Alles geregelt in Europa? Das Europäische Jugendforum in Dresden am 12. April 2013 Wo brauchen wir in der Europäischen Union neue Regeln, damit unsere Gesundheit, unsere Sicherheit und unsere persönlichen Informationen geschützt sind? Und was können wir als Verbraucherinnen und Verbraucher eigenverantwortlich frei entscheiden? Mit diesen Fragen beschäftigten sich beim Europäischen Jugendforum „Alles geregelt in Europa!?“ am 12. April 2013 im Sächsischen Landtag 98 Schülerinnen und Schüler dreier Berufsschulzentren aus Dresden, Freital-Dippoldiswalde und Meißen, der DPFA Schulen in Chemnitz sowie des Martin-Andersen-Nexö-Gymnasiums in Dresden. Schon vor dem Jugendforum hatten sich die jungen Bürgerinnen und Bürger bei einer Vorbereitung in ihren Schulen mit der Europäischen Union, dem Europäischen Binnenmarkt sowie mit dem Verbraucherschutz in Europa beschäftigt. Im Landtag diskutierten sie schulübergreifend sowie mit Abgeordneten des Europäischen Parlaments und des Landtags drei konkrete Fragen: Sollten Kunden das Recht haben, bei der Nutzung von Online-Angeboten die Speicherung und Weitergabe persönlicher Daten zu untersagen? Wir möchten nicht zum gläsernen Menschen werden, erklärte dazu René Pohl aus Meißen: Zurzeit müssten sich Internetnutzer zwischen Datenschutz und digitaler Beteiligung entscheiden. Facebook nicht zu nutzen käme heute aber schon einer sozialen Selbstisolierung gleich. Unbedingt müsse in Europa daher verbindlich geregelt werden, dass die Nutzerinnen und Nutzer von Onlinediensten endlich Kontrolle über die Verwendung ihrer persönlichen Daten erhielten. Dagegen wandte Robert Kasperan aus Dresden ein: Wenn Online-Dienstleister Daten nicht mehr gewinnbringend nutzen dürften, drohten ihnen wirtschaftliche Einbußen. Die Kosten müssten dann vielleicht die Nutzer tragen. Facebook werde womöglich gebührenpflichtig, was wohl niemand wolle. Jeder könne sich selbst schützen. Sinnvoll sei dafür aber eine vermehrte Aufklärung über den Umgang mit digitalen Daten in den Schulen. In der folgenden Abstimmung sprach sich eine große Mehrheit von 63 Teilnehmenden für ein Recht der Internetnutzer aus, über die Nutzung von Daten, die der Anbieter für die Erbringung einer Leistung nicht wirklich braucht, selbst zu entscheiden. Auf Seite der Abgeordneten sprachen sich alle Anwesenden für eine entsprechende Veränderung der Datenschutzregeln aus. Die Europaabgeordnete Dr. Cornelia Ernst (Die Linke) wies darauf hin, dass Unternehmen mit kundenfreundlichen Datenschutzbestimmungen mehr Vertrauen aufbauen und so neue Kunden gewinnen könnten. Für die Unternehmen seien derartige Bestimmungen nicht existenzgefährdend. Der Landtagsabgeordnete Henning Homann (SPD) machte deutlich: Die Unternehmen werden sich anpassen und im Wettbewerb gegen andere bestehen müssen. Gelingt dies den heutigen großen Akteuren mit ihren Unternehmensmodellen nicht, werden innovative und kundenfreundlichere neue Anbieter nachkommen. Sollten Plastiktüten EU-weit verboten werden? Ja, forderten Pia-Maria Urbansky aus Dresden und Matthias Fritzsche aus Chemnitz: Plastikmüll sei über Jahrzehnte nicht abbaubar, gelange in die Meere und dort in die Nahrungskette. Meerestiere verendeten daran kläglich und auch der Mensch nähme mit dem Essen von Fisch alltäglich Kunststoffpartikel zu sich. Zudem verbrauche die Herstellung ein Übermaß der begrenzten Erdölressourcen. Stoffbeutel dagegen seien wiederverwertbar, reißfest und ein rundum praktisches Transportmittel. Ganz anders sah dies Franz Biermann aus Meißen: Die Plastiktüte habe in unserem Alltag viele Vorteile bewiesen; die Herstellung sei günstig und Lebensmittel aller Art könnten in ihr stabil wie auch hygienisch transportiert werden. Plastiktüten seien recyclebar. Das Problem liege nicht an der Plastiktüte selbst. Der Mensch müsse nur den richtigen Umgang mit ihr lernen. 43 Jugendliche stimmten ihm darin zu, 38 sprachen sich dagegen für ein Verbot aus. 15 Teilnehmende enthielten sich. Von den Abgeordneten sprach sich der Landtagsabgeordnete Henning Homann (SPD) klar für ein Verbot von Plastiktüten aus. Er selber bemühe sich, immer einen Beutel für eventuelle Einkäufe mitzunehmen. Dies sei nur eine Frage der Gewöhnung. Sein Kollege Peter Schowtka (CDU) zeigte sich erstaunt über die geringe Radikalität der jungen Bürgerinnen und Bürger, die mehrheitlich lieber an alten Gewohnheiten festhielten als Neues zu wagen. Umweltbewusstsein sei aber erlernbar, was Beispiele aus Ländern wie Spanien oder Italien zeigten. Eine gute Möglichkeit dafür sei ein Pfand-System für Tüten. Sollten gentechnisch veränderte Lebensmittel EU-weit verboten werden? Engagiert setzten sich Antje Berger und Hanna Margitudis aus Dresden für ein Verbot grüner Gentechnik ein: Gesundheitlich sei bis heute durch keine Langzeitstudien geklärt, ob gentechnisch veränderte Lebensmittel die Menschen schädigten. Sozial führe Gentechnik zur Abhängigkeit kleiner Bauern von teuren Patenten der Hersteller. Und ökologisch drohe eine Übertragung veränderter Gene auf andere Organismen. Ganz anderer Auffassung waren Johanna de Neville und Susann Puschner aus Dresden: Durch ein Verbot grüner Gentechnik hätten Unternehmen in der EU gegenüber ihren außereuropäischen Konkurrenten einen Nachteil, der nie wieder aufzuholen sei. Gentechnik könne den Ertrag steigern, den Einsatz von Pestiziden verringern und Krankheiten verhindern. Gerade in Entwicklungsländern könne dies zur Verminderung des Hungers führen. Eine knappe Mehrheit von 45 Teilnehmenden folgte dieser Argumentation und stimmte gegen ein Verbot. 32 sprachen sich für ein Verbot aus. 20 Enthaltungen verdeutlichten die Schwierigkeit, sich in dieser komplexen Frage zu positionieren. Aus den Reihen der Abgeordneten sprach sich Dr. Cornelia Ernst (Die Linke) deutlich für ein Verbot grüner Gentechnik aus. Darüber hinaus forderte sie eine generelle Debatte über unseren Umgang mit Lebensmitteln, da wir immer weniger einschätzen könnten, was wir täglich zu uns nehmen. Die Landtagsabgeordnete Kristin Schütz (FDP) sprach sich klar gegen ein Verbot grüner Gentechnik aus. Stattdessen forderte sie eine deutliche Kennzeichnung aller Lebensmittel, die mit Hilfe gentechnisch veränderter Substanzen hergestellt werden, damit der Verbraucher eigenverantwortlich entscheiden könne. Der Europaabgeordnete Dr. Peter Jahr (CDU) beklagte die zunehmend unüberwindbaren Abgründe zwischen den Gegnern und den Befürwortern grüner Gentechnik, die eine rationale wissenschaftliche Analyse verhinderten. Er sehe sowohl die Chancen als auch die Risiken und forderte unbedingt weitere Forschung. Nach diesem intensiven Gedankenaustausch mit den Abgeordneten, den Rico Drochner von MDR Jump moderierte, machten sich die Schülerinnen und Schüler auf den Heimweg. Noch im Vorfeld der Veranstaltung hatten viele von ihnen angegeben, der Politik sehr fern zu stehen. Beim Jugendforum aber hatten sie gezeigt, dass sie sich für konkrete Anliegen inhaltlich kompetent, rhetorisch talentiert und persönlich engagiert einsetzen – und genau darauf kommt es an, auf dem Weg zu einer aktiven europäischen Zivilgesellschaft.