© 2014 Dipl.-Psych. Petra Kammerer Frau Neu ist CRA bei einer kleineren CRO und kommt heute mit einer speziellen Frage ins Coaching: Sie bereitet sich auf einen Besuch an einer Prüfstelle (Pre-Study Besuch) vor, die sie persönlich noch nicht kennt. Der Prüfer hat im Vorfeld bereits zwei Fragebogen beantwortet und großes Interesse an einer Teilnahme signalisiert. Demnach verfügt die Prüfstelle anscheinend über die notwendige Ausstattung und man glaubt, mehr als genug potentielle Patienten für die Studie zu haben. Aber – ist das wirklich so? fragt sich Frau Neu und überlegt, wie sie geschickt vorgehen kann, um das herauszufinden. Denn sie will den Prüfer auch nicht vor den Kopf stossen ... Was bewegt Frau Neu an den Angaben des Prüfers zu zweifeln? Sie hat von Kolleg_innen bereits eine Menge über Prüfstellen gehört, die zu Anfangs ganz zuversichtlich waren, die vom Sponsor gewünschte Anzahl an Patienten einschliessen zu können. Und dann, als die Studie tatsächlich starten sollte, wurde der Teufel in den Details entdeckt ... und die Zusammenarbeit war eine frustrierende Erfahrung. Die Psychologie nennt eine solche Haltung „Überoptimismus“. Das meint die Versuchung, die eigenen Möglichkeiten und Optionen zu überschätzen. Zu dieser Haltung lädt die Situation geradezu ein: ein bekannter Sponsor bzw. CRO stellt die Teilnahme an einer Studie mit einer auf den ersten Blick attraktiven Aufwandsentschädigung in Aussicht. Das kann die Beteiligten verführen, sich wie in einer Bewerbungssituation zu fühlen und entsprechend glanzvoll zu präsentieren. Wenn der Bewerber eingeladen wird und wenn er ein Stellenangebot bekommt – dann ist aus der Perspektive des Bewerbers noch immer Zeit zu prüfen, ob er das Angebot annehmen will. Denn was gibt es (für den Prüfer) zu verlieren? Im Fall des Falls „hat es einfach nicht geklappt“. Für einen Sponsor ist eine solche Haltung allerdings zu kostenintensiv, dort versucht man, die tatsächliche leistungsfähigkeit möglichst früh einzuschätzen. Frau Neu ist gut beraten, erst einmal die Haltung „Überoptimismus“ d.h. eine falsch positive Einstellung zur Studienteilnahme vorauszusetzen, bevor sie sich tzu früh über eine unentdeckte Perle freut. Wie kann Frau Neu mit der vermuteten Haltung „Überoptimismus“ umgehen? Bei einer skeptischen Haltung des Prüfers würde sie u.U. eher Überzeugungsarbeit leisten und werben, indem sie die Vorteile und den Nutzen einer Teilnahme für die Patienten in den Mittelpunkt stellt. In ihrer Situation kann sie einfach das Gegenteil tun: Sie kann die Nachteile und Risiken des Studiendesigns in den Vordergrund stellen und mit dem Prüfer Fragen besprechen wie: Welche sieht der Prüfer (noch)? Wie gehen vermutlich seine Mitarbeiter damit um, dass ... ? Und wie sehen das die Angehörigen eines potentiellen Studienpatienten? So erhält sie ein Verständnis dafür, wie intensiv sich der Prüfer bereits mit dem Prüfplan beschäftigt und Schlussfolgerungen daraus gezogen hat. Sie unterstellt dem Prüfer keine schlechten Absichten. Darüber hinaus können beide anhand der Fragen lösungsorientiert überlegen, wie die Prüfstelle die Risiken meistern kann. Das ist der „zwei Fliegen mit einer Klappe“ Gesprächsansatz. Wie kommt sie auf Ideen für Fragen, wenn sie den Prüfer und ggfalls die Indikation nicht kennt? - Sie hat bereits Antworten des Prüfers (oder seines Beauftragten, wer weiß? ) auf zwei Fragebögen erhalten. Prima! Die kann sie auswerten und hat dadurch jede Menge Informationen, die sie bei Ihrem Besuch vor Ort nutzen kann um kritische Fragen zum © 2014 Dipl.-Psych. Petra Kammerer geplanten Vorgehen zu stellen. Eine erste Frage: Was macht die Studie für den Prüfer so interessant dass er teilnehmen will? - Mit ihrem gesunden Menschenverstand und ihrer professioneller Erfahrung) kann sie selbst die Plausibilität der Angaben im Fragebogen hinterfragen (z.B. passen die Angaben zur Kapazität des Personals z.B. zu der geforderten Dokumentationsqualität/Zeitfenstern?) und daraus Fragen an den Prüfer generieren. - Weitere Ideen können auftauchen, wenn sie beim Besuch vor Ort ihre pessimistische Seite aktiviert: Wo sieht sie Hindernisse, die eine gute Qualität erschweren (z.B. Labor weit weg von Station)? - Sie kann sich auch für die Sichtweise anderer Personen an der Prüfstelle interessieren. Findet sie Widersprüche zu den Aussagen im Fragebogen, kann Frau Neu sie anschliessend mit dem Prüfer besprechen und ist damit wieder mitten in der Planung eines möglichen Umsetzungsprozesses: der „zwei Fliegen mit einer Klappe“ Gesprächsansatz. Wie reagiert vermutlich ein Prüfer darauf? - Immer mehr Sponsoren wollen unnötige Kosten vermeiden und geben der Site Selection ein starkes Gewicht. Dabei steigen die Anforderungen, die sie im Interesse der Studienqualität an ein Zentrum stellen. U.U. ist der Prüfer gar nicht überrascht, das er im Vorfeld so eingehend interviewt wird. Wenn ja, ist es wichtig, ihm die Gründe zu erläutern. Warum sollte der Prüfer diesem Vorgehen nicht zustimmen? Frau Neu trägt nämlich auch dazu bei, ihm eine böse Überraschung und finanzielle Verluste zu ersparen: eine Studie zu beginnen, die nicht rekrutiert, führt zu unnötigem Aufwand und Kosten für die Prüfstelle (natürlich auch für den Sponsor). - Wenn Frau Neu ihre lösungsorientierten Fragen und die Antworten verschriftet, hat der Prüfer bereits einen groben Plan, was er bei einer evt. Studienteilnahme berücksichtigen muss. Dieses Vorgehen wird ihm und seinem Personal Zeit sparen. - Im Gespräch kann Frau Neu die vermeintliche Bewerbungssituation ansprechen und in eine gemeinsame Machbarkeitsprüfung verwandeln „gemeinsam will sie prüfen, welchen Aufwand die Studie hier verursacht und wie die Herausforderungen hier bewältigt werden können“. - Indem Frau Neu eine Reihe „auf den ersten Blick“ vielleicht unbequeme Fragen ankündigt und nach dem Okay des Prüfers fragt („Sind Sie einverstanden, wenn ich ..“) bereitet Sie ihn auf die Situation vor und räumt ihm eine Wahlfreiheit ein: Die meisten Menschen reagieren darauf in der Regel positiv. Ausserdem sollte sie den Hintergrund jeder Frage erläutern- das unterscheidet ein Interview von einem Verhör. Wenn auch Sie ab und an in einer solchen Situation sind, erkennen Sie dieses Vorgehen u.U wieder und finden die eine oder andere Anregung darin, die sie ausprobieren wollen? Ich freue mich, wenn Sie mir eine Rückmeldung dazu schicken. Meine Mailadresse lautet [email protected]. Viel Erfolg wünscht Petra Kammerer P.S. Wenn Sie selbst an einem Good-Practice Wokshop zu Site Selection und Rekrutierung, einem CRA-Coaching-Workshop oder einer Einzelsitzung interessiert sind, finden Sie Informationen und Angebote auf www.klifo-praxis.de.