Berthold Wesseler, Fachbereich für Kinder, Jugendliche und

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Berthold Wesseler, Fachbereich für Kinder, Jugendliche und Familien
der Stadt Osnabrück, Jugendgerichtshilfe
Eugen Pinsker, Arbeiterwohlfahrt Osnabrück, „Projekt Perspektive“
Referat beim 5. Bundeskongress Jugendgerichtshilfe
 Zusammenhänge zwischen „Jugenddelinquenz und Migration“
 Das Dreiecksverhältnis „Delinquenz, Migration und Sucht“
 Herausforderungen und Anforderungen an die Jugend (gerichts) hilfe
 Aufbau eines Netzwerkes
Dialog zwischen Jugend- und Suchthilfe
 Das „Projekt Perspektive“
(Sozialpädagogisches Betreuungsprogramm für drogenabhängige junge Menschen)
- Ziele
- Methodik/Merkmale
- Strukturen und Tagesinhalte
- Personelle und räumliche Ausstattung, Finanzierung
- Betreuungssituation
- Probleme in der Betreuungsarbeit
- Betreuungsergebnisse
1
Wir kommen aus Osnabrück, einer Stadt mit ca. 157000 Einwohnern. Osnabrück hat einen relativ
hohen Anteil an Migranten, ganz konkret vor allem auch an Spätaussiedlern aus den Ostblockstaaten
und dabei insbesondere den Staaten der ehemaligen Sowjetunion. In den letzten 12 Jahren hat sich die
Zahl der Aussiedler in Osnabrück von 4332 im Jahr 1990 auf 10107 im Jahr 2002 mehr als verdoppelt.
1990 machte der Anteil der Aussiedler an der Gesamtbevölkerung mal gerade ca. 2,8 % aus,
mittlerweile liegt er bereits bei fast 7 %. Wesentlich höher sogar noch mit nämlich ca. 13 % ist der
Anteil bei den 14 bis 20-jährigen, also der für die Jugendgerichtshilfe relevanten Altersgruppe.
Außerdem gibt es eine sehr große Ansiedlung in Nachbargemeinden, wie z.B. in Belm, wo in
Häuserblocks, die ehemals von britischen Soldaten bewohnt wurden und jetzt überwiegend von
Aussiedlern genutzt werden, sogar eine Art Ghettosituation entstanden ist.
1. Zusammenhänge zwischen „Jugenddelinquenz und Migration“ verdeutlicht durch
Datenmaterial der Jugendgerichtshilfe der Stadt Osnabrück
Im weiteren soll es nunmehr zunächst darum gehen, zu erklären, welche Auswirkungen diese
Bevölkerungsentwicklung auf die Arbeit bei uns in der Jugendgerichtshilfe in Osnabrück hatte und
schließlich möchten wir dann darüber berichten, welche Konsequenzen wir vor Ort daraus gezogen
haben.
Nicht nur wir in Osnabrück, sondern sicherlich überall waren wir in den letzten Jahren mit deutlich
gestiegenen Fallzahlen konfrontiert, die sicherlich aber regional unterschiedlich auch verschiedene
Ursachen haben. In Osnabrück stellt sich die Entwicklung seit 1992 wie folgt dar:
Entwicklung der Jugendkriminalität von 1992 bis 2002
1400
1238
1200
1053
1000
975
993
1025
1072
1061
1043
955
800
695
600
1214
1197
680
711
739
735
772
733
765
725
684
624
400
200
0
1992
1993
1994
1995
1996
1997
Verfahren
1998
1999
2000
2001
2002
Personen
Sowohl bei den Verfahren als auch bei den daran beteiligten Personen hat es seit 1992 mit wenigen
Ausnahmen (1995) bis 1998 eine kontinuierliche Steigerung gegeben. (Die Steigerung in 2002 läßt sich
im Wesentlichen dadurch erklären, dass eine Vielzahl von Bußgeldverfahren wegen
Schulpflichtverletzungen zu bearbeiten waren. Die Jugendgerichtshilfe war daran in der Form beteiligt,
dass Sozialstunden anstelle der ursprünglich festgesetzten Geldbußen vermittelt werden mußten). Vor
allem die Verfahrensentwicklung war dabei noch deutlicher nach oben orientiert als die Entwicklung
bei den Personen. Für 1998, als dieses näher von uns unter die Lupe genommen worden ist, bedeutete
dieses, dass es einige Personen gab, die ganz massiv mit bis zu 20 Verfahren strafrechtlich in
Erscheinung getreten waren. Für uns war es daher wichtig, hinter die Kulissen dieser Daten zu schauen.
Erste Aufschlüsse ergeben sich bei einem Blick auf die Nationalitäten der Täter:
2
Nationalität der TäterInnen von 1992 bis 2002
900
800
772
739
700
695
765
735
733
711
725
684
680
624
600
500
495
470
438
400
407
425
435
177
172
467
449
449
431
423
300
200
185
208
104
100
156
158
113
110
167
156
151
133
158
144
145
125
134
119
78
32
49
0
1992
1993
1994
Gesamt
1995
1996
1997
1998
davon Deutsche
1999
2000
2001
davon Aussiedler
2002
davon Ausländer
Die meisten Kurven sind weitestgehend auf einem Niveau geblieben, waren teilweise z.B. bei den
Ausländern sogar rückläufig. Nur eine Kurve, nämlich die gelbe der Aussiedler zeigt bis 1998 einen
konstanten Anstieg, der beim nächsten Schaubild, in dem die Aussiedler herausgefiltert sind, noch
deutlicher wird:
Entwicklung der Aussiedler-Jugendkriminalität von 1992 bis 2002 (Personen)
180
167
160
158
151
145
140
120
119
113
110
104
100
80
78
60
49
40
32
20
0
1992
1993
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Hier ist ein kontinuierlicher Anstieg seit 1992 von damals 32 Personen und eine besonders gravierende
Steigerung von 1997 auf 1998 um 57 Personen auf 167 festzustellenden. Der Anteil der Aussiedler an
den bei uns bekanntgewordenen Tätern betrug z.B. 1992 lediglich 5,12 %, der Höhepunkt war dann
1998 bis 2000 mit Anteilen von fast 22 % erreicht, aktuell liegt er nach Auswertung des Datenmaterials
von 2002 bei 18,95 % .
Noch deutlicher wird diese Entwicklung, wenn man einen Blick auf die Verfahrensentwicklung bei den
Aussiedlern wirft.
3
Aussiedler Verfahrensentwicklung 1994 - 2002
350
310
300
259
250
257
246
212
200
200
167
155
150
121
100
50
0
1994
1995
1996
1997
1998
1999
2000
2001
2002
Insbesondere ab 1996 gibt es eine kontinuierliche Steigerung, bis 1998 sogar auf 310, was einen
Anstieg über 2 Jahre von 50 % ausmacht. Hier bestätigt sich jetzt auch, was an anderer Stelle schon
einmal gesagt wurde: Es gab einige Täter, die an einer Vielzahl von Strafverfahren beteiligt waren und
diese waren vor allem in der Gruppe der Aussiedler zu finden.
Nach dem präsentierten Datenmaterial kann man somit schon zu der Aussage kommen, dass zumindest
bei uns in Osnabrück, jugendliche und heranwachsende Aussiedler maßgeblich für den Anstieg der
Fallzahlen verantwortlich waren. Zusammenhänge zwischen Migration und Jugendkriminalität werden
auch noch einmal an den nächsten Schaubildern deutlich. Zunächst sind Bevölkerungsanteil und TäterInnenanteil miteinander in Vergleich gesetzt worden. Die Daten stammen aus dem Jahr 2000.
Vergleich Bevölkerungsanteile und Täter/-innenanteile 2000
76,60%
58,30%
5
11,10% 5
Deutsche
21,80%
12,30%
Aussiedler
Bevölkerungsanteil
19,90%
Täter/-innenanteil
Ausländer
4
Bei den Deutschen ist der TäterInnenanteil geringer als der Bevölkerungsanteil, während er bei
Aussiedlern und Ausländern deutlich darüber liegt. Für Aussiedler bedeuten die Zahlen konkret: Etwa
jeder
10. in der Altersgruppe der 14- 20-jährigen war Aussiedler, bei den Tätern war es aber jeder 5. Über 20
% der Jugendlichen und Heranwachsenden, mit denen wir es im Jahr 2000 in der
Jugendgerichtshilfearbeit zu tun hatten, war Aussiedler.
Daraus ergibt sich auch, dass Aussiedlerjugendliche und- heranwachsende eine höhere
Kriminalitätsbelastung haben als z.B. ihre ursprünglich deutschen Altersgenossen.
Kriminalitätsbelastung nach Nationalität im Jahr 2000
14,00%
13,14%
12,00%
10,71%
10,00%
8,00%
6,67%
6,00%
5,08%
4,00%
2,00%
0,00%
Gesamt
Deutsche
Aussiedler
Ausländer
Für das Jahr 2000 z.B. sind folgende Aussagen zu treffen. Ca. 6,5 % aller in Osnabrück lebenden 14- 20 –jährigen wurden bei uns als Täter bekannt. Bei den Aussiedlern waren es aber mehr als 13%.
Zu ergänzen ist an dieser Stelle noch, dass Jugendkriminalität bei Aussiedlern mehr als z.B. bei den
ursprünglich Deutschen ein Jungenproblem ist. Hier sind Verschiebungen von mehr als 5 % zu
beobachten.
Wir denken, dass die bislang gemachten Aussagen sicherlich einen Zusammenhang zwischen
Jugenddelinquenz und Migration, speziell der jugendlichen Spätaussiedler, verdeutlicht haben. Diese
Ergebnisse alleine haben uns in Osnabrück aber nicht zufriedengestellt, wir waren vor allem auch daran
interessiert, welche besonderen Problematiken diese Jugendlichen und Heranwachsenden mitbringen.
An anderer Stelle ist gesagt worden, dass wir vor allem 1998 eine Reihe von Intensivstraftätern hatten,
gegen die teilweise mehr als 20 Strafverfahren anhängig waren. Einerseits konnte dazu anhand
statistischer Zahlen die Aussage getroffen werden, dass es sich dabei zu großen Teilen um
Aussiedlerjugendliche und –heranwachsende handelte. Andererseits gab es zudem die Vermutung und
auch deutliche Anzeichen dafür, dass Zusammenhänge zu Suchtmittelmißbrauch gegeben waren.
5
2. Zusammenhänge zwischen „Jugenddelinquenz und Sucht“ (dargestellt durch Datenmaterial
der Jugendgerichtshilfe der Stadt Osnabrück
Wir haben daher bei uns in Osnabrück mit Hilfe unserer statistischen Zahlen aus dem Jahr 2000
versucht, uns diesem Thema zu nähern. Wir haben in unsere Statistik eine Kategorie mit der
Überschrift „Sucht“ aufgenommen. Es gibt für den jeweiligen Jugendgerichtshelfer dann 4
Bewertungsmöglichkeiten: 1. unauffällig, 2. gefährdet = häufiger riskanter Konsum und 3. abhängig = stark verfestigter
Konsum mit gravierenden Auswirkungen auf die aktuelle Lebenssituation. Die Einschätzungen sind
sicherlich subjektiv gefärbt und würden auch nicht den in der Suchthilfe geltenden Kriterien
standhalten. Wir haben allerdings unsere Ergebnisse auch schon bei Suchtexperten präsentiert und sind
damit noch ganz gut dabei weggekommen. Untersucht wurden die 725 Jugendlichen und
Heranwachsenden, mit denen wir es im Jahr 2000 in der Jugendgerichtshilfe zu tun hatten. Die
Ergebnisse sind vielsagend und spannend und geben u.E. auch Richtungen und Notwendigkeiten für
die Jugendgerichtshilfearbeit an :
Einschätzung Suchtverhalten der 725 Klienten der JGH Stadt Os im Jahr 2000
8,83%
21,51%
unauffällig
gefährdet
abhängig
69,66%
Ca. 30 % und somit fast jeder 3. wurden als gefährdet oder sogar abhängig bewertet und dabei ist die
Dunkelziffer (Jugendliche von denen wir dazu nichts erfahren haben) sicherlich noch sehr hoch.
Kollegen, die bei uns in Betreuungsmaßnahmen tätig sind, nennen zumindest bezogen auf den Konsum
von Cannabisprodukten deutlich höhere Werte.
Im Weiteren haben wir versucht, diese Zahlen noch etwas zu konkretisieren :
Hinsichtlich der Geschlechterverteilung lag der Anteil der Mädchen bei den Gefährdeten bei 16% und
bei den Abhängigen bei 19 %, damit aber noch deutlich unter dem Wert der Mädchen an sich, die einen
Täteranteil von ca. 25% hatten.
Interessant war vor allem auch die Fragestellung, welchen Anteil die als gefährdet oder sogar abhängig
eingestuften Jugendlichen und Heranwachsenden an den bei uns im Jahr 2000 angefallenen
Strafverfahren hatten. Insgesamt waren das übrigens 1043 Verfahren.
6
Anteil an Verfahren in Beziehung zum Suchtverhalten
14,67%
unauffällig
gefährdet
abhängig
26,55%
58,78%
Der Anteil an den Tätern war, wie sich aus der letzten Folie ergab, ca. 30 %, die Beteiligung der
Gefährdeten und Abhängigen an den Verfahren betrug aber sogar 40 %. An jedem 7. Verfahren, das
bei uns im Jahr 2000 bekannt geworden ist, war ein Jugendlicher bzw. Heranwachsender beteiligt, der
als abhängig eingestuft wurde.
Diese Ergebnisse lassen sich durch das nächste Schaubild noch vertiefen:
Anteil Suchtabhängiger an Straftaten
Betrug
Sachbeschädigung
23,44%
36,70%
sonstige Diebstähle
38,10%
Ladendiebstahl
38,20%
Beleidigung
F.o.F
Raub/räuberischer Diebstahl
vors. Körperverletzung
41,94%
45,45%
46,43%
48,80%
Nötigung/Bedrohung
54,05%
Einbruchdiebstahl
54,54%
Diebstahls aus/von Fahrzeugen
Verstoß gegen das
Betäubungsmittelgesetz
69,01%
8
80,00%
Obwohl der Anteil der als suchtabhängig bewerteten TäterInnen an der Gesamtzahl der als
strafrechtlich in Erscheinung getretenen, in der Jugendgerichtshilfe im Jahr 2000 bekanntgewordenen
7
Jugendlichen und Heranwachsenden „nur“ ca. 15 % betrug, war diese Personengruppe an der
Begehung verschiedener Straftatbestände übermäßig beteiligt.
Dieses betrifft insbesondere natürlich die klassischen sog. mittelbaren Beschaffungsdelikte wie
Ladendiebstähle, Diebstähle aus/von Kraftfahrzeugen (fast 70%) und Einbruchdiebstähle (ca. 55 %).
Bei diesen Delikten wurde oft mehr als jedes zweite von einer Person mit massiven Drogenproblemen
begangen. Markant ist aber auch die Beteiligung an Gewaltstraftaten wie Raub/räuberischer
Erpressung, Nötigung/Bedrohung und vorsätzlicher Körperverletzung. Während die beiden zuerst
genannten Delikte wohl auch im wesentlichen der Beschaffung zuzuordnen sind, deutet sich durch den
hohen Anteil an der vorsätzlichen Körperverletzung an, dass bei der Personengruppe teilweise ein recht
großes Aggressionspotential gegeben ist. Vor allem bewegen sich diese Personen aber häufig auch in
einem von Gewalt gekennzeichneten Milieu.
Die gemachten Aussagen dürften deutlich gemacht haben, dass es einen sehr engen Zusammenhang
zwischen Jugenddelinquenz und Sucht gibt. Das Problem hat sich im Laufe der Jahre auch deutlich
verschärft.
3. Das Dreiecksverhältnis „Delinquenz, Migration und Sucht“ untersucht mit Hilfe des
Datenmaterials der Jugendgerichtshilfe der Stadt Osnabrück
Im 1. Teil unserer Ausführungen ist etwas gesagt worden zum Zusammenhang zwischen
Jugenddelinquenz und Migration. Zuletzt ging um die Zusammenhänge zwischen Jugenddelinquenz
und Sucht. Im weiteren dürfte es nunmehr interessant sein, sich mit der Frage zu beschäftigen, was
diese beiden Phänomene miteinander zu tun haben.
Aufschluß darüber gibt das nächste Schaubild, dass sich mit der Einschätzung des Suchtverhaltens nach
Nationalitäten beschäftigt.
Einschätzung Suchtverhalten nach Nationalität
55,13%
53,12%
39,07%
27,56%
17,31%
7,81%
gefährdet
abhängig
Deutsche
Aussiedler
Ausländer
9
8
Migranten und vor allem Aussiedlerjugendliche sind sowohl bei den Gefährdeten, vor allem aber bei
den Abhängigen deutlich überrepräsentiert. Sie hatten in der Bevölkerungsgruppe der 14- bis 20jährigen im Jahr 2000 in Osnabrück einen Anteil von 11%, ihr Anteil an den in der Jugendgerichtshilfe
bekanntgewordenen Tätern lag bei 22 %, bei Suchtgefährdung wurde ihnen aber ein Anteil von ca. 27
% bei den Abhängigen sogar von über 50 % zugeordnet.
Somit läßt sich für Osnabrück nicht nur ein direkter Zusammenhang zwischen Jugenddelinquenz und
Migration bejahen, sondern auch ein enges Dreiecksverhältnis zwischen Kriminalität, Sucht und
Migration. Uns ist bekannt, dass dieses aber auch anderorts in unterschiedlichster Ausprägung der Fall
ist.
Im weiteren sollen nunmehr noch einmal einige Aspekte genannt werden, die gerade
Aussiedlerjugendliche besonders gefährden, straffällig und/ oder suchtmittelabhängig zu werden.
Die genannten Aspekte sind in vielen Punkten als Erklärung sowohl für delinquentes Verhalten als
auch Sucht jugendlicher MigrantInnen gültig.
Aspekte einer multifaktoriellen Entwicklungslinie in kriminelles und/oder süchtiges Verhalten
bei jungen MigrantInnen insbesondere bei AussiedlerInnen:
 Unfreiwillige Immigration vieler junger Aussiedler
(Verlust der heimatlichen Umgebung, Heimweh, Entwurzelungsgefühle, unverarbeitete Trennungserfahrungen, Identitätskrisen und Probleme bei der Suche nach der kulturellen Identität)
 Konfrontation mit unterschiedlichen Lebensformen, Normen und Werten
(Wertewidersprüche, Sprach- und Verständigungsprobleme (sprachlicher und kultureller Art), Unverständnis bzw. Nichtakzeptieren der hier geltenden Werte und Normen, Ablehnen der „Deutschen“, Ablehnung durch die „Deutschen“)
 Elementare Verunsicherung
(fragliche Zukunftsorientierungen, Orientierungslosigkeit, Ohnmachtsgefühle, Rollenverlust bzw.
Rollendiffusion, Enttäuschung und Trauer, Ratlosigkeit bei dem Versuch das alte mit dem neuen
Leben zu verknüpfen, Wegfall stabilisierender Faktoren aus dem heimatlichen Leben)
 Fehlen eines orientierungstiftenden Erziehungsrahmens
(Alleingelassensein aufgrund der Berufstätigkeit beider Elternteile, problematische Wohnsituationen, Armut)
 Die familiären Bindungen sind konfliktreich, da sie von der außerfamiliären Umgebung in
Frage gestellt werden
(belastende familiäre Situationen, migrationsbedingte Elternhauskonflikte in Form von innerfamiliären Zereißproben, Generationskonflikte)
 Das anonyme Zusammenleben verstärkt Vereinsamung und untermauert Fremdheitsgefühle
(soziale Randständigkeit, Diskreminierung, Minderheitenstatus)
 Die Clique/Szene wird zum wichtigen Auffangbecken, zum Identitätsstifter und Regulativ
9
 Die Diskrepanz zwischen Eltern und Jugendlichen verschärft sich dahingehend, dass die
Angst der Eltern vor Entfremdung wächst, sobald die Jugendlichen beginnen, sich stärker an
ihrer peer-group zu orientieren
 Die Schulische und berufliche Integration missglückt
(Probleme in der Schule und kaum Unterstützung, häufige Schulwechsel, fehlende Schulabschlüsse,
keine Ausbildungsstelle, Arbeitslosigkeit)
 Ausiedlerjugendliche erleben Ausgrenzung durch andere
 Konsum von Substanzen und/oder die Begehung von Straftaten hat identitätsstiftende und
-fördende Funktion
 Konsum von Substanzen und/oder die Begehung von Straftaten fördert den Zusammenhalt
der peer-group
(kriminelle Handlungen steigern Anerkennung und Stellung in der Gruppe und schweißen zusammen, sie geben der Gruppe eine Identität. Bestimmte Straftaten entsprechen dem Männlichkeitsbild
dieser Gruppe)
4. Herausforderungen und Anforderungen an die Jugend(gerichts)hilfe
Die Jugendgerichtshilfe aber auch die Jugendhilfe hat auf die Besonderheiten dieses Personenkreises
und damit auch auf den Problembereich „Jugenddelinquenz und Migration“ lange Zeit nicht reagiert
oder aber ihm hilflos gegenübergestanden. Noch düsterer sah und sieht es im Hinblick auf das
angesprochene Dreiecksverhältnis „Jugendkriminalität, Sucht und Migration“ aus. Jugendhilfe hat sich
für das Thema Sucht bislang meist nicht zuständig erklärt und auf das Suchthilfesystem verwiesen.
Damit sind aber auch die drogenabhängigen und straffälligen Aussiedlerjugendlichen und –
heranwachsenden durch das Raster der Jugendhilfe bzw. Jugendgerichtshilfe gefallen. Ehrlich gesagt,
stand und steht man diesem Personenkreis als Jugendgerichtshelfer bislang doch vollkommen hilflos
gegenüber oder er wird von uns oft gar nicht erreicht. Gesprächstermine werden nicht wahrgenommen,
effektiv Jugendgerichtshilfe zu leisten war in Osnabrück und ist sicherlich auch heute noch andernorts
aufgrund fehlender Betreuungsangebote überhaupt nicht möglich.
Mit den steigenden Fallzahlen und den dazu ermittelten Hintergründen standen wir als Jugendhilfe und
hier speziell als Jugendgerichtshilfe aber vor diesen neuen Anforderungen und auch zunehmend unter
öffentlichem Druck. Das beschriebene Klientel paßte allerdings nicht in unser eigentlich sehr
umfangreiches und differenziertes Betreuungsangebot, das uns zu dem Zeitpunkt bereits zur Verfügung
stand und mit dem wir eigentlich auch recht erfolgreich waren, was die Entwicklung bei anderen
Bevölkerungsgruppen zeigte.
10
Betreuungsangebote der Jugendgerichtshilfe der Stadt Osnabrück
Erfahrungskurs
Einzelbetreuung
Schulische Hilfen
intensive sozialpädagogische Gruppenarbeit
Täter-Opfer-Ausgleich
Mädchengruppe
Verkehrsunterricht
Betreutes Arbeiten
Sport- und Freizeitgruppe
Anti-Gewalt-Training
Nachbetreuung
Fußball, Segeln, Klettern, etc.
Verstehen durch Begegnung
Intensivwoche in einer Jugendbildungsstätte
Auch Aussiedlerjugendliche und –heranwachsende haben darin von Anfang an eine nicht unwesentliche Rolle gespielt. Dieses hat zumindest eine Auswertung ergeben, die wir 2000 hinsichtlich unserer
Betreuungsangebote gemacht haben.
Anteil AussiedlerInnen in ambulanten Maßnahmen in 2002
50%
45%
40%
35%
30%
50%
25%
20%
Reihe1
15%
28,60%
29,70%
27,80%
26,00%
24%
20%
20%
16,70%
5%
6,30%
Betreutes Arbeiten
TOA
Schulische Hilfen
Einzelbetreuung
AGT
Verstehen durch
Begegnung
Sport- und
Freizeitgruppe
Verkehrsunterricht
Erfahrungskurs
0%
Mädchengruppe
0%
Nachbetreuung
10%
In fast allen Maßnahmen waren AussiedlerInnen vertreten und zwar in der Regel sogar mit dem Anteil
den sie ohnehin bei den Tätern hatten (im Jahr 2000 ca. 21 %). Wenn der Anteil nicht zu groß ist,
haben wir damit sogar sehr gute Erfahrungen gemacht. Es sind teilweise sehr enge Betreuungsbezüge
entstanden.
11
Grundsätzlich trifft aber sicherlich die Aussage zu, dass der hier herausgearbeitete und beschriebene
Personenkreis sowohl durch Angebote der Jugendhilfe als auch der Suchthilfe wesentlich schwieriger
zu erreichen ist. Dazu sollen noch einmal einige Aspekte erwähnt werden.
Wesentliche Zugangsbarrieren für jugendliche AussiedlerInnen zu Präventiv- und Hilfsangeboten
 Geringer Bekanntheitsgrad der Angebote
 Sprachliche Verständigungsschwierigkeiten
(Es fehlen muttersprachliche Angebote)
 Misstrauen und Angst vor staatlichen Einrichtungen
(Aufgrund der Herkunft aus einem totalitären Staatssystem bestehen erhebliche Vorbehalte gegenüber Angeboten des Staates, sie werden eher als Eingriff als als Hilfe angesehen)
 Unrealistische Erwartungen durch die Jugendlichen
(Man glaubt Drogensucht ist wie eine Grippe mit Medikamenten zu heilen, wenige Kontakte sollen
ausreichen)
 Ressentiments gegenüber unbekannten Methoden
(Beratungs- und vor allem therapeutische Prozesse werden mit großen Vorbehalten und Skepsis
gesehen. Man spricht nicht gerne über sich und seine Probleme)
 Geringe kulturelle Kenntnisse der Anbieter
(Es fehlen wesentliche Erkenntnisse zur Sozialisation dieser Personengruppe)
 Ressentiments bei Anbietern („Kriminelles Image“)
(Bei drogenabhängigen Aussiedlern spielt Kriminalität und das damit verbundene Eingebundensein in eine massiv kriminelle Szene (Mafiastrukturen) eine wesentlich größere Rolle als bei
„deutschen Junkies“)
 Mittelschichtorientierte Umgangsformen in den Angeboten
(Man muß seine Sprache und vor allem auch die Methodik anpassen)
 Gruppendruck des familiären und sozialen Umfelds, nichts nach außen dringen zu lassen
Diese Schwierigkeiten sind natürlich vor allem bei dem benannten Personenkreis der straffälligen und
suchtmittelabhängigen Aussiedlerjugendlichen und –heranwachsenden zu finden.
Er wurde von uns, wie bereits erwähnt, teilweise überhaupt nicht erreicht. Gesprächstermine wurden
oft nicht wahrgenommen, bei Hausbesuchen niemand angetroffen. Wenn Kontakte bestanden, wurde
versucht, in die Angebote der Suchtkrankenhilfe zu vermitteln. Dieses scheiterte in der Regel.
Entweder kam kein Kontakt zustande oder die Betreuung wurde nach dem Erstkontakt wieder
abgebrochen, da das Angebot nicht zu dieser Zielgruppe paßte. Suchtkrankenhilfe aber auch
Jugendhilfe mußten sich eingestehen, diese Zielgruppe kaum zu erreichen.
12
Das bisher Erörterte dürfte deutlich gemacht haben, dass sich auch die Jugendhilfe diesem
Problembereich mehr öffnen muß und eigene Angebote und Konzepte in enger Kooperation mit den
Trägern der Suchtkrankenhilfe gefragt sind. Gerade durch den engen Zusammenhang zwischen
Jugenddelinquenz und Sucht, der vielerorts erweitert wird durch die Dimension Migration, muß es
Angebote auch im Rahmen der Betreuung straffälliger Jugendlicher und Heranwachsender geben. In
Osnabrück haben wir uns schon recht früh dieser Anforderung und auch der damit verbundenen
Herausforderung gestellt. Aus einem Arbeitskreis „Migration“ ist eine Untergruppe zum
Dreiecksverhältnis „Delinquenz, Sucht und Migration“ geworden.
Dort wurde u.a.erarbeitet, vor allem auch eine jugendhilfespezifische Sichtweise der
Drogenproblematik Jugendlicher und Heranwachsender zu entwickeln.
Jugendhilfespezifische Sichtweise der Drogenproblematik Jugendlicher und Heranwachsender :
 Suchtmittelmißbrauch bzw. –abhängigkeit ist ein Ausdruck abweichenden Verhaltens im
Jugendalter. Bei einem Umgang damit darf daher nicht allein die Tatsache, dass es sich dabei
natürlich auch um ein krankhaftes Verhalten handelt, stehen.
 Die Drogenkarriere bei Jugendlichen erwächst häufig aus einem insgesamt als deviant zu
bezeichnenden, von den sozialen Normen und Werten abweichenden Lebensstil.
 Neben den Drogenproblemen sind daher weitere wesentliche Faktoren des Jugendalters zu
bearbeiten (ganzheitlicher Ansatz).
 Aufgrund der noch nicht abgeschlossenen und nicht stagnierenden Persönlichkeitsentwicklung
sowie der noch kurzen und oft noch nicht verfestigten Drogenkarriere, ergeben sich vielfältige
Möglichkeiten der Intervention. (Jugendliche sind noch stärker sozial und familiär verankert)
 Entsprechend sind bei Jugendlichen noch vielfältige Auseinandersetzungen mit sich und ihrer
Perspektive möglich. Sie verfügen noch über viele gesunde Anteile und Ressourcen, die bei
erwachsenen Abhängigen häufig schon verbraucht sind. Sie sind für andere Orientierungen noch
gut erreichbar. Sie haben großes Interesse daran, Dinge zu erlernen bzw. zu erfassen. (Im
Bereich der jugendkulturellen Identität gibt es zahlreiche Übereinstimmungen mit Jugendlichen,
die ohne Drogenabhängigkeit leben)
Wir haben uns schließlich auch Gedanken gemacht, welche grundsätzlichen jugendhilfespezifischen
Betreuungsziele ein Betreuungsangebot für diese Personengruppe haben müßte:
Jugendhilfespezifische Zielsetzungen :
Grundsätzliche Betreuungsziele:
 Erreichen der Zielgruppe durch ein bedürfnisorientiertes Jugendhilfeangebot. Einstieg in die Problembearbeitung mit pädagogischen Mitteln (Soziale Gruppenarbeit, Einzelfallhilfe, Aufbau eines
notwendigen Netzwerkes mit Management und Kontrolle).
13
 Das Betreuungsangebot will den Jugendlichen ein Clearing ihrer kompletten Lebenssituation ermöglichen.
 Stabilisierung und Weiterentwicklung der Persönlichkeit
 Soziale Integration
 Suchtfreiheit
 Legalverhalten
5. Aufbau eines Netzwerkes
- Dialog zwischen Jugend- und Suchthilfe Aus diesen Vorgaben ist dann schließlich unser „Projekt Perspektive“, ein sozialpädagogisches
Betreuungsprogramm für drogenabhängige junge Menschen hervorgegangen, das nunmehr seit ca. 4
Jahren seit dem 6. April 1999 durchgeführt wird. Es ist ein Angebot der Jugendhilfe und wird auch von
einem Jugendhilfeträger in Osnabrück, der Arbeiterwohlfahrt angeboten. Die Arbeiterwohlfahrt wurde
ausgewählt, weil sie unser über Jahre bewährter Kooperationspartner bei der Durchführung ambulanter
Betreuungsmaßnahmen nach dem JGG war und ist.
Rechtlich sind die Voraussetzungen hier allerdings anders als bei den ambulanten Maßnahmen. es
handelt sich um ein „teilstationäres Angebot“ und wird bei uns als „Intensive sozialpädagogische Ein
zelbetreuung“ gemäß § 35 KJHG gefördert. Auf die finanziellen Rahmenbedingungen kommen wir
allerdings noch an anderer Stelle zurück.
An dieser Stelle ist auch ausdrücklich darauf hinzuweisen, dass es kein Betreuungsangebot
ausschließlich für Aussiedler ist. Dieses war von Anfang an aus unterschiedlichen Gründen so geplant.
Herr Pinsker wird darauf an anderer Stelle noch einmal eingehen. In diesem Personenkreis gab es
allerdings den größten Betreuungsbedarf, was sich auch in den bisherigen Betreuungszahlen
niederschlägt.
Uns war natürlich klar, dass wir als Jugendhilfe das Betreuungsangebot nicht im Alleingang
durchführen konnten, sondern wir gerade im Hinblick auf den Problembereich Sucht auch auf die
Unterstützung der Suchtkrankenhilfe angewiesen waren. So hat sich einerseits ein Netzwerk konkret
bezogen auf die Bedürfnisse des „Projekts Perspektive“ entwickelt, andererseits ist daraus aber in
Osnabrück auch ein sehr intensiver und auch gut funktionierender Dialog zwischen Jugendhilfe und
Suchthilfe entstanden. Beides mußte sich allerdings auch fast zwangsweise ergeben, denn eines war
klar: Die Suchtkrankenhilfe betrachtete das Vorpreschen in diesem Metier als Konkurrenz. Man wollte
daher natürlich mit im Boot sein.
Letztendlich ist es egal, wie das Netzwerk entstanden ist, es funktioniert im Sinne der zu Betreuenden
Jugendlichen und Heranwachsende. Aus dem parallel laufenden Dialog sind zudem mittlerweile weitere Initiativen im Kontext „Jugend und Sucht“ entstanden.
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Projekt Perspektive
Aufgaben der Kooperationspartner
Fachbereichsleiter
Kinder, Jugendliche und Familien
Arbeiterwohlfahrt
Anstellungsträger für das Betreuungsteam.
Projektentwicklung und -begleitung
Iniator, Projektentwicklung, Finanzierungsverantwortung,
Öffentlichkeitsarbeit
Betreuungsteam
Jugendgerichtshilfe
Klientenzuweisung, Klientenbetreuung,
Projektentwicklung und –begleitung
Jugendbewährungshilfe
Facharzt für Neurologie
und Psychiatrie
Substitution und Abstinenztherapie
Projektbegleitung
Klientenbetreuung 6 Tage/W.
Gruppenarbeit/Einzelbetreuung
Projektentwicklung
Öffentlichkeitsarbeit
Caritasverband
Therapiedurchführung,
Projektberatung,
Mitarbeiterqualifikation
Diakonisches Werk
Klientenbetreuung, Beratung,
Therapievermittlung,
Projektentwicklung und- begleitung
LKH Osnabrück/LKH
Lengerich
Klientenbehandlung (Entgiftung),
Projektberatung
Die Mitglieder haben feste Aufgaben in diesem „Netzwerk“ und zwar auf unterschiedlichen Ebenen:
Einerseits findet konkretes „Fallmanagement“ mit den unmittelbar an der Betreuung beteiligten
Mitarbeitern statt und zwar 1x monatlich. Andererseits gibt es ein übergeordnetes Gremium, in dem
teilweise auch die Leiter der verschiedenen Einrichtungen vertreten sind und über Konzepte,
Auswertung der Projektarbeit, wissenschaftliche Begleitung und Rahmenbedingungen beraten und
entscheiden.
6. Das „Projekt Perspektive“
- Ein sozialpädagogisches Betreuungsprogramm für drogenabhängige junge Menschen –
Bislang haben wir in einem ,zugegeben, sehr ausführlichen Vorspann die Vorgeschichte unseres
Projektes beschrieben. Wichtig war uns dabei, Ihnen eine Argumentationskette zu beschreiben und zu
bieten, aus der deutlich wird, dass die Notwendigkeit eines derartigen Betreuungsangebotes gegeben ist
und die Jugend(gerichts)hilfe hier keinesfalls außen vor bleiben kann. Vielleicht können Sie diese
Argumente auch bei sich vor Ort gebrauchen, denn vielerorts sieht die Situation sicherlich nicht viel
anders aus. Zudem ging es darum, Grundvoraussetzungen für ein derartiges Projekt zu benennen. Zu
Recht erwarten Sie jetzt aber sicherlich, zu erfahren, was konkret das „Projekt Perspektive“ ist und wie
die Betreuungsarbeit dort aussieht.
Bei dem Projekt handelt es sich um eine psychosoziale Intensivbetreuung zur Reintegration
vorwiegend rußlanddeutscher, mehrfach vorbestrafter, drogenabhängiger, z.T. methadonsubstituierter
Jugendlicher und junger Erwachsener in Form einer tagesstrukturierenden Maßnahme.
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Ziel dieser ambulanten Maßnahme nach § 35 KJHG, die sowohl Gruppen- als auch Einzelbetreuung
zuläßt, ist es, die Jugendlichen und jungen Erwachsenen zu einer stationären Therapie in einer aner
kannten Therapieeinrichtung zu motivieren oder aber andere geeignete Wege zu finden, die ein
schrittweises Heranführen an einen „normalen“ Alltag ohne Drogen (oder zeitweilig substituiert) unter
Einbeziehung der individuellen Voraussetzungen und auch der Rückfälle als Bestandteil des Heilungsund Reifungsprozesses ermöglichen.
Das Projekt arbeitet im Sinne des KJHG (als pädagogische Arbeit mit drogenabhängigen Jugendlichen
und jungen Erwachsenen im Jugendhilfebereich) und unterscheidet sich grundlegend vom Ansatz der
akzeptierenden Drogenarbeit renommierter Suchthilfeeinrichtungen und ebenso von der gängigen
Praxis suchtpräventiver Maßnahmen in Deutschland.
Es geht u.a. darum, bei den Jugendlichen und jungen Erwachsenen, unter Einbeziehung der kulturellen
Andersartigkeit der vorwiegend rußlanddeutschen ProjektteilnehmerInnen, den negativen Trend der
Suchtentwicklung in eine positiv aufbauende und sozial integrierte Entwicklung umzukehren und die
„Bewältigungsstrategie Drogenkonsum“ durch neue, individuelle Handlungsstrategien zu ersetzen.
Neben den individuellen und kulturellen Voraussetzungen sind hier ebenfalls geschlechtsspezifische
Unterschiede und Bedürfnisse zu beachten.
Angestrebt wird die Entwicklung einer „jugendgerechten“ Drogenarbeit, die sich an den
unterschiedlichen Lebenswelten, Lebenserfahrungen, Wertvorstellungen, Bedürfnissen und Zielen der
ProjektteilnehmerInnen orientiert. Der pädagogische Ansatz liegt hier in einer ganzheitlich
ausgerichteten psychosozialen Intensivbetreuung, die eine individuelle Unterstützung, je nach Problemund Lebenslagen der Jugendlichen und jungen Erwachsenen und den daraus resultierenden
individuellen Anforderungen, ermöglicht.
Während sich die Suchtvorbeugung in Deutschland schwerpunktmäßig auf primärpräventive
Maßnahmen beschränkt und sich dabei fast ausschließlich an Jugendliche ohne Drogenerfahrungen
richtet, wobei massiv drogenkonsumierende Jugendliche auf riskante Weise vernachlässigt werden,
bemüht sich dieses Projekt, eine Maßnahme im sekundär- bzw. tertiärpräventiven Bereich
durchzuführen und Strategien der abstinenzorientierten Frühintervention sowie Möglichkeiten der
Modifizierung von Sucht (schadensreduzierender Ansatz) bei massiv konsumierenden Jugendlichen
und jungen Erwachsenen zu entwickeln und zu erproben.
Das „Projekt Perspektive“ stützt die Lebenstüchtigkeit der Jugendlichen und jungen Erwachsenen im
ganzheitlichen Sinne durch die Analyse der aktuellen Lebenssituation, Schaffung von Kompetenzen
und Fertigkeiten, Entwicklung von Verantwortlichkeit, Selbständigkeit und Beziehungsfähigkeit,
Beobachtung des Gesundheitsstatus, das Suchen und Ergreifen neuer Ausbildungsmöglichkeiten oder
Arbeitsverhältnisse sowie die Einbeziehung des gesamten Umfeldes der Jugendlichen und jungen
Erwachsenen.
Die Zielsetzungen der Betreuungsarbeit sollen im Nachfolgenden noch einmal dargestellt werden.
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6.1. Zielsetzungen eines Jugendhilfeangebotes für hartdrogenabhängige Jugendliche und
Heranwachsende
6.1.1. Kurzfristige Ziele
- Beziehungsaufbau
- Beruhigung der Lebenssituation
- Einüben einer Tagesstruktur
- Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit persönlicher Situation fördern
- Gesundheit stabilisieren
- Kriminalität mindern
- Therapiemotivation aufbauen
- Vermittlung an Beratungsangebote
- Rückfälle bearbeiten
6.1.2. Mittelfristige Ziele
- Beziehungskontinuität
- Stabilisierung der Lebenssituation
- Distanzierung zu suchtförderndem Milieu
- Erlernen sozialer Kompetenzen
- Umsetzung notwendiger Handlungsschritte (Therapie, etc.)
- Entkriminalisierung
- Aufbau persönlicher bzw. schulischer/beruflicher Perspektiven
- Rückfälle vermeiden
6.1.3. Langfristige Ziele
- Fähigkeit zur selbstständigen und eigenverantwortlichen Lebensführung
- Schulische bzw. berufliche Integration
- Soziale Kompetenz
- Verzicht auf Delinquenz
- Hartdrogenfreiheit
6.2. Methodik/Merkmale der Betreuungsarbeit
Ein wesentlicher Bestandteil der Projektarbeit ist die Gruppe, die soziale Entwicklungsprozesse und
das Erleben neuer, verläßlicher Erfahrungen ermöglicht, einen festen Rahmen und damit Halt und
Geborgenheit vermittelt und wesentlich zum Aufbau einer konstanten und vertrauensvollen Beziehung
zu den pädagogischen Fachkräften und damit zu einer konstruktiven Beziehungsarbeit beiträgt.
 Soziale Gruppenarbeit als Möglichkeit für :
- Clearing
- Einüben von Tagesstrukturen
- Training der Alltagsgestaltung
- Soziales Lernen
- Beziehungsaufbau, Beziehungskontinuität
- Konfrontation mit unerwünschtem Verhalten
- Grenzsetzung
- Therapievorbereitung
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- Jugendgerechte Aktivitäten
- Gemeinsames Erleben
- Orientierung
- Modifizierung der Sucht durch Substitution
 Einzelfallhilfe als Möglichkeit für :
- Begleitung und Betreuung außerhalb der Gruppe in Entgiftung, Therapie, Haft, Szene,
schulischer oder beruflicher Tätigkeit
- Krisenmanagement bei Rückfällen
- Schulische bzw. berufliche Integration
- Elternarbeit
- Nachbetreuung
6.3. Strukturen und Tagesinhalte
Es sollen neue positive Erfahrungsfelder aufgebaut, das Selbstwertgefühl gestärkt und soziale
Kompetenz erarbeitet werden, z.B. durch:
-
das Erleben von Gruppe, Kontinuität, Vertrauen, Wir-Gefühl
Tagesstruktur, Essen, Arbeit, Bildung, Freizeit, Sport
Individuelle Beratung und Betreuung
Es geht darum, die TeilnehmerInnen des Projekts von vornherein in eine zukunftsorientierte
Perspektive ohne Drogen zu führen. Dabei hat der „alltagspraktische Ansatz“ einen hohen Stellenwert.
Klare Strukturen haben sich dabei als ebenso sinnvoll erwiesen wie konkrete Tagesinhalte.
Die Arbeit im Projekt läßt sich in 3 große Blöcke einteilen :
6.3.1.Gruppenarbeit
Die Gruppenarbeit ist geprägt von strukturierten Tagesabläufen.
 Täglich wechselnde Gruppenaktivitäten
Mo.: Projekte (Reiten, Malkurs, Fotokurs, Kochkurs, etc.)
Di.: Arbeitsprojekt (Garten- und Renovierungsarbeiten, Umzüge gegen Entlohnung), Abbau
von vom Gericht auferlegten abzuleistenden gemeinnützigen Diensten.
Mi.: Fitness- und Sportaktivitäten (in reservierter Sporthalle mit Fitnessstudio),
Do.: Computer- und Internetkurs
-
-
-
Fr.: Exkursionen, Freizeitaktivitäten und Spiele (Zoo, Schwimmen, Internet-Café, Billard,
Besuch von Jugendzentrum mit Nutzung der dortigen Angebote, Stadtbücherei,
Wanderungen, Besichtigungen, Ausflüge in andere Städte, Besuch kultureller
Veranstaltungen, Besuche von Therapieeinrichtungen)
Sa.: Frühstück und Gruppengespräch
Täglich
gemeinsames Mittagessen (die Gruppe bestimmt die Gerichte, kauft ein und kocht
selbständig), regelmäßiges Aufräumen der Gruppenräume
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
Methadon- bzw. Nemexinvergabe : die Gruppe trifft sich zwischen 08:00 und 8:30 Uhr beim Arzt
mit einem Betreuer des Projektes.

Gemeinsames Frühstück: die Gruppe deckt gemeinsam den Tisch, isst und jeweils ein Klient räumt
anschließend mit einem Betreuer die Küche auf.
6.3.2. Individuelle Einzelfallhilfe (für Klienten in der Gruppenbetreuung)








Einzelgespräche
Begleitung zu Terminen bei der Suchtberatung
Begleitung bei Behördengängen (Gericht, JGH, Arbeitsamt, Sozialamt)
Sicherstellung materieller Ansprüche (Sozialhilfe, Arbeitslosenhilfe, -geld, etc.)
Familiengespräche
Hilfe bei der schulischen bzw. beruflichen Integration (Bewerben, Vorstellen)
Arztbesuche
Wohnungssuche
6.3.3. Maßnahmen zur sozialen Integration (von Teilnehmern, die aktuell nicht in der Gruppe sind)





Unterstützung bei stationärer Entgiftung z.B. durch regelmäßige Besuche
Begleitung in und nach Therapie
Besuche von Klienten in Haft und Einleiten geeigneter Maßnahmen
Aufsuchen und Begleitung von Teilnehmern, die aufgrund von Rückfällen vorübergehend nicht an
der Gruppe teilnehmen dürfen oder die wieder in die Drogenszene abgerutscht sind
Betreuung von Klienten, die sich nach Teilnahme am Gruppengeschehen oder erfolgreicher
Therapie in Maßnahmen zur schulischen oder beruflichen Integration befinden
6.4 Personelle und räumliche Ausstattung
6.4.1. Räumliche Ausstattung
Das Projekt Perspektive verfügt über eine eigene Tageswohnung.
Adresse:
Projekt Perspektive
Klingensberg 11
49074 Osnabrück
Die Wohnung befindet sich in der Innenstadt und liegt in unmittelbare Nähe der Praxis des Arztes, der
die medizinische Betreuung durchführt.
Die Wohnung, die von den Jugendlichen und den MitarbeiterInnen des Projektes in Eigenarbeit
renoviert und eingerichtet wurde, hat eine große Küche, ein Wohnzimmer, ein Badezimmer und einen
Büroraum.
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6.4.2. Personelle Bedingungen
Die AWO Osnabrück beschäftigt für die Arbeit des Projektes
drei hauptamtliche Fachkräfte:
-
zwei Sozialpädagogen (Vollzeit) (ein Stelleninhaber stammt aus der ehemaligen Sowjetunion)
eine Diplom-Pädagogin (Vollzeit)
-
und einen pädagogischen Leiter und Koordinator (anteilig).
6.4.3. Finanzierung
Die Kosten werden pauschal aus dem Etat für Jugendhilfemaßnahmen der Stadt Osnabrück gezahlt.
(Personalkosten analog KGST, Sachkosten pauschaliert auf 20 % der Fachpersonalkosten,
Verwaltungskraft mit 15 %, 15 % Leitungsanteil, Zusatzbetreuungen mit pauschal 5000 €). Zur Zeit
werden die Gesamtkosten pro Jahr mit ca. 180000 € kalkuliert.
6.5. Erfahrungen, Problemstellungen und Herausforderungen in der Arbeit
6.5.1. - in der Zusammenarbeit
Die Zusammenarbeit mit anderen suchtrelevanten Einrichtungen, hat sich als nützlich und wichtig
erwiesen, da aufgrund der unterschiedlichen Ansätze und Möglichkeiten großer Austauschbedarf
besteht. Den Prozeß der Zusammenarbeit bewerten wir als sehr positiv.
- mit der Drogenberatungsstelle:
Mit der Drogenberatungsstelle der Diakonie wurde z.B. erarbeitet, dass die Jugendlichen aus dem
Projekt nicht an den Maßstäben der erwachsenen Drogenabhängigen zu messen sind, dass z.B. die
Frage der Motivation bei Jugendlichen, die häufig noch sehr unvernünftig, kindlich und unreif sind,
anders zu stellen ist und dass sogar eine zeitweilige „Fremdmotivation“ zum Erfolg führen kann.
Wichtig war für uns der Erfahrungsschatz der Drogenberatungsstelle bezüglich bestimmter Probleme
im Drogenmilieu oder z.B. der Zusammenarbeit mit Therapieeinrichtungen. Außerdem ist die Diakonie
zuständig für Beratungsgespräche im Hinblick auf eine Therapie, die Beantragung der Kostenzusagen
für die Therapien und die Auseinandersetzung mit LVA/Krankenkassen etc.
- mit der Jugendgerichtshilfe:
Mit der Jugendgerichtshilfe wurde z.B. erarbeitet, dass es trotz der unbestrittenen Wichtigkeit des
Grenzen-Setzens manchmal auch richtig sein kann, Zeit zu geben und die erste Priorität bei Nähe,
Vertrauen und Geduld zu setzen. Wir setzen Grenzen, doch zur Umsetzung der von uns gesetzten Ziele
und für den „Cleanwerdungsprozeß“ brauchen wir Zeit.
Die JGH ist zuständig für die Koordination der Neuaufnahmen; außerdem organisierte sie in drei Fällen
zusätzliche Einzelbetreuungen.
Besondere Beachtung von Seiten der Jugendgerichtshilfe fand der weitere Rückgang der Delinquenz
bei den von uns betreuten Jugendlichen.
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- mit der Landeskrankenhäusern:
Die Zusammenarbeit mit dem LKH Osnabrück und dem LKH Lengerich verläuft sehr positiv und
kooperativ, z.B. wenn es um schnelle Aufnahmetermine auf den Entgiftungsstationen oder um Besuche
außerhalb der Besuchszeiten geht. Auch hier findet ein konstruktiver Austausch statt.
- mit dem betreuenden Facharzt:
Mit „unserem Projektarzt“, Facharzt für Neurologie und Psychiatrie, findet eine vertrauensvolle und
intensive Zusammenarbeit statt. Bezüglich der einzelnen Jugendlichen und ihrer jeweiligen Situation
tauschen wir uns regelmäßig aus und überlegen häufig gemeinsam „Strategien“. Gesundheitschecks,
Substitution, Verabreichung von Nemexin (Opiatblocker) und Clean-Kontrollen werden nach Bedarf
vom Facharzt durchgeführt; im Hinblick auf psychische Störungen oder „Doppeldiagnosen“
bekommen wir kompetente Beratung und Unterstützung.
- mit den Eltern:
Wir sehen auch die Elternarbeit als Prozess: Genau wie wir die Jugendlichen in „Etappen“ begleiten
(Clean-Werdungsprozess), durchlaufen wir auch in der Elternarbeit Etappen: Anfangs herrscht häufig
völliges Unverständnis und Unkenntnis gegenüber der Drogenproblematik sowie Misstrauen. Dies
ändert sich dann meistens im Laufe der Zeit und wir erreichen Akzeptanz und Unterstützung. Die
Jugendlichen versuchen oft, die Sucht vor den Eltern zu verstecken; durch eine systematische und
vertrauensbildende Arbeit mit den Eltern haben die Jugendlichen dann in der Regel viel weniger Druck
und außerdem den Mut, sich zu „outen“, was für den Cleanwerdungsprozess sehr wichtig ist.
Wir hatten häufig Probleme mit den Vorstellungen russlanddeutscher Eltern im Hinblick auf den
Umgang mit Sucht: Hypnose, Codierung, Wunderheiler, Turboentgiftungen stehen hoch im Kurs und
werden in Deutschland in russisch-sprachigen Zeitungen permanent angeboten. Die Eltern eines
Aussiedlerjugendlichen ließen bei ihrem Sohn in Riga/Lettland eine Turboentgiftung unter
Vollnarkose, bei gleichzeitiger Implantierung einer Nemexin- (Opiatblocker) Ampulle unter die Haut
(Kosten: ca. 3000 Euro), vornehmen. Er verstarb zwei Tage später auf der Heimfahrt in einem Bus in
Polen an Herzversagen.
- mit der TG Nettetal
Die Zusammenarbeit mit der TG Nettetal/Caritas ist weiterhin gut, wenn auch etwas „sporadischer“ als
zuvor. Ein Jugendlicher aus dem Projekt absolviert dort zur Zeit die „Wiederholer-Therapie“. Die
Leitung der TG ist jederzeit zu einer Fachberatung bereit.
- mit der Migrationstherapeutin
Sehr wichtig war für uns die Zusammenarbeit mit der Familientherapeutin des Migrationssozialdienstes
der Arbeiterwohlfahrt: Sie bietet Beratung und Gespräche an zu dem Themenschwerpunkt
„Trennungserfahrungen und Migrationsprozess“. Mehrere Jugendliche (und auch Eltern) nahmen
dieses Angebot wahr.
- mit Jugendrichtern und der Bewährungshilfe/speziell für Jugendliche
Die Zusammenarbeit zwischen dem Projekt und den Jugendrichtern sowie der Bewährungshilfe im
Sinne von Haftvermeidung läuft weiterhin gut. Immer mehr Jugendliche bekamen die Auflage (statt
Strafe) vom Richter, am Projekt Perspektive teilzunehmen.
Seit dem 1.09.2002 gibt es in Osnabrück das Modelprojekt „Jugendbewährungshilfe“ mit dem
Schwerpunkt „Jugendsachen“ und der Intention, eine intensivere Betreuung für Jugendliche und junge
Erwachsene zu gewährleisten. Mit diesem Ansatz haben wir sehr gute Erfahrungen gemacht.
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- mit Fachleuten aus Twer/Russland
Eine Delegation aus Twer kam ins Projekt Perspektive, um sich über unsere Arbeit bzw. über einen
sinnvollen Umgang mit der Suchtproblematik bei russlanddeutschen Jugendlichen zu informieren.
Expertengespräche und Interviews (auch mit Jugendlichen) wurden durchgeführt.
- Treffen mit den Bündnispartnern
Es findet weiterhin ein fachlicher Austausch in regelmäßigen Sitzungen statt.
Zum Bündnis gehören:
Die Drogenberatungsstelle des Diakonischen Werkes Osnabrück, die TG Nettetal vom Caritasverband
Osnabrück, die Jugendgerichtshilfe/Fachbereich für Kinder, Jugend und Familie der Stadt Osnabrück,
das LKH Osnabrück, das LKH Lengerich, der betreuende Facharzt und die Arbeiterwohlfahrt in der
Region Osnabrück.
Wir sind im regelmäßigen Austausch und arbeiten konstruktiv zusammen, um die Hilfemöglichkeiten
für die Jugendlichen zu optimieren. Einmal kam es zu einem gemeinsamen Fallmanagement, als der
Sozialen Dienst der Stadt Osnabrück im Hinblick auf ein 14jähriges, heroinabhängiges Mädchen um
Hilfe bat.
- mit Therapie-Einrichtungen
Ein großes Problem unserer Arbeit liegt nach wie vor darin, geeignete Therapieeinrichtungen zu
finden, die sowohl für Aussiedler als auch für Jugendliche geeignet sind. Aus diesem Anlass haben wir
uns genauer mit den Gründen für das Scheitern der AussiedlerInnen in den jeweiligen Therapien (bzw.
für das Scheitern der Therapie-Einrichtungen!) beschäftigt.
Mehrere Jugendliche haben in den Jahren 2001 und 2002 eine Therapie begonnen (2001: 3 Jugendliche
in Ahlhorn und „Eppenhain“, alle erfolgreich beendet; 2002: 6 Jugendliche, 5 Abbrüche (4 allein bei
STEPS/Bremen) und zweiter Anlauf in anderen Therapie-Einrichtungen). Versuche, Jugendliche mit
Methadon (bis zu 5 ml) in der Therapie-Einrichtung
„Hohehorst“ unterzubringen, scheiterten allesamt (in 3 Fällen).
Von großer Bedeutung sind für manche Aussiedlerjugendliche Therapieangebote, die ihnen die
Kommunikation in der Heimatsprache ermöglichen. So wird ein wichtiges Zugangshindernis zur
Therapie für diejenigen Jugendlichen ausgeräumt, die die deutsche Sprache nicht genügend
beherrschen. Für viele unserer Aussiedlerjugendlichen ist jedoch nach unserer Ansicht eine Therapie in
deutscher Sprache nicht nur zumutbar, sondern sogar angebracht.
Aussiedler haben häufig keine Vorstellung von Therapie bzw. eine passive Erwartungshaltung. Sie
erwarten eine intensive Behandlung mit Medikamenten oder Hypnose oder gar „Codierung“ (eine
Form von Hypnose, bei der Angst ins Unterbewusstsein gesetzt wird; z.B.: „ Wenn ich noch einmal
Heroin konsumiere, werden mir die Beine abfallen und die Augen erblinden!“) und verstehen nicht,
warum sie in der Therapie selbst gefragt und gefordert sind; dass sie sich öffnen und an sich selbst
arbeiten sollen. Sie sind mit der Auseinandersetzung eigener seelischer Konflikte zumeist wenig
vertraut und auch deshalb mit herkömmlichen Konzepten therapeutischer Angebote schwer erreichbar.
Russlanddeutsche Jugendliche verfügen über eine eher kollektive (im Gegensatz zu der hier gewohnten
individualisierten) Identität, so dass sie auch aus diesem Grunde mit den hier gängigen Therapiemetho
den bzw. –zielen schnell überfordert sind. Sie sind es nicht gewohnt, individuelle Ziele, wie z.B. eigene
Schwächen erkennen, selbstbewusster werden etc., zu verfolgen. In der russischen Kultur galt es häufig
als ungehörig, über sich selbst zu sprechen und eigene Bedürfnisse zu äußern. Bei Überforderung
erfolgt dann der Rückgriff auf alte Verhaltensmuster: sich mit den eignen Landsleuten zu solidarisieren
und abzuschotten.
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Da Aussiedlerjugendliche aus ihren Herkunftsländern eher eine Fremdbestimmung gewohnt sind, hat
sich ihre Fähigkeit, sich eigene Meinungen zu bilden, Bedürfnisse zu erkennen, auszudrücken oder gar
eigenverantwortlich umzusetzen, häufig kaum entwickelt. Der von der Therapieeinrichtung gestellte
Anspruch, eigene Aktivitäten zu entwickeln, selbständig Initiative zu ergreifen und eigenverantwortlich
zu agieren ist für die meisten Aussiedlerjugendlichen nicht nachvollziehbar und erst recht nicht gleich
umsetzbar. Besondere Geduld ist hier erforderlich.
Glaubenssätze wie: „Bier und Wodka gehören zu den Lebensmitteln“, „Cannabis ist keine Droge“,
„Aktivität ist keine Therapie“ sitzen bei jungen AussiedlerInnen tief. Auch hier bedarf es besonderer
Geduld.
Bewährte Therapieverfahren wie Psychodrama, Kunsttherapie, Rollenspiel, Gestalttherapie werden
häufig von Aussiedlerjugendlichen nicht ernstgenommen, so dass die Konzeption zum Teil neu
ausgerichtet werden müsste.
Ein wichtiger aussiedlerspezifischer Aspekt, dem in der Therapie Raum gegeben werden sollte, liegt
nach unserem Erachten in dem Bereich: Migration, Abschied, Trauer.
Vier Jugendliche konnten nicht in eine Therapie vermittelt werden, da sie nicht in der Lage waren,
ohne Substitution (Methadon) auszukommen. Durch eine Entgiftung kamen sie in einen psychischen
Ausnahmezustand (z.B. Panikattacken, Angstzustände, tiefe Depression) und/oder rutschten in
kürzester Zeit mit exzessivem Gebrauch harter Drogen so tief ab, dass es kaum möglich war, sie in
einem kürzeren Zeitraum wieder aufzufangen. In diesen Fällen wurde nach mehreren gescheiterten
Versuchen von dem betreuenden Facharzt eine Langzeitsubstitution vorgenommen und eine soziale
Integration, möglichst in Verbindung mit einer ambulanten Therapie, mit Methadon angestrebt.
- mit Inhaftierung und den Folgen
Von den insgesamt 25 Jugendlichen im Dezember 2001 waren 19 männlich und russlanddeutsch,
davon 9 mit Hafterfahrung (Zusätzlich hatten wir einen einheimischen Jugendlichen mit Hafterfahrung.
Er wurde übrigens als 17-Jähriger ca. 6 Monate in Einzelhaft bei 23 Stunden täglichem Einschluss
gehalten!). Von den 5 Jugendlichen in der Gruppe (1 weiblich, 4 männlich) kamen alle männlichen
Jugendlichen aus dem Jugendgefängnis Hameln. Drei wurden von uns über Haftprüfungstermin mit
Hilfe der JGH aus der Haft herausgeholt (U-Haftvermeidung); einer kam nach verbüßter Haftstrafe von
alleine zu uns (Bis Ende 2002 kamen keine neuen Inhaftierungen hinzu).
Das Gruppengeschehen war somit zeitweilig stark beeinflusst von den im Jugendgefängnis erlernten
„Knastregeln“ und es war keine leichte Aufgabe für das Team, hier andere Prioritäten zu setzen
(glücklicherweise kamen diese Jugendlichen nicht gleichzeitig).
Zum besseren Verständnis hier einige Beispiele:
Es fing damit an, dass alle „Hamelner“ sich beim wöchentlichen Hausputz weigerten, die Toilette oder
das Bad überhaupt zu reinigen (in der Jugendanstalt wäre dies mit einem Ehrverlust einher gegangen).
Gleichzeitig erwarteten sie strenge Strafen für ihre Weigerung (einer fragte sogar, ob man ihn jetzt
einschließen wolle). Als daraufhin „nichts Schlimmes“ geschah, war man wiederum irritiert. Sie
entwickelten nur langsam Vertrauen und gewöhnten sich nur sehr langsam daran, dass sie mit keinerlei
„Härte“ zu rechnen hatten und dass die vom Team gesetzten Grenzen und Regeln erklärt wurden und
teilweise sogar diskutiert werden durften.
Auch andere JVA-Verhaltensregeln und -angewohnheiten, wie aggressives Verhalten,
Gewaltandrohungen, gegenseitiges Disziplinieren, ein Verhalten nach den Regeln der „russischen
Mafia“, sich Abschotten, strenges Einhalten von Rangfolgen etc. konnten nur sehr langsam und mit
viel Geduld und vertrauensvoller, bejahender Beziehungsarbeit aufgelöst oder zumindest stark
abgemildert werden.
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Uns fiel bei fast allen Jugendlichen, die aus der Haft kamen, auf, dass sie in den ersten Wochen eine
„dicke Mauer“ um sich herum aufgebaut hatten, nur wenig gesprächsbereit waren, eine durchgängig
latent aggressive Ausstrahlung hatten und schon bei der kleinsten körperlichen Berührung
zusammenzuckten oder sich schnell und „kampfbereit“ umdrehten. Das änderte sich in der Regel nach
einigen Wochen, als sie realisieren konnten, dass sie weder Härte zu befürchten noch Härte von ihrer
Seite aus vonnöten war. Die gewaltfreie und vertrauensvolle Atmosphäre im Projekt war hier sicherlich
die entscheidende Grundlage.
Diese und andere Erfahrungen mit den Folgen eines Aufenthaltes und einer Sozialisation im
Jugendgefängnis (bei einem Jugendlichen z.B. bestand nach der Haftentlassung Psychose-Verdacht)
waren für uns um so mehr Grund, an der konzeptionellen Prämisse „Haftvermeidung“ festzuhalten.
– mit Gewalt bzw. Gewaltbereitschaft von männlichen Aussiedlerjugendlichen
Für die Jugendlichen nach der Haftentlassung ist Gewalt ein Thema. Nicht nur, weil sie in der Haft
tagtäglich mit Gewalt konfrontiert und dadurch auch geprägt wurden – einige wurden schon aufgrund
von Gewaltdelikten inhaftiert. Doch auch diejenigen männlichen Aussiedlerjugendlichen, die nicht
durch Gewalttätigkeit aufgefallen sind, werden häufig von der einheimischen Bevölkerung (und auch
zum Teil von pädagogischen Fachkräften) als gewalttätig oder zumindest als gewaltbereit eingestuft.
Grund genug für uns, uns eingehend mit dieser Thematik zu beschäftigen.
In dem Milieu, in dem sich unsere männlichen Aussiedlerjugendlichen bewegen bzw. bewegt haben, ist
es nicht selten, dass Konflikte („unter Männern“) durch körperliche Auseinandersetzungen ausgetragen
werden. Diese Form der Auseinandersetzung ist in dem Milieu akzeptiert und wird nicht als Gewalt
angesehen. Dieses Verhalten wird jedoch nicht zwangsläufig auf andere Lebenssituationen übertragen.
Das Vorurteil „gewalttätige, männliche Aussiedlerjugendliche“ verallgemeinert außerdem die
verschiedenen Ursachen für und Formen von Gewaltausübung. Ein Verhalten, das sich an den Normen
Stärke, Kraft und Härte orientiert, kann, muss aber nicht gewalttätig sein (Ludger Schmidt, in: Die
mitgenommene Generation, DJI, 2002).
Nach unseren Erfahrungen ist die Gewaltbereitschaft dieser Jugendlichen, trotz der bekannten Aspekte
ihrer Sozialisation in den Herkunftsländern, die patriarchalische Werte in Form männlicher Tugenden
wie körperliche Durchsetzungsfähigkeit und Stärke transportiert, bei weitem nicht so dramatisch, wie
oft gedacht.
Im Projekt Perspektive kam es in vier Jahren Gruppenalltag zu nur einer körperlichen
Auseinandersetzung unter männlichen Aussiedlern, die sehr schnell von den PädagogInnen beendet
und konstruktiv bearbeitet werden konnte. Voraussetzung hierfür war sicherlich die vertrauensvolle
Atmosphäre und eine gute Kommunikation, die Missverständnisse und Unsicherheit weitgehend
ausräumt und übersteigerte Reaktionen unnötig macht. Denn Gründe für Gewaltaktionen von
Aussiedlerjugendlichen sind nach unserem Erachten häufig in dem Gefühl von Hilflosigkeit oder dem
Sich-Abgelehnt-Fühlen begründet. Pädagogische Fachkräfte tun gut daran, tiefer zu gehen, die
Defizite, die Ursache für die Gewaltbereitschaft sind, zu bearbeiten, anstatt lediglich das Verhalten
bekämpfen zu wollen.
Auch diejenigen männlichen Aussiedlerjugendlichen, die häufige Gewaltausübung aus ihrer eigenen
Familie (fast ausschließlich vom Vater) her gewohnt sind, sind nach unserer Erfahrung im
Gruppengeschehen bzw. in ihrem Alltag zumeist bestrebt und auch in der Lage, Konflikte verbal und
relativ angemessen zu bearbeiten. Wichtig war es in jeder Konfliktsituation, die zu eskalieren drohte,
genau zu zuhören, ernst zunehmen und nach einer einvernehmlichen konstruktiven Lösung zu suchen.
Die Angewohnheit männlicher Aussiedlerjugendlicher, stark und körperlich präsent aufzutreten, sollte
nicht als eine Demonstration von Gewaltbereitschaft missverstanden werden. Dieses Auftreten soll
lediglich Selbstbewusstsein und männliche Stärke signalisieren und sollte von den pädagogischen
Fachkräften (und ebenso von der einheimischen Bevölkerung) nicht als bedrohlich, sondern im Ge
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genteil als Kompetenz akzeptiert werden. Die männlichen Pädagogen müssen jedoch im Gruppenalltag
zeitweilig aufpassen, nicht in die Dominanzrangeleien der männlichen Jugendlichen involviert zu
werden. Frauen werden nach unseren Erfahrungen, wenn sie einmal akzeptiert sind, in der Regel von
männlichen Aussiedlerjugendlichen zuvorkommend und mit Respekt behandelt.
- „auf der Szene“
Im Rahmen unserer Arbeit mit drogenabhängigen Jugendlichen ist es häufig sinnvoll bzw. nötig, in
„die Drogenszene“ hineinzugehen; sei es um verschwundene Jugendliche zu suchen oder um Kontakt
mit denjenigen Jugendlichen aufzunehmen, die zeitweilig in die Szene abgerutscht sind und wieder
„herausgeholt“ werden sollen. Auch in diesem Zusammenhang haben wir viele Erfahrungen
gesammelt, z.B. wie diese Szene einzuschätzen ist, wie man sich dort am besten verhält und welche
„Spielregeln“ einzuhalten sind.
„Die Drogenszene“, die sich noch vor Jahren relativ „komplett“ im Schlosspark traf, gibt es nicht mehr.
Dies liegt nicht nur an der Strategie der Osnabrücker Polizei, die Drogenszene zu zerstreuen und
Drogenabhängige an einschlägigen Plätzen mit Kontrollen und Platzverweisen zu belegen, sondern es
liegt z.B. am „technischen Fortschritt“, der auch vor der Drogenszene nicht halt macht. „Geschäfte“
werden seit einiger Zeit gerne über Handy abgewickelt; Menge, Preis und Ort der Übergabe des Geldes
werden so vereinbart, bei der Geldübergabe wird dann der Ort des „Drogenverstecks“ mitgeteilt
(gleichzeitiger Tausch „Geld gegen Drogen“ findet aus „Sicherheitsgründen“ immer seltener statt).
Oder aber die Geschäfte werden in privaten Wohnungen abgewickelt. Dealerei auf der Strasse gibt es
natürlich auch noch (z.B. am Bahnhof, am Neumarkt und an vielen, ständig wechselnden Orten).
Drogeszene ist nicht gleich Drogenszene und Dealer ist nicht gleich Dealer. Da gibt es „Organisierte“
und „Unorganisierte“, Drogenabhängige, die zeitweilig und aus einem „finanziellen Engpass“ heraus
„ein paar Geschäfte machen“, Leute, die „nur“ mit Haschisch oder Pillen dealen oder die, die
hauptsächlich harte Drogen verkaufen. Dealer sind oft gleichzeitig Hehler, doch nicht jede Ware ist
gefragt. Unsere Jugendlichen „organisieren“ (wenn sie in die Drogen abgerutscht sind) hauptsächlich
Parfüm, Alkoholika, Rasierklingen, Markenkleidung und –schuhe, Handies und/oder Autoradios.
Einerseits ist die Szene international und man kennt sich untereinander, egal welches Geschlecht, Alter
oder kulturelle Zugehörigkeit; es treffen sich die unterschiedlichsten Nationalitäten: z.B. Afrikaner,
Türken, Kurden, Albaner, „Russen“, Deutsche; andererseits sind bestimmte Kulturkreise auch gerne
unter sich und lassen nur wenige andere hinein. Dies gilt besonders für die russlanddeutsche
Drogenszene. Diese Szene ist besonders abgeschottet und wenig „zimperlich“; bei Drogenschulden
gibt es kein pardon. Wer seine Schulden nicht begleichen kann, hat mit schwerwiegenden Problemen
zu rechnen. Wer es wagen sollte, einen Dealer zu verraten, begibt sich eventuell in Lebensgefahr.
Eine Gefahr für das Team des Projekts in Bezug auf Gewalt geht (wie schon erwähnt) bei richtigem
Verhalten nicht von unseren Jugendlichen aus, sondern, wenn überhaupt, von dem Umfeld: Dealer,
Hehler, Zuhälter und einer Szene am Rande der Mafia. Wir haben in mehreren Fällen mitbekommen,
dass Dealer sehr genau wissen, wer wir sind, wo wir sind und mit welcher Einstellung wir arbeiten. Im
Hinblick auf diese Problematik haben wir uns klare Regeln erarbeitet, die wir strikt einhalten. Wir
interessieren uns nicht für Straftaten, wir kooperieren nicht mit der Polizei, wir sind
„vertrauenswürdig“, wir wollen z.B. in Gesprächen mit unseren Jugendlichen keine Dealer-Namen
hören (dies betonen wir immer wieder), von uns geht keine Gefahr aus. Und nur so können wir in
diesem Milieu arbeiten.
Ein ganz anderes Problem ergab sich für uns im Rahmen der aufsuchenden Arbeit auf der
Drogenszene: Mehrere junge Erwachsene über 21 kamen zu uns und fragten an, ob sie ins Projekt
Perspektive aufgenommen werden könnten. Da dies nicht möglich war, versuchten wir, sie an die
Drogenberatungsstelle weiter zu leiten. Dies gelang nur zum Teil, denn die Angebote der
Drogenberatungsstelle
25
können den Halt und die intensiven Beziehungen, die durch die Gruppenarbeit und besondere
Einzelfallhilfe im Projekt entstehen, nicht ersetzen. Hier sehen wir einen deutlichen Bedarf an
zusätzlichen Angeboten intensiver und langfristiger Betreuung.
6.6. Resümee und Ausblick
Das Projekt Perspektive als Modelversuch zur Entwicklung einer jugendgerechten Drogenarbeit bietet
eine langfristige Intensivbetreuung nach den Bedürfnissen der Jugendlichen, stützt die
Lebenstüchtigkeit im ganzheitlichen Sinne durch eine Analyse und Einbeziehung der gesamten
Lebenssituation, Schaffung von neuen positiven Erfahrungen, Kompetenzen und Perspektiven,
Entwicklung von Eigenverantwortlichkeit und konstruktiven Handlungsstrategien im Hinblick auf ein
(hart-)drogen-freies Leben. Wir arbeiten auch mit den Rückfällen und begreifen sie als Teil des
Prozesses von Heilung, Reifung und „Cleanwerdung“. Ein wesentlicher Bestandteil dieser Arbeit ist
die Gruppe (in Verbindung mit individueller Einzelbetreuung), die die Jugendlichen an das Projekt
bindet, soziale Entwicklungsprozesse ermöglicht, Halt und Geborgenheit bietet und den Aufbau von
tragfähigen Beziehungen zu den pädagogischen Fachkräften ermöglicht.
Im Rahmen der Fortentwicklung geeigneter Handlungsstrategien im Hinblick auf drogenabhängige
Aussiedlerjugendliche haben wir neben der jugendspezifischen Ausrichtung den systemischen Ansatz
unserer Arbeit erweitert um die Dimension der Migration. Die „Dimension der Migration“ umfaßt die
Kultur in der Herkunftsgesellschaft, die Familienkultur, die Minderheitenkultur und den
Migrationsprozeß. Wir sehen die Jugendlichen unter „kultursensiblen“ und „migrationsdynamischen“
Gesichtspunkten. Die Problematik der Identitätsfindung in der Adoleszenz-Phase wurde bei vielen
Jugendlichen durch den Wechsel der Kulturkreise potenziert. Die Doppelproblematik, die bei unseren
Jugendlichen im Bereich „Sucht und Migration“ vorliegt, überlagert und verstärkt sich gegenseitig.
Neuralgische Punkte bei dieser Klientel, auf die man sich einlassen muss, wenn man sie erreichen will auch institutionell - sind: Entwurzelung, Orientierungslosigkeit, Wertewidersprüche, die oftmals „ganz
eigene“ (nämlich „russische“) Suchtstruktur, die kulturelle Andersartigkeit und Misstrauen gegenüber
„der deutschen Kultur“ und den hiesigen Hilfeeinrichtungen. Es geht darum anzuerkennen, dass in der
Regel eine „unsichtbare Wand“ zwischen diesen Jugendlichen und diversen Hilfeeinrichtungen steht
und dass diese Wand nicht ohne weiteres abgebaut werden kann. Althergebrachte Methoden greifen
hier meistens nicht. Die professionelle Arbeit in dieser Hinsicht sollte nach unserem Erachten in
„unkonventioneller“ und sensibler Art und Weise weiterentwickelt werden.
7. Abschluß
Lassen Sie uns abschließend noch einen Blick darauf richten, wie sich die Kriminalität der Teilnehmer
seit ihrer Aufnahme in das Projekt entwickelt hat. Zu einem festen Termin haben wir dazu eine
Aktenauswertung vorgenommen. Das nachfolgende Schaubild macht deutlich, dass sich bei den
meisten Teilnehmern die Kriminalität bedeutend verringert hat. Hier läßt sich der Erfolg der Arbeit
somit auch dokumentieren und bietet für uns Anreiz weiter auf diesem Weg zu arbeiten. Vielleicht ist
für Sie durch unsere Ausführungen deutlich geworden, etwas ähnliches bei Ihnen vor Ort auch zu
installieren.
26
Zahl der Jugendstrafverfahren vor und während der Projektbetreuung
30
24
25
23
19
20
18
15
15
12
12
12
11
10
10
9
10
7
7
7
6
5
6
5
5
44
5
3
4
4
5
4
4
5
5
4
3
3
2
2
2
1
1
0
3
3
2
1
1
0
1
1
22
23
0
1
0
0
1
2
3
4
5
6
7
8
9
10
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Verfahren vorher
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16
Verfahren während
Vielen Dank für Ihr Interesse und Ihre Aufmerksamkeit !
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