Empathie im Film - Alice

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Empathie im Film
1. Neurobiologischer Hintergrund von Phänomenen der Empathie
Spiegelphänomene umfassen folgende neurobiologische Aktivitäten:
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Nachempfinden von Handlungsprogrammen, als führe man sie selbst aus (selbe
Gehirnareale in der prämotorischen Rinde sind aktiv). Beispiel: Nacherleben von
Fortbewegung und Ausweichen von Hindernissen.
Nachempfinden von Empfindungen und emotionaler Befindlichkeiten (wie fühlt sich eine
Handlung körperlich an. Dieselben Gehirnareale in Gürtelwindung und im inferioren
Parietallappen aktiv). Beispiel: Nacherleben von körperlichem und emotionalem Schmerz.
Dadurch Gefühlsübertragungen (contagious emotions).
Lesen und Verstehen von Mimik und Gestik des anderen und damit Interpretation und
Verstehen von dessen Emotionen und deren Spiegelung von uns (dieselben Gehirnareale im
optischen Interpretationszentrum, dem STS, sind aktiv; umgekehrt verwandelt STS Gefühle in
Gesichtsausdrücke).
Spiegelphänomene ermöglichen:
-
-
-
-
joint attention: gleich laufende Aufmerksamkeit, hergestellt durch Spiegelphänomene (auch im
Film wichtig – etwa über die Fokalisierung durch einen Charakter). Einschwingen auf ein
gemeinsames Aufmerksamkeitsziel.
Theory of Mind: Vermögen, intuitive Vorstellungen über die Gefühle und Absichten eines
anderen Menschen zu gewinnen. Die Fähigkeit, spontan und präreflexiv die Schwingungen und
Empfindungen des anderen wahrzunehmen (auch im Film). Dadurch, dass unsere neuronalen
Systeme spontan in den verschiedenen Emotionszentren die Gefühle rekonstruieren, die wir
beim Gegenüber wahrnehmen. Die sichtbare Fähigkeit zur Theory of Mind und deren
wohldosierte Kommunikation macht einen Menschen sympathisch.
Lernen: Beobachten von Situationen initiiert deren gespiegeltes Nachempfinden inklusive
Körpergefühl und Eigenbefindlichkeit (Propriozeption), emotionaler Befindlichkeit und
motorischer Aktivität. Auch das Sehen eines Filmes kann zum Erlernen neuer
Sozialsituationen bzw. zum Erlernen adäquater Reaktionen auf bestimmte Sozialsituationen
führen. Kino/Theater als Möglichkeitsraum für neue situative Handlungsoptionen. Das
Nachempfinden durch Spiegelung initiiert ein Verstehen eines Vorgangs – und damit das Lernen
dieses
Vorgangs.
Es
können
so
neue
Handlungsaspekte
in
bestehende
Handlungsprogramme integriert werden.
Sympathie führt dabei zu einer Herabsetzung der Hemmmechanismen zu Spiegelungen.
Grund: Eine vermutete hohe empathische Kompetenz des Gegenübers führt zu Vertrauen.
Spiegelphänomene resultieren immer auch in einer Infragestellung und/oder Veränderung des
eigenen Selbstbilds.
Neurobiologische Resonanz selbst dann, wenn:
-
-
man das Handlungsprogramm nicht selbst ausführt, sondern beobachtet
man nur einen Teil des Handlungsprogramms sieht (durch das Zuendedenken und
Zuendeempfinden entwickeln sich implizite Hypothesen, wie ein Vorgang weitergeht (Andeutung
von Schmerzzufügung zieht Schmerz nach sich, auch wenn man dessen eigentlichen Auslöser
nicht mehr sieht). Teils ist dies überlebenswichtig, z.B. beim Erkennen von Gefahr). Dies kann
auch sublimal (unbewusst oder vorbewusst) vor sich gehen. Antizipationsprozesse umfassen
auch ein Gefühl, wie sich die gespiegelten Vorgänge anfühlen, was bspw. hilft, keine motorisch
gefährlichen Bewegungen auszuführen. Im Film wird so etwa eine Überwältigung der Sinne
hergestellt.
man nur markante Geräusche des Handlungsprogramms hört.
man es nicht beobachtet, sondern nur darüber spricht.
Spiegelphänomene entstehen:
1
-
präreflexiv
unvermeidlich, ohne Nachzudenken.
innerer Widerstand führt bei Erwachsenen dazu, dass nicht alle durch Spiegelung
Nachempfundenen Phänomene imitiert werden, sondern teils reine Gedankenspiele bleiben,
bspw. Szenen drastischer Gewaltanwendung.
2. Empathie im Film - Theoretische Konzepte
2.1. Murray Smiths Theorie:
Smith will die plakativen Termini zur Beschreibung von Identifikationsprozessen (Point of View)
ausdifferenzieren, verschiedene Beziehungsebenen (level of engagement) zwischen Rezipient und
Charakter bestimmen, die zusammen eine Sympathiestruktur − structure of sympathy − ergeben.
2.1.1. Zentrale vs. a-zentrale Charakter-Rezipient-Beziehung (Problembegriff: Identifikation):
Richard Wollheim teilt die Prozesse des Imaginierens in zentral und a-zentral auf.
1) A-zentrales Imaginieren (Sympathie) bedeutet, dass der Imaginierende eine beobachtende
Position in seiner Imagination einnimmt.
o
o
o
viele gängige Filmtheorien, so Smith, betrachten Empathie-Prozesse der Filmrezeption
fälschlicherweise generell als zentrales Imaginieren und verwenden den irreführenden Begriff
Identifikation im Sinne einer Verschmelzung von Charakter und Zuschauer (zentrales
Imaginieren).
Noël Carrol macht jedoch darauf aufmerksam, dass ein Zuschauer in einer Szene, in der ein
Charakter von einem grünen Schleim angegriffen wird, nicht die identischen Gefühle wie der
Charakter hat (Angst vor dem Schleim), sondern vielmehr Gefühle für den Charakter (Angst um
den Charakter), dass der Prozess des Imaginierens hier also a-zentral ist.
dieses a-zentrale Imaginieren ist Resultat einer empathischen Assimilation mit dem Charakter:
Verstehen wir die Art, in der er emotional auf die Situation reagiert? Warum hat Sigourey Weaver
Angst vor dem Alien?
2) Zentrales Imaginieren (Empathie) bedeutet, dass der Imaginierende sich selbst im Zentrum seiner
Imagination ansiedelt; er imaginiert also als erlebe er selbst. Dies kann auf drei Arten vor sich gehen:
1) Verschmelzung: Ich bin der Charakter (Verschmelzung, Konfluenz, Auflösung des
eigenen Ichs) nur dies ist Identifikation (Ausblenden der eigenen Rolle), Plantinga
denkt, dies ist möglich, Smith sagt, dem sei nicht so.
2) Engagement 1: POV: ich sehe eine unbekannte Situation aus der mentalen und
physischen Perspektive eines Charakters (bin aber noch ich)
3) Engagement 2: Nachempfinden: Ich stelle mir vor, in derselben Situation zu sein.
Zusammenspiel:
o
o
o
o
o
Während Smith den ersten Fall ausschließt, sieht er Fall 2 und 3 als möglich und wichtig für
Empathieprozesse zwischen Rezipienten und Charakteren an. Damit revidiert er Carrol, der sagt,
diese Interaktionen basieren nur auf a-zentralen Prozessen.
Dolf Zillmann nennt Fall 1 „Vicarious (stellvertretende) Reaktion“ und schließt ihn ebenfalls aus.
Die structure of sympathy selbst ist dabei a-zentral, funktioniert aber z. T. durch zentrale
Imaginationsprozesse der Empathie.
Schnelle Fluktuation: der Aufbau einer Sympathiestruktur im Film erfolgt wahrscheinlich durch
ein permanentes empathisches „Eintauchen“ in die Zentralperspektive zum Verstehen von
Gefühlen und einem ebenso schnellen „Auftauchen“ zurück in die a-zentrale Perspektive zur
moralischen Bewertung der Handlungen von Charakteren − auf der Basis eines empathischen
Verständnisses −, wobei die Bewertungen im Aufbau einer moralischen Struktur resultieren.
Ist die Bewertung der empathisch nachempfundenen Handlung inkongruent zur soziokulturell
erworbenen Moralstruktur, wird eine antipatische Haltung zum Charakter aufgebaut − es sei denn,
2
die Motive der Handlung sind trotz Bruch mit der soziokulturellen Moralstruktur in der Logik der
Narration einsichtig.
2.1.1.1. Die Struktur von Sympathie: 3 Hauptebenen von engagement (a-zentrales Imaginieren)
-
-
-
Mittelbegriffe: recognition, alignment und allegiance sind Mittelbegriffe, die einerseits den
Überbegriff der Narration konkretisieren und andererseits die konkreten Stilmittel zum Erzeugen
von Empathie abstrakt kategorisieren.
alle drei sind a-zentral, da aus der Dynamik zwischen diesen Vorgängen und dem Rezipienten
keine unmittelbare empathische Reproduktion von Emotionen der Charaktere entsteht;
dennoch können durch diese Vorgänge zentrale, empathische Imaginationsvorgänge ausgelöst
werden.
Kommunikativ: diese sind jedoch nicht textintrinsisch, sondern entstehen im dynamischen
Prozess der Medienrezeption: die Narration schafft Bedingungen, in einer gewissen Weise zu
Imaginieren, und der Rezipient schafft sich mittels kognitiver Schemata eine structure of
sympathy zu den Charakteren auf der Leinwand.
Narration:
-
-
ist die übergeordnete Kraft, die recognition, alignment und allegiance hervorruft, retardiert oder
unterdrückt (keine Lesbarkeit von Eigenschaften, kein Zugang zu Charakteren > keine
recognition als Initialzündung von empathischen Prozessen)
Die emotionale und empathische Reaktion auf Charaktere ist nach Murray eine Aktivität des
Imaginierens
Die Narration lenkt: Sie versorgt den Rezipienten mit Cues, die den Prozess des Imaginierens
(und der Hypothesenbildung) durch Aktivierung spezifischer Schemata in eine bestimmt
Richtung lenkt.
1) Recognition (Identifikation von Charakteren):
-
-
Das Erkennen einer Figur als Mensch oder zumindest als soziales Wesen, genauer: die
mimetische, kognitive Konstruktion eines Bündels von Eigenschaften zu einem Charakter.
mimetische Hypothese: Erklärung, wie wir aus dem Text heraus ein Bündel aus Eigenschaften
als Charakter, als menschliches und soziales Wesen imaginieren/konstruieren.
Legibility: Damit ein solcher mimetischer Prozess ablaufen kann, muss das Bündel von
Eigenschaften lesbar (legibility), ergo: als Charakter erkennbar und konstruierbar sein.
Lesbarkeit der Charaktere über deren Gesichter, etc.).
threshold: Recognition ermöglicht erst den Zugang/Grenze zu empathischen Prozessen
Rezipienten kreieren aufgrund von Wiedererkennen bekannter Eigenschaften Charaktere (als
soziale Wesen).
in der Filmanalyse vernachlässigt, da in den meisten Filmen Recognition automatisch abläuft
und schnell etabliert wird und die Wichtigkeit von recognition nur bewusst wird, wenn Filme die
Möglichkeit des Erkennens vorenthalten.
2) Alignment (Verknüpfung Rezipient − Charakter):
-
-
Der Prozess, bei dem die Narration durch bestimmte narrative − beim Film zudem stilistische
(Kameraperspektive, etc.) − Mittel den kognitiven Aufbau einer Beziehung zwischen Charakter
und Rezipient ermöglicht.
Notwendig: Narration gewährt Zugang zu den Gedanken und Gefühlen von Charakteren.
meist durch (innere und äußere) Fokalisierung.
Empathiesteuerung: kaum eine Narration gibt die gleiche Einsicht in die Gefühle und Gedanken
von allen in ihr vorkommenden Charakteren („even screening“ - Genette), oft variieren Tiefe
und Menge der Einsicht von Charakter zu Charakter.
So gewährt Film oft eine tiefere Einsicht in einige wenige Hauptfiguren und besonders viel
Einsicht in einen zentralen Protagonisten.
spatio-temporaler vs. subjektiver Zugang: das Umfeld eines oder mehrerer Charaktere (bspw.
McKennas als „alignment unit“, nicht-fokalisierte Szene) oder Zugang zu einem Charakter
(Fokalisierung).
3
-
Perzeptive Verknüpfung von Rezipient und Charakter durch die POV-Perspektive ist
überbewertet − auch als Stilmittel zur Empathiesteuerung. (1) Gibt es diverse andere
Möglichkeiten des alignment und (2) muss POV nicht zwingend der Einsicht in einen
Charakter dienen, sondern kann bspw. die Identität eines Charakters verheimlichen
(Halloween).
-
Multiperspektivität: in Accused wird der Rezipient mit mehreren Charakteren alligned. Die
Erzählung der Vergewaltigung ist also multiperspektivisch, obschon über all diesen
Perspektiven die emotionale Färbung durch die Vergewaltigte liegt.
auch in The Man Who Knew Too Much wird der Rezipient mit mehreren Charakteren (Parteien)
verknüpft.
-
3) Allegiance − „Treueid“ − (Affektregulation über Charaktere):
-
-
-
Narration beeinflusst unsere Sympathien für oder wider einen Charakter.
allegiance fußt auf einer moralischen Bewertung von Charakteren.
Voraussetzungen: (1) Zugang zum Charakter, (2) Verstehen des Kontexts seiner Handlungen,
(3) Moralische Bewertung seiner Handlungen (und damit Rückschlüsse auf seine CharakterStruktur), dadurch: Zu- oder Abneigung.
Für eine solche moralische Bewertung braucht der Rezipient ein Basiswissen über den
Charakter (hergestellt durch mehrfaches alignment).
viele Faktoren der Affektregulation steuern die moralische Orientierung über einen
Charakter in eine spezifische Richtung: extra-diegetische Musik, Ikonographie − z. B. NaziTätowierung −, Handlungen des Charakters.
Multiperspektivität: durch die eine antipatische allegiance des Zuschauers mit den bösen
Antagonisten (den Vergewaltigern) wird die positive allegiance (Sympathie und damit
Identifikation) mit dem guten Protagonisten (Joyce) gesteigert. [Keine Sonne ohne Regen].
-
Moralische Struktur in Abstufungen zwischen:
1) Manichäismus: Licht gegen Finsternis. Einfache Narrationsstruktur, die klar trennbar
in gut und böse (Gruppierungen oder Einzelpersonen) zerfällt, bspw. „Herr der Ringe“.
2) graduierte, mehrschichtige Struktur.
-
Moralische Orientierung im Kontinuum zwischen:
1) stabil: unveränderlich durch gesamte Narration.
2) dynamisch: Unsere moralische Haltung zu einem Charakter kann im Fortgang der
Handlung umschwenken (bspw. in The Man Who Knew Too Much, wo Mrs. Drayton
von einer kaltblütigen Kidnapperin zu einer patriarchisch unterdrückten und um die
Geisel besorgten „Mutter“ aufsteigt.
-
im Unterschied zu recognition und alignment übersteigt allegiance ein reines Verstehen (bei
recognition: das ist ein Charakter, bei alignment: das ist, was der Charakter denkt oder fühlt);
allegiance umfasst eine emotionale Reaktion des Rezipienten auf den Charakter.
dies zeigt sich in Filmen, in denen kurzzeitig ein alignment zu einem Bösewicht hergestellt wird
(Schindlers Liste mit einem Nazi, der ein jüdisches Kind exekutiert), wo jedoch mit Sicherheit
keine allegiance zwischen Charakter und Rezipient hergestellt wird).
Auch sind die Emotionen bei dieser Reaktion unsere eigenen, keine Reproduktion der
Emotionen des Charakters!
-
-
-
Problematisierung von Moral: Einige Narrationen kehren die tradierten moralischen
Kategorien, nach denen wir mit Charakteren sympathisieren oder nicht, um. Beispiel: In
Lars von Triers Dogville wird Moralität so übersteigert, dass sie uns anekelt, dann auch noch als
Scheinheiligkeit entpuppt und schließlich die Auslöschung dieser hypermoralischen Enklave
durch die vermeintlich bösen Mafiosi als Akt der Befreiung stilisiert.
Die Struktur von allegiance bleibt jedoch bestehen, nur dass die Affekte regulierenden
Mittel der Narration mit vertauschten Vorzeichen − entgegen der soziokulturell verankerten
Norm, ergo: entgegen der im Rezipienten abgespeicherten Schemata − arbeitet.
Modell der Affektregulation (Zillmann):
4
1) Alignment: Observation von Handlungen einer Person (in einem Verständniskontext − z. B. Kind
liegt auf Straße, Auto fährt drauf zu − mit Empathie erzeugenden Signalen − z. B.
Gesichtsausdruck.
2) Positive (Ausweichen, erschrockene Mimik) oder negative (drüberfahren, sardonisches Grinsen)
Handlung.
3) Allegiance: Billigung (Freund) oder Missbilligung (Feind) der observierten Handlung.
4) Positive oder negative Affektdisposition
5) dementsprechende Bedürfnisstruktur zum Charakter. Positiv: Hoffnung auf positive Entwicklung,
Angst um Charakter bei negativer Entwicklung. Negativ: Angst vor positiver Entwicklung (Neid),
Hoffnung auf negative Ergebnisse (Schadenfreude, Schwieligkeit).
6) Positiv: Empathie mit allen Emotionen, Sympathie; negativ: negative Empathie, weniger stark.
-
-
Dieses Modell der Affektregulation umfasst nicht zwingend empathisches Einfühlen, vor allem
bei negativer Affektregulation: Wenn ich aus der POV eines Nazis ein Kind erschieße (Schindlers
Liste) wehre ich mich emotional gegen die Handlung, ohne dass ich mich empathisch in den Nazi
hineinfühle.
Dennoch wirkt Empathie katalysierend auf die Affektregulation: Wenn ich das Leid einer Mutter um
ihr sterbendes Kind durch Spiegelung nachempfinde (Mit-Leiden), verstärkt dies meine affektive
Bindung (allegiance) zu ihr.
2.1.1.2. Empathische Phänomene (zentrales Imaginieren)
-
Entgegen der structure of sympathy entstehen keine Gefühle für einen Charakter, sondern eine
Spiegelung von dessen Gefühlen.
-
Wir verstehen dabei nicht nur, was dieser fühlt, wir fühlen es selbst, ahmen teils sogar die
Gesichtsausdrücke nach. Nachahmung führt zu einer propriozeptiven Erfahrung der Gefühle.
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Spontan: Im Gegensatz zur structure of sympathy können empathische Spiegelungen
unmittelbar, ohne Vorkenntnis des Charakters erfolgen.
-
Auslöschung: zentrales Imaginieren basiert auf der kurzzeitigen Auslöschung des eigenen
Ichs (der eigenen Rolle). Die eigenen Qualitäten treten in den Hintergrund, werden von der
Simulation der Emotionen und körperlichen Befindlichkeiten des Gegenübers überlagert.
-
„alterniefication“: Empathisches Identifizieren umfasst nicht nur (1) das Nachempfinden einer
bekannten Situation („Das ist mir auch schon mal passiert“), sondern auch (2) neuartige,
unbekannte Erfahrungen aus der Perspektive eines Charakters.
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Zweierlei: Empathie ist für Smith einerseits die kognitive Fähigkeit zur (bewussten)
Perspektivenverschränkung (emotionale oder Rollen-Simulation, auch wichtig bei PSI) und
andererseits die neurologische, nicht-steuerbare, automatische Replikation von
Emotionen einer anderen Person − „affektive Mimikry“ (Spiegelzellen).
1. Emotionale Simulation (“freiwillig”)
-
-
affektives trial-and-error: das willentliche Imaginieren verschiedener Gemütszustände in
Prozessen der Hypothesenbildung − in opaken Sequenzen also, in denen der Sinn der Handlung
und die Motive eines Charakters sich nicht erschließen. Was macht der Charakter? Was ist sein
Motiv?
Entdeckungsmechanismus.
I disagree: Ich bin der Meinung, hier liegt Smith falsch! Es wird wohl eher so sein, dass das
Durchspielen verschiedener Hypothesen zum Abspulen verschiedener Handlungsprogramme in
der prämotorischen Rinde führt und dass bei Ablauf dieser Programme automatisch Gehirnareale
in der Gürtelwindung und im inferioren Parietallappen stimuliert werden, die die emotionale
Simulation hervorrufen.
2. Affektive Mimikry („unfreiwillig“)
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Mimik und Gestik als Auslöser von Empathie. Entsteht im optischen Interpretationszentrum −
STS − siehe oben. Paul Ekman fand in einer Studie heraus, dass basale Affekte wie
Überraschung, Trauer, Fröhlichkeit transkulturell durch dieselbe Mimik ausgedrückt werden, so
dass die Emotion mit ziemlicher Sicherheit vom Gesicht abgelesen werden kann.
alignment durch empathische Spiegelung: Stummes Verstehen der Gefühle von Charakteren.
> emotional contagion: Das Gesicht eines weinenden Mannes löst unfreiwillig einen Kloß im
Hals aus. Das STS erkennt die Geste als Trauer-Emotion, sendet diesen Impuls in
Emotionsbereiche im inferioren Parietallappen, wo sie von Spiegelzellen gespiegelt werden, so
dass wir dieselbe Emotion annehmen.
Spontan: Im Gegensatz zur structure of sympathy können empathische Spiegelungen
unmittelbar, ohne Vorkenntnis des Charakters erfolgen.
Unfreiwillige empathische Reaktion auf ein weinendes Gesicht ist auch möglich, ohne mit diesem
Menschen in einer Geschichte aligned zu sein? Das sagt auch Gordon. Vom STS erkennbare
Mimik führt zu einer unmittelbaren empathischen Reaktion und gleichzeitig zu einem Lesen
des Charakters (alignment).
motorische Mimikry: Motorische Handlungen werden nachempfunden (Basketballspieler) in der
Gürtelwindung und Handlungsprogramme teils selbst mit Gesten ausgeführt (Impulse der
prämotorischen Rinde).
facial feedback: das Erwidern eines Grinsens auf der Leinwand: Verstärkung der eigenen
emotionalen Spiegelung durch motorische Übernahme der Mimik. Annehmen des
Gesichtsausdrucks verursacht − neben anderen Faktoren − eine emotionale Spiegelung.
Plantinga sagt, dass diese im Film schwächer ist, als in anderen Situationen
Autonome Reaktionen: Schock-Effekt: kann aus dem reinen filmischen Kontext entspringen, z.
B. lauter, nicht-diegetischer Soundeffekt; oftmals jedoch nur unterstreichend und emotional
passend zum diegetischen Schock des Charakters (der Killer tausch aus dem Nichts auf). Somit
eine Gleichschaltung der Affekte von Charakter und Rezipient über erzählerische und
stilistische Mittel. Die Frage, ob dies zentral oder a-zentral vor sich geht?
Effekt von Empathie auf die kognitiven Prozesse der Narration:
-
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Zugang: Wir erlangen über Empathie ein besseres Verständnis über die Story World und die
Gemütszustände von deren Charakteren (Zugang, alignment).
Anpassung: Der Rezipient stellt sich durch Spiegelung emotional auf die Charaktere ein.
Zentripetal: Die empathischen Prozesse arbeiten innerhalb der structure of sympathy. Die
gespiegelten Gefühle der Charaktere sind jedoch den kognitiven Prozessen der FabulaKonstruktion untergeordnet (Rahmung erklärt die Ursachen der emotionalen Reaktionen).
Subversion: Emotionale Mimikry kann jedoch ebenso subversiv gegen die Logik der
Narration und der moralischen Struktur anarbeiten (vgl. das erwiderte Grinsen trotz Schelte):
In Hitchcocks Saboteur, wenn der Saboteur vom Dach stürzt, erweckt der angsterfüllte
Gesichtsausdruck Mitleid, obschon er der ausgemachten Fiesling in der moralischen Struktur
des Films ist. Die moralische Befriedigung über seinen Tod bleibt dem Zuschauer aufgrund von
empathischer Spiegelung im Halse stecken. Hitchcock soll dies bedauert haben.
Das zentrale Mitfühlen überlagert hier die a-zentrale emotionale Haltung zu dem Charakter.
2.2. Dolf Zillmanns Theorie
-
Zillmann fasst diverse Empathie-Konzepte zu einer interdisziplinären Theorie zusammen.
Dabei integriert er:
1. Manifestationen von empathischen Benehmen: Mimik, Gestik
2. Auswirkungen von Empathie: Motivationen, andere zu verstehen
3. Vorteile: diagnostische Fähigkeiten zum Lesen der Gefühle anderer.
6
1) Empathisches Verständnis ist von 4 Faktoren abhängig:
elicitors:
1. Die lesbare Manifestation, genauer: sichtbare Reaktion des anderen (Gesichtsausdruck,
Schwitzen, etc.). Lesbarkeit ist also hier ebenso threshold wie bei der structure of
sympathy.
2. Den narrative Kontext dieser sichtbaren Reaktion, der einen Deutungsrahmen − auch
für ambige Manifestationen − herstellt; über den Kontext wird die Ursache der
erkennbaren emotionalen Situation sichtbar. Je brenzliger die Situation, desto
höher wird auch die empathische/sympathische Reaktion ausfallen.





Hier zeigt sich auch, dass die oberen Perzeptions-Schemata auf die unteren
einwirken.
erlaubt die Situation das mimische Zeigen von Emotionen? (Todesgeständnis vs.
Poker-Runde)
Ursache der Emotionsregung: z. B. brennendes Haus (s.o.).
Angemessenheit im moralischen Kontext: Pathos durch unangemessene
Empathie-Darstellungen in nicht dafür vorgesehenen moralischen Kontexten. Nach
Bauer geht der Ekel über Pathos darauf zurück, dass wir starke Partner suchen, die
auch in brenzligen Situationen regieren und nicht nur − emotional blockiert −
sentimental heulen. Empathische Darstellungen daher oft am Ende von Filmen,
wenn der moralische Kontext und die moralische Struktur zwischen Charakteren
deutlich sind.
extra-diegetische Musik als Katalysator.
conditioners:
3. rezeptiver Kontext (Plantinga): im Kino wirkt emotional contagion nicht nur zwischen
Charakteren und Zuschauer, sondern auch zwischen den Zuschauern. Der
Rezeptionskontext verstärkt hier die Empathie.
4. vom Rezipienten abhängige Faktoren
 Disposition: Ausprägung meiner empathischen Fähigkeit (Frauen besser),
 Allegiance: Sympathie, bei Antipathie zwar spontane Empathie-Reaktionen
möglich, jedoch wahrscheinlich schneller wieder Distanzierung.
 Eigene Verfassung: wenn gerade Abgelenkt oder emotional blockiert/ausgelastet
Empathiefähigkeit gestört.
 personenspezifische Konditionierung: ein Mensch, der selbst einmal in einem
brennenden Haus gefangen war, wir die Situation ungleich intensiver (und
zentraler!) nachempfinden.
2) Welche Vorgänge umfasst Empathie?

Antizipation: Empathie umfasst nicht nur das Nachempfinden von ablaufenden Situationen,
sondern ebenso ein Antizipieren von kommenden Situationen (Sehen wir eine Axt, die auf einen
Arm fallen zu droht, zucken wir unwillkürlich den Arm zurück > siehe oben:
Handlungsprogramme, die bei Signal von allein zu Ende ablaufen)

nicht nur ikonisch: auch verbale Situationsbeschreibungen lösen empathische Reaktion aus
(siehe auch Bauer

Inkompetenz der Differenzierung: Zillman geht davon aus, dass Rezipienten nicht in der
Lage sind, Sympathie und Empathie klar voneinander zu trennen. Je nach Ausprägung des
emotionalen Bewusstseins kann es gut sein, dass wird denken, uns mit einer Person zu
freuen, uns in Wirklichkeit jedoch über uns selbst freuen (Eltern beim bestandenen Examen).
7

negative Empathie: entgegengesetzte Gefühle (Schadenfreude, Eifersucht, etc.) sind keine
empathischen Prozesse, da hier deutlich die a-zentrale Emotionshaltung zu einem Menschen
über das Einfühlen in dessen Gemütszustand überwiegt.

Emotionaler Erregungsgrad: die emotionale Erregung steigt bei Empathie-Reaktionen
messbar (weil dieselben Hirnareale aktiviert werden, als mache man selbst diese Situation
durch).
3 theoretische Erklärmodelle von Empathie (aufeinander aufbauend):
1) angeboren/reflexartig: angeborene Disposition „erzwingt“ Empathie. Basale neuronale
Fähigkeit zur Empathie (Spiegelzellen).
2) sozial erworben: nach dem Konditionierungsprinzip erworbene Erfahrung verfeinert
Empathie. Nutzt dabei angeborene Strukturen. In unbekannten Situationen (Sturz von einer
Klippe) werden nahe liegende Schemata aktiviert (z. B. das Gefühl, die Balance zu verlieren).
Konditionierte Gesichtsausdrücke sind so stark, dass sie auch überspielen, bei entgegen
gesetzten Affekten Empathie hervorrufen können (das erwiderte Grinsen trotz Schelte).
3) kognitiv erzeugt: der bewusste, willentliche Versuch, sich in die Lage des anderen zu
versetzen (dessen Handlungen zu verstehen oder zu antizipieren) aktiviert auch empathisches
Imaginieren von Emotionen (das, was Smith fälschlicherweise willentliche emotionale Simulation
nennt). Nutzt angeborene und konditionierte Empathie-Mechanismen.
Zillmann sagt, die drei Modelle bauen aufeinander auf.
Carl Plantinga: The Scene of Empathy and the Human Face on Film
1. Szene der Empathie besteht aus 2 Komponenten:
a) Closeup von Gesichtern als Stilmittel zur Erzeugung von Empathie
-
-
das leinwandfüllende Zeigen von Mimik (Closeup) rekurriert auf die „aboriginal“ (urtümliche
Muttersprache der menschlichen Rasse.
-es dient − mehr denn alle anderen Stilmittel (wie Gesten und akustische Signale) − der
Erzeugung von Empathie.
unsere Aufmerksamkeit wird auf den Gesichtsausdruck gelenkt.
Dauer: Szene der Empathie: Handlung hält einen Moment inne und fokussiert sich auf
mimischen Ausdruck von Gefühlen. Dieser ist länger zusehen, als zum Verständnis der
Gefühlslage notwendig wäre (nicht nur Kommunikation von Gefühlen, sondern Erzeugung von
empathischer Spiegelung)
cross-kulturelle Lesbarkeit: pankulturelle Mimik für basale Ausdrücke von Gefühlen (Ekman).
Weniger zentrale Expressionen variieren hingegen von Kultur zu Kultur.
„efference thesis“: das universelle Erkennen von zentralen Gefühlsausdrücken wir durch ein
kognitives Schema aktiviert, das den Ablauf empathischer Prozesse reguliert (STS liest Gefühle
aus Gesichtern, schickt Impulse an die Gürtelwindung, wo dieselben Gefühle produziert werden.
b) Kontext: emotionales Motiv:
-
-
-
scenes of empathy dürfen jedoch nicht nur die − dann motivlosen − Emotionen eines
Protagonisten zeigen, sondern müssen auch die Ursache dieser Emotion zwischendurch deutlich
werden lassen.
Zwischengeschnittene Kontextindikatoren können sein:
z. B. Point-of-View-Shot (POV) als Fokus-Mittel: Er identifiziert den Rezipienten mit dem, was
der Charakter sieht, evtl. mit dem Objekt seiner Begierde. Er kann auch dazu dienen, einen
Deutungsrahmen zu schaffen, die Ursache der emotional erkennbaren Situation in der Szene der
Empathie zu erläutern (Rear Window: Angstverzerrtes Gesicht; schnitt; Grace Kelly im Haus des
Mörders).
auch: extra-diegetische Musik: die weiße Hai-Melodie.
oder Zeigen der Szenen-Umgebung: brennendes Haus.
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Stereotyp der weibliche Einfühlsamkeit: scenes of empathy tauchen nicht nur in Melodramen und nicht
nur mit Closeups von Frauengesichtern auf. Beispiele: der blonde Replikant Batty am Ende von Blade
Runner (closeup auf Männergesicht und Sci-Fi-Utopie).
Was ist Empathie und was nicht?
-
mehr als eine Emotion: ein Bündel von Gefühlen zur selben Zeit.
kongruent nicht gleich: wir fühlen nicht das Gleiche, sondern nur etwas Ähnliches, das kongruent
genug ist.
Möglichkeit von fälschlich angenommener Empathie: Jacques fällt vom Rad und ich bemitleide
ihn. Er ärgert sich jedoch über den Fußgänger.
Empathie umfasst freiwillige und unfreiwillige Prozesse.
Abgrenzungsproblem:
Wo endet Sympathie, wo fängt Empathie an?
Sympathie fußt ja in gewisser Weise auf Empathie, kann kaum ohne ein voriges empathisches
Verständnis entstehen. Oftmals ist das Fühlen für eine Person also ein Ein- und Austauchen.
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