Homelands Letzten Donnerstag um 4 Uhr ging unser Wochenende los. Das letzte Tutorium der Woche hatte ich gerade erfolgreich hinter mir, im Übrigen auch das Schwerste, denn es ist mit den 1st Years, als wir zum AVIS-Mann aufbrachen, um ein Auto fürs Wochenende zu mieten. Einen genauen Plan, wo wir hin wollten hatten wir noch nicht, Hauptsache raus aus Grahamstown und weg von der Uni. Nachdem ein Mietwagen mit unbegrenzter Kilometerzahl für Freitag morgen gebucht war, gingen wir in die nächste Kneipe, um uns eine Route zu überlegen; nicht um einige Biere zu leeren, aber da wir ja schon mal da waren... Nach 45 Minuten war klar, dieser Trip soll nicht wieder an die Küste gehen, sondern in die Mitte der Transkei, in die Homelands der Khosastämme. Doch als wir uns am nächsten Morgen trafen, schauten wir uns beide noch einmal an und fragten uns, ob wir uns dieser Sache denn so sicher seien. Schließlich ist die Transkei ein Gebiet, welches im Reiseführer als sehr unsicher bezeichnet wird. Hier ist zu lesen: Wenn man dieses Gebiet bereisen möchte, so sollte man sich zuvor einen Überblick über die momentane Lage bei der Polizei verschaffen und weiter das dieses Gebiet nachts als sehr unsicher gilt, egal welche Lage die Polizei gerade ausgibt. Da uns auch unser Chef mehr oder weniger davon abriet in dieses Gebiet zu fahren änderten wir kurzer Hand unseren Plan und fuhren nicht wie beschlossen ins Niemandsland unterhalb Lesothos, sondern in den Küstenstreifen oberhalb der Wildcoast. Dieses Gebiet gehört ebenfalls zur Transkei, aber hat den Vorteil, dass unser Coast to Coast Führer (ein Führer mit sämtlichen Backpackeradressen Südafrikas) zwei Einträge in diesem Gebiet verzeichnete und nicht gar keinen, wie in unserem ursprünglichen Zielgebiet. Zwei Einträge sind da schon wesentlich mehr als gar kein Eintrag. Wir verließen Grahamstown in Richtung Nord-Osten und fuhren die N2 zum ersten Mal in die andere Richtung; weiter hinein in die Eastern Cape Provinz, die im Übrigen die ärmste Provinz des Landes ist; wir sollten bald sehen warum. Ungefähr 20 Kilometer hinter Grahamstown verwandelte sich die bis hier gut ausgebaute Straße, die hier als Autobahn/Nationalway bezeichnet wird, in eine holprige Landstraße, wie man sie in Deutschland höchstens in der Eifel als Nebenstrecke zwischen zwei Höfen findet. Nun gut, für hiesige Verhältnisse waren wir froh, dass die Straße überhaupt asphaltiert war. Der Vorteil von solchen Straßen ist auch, dass Tiere sie nicht unbedingt als Straße wahrnehmen und hier nicht nur kleine Meerkatzen die Straße kreuzten, sondern auch etwas größere Bamboos. Die vier von uns beobachteten Exemplare wiesen eine Schulterhöhe von ca. 65 cm auf, während sie lässig und vor Kraft protzend auf allen Vieren die Straße überquerten. Wir fuhren auf dieser Straße weiter in Richtung King Williams Town, welches mir zuvor als mit Grahamstown vergleichbar beschrieben wurde. In Wahrheit ist es um ein vielfaches größer, ordentlicher und weist sogar so etwas wie eine Infrastruktur auf, selbst wenn die Straßenführung der N2 hier nicht an irgendeine Art von Planung erinnert. Hinter King´s (wie es hier allgemein genannt wird) fuhren wir auf einer breit ausgebauten N2 auf East London zu. Der breite Ausbau von Nationalways in diesem Land ist immer kurz vor großen Städten zu finden. Es ist das gleiche Spiel, wenn man nach P.E. fährt. Zu unserer Verwunderung sieht man von der N2 aus nicht das Geringste der fünft größten Stadt Südafrikas, die immerhin noch 200.000 Einwohner mehr hat, als Essen. 30 Kilometer hinter East London hatte uns die schlechte Straße natürlich wieder und nach und nach bemerkten wir, dass wir so langsam aber sicher die einzigen Nichtschwarzen im Unkreis waren. Städte und Dörfer die wir passierten waren einfarbig und selbst Autos vor und hinter uns waren meist mit einfarbiger Besatzung. Als wir dann den Motorway 30 km vor Mhtata verließen, um auf einer (laut Reiseführer) asphaltierten Straße die letzten 60 Kilometer bis Coffee Bay, dem Zielort der ersten Etappe zu fahren, erlebten wir, wie es einem Affen im Zoo gehen muss, der von morgens bis abends von den Besuchern angestarrt wird. Unsere helle Hautfarbe (mittlerweile ist diese für mich zwar auch schon dunkelbraun) stigmatisierte uns permanent. Unser Weg führte nun durch die Homelands der Transkei, dicht vorbei an dem Dorf, in dem einst Nelson Mandela aufgewachsen ist. Khosa-Hütte neben KhosaHütte und überall Kinder, die lächelnd den vorbeifahrenden Autos winkten oder Kühe, Esel, Pferde oder Ziegen, die wedelnd mitten auf der Straße standen. Da wir ohnehin wahrgenommen wurden, scheuten wir uns ab sofort auch nicht mehr der Offenbarung ein Tourist mit einer Kamera zu sein, die VIELE BILDER machen kann und fotografierten alles, was sich irgendwie lohnte und was man während des langsamen Vorbeifahrens fotografieren konnte, denn obwohl die meisten Personen eher freundlich aussahen, war unsere Vorsicht sehr groß; dummerweise hatten wir jeder nur ein Leben im Gepäck. Zu der Straße auf der wir uns nun befanden muss noch gesagt werden, dass der Reiseführer prinzipiell zwar Recht hat wenn dort steht, dass die Straße asphaltiert ist, aber erwähnenswert bleiben trotz allem die Schlaglöcher oder besser Schlagkrater, welche sich ohne besondere Hinweise durch Beschilderung überall zeigen. Einige von ihnen sehen tief aus, sind aber kaum bemerkbar, wenn man durch sie hindurchfährt, andere hingegen sehen nicht tief aus, aber... Man kann natürlich auch das Spiel spielen wie einer unserer Vordermänner am nächsten Tag: Ich weiche jedem Schlagloch aus oder gehe so gut es meine Bremsen zu lassen in diegleichen. Beim ausweichen sollte man allerdings niemals den Gegenverkehr aus den Augen lassen, wie er es einmal kurz tat. Glücklicherweise nicht zu lange, sondern gerade so, dass er genug Zeit hatte, durch ein ruckartiges Lenkmannöver dem Unglück zu entgehen. Kunser Mietwagen war an diesem Wochenende glücklicherweise wieder einmal ein Citi Golf (Golf 1-2), der etwas höher gebaut ist, als die meisten anderen Fahrzeuge hier. Im übrigen noch ein Tipp für alle zukünftigen Südafrikareisenden: Wenn ihr eine Tankstelle findet, an der man eurer Meinung nach anhalten kann, um zu tanken, ohne sich einem Risiko auszusetzen, dann tut dies, selbst wenn die Tanknadel noch halb voll oder gar mehr zeigt. Unsere zeigte ¼ an, als wir in die Landstraße einbogen und reichte soeben bis zum Ziel. Irgendwann bemerkt man doch ein recht angespanntes Gefühl in der Magengegend, wenn man weiß, dass man in dieser Gegend nicht unbedingt nächtigen möchte, sich aber keine Tankstelle mehr zeigt. Mit den letzten Tropfen Spritt erreichten wir also Coffee Bay. Ein wahres Paradies; auf den ersten Blick. Ein kleiner Lagunenort irgendwo am indischen Ozean. Viel Natur, wenige Menschen, noch weniger weiße Menschen. Auf den zweiten Blick durften wir wieder einmal erfahren, dass Afrika das Land der Gegensätze und großen Kontraste ist. Der Gegensatz zum Paradies ist die Hölle und diese erfuhren wir durch die einheimischen Kinder. Sie versuchten entweder Drogen an die Touristen zu verkaufen oder durch Gesang von gleichen etwas Geld zu bekommen. Traurig ist das Land, dessen Kinder so aufwachsen müssen und nicht einfach spielen dürfen wie europäische Kinder. Eine Gruppe von vier Kindern empfing uns auf eine solche Art am Strand. Man sah uns, rannte uns entgegen und sang uns Lieder vor. Wir lächelten freundlich und gingen weiter, worauf die Kinder uns singend folgten. Einige Meter später stellten wir entschieden fest, dass es zwar nett sei, aber das wir die falschen wären und bei uns nichts zu holen sei. Wir wären müde und wollten einfach nur ruhig dasitzen. Darauf folgte Plan B: eines der Kinder zog einen DIN A4 Zettel aus der Tasche. Am oberen Ende war das Symbol einer Schule, vermutlich ihrer Schule, mit zwei Krampen aus einem Tacker angebracht. Das Blatt selbst war aus einem anderen Papier, als das Symbol, welches an einen Briefkopf erinnerte. Das Blatt selbst war mit einem Lineal in eine Tabelle mit drei Spalten untergliedert. Vorne für einen Namen, dahinter für einen Betrag und an letzter Stelle für eine Unterschrift. Zwei Namen mit Beträgen und Unterschriften waren in derselben Handschrift vorgegeben. Ein Betrag war 800 Rand und einer 320 Rand. (Zwei Summen, die kein Tourist, selbst aus Dubai nicht, hier irgendwem auf der Straße entrichten würde, außer vielleicht wenn das Betteln mit vorgehaltener Waffe geschehen würde) Angeblich würde man für die Schule sammeln hieß es und wir wurden gefragt was wir "spenden" wollten. Entrüstet schaute man uns an, als wir entgegneten, dass wir nichts spenden würden. Danach wurde der mögliche Betrag bis auf einen Rand heruntergefeilscht, dem wir aber immer noch entgegneten. Denn wer einmal nein sagt, ist gut beraten dieses beizubehalten, denn das nächste Mal würde das nein sonst nichts mehr zählen, denn dieses kann man ja, wie beim letzten Mal, in ein ja verwandeln. Irgendwann meinte ich, dass wir vielleicht morgen etwas spenden würden, heute aber nicht mehr gestört werden wollten. Was verstanden wurde, war lediglich morgen, nicht aber das vielleicht. Sabrina machte mich direkt darauf aufmerksam und am nächsten Tag sollte sich rausstellen, dass sie Recht hatte. Die vier Kinder standen irgendwann vor uns und stellten fest: "Today is tomorrow"; ich gab nach – haben wir denn nun zur Besserung des Schulwesens dieses Landes beigetragen? Nach diesem Erlebnis konnten wir beide dieses augenscheinliche Paradies nicht mehr genießen. Obwohl die Natur an diesem Ort so schön war, wie ich sie selten zuvor gesehen hatte, war es mir nicht möglich dieses auch so zu empfinden. Denn wenn man, bzw. seine Universität, gerade das doppelte des Jahreseinkommen einer Familie in den Homelands hingelegt hat, nur um den Flug nach Südafrika zu bezahlen, gerät man schon etwas ins grübeln. Von 6000 Rand, ca. 600 Euro, kann eine Familie hier ein halbes Jahr leben. 600 Euro reichen mir zu Hause für einen halben Monat. Auch die Bilder, die wir im Laufe der Fahrt gesehen hatten begannen nun zu arbeiten. Warum sahen wir so viele Kinder, aber kaum Erwachsene? Wie hoch wird wohl die Kindersterblichkeit sein in diesem Land? Warum erzählen Medizinmänner Stammesangehörigen, dass sie HIV heilen könnten, indem sie mit einer Jungfrau schlafen? Weshalb tut die Regierung nichts, um diesen Mangel abzustellen? Fragen über Fragen... doch leider keine Antworten. Auch nicht an diesem Abend. Nach anfänglicher Verbitterung, dass wir dieses Paradies nun hier nicht mehr genießen konnten, stellten wir aber bald entschieden fest, dass es eine bessere Erfahrung war, die wir hier gemacht hatten, als die des einfachen Erfreuens an der Natur. Zwar war die Stimmung etwas gedrückter bei uns, so dass wir auch nicht am organisierten Trommelabend im Backpacker teilnahmen. Aber dennoch hatten wir bei etwas Rotwein und Brot mit Erdnussbutter einen schönen Abend. Außerdem wurden wir so Zeugen, wie man ein Zelt aufbauen kann. Drei britische Mädels erreichten den Backpacker erst mit Einbruch der Dunkelheit. Nachdem sie aus der Rezeption kamen, verließen sie unser Blickfeld in die eine Richtung, um etwas später aus einer anderen wieder aufzutauchen. Sie suchten ihren zugewiesenen Campingplatz, den sie zwei Minuten später dann auch, etwa 15 Meter vor uns, fanden. Als nächstes wurde das Zelt ausgepackt. Für drei, nicht gerade korpulent wirkende Mädels, so könnte man glauben, müsste ein Drei-Mann-Zelt ja reichen. Was vor uns aber aufgebaut wurde, erinnerte mich eher an ein Festzelt auf dem Oktoberfest. Nach 20 Minuten stand das Innenzelt auch schon, welches aber noch drei Mal im Kreis gedreht wurde, bevor das Außenzelt übergeworfen wurde. Ehrlicher Weise muss ich anmerken, dass nach den 35 Minuten das Zelt dann aber auch PERFEKT stand. Im Übrigen reisten auch diese drei Mädels am nächsten Tag ab, so dass ich annehmen muss, dass sie diese Prozedere jeden Abend oder jeden zweiten Abend machen müssen. Etwas müde, überflutet von sämtlichen Eindrücken des Tages, aber vor allem ein wenig betrunken schlenderten wir gegen elf Uhr in Richtung Bett. Der nächste Tag sollte anstrengend werden. Die Geschehnisse des Samstags befinden sich in einem anderen Artikel (Chintsa), denn ich halte es für besser diese auseinander zu halten.