Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 $Id: convex.tex,v 1.28 2016/05/13 14:42:55 hk Exp $ §3 Konvexgeometrie 3.1 Konvexe Polyeder In der letzten Sitzung haben wir begonnen uns mit konvexen Polyedern zu befassen, diese sind die Verallgemeinerung der ebenen n-Ecke auf den dreidimensionalen Raum. Die Kanten eines n-Ecks in der Ebene entsprechen in dieser Deutung den Flächen eines Polyeders im Raum und wir wollen jetzt auch den Begriff der Innenwinkel von n-Ecken auf die dreidimensionale Situation übertragen. Die Innenwinkel eines n-Ecks sind Winkel zwischen seinen Kanten und als Innenwinkel“ eines dreidimensionalen Polyeders ” verwendet man entsprechend die Winkel zwischen seinen Randflächen. Dabei ist immer derjenige der möglichen vier Winkel gemeint der das Polyeder enthält. Manchmal werden die Winkel zwischen den Randflächen auch als die Diederwinkel“ des Polyeders ” bezeichnet, wir sprechen meist einfach von Winkeln. f2 θ e f1 e g2 A M B θ g1 l Winkel zwischen Ebenen Querschnitt Mittelsenkrechte Hat man zwei Ebenen f1 , f2 die sich in einer Geraden l schneiden und will den Winkel θ zwischen f1 und f2 bestimmen, so können wir f1 , f2 mit einer auf f1 und f2 senkrechten Ebene e schneiden, in e wird e ∩ l dann ein Punkt in dem sich die beiden Geraden g1 = e ∩ f1 und g2 = e ∩ f2 schneiden und der Winkel θ ist dann der Winkel zwischen g1 und g2 . Damit sind die räumlichen Winkel auf ebene Winkel zurückgeführt. Will man diesen Mechanismus verwenden so braucht man nur noch eine Methode, zu entscheiden ob zwei Ebenen senkrecht aufeinander stehen. Hierzu beachte zunächst das zwei nicht parallele Ebenen e, f genau dann senkrecht aufeinander stehen wenn es eine Gerade l in f gibt die senkrecht auf e steht, es reicht also eine Ebene und eine Gerade als senkrecht zu erkennen. Will man sogar wie oben eine Ebene e finden die auf zwei nicht parallelen Ebenen f1 und f2 senkrecht ist, so muss diese Ebene e also auf der Schnittgeraden l = f1 ∩ f2 senkrecht sein. 10-1 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 Will man schließlich erkennen ob eine Ebene e senkrecht auf einer Geraden l ist, so können wir hierzu die räumlichen Mittelsenkrechten verwenden. Sind A, B zwei verschiedene Punkte im Raum, so bildet die Menge aller Punkte die von A und B denselben Abstand haben eine Ebene nämlich die auf AB senkrechte Ebene durch den Mittelpunkt M der Strecke AB, dies kann man genau wie im zweidimensionalen Fall einsehen. Haben wir also eine Gerade l und eine Ebene e und wollen einsehen das l senkrecht auf e ist, so müssen wir nur zwei Punkte A, B ∈ l und drei nicht kollineare Punkte C1 , C2 , C3 ∈ e mit |ACi | = |BCi | für i = 1, 2, 3 finden, denn dann liegen C1 , C2 , C3 auf der Mittelsenkrechten von AB und diese ist damit gleich e. E D D C E F θ A B A Standardsimplex M F Querschnitt Wir wollen uns ein Beispiel anschauen. Wir starten mit einem Würfel W der Kantenlänge a > 0. Sei A eine Ecke von W und seien B, C, D die drei mit A benachtbarten Ecken von W , d.h. diejenigen die mit A durch eine Kante von W verbunden sind. Die konvexe Hülle S der Punkte A, B, C, D ist dann ein Simplex aber kein Tetraeder. Wir wollen den Winkel θ zwischen der unteren“ Fläche ABC von S und der diagonalen“ ” ” Fläche BCD von S bestimmen. Wollen wir dem obigen Schema folgen so benötigen wir zunächst eine Ebene e die senkrecht auf ABC und BCD ist und hierzu verwenden wir die Ebene e die das Rechteck AF ED enthält wobei EF die AD gegenüberliegende Kante von W ist. Die beiden Ebenen ABC und BCD schneiden sich in der Diagonale BC des Quadrats ABF C und wir behaupten das diese senkrecht auf e ist. Da BC in der Fläche ABF C von W liegt ist AD senkrecht auf BC und da die beiden Diagonalen eines Quadrats senkrecht aufeinander stehen ist auch AF senkrecht auf BC. Damit ist e senkrecht auf BC und damit √ auch auf ABC und BCD. Nun ist e ∩ W ein Rechteck mit |AD| = a und |AF | = 2 · a. Weiter schneiden sich die beiden Diagonalen eines Quadrats in ihrem gemeinsamen Mittelpunkt, d.h. BCD ∩ e läuft durch den Mittelpunkt M von AF und durch D, der Winkel θ ist also der Winkel des Dreiecks AM D 10-2 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 bei M . Da dieses in A rechtwinklig ist folgt tan θ = √ 1 |AD| 1 = 2 und somit cos θ = √ =√ . 2 |AM | 3 1 + tan θ Damit haben wir 1 ≈ 54, 74◦ . θ = arccos √ 3 Alternativ kann man den Winkel auch mit Methoden der Vektorrechnung berechnen, schreiben wir die beiden Ebenen e1 , e2 in Hessescher Normalform mit Normalenvektoren n1 , n2 so ist der Winkel zwischen e1 und e2 gleich dem Winkel zwischen den Normalenvektoren n1 und n2 . Allgemeiner kann man auch Vielfache der Normalenvektoren nehmen da dies keinen Einfluss auf den Winkel hat. In unserem Beispiel hat ABC den Normalenvektor n1 = (0, 0, 1) und der Normalenvektor auf BCD steht senkrecht auf C − B = a(−1, 1, 0) und D − B = a(−1, 0, 1). Dabei haben wir das Koordinatensystem mit zum Würfel passenden Koordinatenachsen gewählt. Als nicht normierten Normalenvektor können wir das Vektorprodukt −1 −1 1 1 0 1 n2 = × = 0 1 1 verwenden und es wird wieder cos θ = hn1 |n2 i 1 =√ . ||n1 || · ||n2 || 3 Wir wollen hier nur einen allgemeinen, und nicht so offensichtlichen, Satz über konvexe Polyeder beweisen, die sogenannte eulersche Polyederformel. Für den Beweis dieses Satzes ist ein kleiner Hilfsbegriff nützlich. Ein polyedrisches Netz im R2 ist eine endliche, nicht leere Menge Σ von Teilmengen des R2 mit den folgenden drei Eigenschaften: 1. Jedes A ∈ Σ ist ein n-Eck für ein n ∈ N mit n ≥ 3. 2. Sind A, B ∈ Σ mit A 6= B, so ist A ∩ B entweder leer, oder eine gemeinsame Ecke von A und B oder eine gemeinsame Kante von A und B. S 3. Die Vereinigung M := Σ ⊆ R2 ist zusammenhängend und der Rand ∂M ist ein überschneidungsfreier Kantenzug bestehend aus Seiten der Elemente von Σ. Polyedrisches Netz Kein Netz 10-3 Kein Netz Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 Dabei kann die Zahl n im ersten Punkt von A abhängen, muss also nicht immer denselben Wert haben. Die Bedingung an den Rand von M verbietet Netze mit Löchern“ ” oder aus mehreren Stücken zusammengesetzte Netze wie die beiden obigen Beispiele. Haben wir ein konvexes Polyeder P ⊆ R3 , so können wir aus diesem eine Fläche entfernen und den verbleibenden Teil des Randes in die Ebene aufklappen, dabei veränderen sich alle metrischen Werte wie Winkel und Flächeninhalte aber die kombinatorische Struktur des Randes bleibt erhalten. Auf diese Weise wird aus dem Polyeder P ein polyedrisches Netz. Führen wir diese Konstruktion für Tetraeder, Würfel und Oktaeder durch, so ergeben sich beispielsweise die folgenden polyedrischen Netze: Α4 Α3 Α3 Α5 ∆2 ∆3 Α4 Α5 Α7 Α6 ∆1 Aufgeklapptes Tetraeder Α2 Α2 Α1 Α1 Aufgeklappter Würfel Aufgeklapptes Oktaeder Die eulersche Polyederformel besagt das in einem konvexen Polyeder P im R3 mit e Ecken, k Kanten und f Flächen stets e − k + f = 2 gilt. Entfernen wir eine Fläche von P und klappen den Rest zu einem polyedrischen Netz Σ auf, so sollte in Σ die Zahl der Ecken minus die Zahl der Kanten plus die Zahl der n-Ecke also gleich Eins sein und wir werden die eulersche Polyederformel beweisen indem wir diese entsprechende Aussage über polyedrische Netze nachweisen. Satz 3.2 (Die eulersche Polyederformel) Sei P ⊆ R3 ein konvexer Polyeder mit f Flächen, k Kanten und e Ecken. Dann gilt die sogenannte eulersche Polyederformel e − k + f = 2. Beweis: Wir teilen den Beweis in mehrere Schritte auf. (Schritt 1) Sei Σ ein nur aus Dreiecken bestehendes polyedrisches Netz im R2 mit f Dreiecken, k Kanten und e Ecken. Dann gilt e − k + f = 1. Diese Behauptung beweisen wir durch Induktion nach f . Im Induktionsanfang f = 1 besteht Σ nur aus einem einzigen Dreieck und damit sind e = 3, k = 3 und f = 1, also e − k + f = 1. Nun sei sei f ∈ N mit f ≥ 2 und für jedes nur aus Dreiecken bestehende polyedrische Netz Σ im R2 mit |Σ| < f gelte die Behauptung. Sei Σ jetzt ein aus f S Dreiecken bestehendes polyedrisches Netz im R2 mit k Kanten und e Ecken. Sei M = Σ. Da der Rand ∂M aus mindestens einer Kante besteht, gibt es ein ∆ ∈ Σ das mindestens eine Kante auf ∂M hat. Wären alle drei Kanten von ∆ in ∂M , so kann ∂M nur aus diesen drei Kanten bestehen und es ist Σ = {∆}, im Widerspruch zu |Σ| = f > 1. Es können also zwei verschiedene Fälle auftreten. 10-4 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 ∆ ∆ ∆ Fall (1.a) Fall (1.b) Fall (2) Fall 1. Genau eine Kante von ∆ liegt auf dem Rand ∂M . Damit erhalten wir eine weitere Fallunterscheidung. Fall 1.a. Zunächst nehmen wir an das die dritte Ecke v von ∆ auch auf ∂M liegt. Dann zerfällt Σ\{∆} = Σ0 ∪ Σ00 in zwei nur aus Dreiecken bestehende polyedrische Netze Σ0 , Σ00 im R2 mit |Σ0 |, |Σ00 | < f , die sich in der Ecke v treffen. Bezeichnet e0 , k 0 , f 0 und e00 , k 00 , f 00 die Zahl der Ecken, Kanten und Dreiecke in Σ0 und Σ00 , so haben wir nach unserer Induktionsannahme e0 − k 0 + f 0 = e00 − k 00 + f 00 = 1. Nun gelten e = e0 + e00 − 1, da die Ecke v in Σ0 und Σ00 vorkommt, sowie k = k 0 + k 00 + 1 und f = f 0 + f 00 + 1. Damit ist auch e − k + f = e0 − k 0 + f 0 + e00 − k 00 + f 00 − 1 = 1. Fall 1.b. Die dritte Ecke von ∆ liegt nicht auf dem Rand ∂M . Dann ist Σ0 := Σ\{∆} ein nur aus Dreiecken bestehendes polyedrisches Netz im R2 mit e0 = e Ecken, k 0 := k−1 Kanten und f 0 := |Σ0 | = f − 1 < f Dreiecken, also ist nach unserer Induktionsannahme e0 − k 0 + f 0 = 1, und somit auch e − k + f = e0 − k 0 + f 0 = 1. Damit ist der erste Fall vollständig behandelt. Fall 2. Genau zwei der Kanten von ∆ sind in ∂M . Dann ist Σ0 := Σ\{∆} wieder ein nur aus Dreiecken bestehendes polyedrisches Netz im R2 mit f 0 = f − 1 Dreiecken, k 0 = k − 2 Kanten und e0 = e − 1 Ecken. Nach unserer Induktionsannahme ist damit e − k + f = e0 − k 0 + f 0 = 1, und die Behauptung ist auch in diesem Fall bewiesen. Per vollständiger Induktion ist Schritt (1) damit vollständig bewiesen. (Schritt 2) Ist Σ ein polyedrisches Netz im R2 mit f Elementen, k Kanten und e Ecken, so gilt e − k + f = 1. P Für jedes A ∈ Σ sei n(A) die Anzahl der Ecken von A und setze n(Σ) := A∈Σ (n(A) − 3). Wir beweisen die Behauptung dann durch Induktion nach n(Σ). Ist Σ ein polyedrisches Netz im R2 mit n(Σ) = 0, so besteht Σ nur aus Dreiecken und die Behauptung gilt nach Schritt (1). Nun sei n ∈ N mit n ≥ 1 und für jedes polyedrische Netz Σ im R2 mit n(Σ) = n − 1 gelte die Behauptung. Sei Σ ein polyedrisches Netz im R2 mit n(Σ) = n > 0. Dann gibt es ein A ∈ Σ das ein m-Eck für ein m ≥ 4 ist. Dann können 10-5 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 wir A = A0 ∪ A00 in ein Dreieck A0 und ein (m − 1)-Eck A00 zerlegen und erhalten ein neues polyedrisches Netz Σ0 := (Σ\{A}) ∪ {A0 , A00 } mit f 0 := |Σ0 | = f + 1 das k 0 = k + 1 Kanten und e0 = e Ecken hat. Weiter ist n(Σ0 ) = n(Σ) − (n(A) − 3) + (n(A0 ) − 3) + (n(A00 ) − 3) = n(Σ) − m + m − 1 = n − 1, also gilt nach unserer Induktionsannahme 1 = e0 − k 0 + f 0 = e − k + f . Per vollständiger Induktion ist Schritt (2) damit vollständig bewiesen. (Schritt 3) Sei schließlich P ⊆ R3 ein konvexer Polyeder mit e Ecken, k Kanten und f Flächen. Durch Aufklappen dieses Polyeders erhalten wir ein polyedrisches Netz Σ im R2 mit f − 1 Elementen, k Kanten und e Ecken. Nach Schritt (2) gilt somit e − k + f = e − k + (f − 1) + 1 = 2. 3.2 Die platonischen Körper Wir hatten bereits bemerkt das die konvexen Polyeder im R3 in gewissen Sinne die dreidimensionale Version“ der konvexen n-Ecke in der Ebene sind. Ein besonders ” regelmäßiger Typ eines konvexen n-Ecks waren dabei die gleichseitigen n-Ecke bei denen alle Kanten dieselben Länge haben. Es gibt keine kanonische Verallgemeinerung“ ” gleichseitiger n-Ecke zu einem dreidimesionalen Begriff, in unserer Analogie entsprechen die Kanten eines n-Ecks den Seitenflächen eines konvexen Polyeders, für die Länge einer Kante gibt es aber keine direkte Entsprechung. Im Laufe der Zeit wurden verschiedene Typen besonders regelmäßiger konvexer Polyeder eingeführt. Eine Möglichkeit ist es zu fordern das die Seitenflächen möglichst regelmäßig sind, und es entsteht der Begriff der sogenannten Johnson-Polyeder. Definition 3.3 (Johnson Polyeder) Ein Johnson-Polyeder ist ein konvexer Polyeder im R3 dessen Flächen reguläre n-Ecke sind. Dabei wird n-Eck“ als Name verwendet, es ist kein fixiertes n gemeint. Starten wir ” etwa mit einem Quadrat in einer Ebene, so können wir nach Aufgabe (18) einen Punkt außerhalb dieser Ebene finden dessen Abstand zu allen vier Ecken des Quadrats gleich der Kantenlänge des Quadrats ist, bilden wir also die konvexe Hülle unseres Quadrats und dieses neuen Punkts so entsteht eine Pyramide als ein Johnson-Polyeder mit vier gleichseitigen Dreiecken und einem Quadrat als Seitenflächen. Unter den gleichseitigen n-Ecken gibt es den speziellen Typ der regulären n-Ecke bei denen auch noch alle Innenwinkel gleich sind. Bei diesen liegen alle Ecken nach Aufgabe (15) auf einem Kreis und durch Drehungen um den Mittelpunkt dieses Kreises können wir jede Ecke des n-Ecks in jede andere überführen. Die Ecken eines regulären n-Ecks sehen also in gewissen Sinne alle gleich aus. Entsprechend gibt es auch unter den Johnson-Polyedern solche bei denen alle Ecken gleich aussehen“, allerdings kann auch ” 10-6 Mathematische Probleme, SS 2016 Freitag 13.5 dies im Raum auf verschiedene Weisen interpretiert werden. Die wohl einschränkenste Interpretation führt auf den Begriff eines platonischen Körpers. Definition 3.4 (Platonische Körper) Seien n, m ∈ N mit n, m ≥ 3. Ein platonischer Körper von Typ (n, m) ist ein konvexer Polyeder P ⊆ R3 mit den folgenden beiden Eigenschaften: (a) Jede Fläche von P ist ein reguläres n-Eck. (b) In jeder Ecke von P treffen genau m Flächen zusammen. Wir kennen auch bereits einige Beispiele platonischer Körper. Ein Tetraeder besteht aus f = 4 gleichseitigen Dreiecken und in jeder Ecke des Tetraeders treffen drei von diesen aufeinander, der Tetraeder ist also ein platonischer Körper von Typ (3, 3). Beim Würfel haben wir f = 6 Quadrate, also reguläre Vierecke, und in jeder Ecke des Würfels treffen drei dieser Quadrate zusammen, der Würfel ist also ein platonischer Körper von Typ (4, 3). Schließlich hatten wir auch noch das aus f = 8 gleichseitigen Dreiecken gebildete Oktaeder und in diesem treffen in jeder Ecke vier dieser Dreiecke zusammen, der Oktaeder ist also ein platonischer Körper von Typ (3, 4). 10-7