verletzenden Ausdruck bestens an, erzeugt danach aber Konflikte, Reue, Schuldgefühle. Meine Angst wird von mir als angemessene Reaktion auf die bedrohliche Welt wahrgenommen, mit vernünftig klingenden Argumenten unterfüttert und tut mir zunächst ausgesprochen gut. Auf der Grundlage fester moralischer Überzeugungen empfinden wir 16 über unser selbstgerechtes und unempathisches Tun fortlaufend Freude, bekommen vielleicht sogar die Bestätigung durch ähnlich Fühlende, ist das aber auch gesundes Fühlen? Lebenspraktische Folgerungen Sein eigenes Fühlen an gesellschaftlichen Gesundheitsnormen und informationen zu orientieren, ist mehr als problematisch. Authentisches Fühlen und wahre Emotion gehen über emotionale und umfassende Gesundheit. Das fühlende Subjekt muss jenseits aller behaupteten Unterschiede von gesundheitsförderndem und- schädigendem Empfinden selbst herausfinden, wo und wann ihm Fühlen Schaden zufügt oder aber Verzicht auf vermeintlich ungesundes Empfinden wichtige Erlebensmöglichkeiten nimmt. Es muss durch eigenes auch schmerzhaftes Erfahren und mühsames, irrtumsanfälliges Reflektieren lernen, welche Art Fühlen ihm behagt oder ihn leiden lässt und was dies für Gesund- oder Kranksein bedeutet. Es bleibt auch gegenwärtig berechtigt, sich allen Ansätzen von Gefühlsmanagement, allen Gelegenheiten zur Glücksproduktion zu verschließen und auf die Sinnhaftigkeit negativer, als pathologisch gefürchteter Emotionen zu vertrauen. Die direkte, wenngleich all der verfügbaren Methoden wegen auch nicht einfache Suche nach der passenden Chemie im Gehirn kann allenfalls dem seine Mitmenschlichkeit gering achtenden Subjekt ein labiles Pseudoglück bieten. Gesunde/gute Gefühle in einer fortgeschritten kranken Gesellschaft erzeugen und bewahren zu wollen, stößt auf enge strukturelle Grenzen: wie sollen wir angesichts des unfassbar hohen Niveaus von 17 Gewalttätigkeit, der Ausgrenzung und Entsorgung großer Menschengruppen, von Armut, Abhängigkeit, Weltzerstörung nicht auch niedergeschlagen, ängstlich, beschämt, hilflos oder wütend sein, Gefühle haben, welche unserer Gesundheit nicht gut tun und die sich nicht wirkungsvoll umsetzen lassen? Ganz im Gegenteil wäre es in einem moralischen Sinn wohl ungesund, d.h. Basis für Schuldgefühl und Selbstverachtung, unbeirrt der Verwirklichung seines emotionalen Wohlbefindens zu folgen, obgleich es jederzeit guten Grund gäbe, über weltgesellschaftliche Verhältnisse besorgt oder gar verzweifelt zu sein. Emotionale Gesundheit auch und gerade in der gesundheitsfördernden Gesellschaft bedeutet, immer wieder an der Welt und uns selbst leiden zu müssen. Emotional gesund zu sein, heißt, die vielfach situationsangemessene Angst, Wut, Niedergeschlagenheit auszuhalten und sie produktiv, das heißt mutig zu verarbeiten, keineswegs glückstechnologisch aufzulösen, Hierzu hat Günther Anders vor längerem schon das Richtungweisende gesagt: „habe keine Angst vor der Angst, habe Mut zur Angst. Auch den Mut, Angst zu machen. Ängstige deinen Nachbarn, wie dich selbst“ (Anders 1981, 98) Woran ich glaube ist: Die riskante Gratwanderung zwischen emotionaler Würdigung von guten und leidvollen Geschehnissen, der Widerstand gegen unangemessene/naive/egoistische Hingabe ans Wohlbefinden, der Mut zu sozial oder nur fallweise unpassenden Gefühlen, die Entscheidung zu emotionaler Abweichung statt angepassten Fühlens werden das, was Antonovsky präzise als Kohärenzgefühl beschrieben hat – Vertrauen in uns und die Welt, letztlich doch stärken. Mein Vorschlag hier ist, emotionale Gesundheit sowohl differenzierter als auch subjektiver zu formulieren und aus der wissenschaftlichen Einengung zu lösen. Ich gehe davon aus, dass subjektive Gesundheitsempfindung (ich fühle mich gesund), subjektiver Gesundheitsglaube (ich halte mich für gesund) und subjektive Gesundheitsdarstellung (ich erkläre mich für gesund) genauso verschieden sind wie die mir zukommenden Umweltdefinitionen (man hält mich wirklich für gesund; man schreibt mir nur aus 18 Eigeninteresse zu, gesund zu sein; man erklärt mich für gesund). Des weiteren ist anzunehmen, dass „Gesundheiten“ in verschiedenen Befindlichkeitsdimensionen ganz ungleich sein können, ihre Übereinstimmung oder Integration keineswegs der Normalfall sind. Emotional gesund zu sein, soll danach heißen: im Einklang mit sich selbst zu fühlen, sich aller aufsteigenden Empfindungen, guter wie schlechter, zu überlassen, sein Gefühl benennen, ausdrücken, reflektieren, anerkennen, als Handlungsimpuls mit dem Ziel persönlicher und auch gesellschaftlicher Veränderung zu nutzen. Emotional gesund zu sein, ist so verstanden, in der kranken Gesundheitsgesellschaft nur eingeschränkt und ohne amtliche Beglaubigung möglich. Literatur Abele, A./Becker,P. (Hrsg.), 1991: Wohlbefinden. Theorie – Empirie – Diagnostik, Weinheim - München: Juventa Anders, G., 1981: Die atomare Bedrohung, München: Beck Antonovsky, A., 1997: Salutogenese. Zur Entmystifizierung der Gesundheit, Tübingen : dgvt Badura, B. 1990: Interaktionsstress. Zum Problem der Gefühlsregulierung in der modernen Gesellschaft, in: Zeitschrift für Soziologie 19, S. 317-328 Baumann, Z., 1997: Flaneure, Spieler und Touristen. Essays zu postmodernen Lebensformen, Hamburg: Hamburger Edition Bengel, J./Strittmatter, R./Willmann, H., 2001: Was erhält Menschen gesund? Antonovskys Modell der Salutogenese – Diskussionsstand und Stellenwert. Köln: BZgA Dörner, K., 2003: Die Gesundheitsfalle. Woran unsere Medizin krankt. Zwölf Thesen zu ihrer Heilung, München: Econ Goleman, D., 1996: Emotionale Intelligenz, München: Hanser Hochschild, A., 1990: Das gekaufte Herz. Zur Kommerzialisierung der Gefühle, Frankfurt/M.: Campus 19 Hurrelmann, K., 1994: Sozialisation und Gesundheit. Somatische, psychische und soziale Risikofaktoren im Lebenslauf, WeinheimMünchen: Juventa Klein, S.: 2002: Die Glücksformel. Oder wie die guten Gefühle entstehen, Reinbek: Rowohlt Layard, R., 2005: Die glückliche Gesellschaft, Frankfurt/New York: Campus Neckel, S., 2005: Emotion by design. Das Selbstmanagement der Gefühle als kulturelles Programm, in: Berliner Journal für Soziologie 3, S. 419-430 Psychologie und Glück: Glückstherapien, 26.6. 2007: http://www.gluecksarchiv.de/inhalt/psychologir_glueckstherapien.htm Strauss, A., 1980: Gefühlsarbeit, in: Kölner Zeitschrift für Soziologie und Sozialpsychologie 32, S. 629-651 Spitzbart, M., 2005: Leben Sie Ihr Glück, München: Goldmann Strunz, U.T., 2005: Das Mentalprogramm, München:Heyne Zapf, D. u.a., 2000: Emotionsarbeit in Organisationen und psychische Gesundheit, in: Musahl, H.-P./Eisenhauer, T. (Hrsg.), Psychologie der Arbeitssicherheit, Heidelberg: Asanger, S. 99-106 20